Albertina: Stadt-Land. Von Albrecht Dürer bis Paul Klee

März 2, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Spaziergang durch 500 Jahre Landschaftsbild

August Macke: Frau mit Krug unter Bäumen, 1912. Albertina, Wien. Sammlung Forberg

Mit der Ausstellung „Stadt-Land. Von Albrecht Dürer bis Paul Klee“ lädt die Albertina ab 5. März zu einem Spaziergang durch Landschaftsbilder aus fünf Jahrhunderten. Von den Anfängen des autonomen Landschaftsbildes und seiner Bahnbrecher, allen voran Albrecht Dürer, spannt sich der Bogen über Bruegel, Rembrandt und das holländische Goldene Zeitalter, von Stadtpanoramen der Renaissance zu nahsichtigen Veduten, von utopischen Entwürfen arkadischer Landschaften bis zum

illusionslosen, realistischen Naturbild im Zeitalter der Industrialisierung, von den Bildern der Erhabenheit und des Sublimen bei Caspar David Friedrich über die Schreckensvisionen und Dystopien bei Alfred Kubin bis zu den Kinderträumen verspielter Natur bei Paul Klee. Schlüsselwerke der romantischen Landschaft und österreichische Aquarellkunst des 19. Jahrhunderts wie Jakob und Rudolf von Alts Wien-Ansichten runden die Ausstellung ab.

Alfred Kubin: Schlachthausruine, 1900. Albertina, Wien

Egon Schiele: Alte Häuser in Krumau, 1914. Albertina, Wien

Emil Nolde: Die Wintersonne, 1908. Albertina, Wien

Rembrandt Harmensz. van Rijn: Die ehemalige Kupfermühle auf der Weesperzijde, späte 1640er-Jahre. Albertina, Wien

Der Großteil der gezeigten Werke wurde vom Sammlungsgründer der Albertina, Herzog Albert von Sachsen-Teschen erworben, der sich insbesondere für bildhaft ausgeführte, großformatige Landschaftszeichnungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts interessierte: Landschaften von Adrian Zingg und dessen Schülern sammelte er sowohl ihrer künstlerischen Qualität wegen als auch in Erinnerung an seine alte Heimat Sachsen. Vor allem in seinen letzten Lebensjahren konzentrierte sich Herzog Albert auf den Erwerb von Landschaften, von denen nun eine hochkarätige Auswahl präsentiert wird.

www.albertina.at

2. 3. 2021

Theater Nestroyhof Hamakom: Ich bin der Wind

Oktober 14, 2020 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Anne Bennent in Jon Fosses Mystikdrama

Anne Bennent und Jakob Schneider. Bild: © Marcel Köhler

Das Theater Nestroyhof Hamakom startet mit der Eigenproduktion „Ich bin der Wind“ in die Saison 2020/21 und bringt das Stück des norwegischen Ausnahmeautors Jon Fosse, einer der großen Mystiker der europäischen Gegenwarts- literatur, ab 14. Oktober zur österreichischen Erstaufführung. In der Regie von Ingrid Lang spielen Anne Bennent und Jakob Schneider. „Ich bin der Wind“ ist ein Stück Überleben. Eine zärtliche Auseinandersetzung mit Leben

und Tod, Depression und Alkoholismus, mit den tiefsten Ängsten und der größten Lust. Ein mutiger liebender Blick ins eigene Gesicht, gespiegelt in einer unruhigen Wasseroberfläche. Eine Meditation über das Menschsein, über Beziehungen und Nähe, über die Angst vor dem Alleinsein, die Lust des Verschwindens und die Unaussprechlichkeit dessen, was den Menschen eigentlich ausmacht.

Das Ganze spielt auf einem von zwei namenlosen Gestalten imaginierten Segelboot. Der Eine ist lange schon fort, er ist leicht wie der Wind und schwer wie ein Stein, allein kann er nicht sein, aber auch nicht unter den anderen, eine Betonwand ist er, die krachend zerfällt und so ist das passiert, wovor er Angst hatte, es zu tun … Der Andere versucht zu verstehen, versucht ihn in der Gegenwart zu halten. Aber das sind nur Worte, nur was man so sagt. Und so schweigen sie und segeln. Nebel hängt über dem Wasser, grau schimmern die Inseln und Schären. Schön und hässlich. In einer Bucht genehmigen sie sich einen Ankerschnaps. Sie essen, sie reden, einer trinkt. Er steuert auch das Boot, fährt weiter und weiter aufs offene Meer hinaus, wo er dem Anderen das Ruder übergibt und in die Wellen stürzt …

Vorstellungen bis 4. November.

www.hamakom.at           Trailer: www.facebook.com/theaternestroyhofhamakom/videos/338670324028835

14 10. 2020

Das Rote Wien im Waschsalon: Es lebe der Sport!

