Kammerspiele: Was ihr wollt

April 28, 2022 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Weil ich ein Mädchen bin …

Helden in Strumpfhosen: Markus Kofler, Matthias Franz Stein, Alexander Strömer, Dominic Oley, Tamim Fatal, Ljubiša Lupo Grujčić. Bild: © M. Schell

Wer hätte gedacht, dass sich im Josefstädter Ensemble derart viele herrliche Dragqueens verstecken? Auf die man noch dazu nur neidisch sein kann, weil – nackte Männerbrust hin oder her – wow, gibt es da sexy Beine zu sehen … In den Kammerspielen der Josefstadt zeigt Regisseur Torsten Fischer Shakespeares „Was ihr wollt“ in (bis auf Maria Bill als melan- cholischem Clown) männlicher Besetzung. Der Kniff passt zum britischen Barden, durfte doch zu dessen Lebzeiten keine Frau auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stehen. Fischers gemeinsam mit Herbert Schäfer erstellte modernisierte Textfassung sprüht nur so vor Bonmots und Pointen.

Ist an den passenden Stellen derb, an den richtigen elegisch. Die Darsteller scheuen mitunter auch vor tief aus der Klamottenkiste geholtem Klamauk nicht zurück, und sind in ihrem Spiel in dieser irrwitzig wortwitzigen Romantic Comedy dergestalt stark, dass selbst ein gutgetrimmter Dreitagebart der Illusion keinen Schaden zufügen kann. Und wenn’s die Helden in Strumpfhosen gar zu bunt treiben, unterbricht die Bill als Botin aus einem weniger leichten Leben in den hochemotionalsten Momenten und singt Astor Piazzola.

„Rinascerò“ nach dem mit Tamim Fattal und Ljubiša Lupo Grujčić mehrsprachig erlittenem Schiffbruch, „Los Pájaros Perdidos“ wenn Herzen brechen, „Oblivion“ hat sie selbst übersetzt. Tango Argentino, Tango Nuevo, Musik vom Rio de la Plata, die hier Krzysztof Dobrek am Akkordeon und der Geiger Aliosha Biz alternierend mit Nikolai Tunkowitsch interpretieren. Allein diese Augenblicke sind den Besuch der Vorstellung wert und wurden vom gestrigen Publikum auch mit Szenenapplaus bedankt.

Die Handlung ist tatsächlich sehr geschlechterfixiert: In Illyrien schmachtet Herzog Orsino nach der Hand der Gräfin Olivia, die sich jedoch in der Trauer um den hingeschiedenen Vater und Bruder ergeht. Da stranden die Zwillinge Viola und Sebastian an der Küste, allerdings im jeweiligen Glauben das andere Geschwister sei ertrunken. Viola verkleidet sich als Jüngling „Cesario“ und tritt in die Dienste Orsinos. Beauftragt mit dessen Liebeswerben entbrennt Olivia für den „jungen Mann“.

Rehrl, Niedermair und von Stolzmann. Bild: © Moritz Schell

Ach, armer Rehrl! – Ich kannte ihn: Mit Clownin Maria Bill. Bild: © Moritz Schell

Dick und Doof: Robert Joseph Bartl und Matthias Franz Stein. Bild: © M. Schell

Alldieweil versuchen Olivias Onkel und Trunkenbold Sir Toby und Kammerkätzchen Maria den um Olivia werbenden, reichen, aber dümmlichen Sir Andrew auszusackeln; der Olivia besitzen und die Schluckspechte ausmerzen wollende Haushofmeister Malvolio wird per Intrige zum Narren gemacht, Stichwort: Komm‘ im gelben Höschen, dann zeig ich dir mein Möschen. Sebastian erscheint. Orsino und Olivia fighten um den schönen Knaben, der sich zum Glück als zwei vom jeweils angemessenen Sexus entpuppt. Ende gut, Torsten Fischer, denn der Regisseur demontiert die altväterische Ordnung. Immerhin Sir Toby heiratet Maria. Das alles ereignet sich auf der reinweißen Bühne der Ausstatter Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos. Vorne gibt es einen Spalt für freiwillige und unfreiwillige Abgänge.

