Kosmos Theater: Mit freundlichen Grüßen, Eure Pandora
Januar 14, 2022 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Ganz ohne Männer geht die Chose nicht

Rokoko-Hausfrauen-Streik auf großer Leinwand: Maria Hofstätter, Lara Sienczak, Sonja Romei und Christina Scherrer, vorne: Elena Wolff. Bild: © Bettina Frenzel
… und davon saßen diesmal sehr viele auf der Publikumstribüne des Wiener Kosmos Theater. Regisseur Paul Spittler hat Autorin Laura Naumanns Text „Mit freundlichen Grüßen, Eure Pandora“ (Naumann ist Mitglied des Performance-Kollektivs Henrike Iglesias) zur österreichischen Erstaufführung gebracht, und er sowie fünf großartige Schauspielerinnen unterfüttern den sprachspielerischen, satirischen, radikal- theoretischen Text mit Gesang
und Tanz und multimedialen Popfeminismus-Zitaten. Entstanden ist so eine in diversen Farben schillernde Show mit fraglos ernst gemeintem Fokus, die mit weiblichen Zuschreibungen und binärer Geschlechterordnung Schluss macht, und nach „Zwischenräumen“ im Miteinander sucht. Zu Beginn gleich erklären die mit Rokoko-Perücken bewehrten Ladys via Videowand, wie Ehe, Familie, Gesellschaft, Weltwirtschaft dumm aus der ungewaschenen Wäsche schauen würden, kämen sie ihren Pflichten nicht mehr nach: „Wir sind einfach nur da. Herrlich!“ Und ob das Folgende als Utopie oder Dystopie zu lesen ist, gilt es am Ende zu entscheiden.
Die hier die Büchse der Pandora öffnet ist Sonja Romei als Wissenschaftlerin Eva Robinson. Sie hat in ihrem Institut mit pluripotenten Stammzellen (gibt‘ wirklich, keine Erfindung!) ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Frauen ohne männliches Sperma fortpflanzen können. Das „starke Geschlecht“ wird damit obsolet. Die Frau, an der sie die Technik erprobt, ist Christina Scherrer als Geliebte und Popstar Joanne. Eine geheime Innigkeit, weniger wegen des Lesbianismus‘ als um Eva vor Joannes zwei Millionen Social-Media-Followern zu schützen.
Umso mehr aus dem Häuschen sind Evas auf traditionellem Weg gezeugte Teenager-Tochter Valeria, Lara Scienczak, und deren BBF – Best Friend Forever Salome. Die/der genderqueere SchauspielerIn, Comedian und AutorIn Elena Wolff, bekannt unter anderem von den ORF-Pratersternen, spielt die Supermarktkassiererin und Club-Dance-Queen. Last, but not least erfand Laura Naumann einen surrealen Charakter, hier: Maria Hofstätter als skurril-grantelndes, derb-zotiges Urweib, eigentlich die anatolische Göttin Baubo*.