Mai 21, 2020 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Ausstellungen zur Arbeiter-Olympiade und für Alpinisten

Zillenfahrt von Wörgl nach Wien © ASKÖ WAT Wien

Es hat sich irgendwo in den Seiten der Zeit verloren, jenes vom Vater schon zerlesene Zwischenkriegs-Kinderbuch über eine Lausbubenbande, die im Hinterhof „Olympische Spiele“ abhält, bei denen „das Nullerl“, Sohn des kriegsinvaliden und darob gemeindebau-gesellschaftlich randständigen Trafikanten, endlich zum gefeierten Sporthelden wird … Nun, da die Sommerspiele 2020 #Corona-bedingt auf nächstes

Jahr in Tokio verschoben sind, „Das Rote Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof“ seine Pforten aber endlich wieder geöffnet hat, lässt man ebenda diese Tage mit zwei Sonderausstellungen wiederauferstehen. „2. Arbeiter-Olympiade in Wien. ,Neue Menschen‘ für eine ,neue Welt'“ nennt sich die eine, „Hand in Hand durch Berg und Land. 125 Jahre Naturfreunde“ die andere.

„Wir verzichten von vornherein auf alle Sensationen“ – Julius Deutsch

Arbeiter-Olympiade, Gewichtheber © ASKÖ WAT Wien

Im Umfeld der europäischen Arbeiterparteien entstehen Ende des 19. Jahrhunderts auch Turn- und Sportvereine, die sich bewusst vom „bürgerlichen“ Sport abgrenzen wollen. Nicht Rekordstreben und Kommerz sollen Ziel und Zweck der sportlichen Betätigung sein, sondern die körperliche Ertüchtigung von Männern und Frauen sowie die geistige und kulturelle Entwicklung der Arbeiterschaft – als Vorbereitung auf ein Leben in einer sozialistischen Gesellschaft.

Nach dem Ersten Weltkrieg sammeln sich 1919 die Arbeitersportvereine, die Arbeiterradfahrer und die Naturfreunde im Verband der Arbeiter- und Soldatensportvereine, der sich 1924 mit der Zentralstelle der österreichischen Arbeiterturnvereine zum Arbeiterbund für Sport und Körperkultur in Österreich, kurz ASKO, vereint. Gegen Ende der 1920er-Jahre zählt der ASKÖ bereits mehr als 200.000 Mitglieder. Da der österreichische Arbeiterbund für Sport und Körperkultur europaweit die höchsten Mitgliederzahlen aufweist und zudem das Rote Wien die besten Voraussetzungen für die Durchführung einer derartigen Veranstaltung mitbringt, wird die Austragung der 2. Arbeiter-Olympiade an Österreich vergeben.

Die Winterspiele finden im Februar 1931 in Mürzzuschlag und auf dem Semmering statt, die Sommerspiele vom 19. bis zum 26. Juli in Wien. Das anlässlich der Arbeiter-Olympiade neu errichtete Praterstadion mit Stadionbad wird wenige Tage vorher, am 11. Juli, feierlich eröffnet. Trotz Weltwirtschaftskrise nehmen an die 25.000 Sportlerinnen und Sportler aus 27 Nationen teil, darunter mit Hapoel Tel Aviv auch eine Delegation aus dem britischen Mandatsgebiet Palästina. Insgesamt strömen 70.000 Menschen nach Wien. Bei dieser größten bis dahin in Wien abgehaltenen Sportveranstaltung werden 117 Bewerbe in 18 Sportarten ausgetragen.

Darunter Klassiker wie Fußball, Hand- und Faustball, aber auch Disziplinen, die den Arbeitersportlern bisher verschlossen waren, wie Tennis, Jiu-Jitsu und Paddeln oder damals populäre Sportarten wie Schleuderballwerfen oder Raffball. Der Waschsalon Karl-Marx-Hof zeigt neben Fotos, Festführern, Postkarten und Broschüren zur 2. Arbeiter-Olympiade aus den Beständen des Vereins für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung auch Objekte aus dem Archiv des ASKÖ WAT Wien. Außerdem gibt es auch altes dokumentarisches Filmmaterial aus den Beständen des Wiener Filmarchiv der Arbeiterbewegung und des Filmarchiv Austria zu sehen.