Julian Valerio Rehrl spielt niemals travestiehaft, sondern subtil Viola/“Cesario“ und Sebastian, als zweiterer ein burschikoser Haudrauf, als erstere von einer Delikatheit und Zartheit, die nicht nur den Herzog verwirrt. Als solcher bleibt Claudius von Stolzmann hinter seinen Möglichkeiten, die blass geschminkten Gesichter müssen ja nicht in ebensolches Agieren ausarten, mag aber auch sein, dass man von seinem fulminanten Mackie Messer immer noch in der Weise eingenommen ist, dass jede andere Rolle dagegen bis auf Weiteres …

Claudius von Stolzmann, Julian Valerio Rehrl. Bild: © M. Schell

Die Schiffbrüchigen, Mi.: Rehrl als Viola. Bild: © Moritz Schell

Martin Niedermair als liebestrunkene Olivia. Bild: © Moritz Schell

Dominic Oley als verhöhnter Malvolio. Bild: © Moritz Schell

Martin Niedermair ist ganz großartig als beständig am Rande der Hysterie wankende Olivia, die Lady ein Fashion Victim im schwarzen Reifrock und mit extravaganten Hüten – und in Strapsen hinreißend! Alexander Strömer gibt lustvoll die rachsüchtige Kammerzofe Maria (im Rockabilly-Kleid), die mit Sir Toby, Sir Andrew und Ljubiša Lupo Grujčić als Diener Fabian jenen sinistren Plan gegen Malvolio schmiedet. Wobei Robert Joseph Bartl als nie nüchterner Sir Toby und Matthias Franz Stein als „Ich will nach Hause“ wimmernder Sir Andrew als Doubles von Laurel und Hardy – inklusive Saloontänzchen zu „Jerusalema“ – auftreten: Zwei Herren dick und doof. „Er liebt Verkleidungen und Rollenspiele“, sagt Sir Toby über Sir Andrew. Na dann.

Fischer versteht es, Shakespeare zu aktualisieren, ohne sich zu weit von ihm zu entfernen und doch überkommene Geschlechterrollen aufzuzeigen. Bisexualität auszuleben ist in dieser Welt kaum mehr kontroversiell, dagegen kann man als Mann immer noch misogyne Frauenbilder propagieren. Ein Beispiel: Nicht einmal die frauenfeindliche Tirade des Herzogs  – „Frauen haben kleinere Herzen als Männer“ – kann Violas Gefühle trüben. Allein für Orsino dauert es etwas länger, sich diese einzugestehen, muss er sich doch damit abfinden, sich vermeintlich in einen Mann verliebt zu haben.

Alexander Strömer als Kammerzofe Maria, Bartl und Stein. Bild: © M.Schell

Szenenapplaus: Die Bill singt Astor Piazzolla. Bild: © Moritz Schell

Mit gefälschtem Brief getäuscht: Dominic Oley als Malvolio. Bild: © Moritz Schell

Wer darf wen wie berühren? Was darf wer zu wem sagen? „Ich glaub, du musst mal wieder flachgelegt werden“, meint Sir Toby zu Nichte Olivia – das klingt von einem an den anderen männlichen Schauspieler adressiert schon ganz anders. Zu all diesen Irrungen und Wirrungen gehört ebenso Markus Koflers Seemann Antonio, der Sebastian rettete und bei Fischer als Flüchtlingsschlepper auftritt. Anno 2022 haben Liebeschwüre, Umgarnungen und Küsse zwischen Männern einen anderen, Vienna-Pride-Subtext als vielleicht ums Jahr 1600.

„Ich konnt‘ Euch so nicht lassen: mein Verlangen, / Scharf wie geschliffner Stahl, hat mich gespornt, / Und nicht bloß Trieb zu Euch / Auch Kümmernis, wie Eure Reise ginge … / Bei diesen Gründen / Der Furcht ist meine will’ge Liebe Euch / So eher nachgeeilt!“, so Antonio. Bleibt als einziger Vertreter toxischer Männlichkeit Dominic Oley als moralinsaurer, alsbald um Contenance ringender Malvolio, als der sich Oley jede nur denkbare Blöße gibt. Und immer wieder fällt, von verschiedenen Figuren gesagt, ein: Macht doch, was ihr wollt. Fazit: Das Publikum, darunter zwei Reihen ukrainischer Schülerinnen und Schüler, lachte bis beinah das Zwerchfell barst. Empfehlung: Schauen Sie sich das an!