Lara Sienczak und Sonja Romei. Bild: © Bettina Frenzel

Maria Hofstätter und Christina Scherrer. Bild: © Bettina Frenzel

Elena Wolff und Lara Sienczak. Bild: © Bettina Frenzel
*Baubo gehört zum griechischen Mythos der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, die sich nach Verschleppung ihrer Tochter Persephone in den Hades aufgab, weshalb die Menschen ohne Ernten Hunger litten. Baubo, die personifizierte Sexualität, munterte die verzweifelte Mutter mit allerlei obszönen Scherzen auf, unter anderem entblößte sie ihre Vulva. Ein Akt, der bei den rituellen Festen, den dreitägigen Thesmophorien, bald fixer Bestandteil wurde.
Die Fünf jedenfalls haben die Nase voll von toxischer Männlichkeit und „penisbasierter Ungerechtigkeit“, Stichwort: Einkommensschere: „Alles nur wegen Titten!“ Mit dem Megaphon üben sie „Nein!“-Sagen. Laut und deutlich und eindeutig. Gegen sexuelle Übergriffe, Schwanz-Pics, Ess-Störungen, Body-Shaming, Vergewaltigung, Femizid, zum Vorgesetzten, der im Meeting auf den Busen starrt, zu Herrenwitzen wie MIF – Mother I like to fuck. Die Aufzählung ist minutenlang. „Na, nervst schon?“, fragen die Listenführerinnen listenreich ins Publikum.
Baubo, Maria Hofstätter kauzig, wie man sie kennt und liebt, stachelt ihre Mitstreiterinnen dazu an, ein feministisches Manifest zu verfassen. X-e Bände ihrer „Notizen zum Ende des Patriarchats“ gibt es schon, geschrieben als Amazonenkönigin, Domina oder Suffragette, nun soll das Projekt zu einem matriarchalischen Schlusspunkt gebracht werden. Schwankend zwischen Frauensolidarität und Zickenkrieg, ja, hier zwickt und zwackt man sich auch selber, wird an Formulierungen gefeilt.

Maria Hofstätter und Lara Sienczak. Bild: © Bettina Frenzel

Sagenhafte Sängerin: Christina Scherrer. Bild:© Bettina Frenzel

Tanzt sich die Männer vom Leib: Elena Wolff. Bild: © B. Frenzel

Scherrer, Romei und Sienczak. Bild: © Bettina Frenzel
Paul Spittler hat Naumanns dialogischen Schlagabtausch wie die chorischen Aufzählungen frech, flott und frisch auf die Spielfläche übertragen. Wie der Wind rauschen die Wortspiele an einem vorbei. Mitunter schnappt man launige Referenzen auf, etwa die Abwandlung eines legendären Marthaler-Titels: „murx den Patriarchen / murx ihn murx ihn / murx ihn ab“. Dazwischen singt Christina Scherrer als Popstar Joanne ganz traumhaft „Bad Romance“ von Lady Gaga und mit allen „I’m every Woman“ von Whitney Houston. Elena Wolffs Salome legt einen Tanz hin, mit dem sie sich die gierigen Disco-Gaffer vom Leib hält.
Evas „heißer Scheiß“ (© Baubo) funktioniert, die Revolution kann beginnen: die Abschaffung, das Aussterben-Lassen der Männer, weil’s via Reagenzglas nur noch weibliche Embryonen geben soll. Eva: „Die Männer haben’s über Jahrtausende versucht, sie sind nicht qualifiziert.“ – Baubo: „Das ist Genozid mit Ansage.“ – Salome: „Eine Vulva ist keine Friedenstaube und eine Gebärmutter kein Heiligenschein.“ Die Meinungen spalten sich. Um Emmerich Kálmán umzudrehen: Ganz ohne Männer geht die Chose nicht.
Salome stellt zur Diskussion, wie man mit bigender Personen umzugehen gedenke. Ist Geschlecht Biologie oder Identität? Werden die Zwischentöne ausradiert? Vom Jammertal des Frauseins ziehen die Fab Five nun den elysischen Feldern der „Zwischenräume“ (s. o.) entgegen, diese abschließende Szene „Wie ich Autorin meiner eigenen Geschichte wurde“ erweitert um einen Text von Elena Wolff. Eine letzte Wunschliste wird deklamiert über eine Welt, in der Geschlecht kein Maßstab mehr sein darf: „Wir sehen den Unterschied, aber wir machen ihn nicht.“ Fantastischer Zukunfts-Satz: „Niemand verfolgt mich, nur ich meine Ziele.“
Zu sehen bis 29. Jänner. 19. Jänner, 19 Uhr: Einführungsgespräch; 20.Jänner im Anschluss an die Vorstellung: Publikumsgespräch. kosmostheater.at Trailer: www.youtube.com/watch?v=Sgop926I17A
- 1. 2022