Arbeiter-Olympiade, Hürdenlauf © ASKÖ WAT Wien

Radsportclub „Triumpf“ Weißenfels, 1925 © Stadtgeschichtliches Museum Leipzig / Sportmuseum

Alpinistengilde am Peilstein, 1920 © Archiv der Naturfreunde

Zdarsky Skigruppe, 1905 © Foto Wagner, Lilienfeld

Hand in Hand durch Berg und Land. Eine Sonderschau der Naturfreunde

Alles beginnt mit einer Anzeige in der Arbeiter-Zeitung im März 1895: „Naturfreunde werden zur Gründung einer touristischen Gruppe eingeladen, ihre Adresse unter ,Natur 2080′ einzusenden an die Exped.“ Aufgegeben hatten das Inserat der sozialdemokratische Pädagoge Georg Schmiedl und sein Wanderkollege Simon Katz. Unter den zahlreichen Antwortschreiben befindet sich auch jenes der Wohnungsnachbarn Alois Rohrauer, Feinmechaniker, und Karl Renner, Jura-Student.

1896 entwirft Renner das Emblem des neuen Vereins. Es vereint den Handschlag als sozialdemokratisches Symbol der Solidarität mit drei Alpenrosen. Auch der Wahlspruch ist schnell gefunden: „Hand in Hand durch Berg und Land“ – ein Ausdruck des politischen Kampfes um Freizeit und Erholung.

dasrotewien-waschsalon.at

21. 5. 2020

Akademietheater: Joachim Meyerhoffs „Land in Sicht“

April 28, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Geschichten aus den 280 Kladden des Ignaz Kirchner

Joachim Meyerhoff zeigt Erinnerungen von seinem und an seinen großen Schauspielkollegen Ignaz Kirchner. Bild: Georg Soulek/Burgtheater

Drei Stunden Theatermonolog sind für gewöhnlich etwas, das sowohl dem Sprecher als auch dem Publikum an die Substanz geht. Außer freilich, es ereignet sich Außergewöhnliches, wie nun am Akademietheater, wo Joachim Meyerhoff unter der Überschrift „Land in Sicht“ eine theatrale Gedenkfeier für Ignaz Kirchner gestaltet. „Weiter, weiter“ steht als Motto des Meyerhoff’schen Projekts vorne auf dem Programmheft, und so geht’s einem beim Anhören dieser Erzählungen, Erinnerungen, Erläuterungen.

Wenn ein grandioser Schauspieler vom anderen schwärmt, dann will man noch jenseits jedes Zeitlimits mehr erfahren. Man habe, eingedenk der fulminanten Burgzerlegungsfarce „Robinson Crusoe“, längst schon vorgehabt, gemeinsam ein Stück zu machen, sagt Meyerhoff, und weiß von mindestens drei fehlgeschlagenen Versuchen, deren fertige Bühnenbildmodelle er auch herzeigt. Eine neue Idee war in Arbeit, aber es kam nicht mehr zur Ausführung. Ignaz Kirchner verstarb vergangenen September. Doch da waren diese Notizbücher, die schwarzen mit den roten Ecken, „Ignaz‘ Farben“, so Meyerhoff, von denen er bei Gelegenheiten einige als Geschenk erhalten hatte. Vierzig Jahre hat Kirchner in diese Hefte Fotografien aus Zeitungen und Zeitschriften geklebt, dabei Kurioses, Fatales, Skurriles, das Abgründige im Alltäglichen wild gemischt festgehalten, Erich Honecker samt Frau neben dem Bild einer Fließbandschlachtung, und jede seiner Entdeckungen mit mal ironischen, mal nachdenklichen Bemerkungen versehen.