Trailer: www.youtube.com/watch?v=QI9FYFf0bQQ           www.josefstadt.org

28. 4. 2022

Volkstheater: Die Zehn Gebote

Dezember 16, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Gottes verlorene Seelen in ihren vorletzten Zuckungen

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen: Jutta Schwarz, Nadine Quittner und Gábor Biedermann. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Dem Volkstheater beschert Stephan Kimmig mit „Die Zehn Gebote“ einen tadellosen Theaterabend. Gemeinsam mit Roland Koberg hat der Regisseur Krzysztof Kieślowskis zehnteiligen Filmzyklus „Dekalog“ für die Bühne bearbeitet, mit einer Prise mehr schwarzen Humors gewürzt, als er dem polnischen Filmemacher eigen war, und die Übung gilt als gelungen anzusehen. Im ersten Teil zwar noch ein bisschen träge, ist die Verschränkung der Szenen nach der Pause ganz fabelhaft.

Dazu agiert das achtköpfige Ensemble in mehr als 30 Rollen auf höchstem Niveau. 1988/89 hat Kieślowski, der später unter anderem mit der Drei-Farben-Trilogie internationalen Ruhm erlangte, sein Meisterwerk für das polnische Fernsehen produziert. Keine klassische Fernsehserie war‘s geworden, sondern zehn an die Bibel angelehnte Episoden, die das Leben in einer tristen Warschauer Neubausiedlung ausstellen. Vor allem aber freilich Liebe, Glaube, Eifersucht, Tod und Verbrechen.

Kimmig hält sich nicht an die Reihenfolge des Tanach. Er erzählt erst von Ewa und Janusz, die eine Affäre haben und ausgerechnet am Heiligen Abend Ewas verschwundenen Mann suchen müssen, in der Ahnung, dass er sich etwas angetan hat (Du sollst den Feiertag heiligen). Dann erfährt Anka, dass der Mann, den sie dafür hielt, nicht ihr leiblicher Vater ist, und versteht, warum sie ihm mehr Gefühle entgegenbringt, als schicklich ist (Du sollst Vater und Mutter ehren). Dorota macht von der chefärztlichen Diagnose, ob ihr krebskranker Mann sterben wird oder nicht, abhängig, ob sie das Kind ihres Geliebten abtreiben wird (Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen). Majka, die als Teenager schwanger wurde, entführt ihr Kind, das ihre Mutter aus Scham und Besitzgier als ihr eigenes ausgegeben hat (Du sollst nicht stehlen). Rechtsanwalt Piotr muss einen Mörder verteidigen, der dennoch hingerichtet werden wird (Du sollst nicht töten).

Du sollst nicht ehebrechen: Anja Herden und Peter Fasching … Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

… und mit Jan Thümer in Dekalog sechs. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Später steigern sich zwei Brüder so sehr in den Philatelie-Fanatismus ihres verstorbenen Vaters, dass einer für eine Briefmarke sogar eine Niere gibt (Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus). Der alleinerziehende Vater und Computernarr Krzysztof muss seinem Sohn erklären, was es mit dem Tod auf sich hat (Du sollst keine Götter haben neben mir). Roman erfährt, dass seine Impotenz unheilbar ist, und will seine Frau freigeben, doch die hat längst einen Geliebten (Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib). Spanner Tomek beobachtet Magda bei ihren sexuellen Erlebnissen (Du sollst nicht ehebrechen). Und schließlich begegnet eine Holocaust-Überlebende der Frau, die ihr einst die Hilfe verweigert hat (Du sollst nicht falsch Zeugnis geben wider deinen Nächsten).

Kimmig lässt die Episoden ineinanderfließen. Zwei, manchmal drei von ihnen laufen wie gleichzeitig ab und offenbaren dabei ihre Doppelbödigkeit. Im Hintergrund die Lastwagenfahrerkabine, die man auch aus den Filmen kennt (Bühne: Oliver Helf), und auch die allegorische Figur, der Engel, in den Filmen war es der Schauspieler Artur Barciś, ist mit Jutta Schwarz allzeit auf der Bühne präsent. Kimmigs Arbeit ist sehr körperlich, er setzt auf Elemente aus dem Bewegungs- und Tanztheater, als lägen Gottes verlorene Seelen in ihren vorletzten Zuckungen. „Original-80er-Plattenbau“ sind die Kostüme und die Perücken von Anja Rabes.