Die Welt ein Menschenleben lang mit Verwunderung, auch Fassungslosigkeit betrachtet. Wie viel Geschichte und G’schichten in ein solches passen, erfuhr Meyerhoff, als ihm Kirchners Kladden von dessen Frau zur Verfügung gestellt wurden, 280 an der Zahl, aufgeteilt auf vier Kartons, aus denen er in Komplizenschaft mit einem Auditorium voll Kirchner-Fans Auszüge präsentiert. Dass Meyerhoff dies begnadet gut tut, wird jedem einleuchten, der die irrwitzigen Lesungen seiner autobiografischen Bücher kennt. Dem verehrten, jähzornig liebevollem, vergrübelt spitzbübischem Kollegen nähert er sich mit einem ähnlich dreisten Mix aus Unverfrorenheit und Hochachtung, wenn er frech über dessen Vorliebe für Frauen-in-Dessous-Fotos und Schuhfetischismus feixt.

Die 280 Kladden aus den vier Kartons hinten …: Joachim Meyerhoff. Bild: Georg Soulek/Burgtheater

… werden auf die Bühne gestapelt: Mirco Kreibich, Fabian Krüger und Joachim Meyerhoff. Bild: Georg Soulek/Burgtheater

All diese Aufnahmen, von Frank-Patrick Steckel „Wichsvorlagen“ genannt, natürlich welche fürs Rollenstudium. Wie nebenbei plaudert Meyerhoff aus dem Nähkästchen großer Schauspielkunst, er ist der geborene Entertainer, und wie stets, wenn eine Parentation gehalten wird, befasst sich der Vortragende über weite Strecken mit sich. Eine Form charmanter Selbstinszenierung, die dem Charismatiker weder fremd noch irgend unangenehm ist, und so karikiert er ungeniert seine mimischen Anfänge, als er, gefangen im magischen Dreieck Stein – Castorf – Dorn und darob an seiner Berufswahl bereits ver-/zweifelnd, eine Aufführung mit Gert Voss und Ignaz Kirchner gesehen habe.

Ewigkeiten vorm persönlichen Kennenlernen. Und um festzustellen, dass man am Theater nicht nur heiligen Bierernst haben müsse, sondern trotz „intellektueller Durchdringung“ kauzigen Spaß haben kann. Später wird er von der Garderobenhackordnung bei Hartmanns Einstandspremiere „Faust“ berichten, als Tobias Moretti lieber auf die Damenseite wechselte, wo „Gretchen“ Katharina Lorenz das Feld räumen musste, als sich Gert Voss im Kampf um die „Einser“ geschlagen zu geben, während Kirchner, zufrieden im Komparsenkämmerchen, der Bühne ohnedies am nächsten war.

Dann wiederum prahlt er bescheiden über sein Einspringer-Erlebnis als Mephisto nach dem Voss’schen Beinbruch, ein Parforceritt, Europas besten Schauspieler zu ersetzen, der belohnt wurde, als ihn zu des Meisters Rückkehr dessen Anruf ereilte, mit der Frage, ob er ein, zwei Einfälle zur Figur von Meyerhoff entlehnen dürfe. Derart Anekdoten, die Einblicke hinter die Kulissen, die augenzwinkernd bloßgelegten Eitelkeiten, erfreuen selbstverständlich das Zuschauerherz. Meyerhoff zur Seite stehen Mirco Kreibich und Fabian Krüger als sprachlose Slapstickdeppen, Bühnenarbeiter-Persiflagen, die hämmern und sägen und hochklettern und herumtollen, als wollten sie das Setting von Jenny Schleif mit Hebemaschine und Motorsäge erst aufbauen.

Wird Meyerhoff politisch, ertränken sie seine Sätze in ihrem Baulärm. Etwa, wenn Meyerhoff etwas zur FPÖ und zum braunen Rand und Kirchners Aversion gegen die neue Regierung sagen will, doch man nur sieht, wie er den rechten Arm streckt und gerade noch hört: „… und das alles also hätte Ignaz gern mit Strache gemacht“. Kirchner liebte solche Narreteien, veranstaltete auf der Bühne mitunter selber eine, und wenn Kreibich und Krüger mit ihren Chaosaktionen die von Meyerhoff dringlich geforderte Konzentration stören, wenn sie dem „Star“ einmal im Wortsinn die Latte hoch hängen, dann sorgt das für eine Luftigkeit, die die allgemeine Rührung samt der dramatischen Musik von Pianistin Johanna Marihart und Keyboarder Philipp Quehenberger tröstlich übertüncht.

Die Störenfriede können auch gut Gitarre: Fabian Krüger und Mirco Kreibich. Bild: Georg Soulek/Burgtheater

Das Radfahrer-Stück kam nicht mehr zustande; am Klavier: Philipp Quehenberger. Bild: Georg Soulek/Burgtheater

Stolz auf ihre Seelenverwandtschaft, auf ihre Männerfreundschaft, in der übers Innerste nicht gesprochen werden musste, um sich nah zu sein, zeigt Meyerhoff die Seiten aus Kirchners Notizbüchern, projiziert sie auf einen riesigen Screen, Ausschnitte verhasster Politiker, den grinsenden Kohl, den selbstgefälligen Franz Josef Strauß, den sonnengegerbten „Sonnyboy“ Haider, „Visagenzorn“ hätte Kirchner da getrieben, sagt Meyerhoff. Bilder von Peymann und Tabori und von einem Mann mit einem ausgestopften und zwei lebenden Hunden, Bildtext: „Er liebt sie alle gleich“.

Unter einem Porträtfoto hat der junge Ignaz Kirchner ironisch vermerkt: „Jaja, mein Schweinegesicht, das ist mein Kapital“. Meyerhoff liest das amüsiert vor. In der Pause verteilt ein Clown im Foyer Gedichte, die Kirchner mochte. Zum Höhepunkt strampeln sich ein paar Statisten als Radrennprofis die Seele aus dem Leib, dies wäre das Stück gewesen, dass Meyerhoff für Kirchner nicht mehr fertigen konnte. Der foulende Fahrer gewinnt. Am Ende zieren die Kladden die Brandmauer wie Grabsteine eine Urnenwand, darunter Kostüme zu Kirchners berühmtesten Rollen – der Reliquienschrein zum Requiem.

„Land in Sicht“, behauptet Meyerhoff, sei nur ein Nonsenstitel für seine Séance, weil Karin Bergmann ihn schon nach einem gedrängt und er gerade Rio Reisers Song gehört hätte. Das muss man nicht glauben, wo sich doch die „Robinson Crusoe“-Assoziation geradezu anbietet. Als die aufwendige Produktion aus Kostengründen in Doppelvorstellungen gezeigt werden musste, und Meyerhoff deswegen Befürchtungen hegte, zerstreute sie der Tennis-affine Kirchner mit folgendem „Na und?“: „Federer und Nadal spielen fünf Stunden!“ Weiter, weiter …

www.burgtheater.at

  1. 4. 2019

Albertina: Land und Leute

Mai 27, 2016 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

Vom UdSSR-Wald auf den US-Parkplatz

Peter Paul Atzwanger: An der Ofenbank, ca. 1936, Albertina, Wien. Bild: © Peter Paul Atzwanger

Peter Paul Atzwanger: An der Ofenbank, ca. 1936, Albertina, Wien. Bild: © Peter Paul Atzwanger

Ob als ästhetisierte Kunstfotografie oder im gesellschaftspolitischen Kontext, ob zur wissenschaftlichen Dokumentation oder als idealisierte Heimatfotografie – Landschaften und ihre Bewohner stehen seit jeher im Fokus der Fotografen. Die zweite Sammlungs- präsentation der Fotosammlung der Albertina, die ab 25. Mai im Haus zu sehen ist, widmet sich daher dem Thema „Land und Leute“.

Mehr als 100 Meisterwerke spannen den Bogen von namhaften Künstlern des 19. Jahrhunderts bis hin zu zeitgenössischen Positionen. So entsteht eine abwechslungsreiche Schau, die „Land und Leute“ auf vielfältige Weise beleuchtet. Ein paar Beispiele: Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Fotografie ein völlig neues Medium, das dokumentarisch eingesetzt wird. Es entstehen sowohl detaillierte Aufnahmen der heimischen Alpen wie die großformatigen Aufnahmen des Großglocknermassivs von Gustav Jägermayer als auch malerische Aufnahmen ferner Länder und ihrer Bewohner wie die Fotografien Japans von Raimund Stillfried von Rathenitz.

Mit der Entstehung des internationalen fotografischen Piktorialismus verschiebt sich um die Jahrhundertwende der Schwerpunkt der Fotografie auf die künstlerische Wiedergabe stimmungsvoller Landschaften. Heinrich Kühn oder Hans Watzek verbinden ein starkes Interesse an fotografischen Techniken mit einem an der zeitgenössischen bildenden Kunst geschulten ästhetischen Anspruch. Ihr Hauptanliegen ist es, die Fotografie zu einem künstlerischen Medium aufzuwerten und der Malerei gleichzustellen. Diese Ambition manifestiert sich in großen Formaten sowie einer raffinierten Farbgebung, die durch komplizierte Techniken wie Gummidruck, Gummigravüre oder Ölumdruck ermöglicht werden.