So angetan zeigen Gábor Biedermann, Peter Fasching, Anja Herden, Lukas Holzhausen, Nadine Quittner, Seyneb Saleh und Jan Thümer Schauspielkunst vom Feinsten. Vor allem Volkstheater-Neuzugang Fasching versteht es, sich in Kimmigs Körperkonzept perfekt einzufügen. Es wird sich verrenkt und gereckt, jede Geste ein emotionaler Ausbruch von etwas Unausgesprochenem, des Unaussprechlichen auch, jede Gebärde ein Zeichen von von Umständen in die Enge getriebenen Menschen. Eine aufgeregte Inszenierung sind „Die Zehn Gebote“ zweifellos, eine ohne Ruhepole, eine durchchoreografierte, dennoch nie gekünstelte, was die Qualität der Darstellung unter Beweis stellt. Es wird sich verletzt und verziehen, und wie’s schon so ist, wenig geht hier gut aus, eine Geschichte sogar tragisch.

Du sollst Vater und Mutter ehren: Seyneb Saleh und Lukas Holzhausen. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Zwei Episoden stechen hervor: Anja Herden, Peter Fasching und Jan Thümer in Dekalog sechs, da kann das Publikum kurz befreit lachen, wenn sie ihren Stalker aufs Glatteis führt, bis er mit im Wortsinn heruntergelassener Hose flüchten muss. Und Dekalog acht, Nadine Quittner als Holocaust-Überlebende, die auf Seyneb Saleh trifft, die der Jüdin damals den Unterschlupf als „getauftes Kind“ nicht gewährte.

Dies, weil sie glaubte, die Menschen, die die Sache eingefädelt hatten, wären von der Gestapo, das Ganze eine Falle. Mit ihrer Verfehlung konfrontiert sagt diese Zofia den Satz, der als Leitmotiv über dem Abend steht: „Eine Situation, die uns zum Handeln zwingt, weckt entweder die Bosheit oder die Güte in uns auf.“

Peter Fasching im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=27674

www.volkstheater.at

  1. 12. 2017

Neu am Volkstheater: Peter Fasching

Dezember 14, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Er spielt in „Die Zehn Gebote“ nach Krzysztof Kieślowski

Peter Fasching in „Die Zehn Gebote“. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Seit Beginn der Spielzeit 2017/18 ist Peter Fasching (mehr: www.volkstheater.at/person/peter-fasching/) Ensemblemitglied des Volkstheaters. Nach der aufsehenerregenden Aufführung von „Extremophil“ im Volx/Margareten hat er am Freitag mit „Die Zehn Gebote“ in der Regie von Stephan Kimmig die nächste Premiere. Ein Gespräch über Mörder, Moral, Musik – und Josef Hader als Einstiegsdroge:

MM: „Die Zehn Gebote“ sind nicht aus der Bibel …

Peter Fasching: Genau. Es ist nach einem Filmzyklus namens „Dekalog“ von Krzysztof Kieślowski. Wir nehmen die Geschichten, die Kieślowski verfilmt hat, nun für die Bühne und adaptieren sie. Gezeigt werden Menschen, die vor großen Problemen stehen, oder vor großen Fragen, die an die Zehn Gebote gebunden sind.

MM: Ihre Figur beispielsweise?

Fasching: Ich spiele fünf, davon zwei große Rollen. Eine behandelt zum Beispiel das Gebot „Du sollst nicht töten“, da wird von einem Rechtsanwalt erzählt, der einen Mörder verteidigen muss, der einen Taxifahrer bestialisch umgebracht hat, und jetzt zum Tode verurteilt wird. Also das Gebot trifft immer wieder zu. Bei uns lernt man erst den Rechtsanwalt kennen, der diese Geschichte erzählt, danach komme ich als Mörder. Kurz bevor ich erhängt werden soll. Die zweite ist ein junger Mann, der eine Frau durchs Fenster beobachtet, ganz obsessiv, heute würde man sagen, ein Stalker. Es hat jeder viel zu tun, es gibt viele Umzüge und sehr viele Perücken.

MM: Was soll uns am Kosmos Kieślowski heute interessieren?

Fasching: Die Universalität der Themen. Wir stellen die Frage: Wie leben wir zusammen? Was tun wir uns gegenseitig an? Wollen oder können wir nicht anders? Ganz eigenartig ist, wie viel sich die Figuren gegenseitig verzeihen. Es gibt wahnsinnige Verletzungen, aber auch sehr viel Vergebung. Das finde ich interessant zu spielen in einer Welt, in der sich gerade gegenseitig sehr wenig verziehen wird.