Anfang der 1930er-Jahre rücken die ländlichen, alpinen Gebiete Österreichs in den Fokus: Das thematische Spektrum der österreichischen Heimatfotografie umfasst idyllische Ansichten von schöner Landschaft, traditioneller bäuerlicher Arbeit und Architektur und Menschen in Tracht. Die idealisierten Bilder von Rudolf Koppitz und Peter Paul Atzwanger sollen der jungen Republik Österreich nach dem Zerfall der Monarchie eine Identität geben und werden zur Zeit des Nationalsozialismus, durch die Ideologie des austrofaschistischen Ständestaats unterstützt, als Propagandamittel eingesetzt.

Boris Mikhailov: Ohne Titel (aus der Serie "In der Dämmerung"), 1993 Albertina, Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft. Bild: © Bildrecht, Wien, 2016

Boris Mikhailov: Ohne Titel (aus der Serie „In der Dämmerung“), 1993 Albertina, Dauerleihgabe der Österr. Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft. Bild: © Bildrecht, Wien, 2016

Politische Umbrüche, Geschichte und Erinnerung sind Themen von Boris Mikhailovs Serie „In der Dämmerung“. Der Künstler zeigt alltägliche Szenen aus seiner Heimatstadt Charkiw, durch die er die gesellschaftlichen Veränderungen der Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einfängt.

Die charakteristische blaue Farbe der Fotos, die er durch Tonung des Negativs erreicht, dient ihm zur Visualisierung seiner subjektiven Erinnerungen an die politische Entrechtung der Ukraine während des Zweiten Weltkrieges. Die Farbigkeit ist Anspielung auf die sogenannte blaue Stunde nach dem Sonnenuntergang, als der Künstler während des Krieges seine dramatische Evakuierung in den Ural erlebte. Aus der Sowjetzeit haben sich Mikhailov zufolge – auch aus Gründen der Zensur – nur wenige Fotografien von der Ukraine erhalten, weshalb der Künstler den scheinbar „alten“ Charakter der Fotos als Ersatz einbringt.

Joel Sternfeld: Rastplatz im Red Rock State Park, Gallup, New Mexico, September 1982, Abzug 2010 Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft. Bild: © Joel Sternfeld; Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York

Joel Sternfeld: Rastplatz im Red Rock State Park, Gallup, New Mexico, September 1982, Abzug 2010 Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft. Bild: © Joel Sternfeld; Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York

US-amerikanische Fotografen wie Joel Sternfeld, Stephen Shore und William Eggleston erneuern ab den 1960er-Jahren die traditionelle Landschaftsfotografie, die die Natur bis dahin als erhaben und unberührt dargestellt hatte. In der „American Social Landscape“ werden bisher nicht als darstellungswürdig erachtete Sujets wie alltägliche, urbane und vom Menschen geprägte Landschaften fotografiert und dadurch soziale und gesellschaftspolitische Themen der Zeit thematisiert.

Im Zuge dessen entwickelt sich ebenfalls die „New Color Photography“, die die Farbe, bis dahin wegen ihrem Einsatz in Werbung und Mode verpönt, als anerkanntes Stilmittel der künstlerischen Fotografie etabliert. In der Werkserie „Wald“ wiederum setzt sich die Künstlerin Jitka Hanzlová mit ihrer eigenen Geschichte auseinander. In der Tschechoslowakei aufgewachsen, flüchtet sie 1982 nach Westdeutschland und studiert Fotografie in Essen. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes 1989 kehrt sie in ihre Heimat zurück und schafft Fotografien, die ihre Erfahrung und Zugehörigkeiten zu zwei Kulturen und unterschiedlichen politischen Systemen thematisieren. Aufgenommen über einen Zeitraum von fünf Jahren in den Wäldern ihrer böhmischen Heimat nahe den Karpaten, untersucht „Wald“, wie Heimat und das räumliche Umfeld die eigene Identität und kulturelle Zugehörigkeit prägen.

www.albertina.at

Wien, 27. 5. 2016