MM: Stephan Kimmig ist das, was man einen Starregisseur nennt. Wie ist arbeiten mit ihm?

Fasching: Ganz toll. Manchmal bricht schon Melancholie aus, weil wir wissen, am Freitag ist die Probenzeit vorbei. Man merkt, dass er schon sehr lange dabei ist, viel Erfahrung hat. Er schaut ganz sensibel. Eine Schauspielerin hat mal gesagt, sie wünsche sich von einem Regisseur „Luft unter die Flügel“, und das gibt er einem.

MM: In einem Interview sagt Kimmig, die Inszenierung würde von „expressiver Körperlichkeit“, mit Tanz und Musik sein. Das heißt, Sie sind gefordert?

Fasching: Wir sind sehr gefordert. Es gibt immer wieder Momente, wo die Sprache nicht mehr reicht, dann gibt es sehr expressive körperliche Einlagen, die einen als Spieler außer Atem bringen. Nach den drei Stunden ist man ziemlich durch.

MM: Seit Anna Badora das Volkstheater leitet, sind Aufführungen immer wieder nahe am Tanz. Etwas, das Ihnen entgegenkommt?

Fasching: Ich genieße das sehr. Ich habe in der Schauspielschule sehr gerne körperlich gespielt, in Bremen hat mir das sehr gefehlt. Ich habe manchmal versucht, es einzubauen, aber das kam nicht so gut an. Hier war „Extremophil“ meine erste Premiere und wir hatten gleich eine richtige Choreografie. In den „Zehn Geboten“ gibt es wiederum ganz freie Tanzgeschichten, ich finde das toll. Endlich wieder richtig sich austoben!

Mit Anja Herden in „Die Zehn Gebote“. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Erste Premiere in Wien: In „Extremophil“. Bild: © Robert Polster / Volkstheater

MM: Wie ist denn Ihre Leidenschaft zum Theater entfacht?

Fasching: Ich komme aus Braunau am Inn, und was sieht man dort als Theater? Die großen österreichischen Kabarettisten. Das hat mit 15, 16 angefangen, da habe ich meine ersten Erinnerungen an Abende mit Josef Hader. Der ja an der Grenze zwischen Theater und Kabarett sich bewegt, das hat mich total fasziniert. Wir haben dann Schultheater gespielt, auch in Linz eine Produktion gemacht – das war der Moment! „Andorra“ von Max Frisch, jeden Tag, eine Woche lang. Danach war ich so müde, wie noch nie, aber gleichzeitig dachte ich mir, am Montag könnt’s wieder losgehen. Da dachte ich erstmals: Vielleicht ist das ein Beruf?

MM: Hat Ihre Familie das auch so gesehen?

Fasching: (Er lacht.) Die waren eigentlich ganz cool. Viel später hat mir meine Mutter erzählt, dass sie dachte, das wird eh nix und dann kann er was Richtiges machen. Aber da ich gleich an der Otto-Falckenberg-Schule bestanden habe, war ihnen der Wind aus den Segeln genommen und alle Zweifel beseitigt.

MM: Sie haben den O.E. Hasse-Preis erhalten.

Fasching: Ja, das war für eine Arbeit mit Christiane Pohle, eine performative Inszenierung. Die Jury hat die Inszenierung gesehen, und beschlossen, dass ich den Preis kriegen soll.

MM: Dann Bremen, das Volkstheater ist „erst“ die zweite Station.

Fasching: Ja, das waren aber auch die einzigen Angebote – und natürlich zwei, die man sofort annimmt. Der Weg war vorgegeben. Ich habe Roland Koberg kennengelernt, als wir bei den Festwochen vor zwei Jahren den „Schwejk“ gespielt haben, seither verfolgte ich das Volkstheater, und war immer wieder hier, um mir die Inszenierungen anzusehen. „Lost and Found“ war das erste Stück, das ich hier gesehen habe – und es war einfach nur Wow!

MM: Was treibt Sie als Künstler an?

Fasching: Für mich ist wichtig, was ein Haus sich auf die Fahnen schreibt. Da geht es gar nicht darum, ob das ein das ein prominentes Haus oder eine kleine Bühne ist. Ich finde es toll, dass das Volkstheater ein Anliegen hat, und das auch rüberbringen kann. Hier sieht man, dass sich Humor und Inhalt nicht ausschließen, oder Zugänglichkeit und Inhalt. Das andere ist, wie gut dieses Ensemble ist. Das war in den ersten Wochen ganz eigenartig, weil ich als Fan plötzlich Teil davon war. Das Volkstheater macht Theater für die Stadt, hört hin, was gerade die Fragen und Probleme sind. Es gilt nicht nur, schöne Kunst zu machen, man muss auch eine Haltung haben und die mit Theaterstücken vertreten.

MM: Kieślowski hat ja in Interviews immer beteuert, er sei kein Moralist. Finden Sie, man darf in Zeiten wie diesen ruhig ein Moralist sein? Hat man ein Recht darauf?

Fasching: Man sollte auf jeden Fall Fragen aufwerfen, oder eine Aufmerksamkeit mal auf eine Sache lenken, die nicht so im allgemeinen Bewusstsein ist. Man kann extrem tagespolitisch sein, wie bei der Nestroy-Preisverleihung, oder wie in den „Zehn Geboten“ einen philosophischen Überbau zum Leben an sich bieten.

MM: Was machen Sie, wenn Sie nicht Theater spielen?

Fasching: Musik. Tatsächlich interessiere ich mich für Theatermusik. Damit habe ich schon in Bremen angefangen, ich habe mich an ein paar musikalische Leiter rangeschmissen, dann selber komponiert für ein Stück. Das ist ein schöner Ausgleich. Da kann man sich an einem freien Wochenende in Texten, Liedern und auch Computerprogrammen verlieren.

Mit Birgit Stöger in „Extremophil“. Bild: © Robert Polster / Volkstheater

MM: Da könnten Sie ja eigentlich mal in der Roten Bar auftreten.

Fasching: Wir hatten neulich eine erste Veranstaltung von „Spiel mir das Lied“, da durfte ich zwei Weihnachtslieder interpretieren. Das schätze ich auch als Qualität am Volkstheater, das man so vielseitig sein kann, und das man als das, was man ist und kann, auch gesehen und geschätzt wird.

 

MM: Nach „Die Zehn Gebote“ sieht man Sie in einem Shakespeare.

Fasching: Im März kommt „Viel Lärm um nichts“, Sebastian Schug inszeniert, und ich spiele den Borachio, den Intriganten. Das wird meine erste komödiantische Rolle, zum allerersten Mal Komödienfach. Ich freue mich darauf, weil ich das gerne mag,und noch nie machen durfte. Vielleicht schließt sich da der Kreis zur Einstiegsdroge Josef Hader.

www.volkstheater.at

14. 12. 2017

Klangraum Krems: Osterfestival IMAGO DEI

März 27, 2014 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

„Sehnsucht. Paradies“

Das Herz der Sufis vom Nil Bild: Promo

Das Herz der Sufis vom Nil
Bild: Promo

Das Kremser Osterfestival IMAGO DEI reflektiert ab 29. März  im mittelalterlichen Klangraum Krems Minoritenkirche und mit einem Gastspiel in Stift Melk die ewige Sehnsucht des Menschen nach einer Vervollkommnung des Lebens und die unterschiedlichen Vorstellungen vom Paradies verschiedener Glaubensrichtungen und Epochen:  ob als verlorene Urheimat, ob als diesseitiger Garten Eden, als imaginärer Zukunftsort im Jenseits oder als der Versuch, das Paradies in sich selbst zu finden. Bis Ostermontag stehen Chorwerke aus Estland, spirituelle Musik aus Ägypten und Indien, Werke aus uralten Codices und von zeitgenössischen Komponisten, Uraufführungen und Auftragswerke sowie eine künstlerische Interpretation des traditionellen Osterfeuers, Podiumsgespräche, Lesungen und  Filme auf dem Programm.

Die 15. Ausgabe steht heuer unter dem Motto SEHNSUCHT. PARADIES und versucht damit die Utopie einer menschlichen Existenz ohne Beschwerlichkeiten, Missstände und Nöte in den Mittelpunkt des Programms zu stellen. Seit Menschengedenken existiert der ewige Wunsch nach einer Vervollkommnung des Lebens, welcher im christlichen Abendland erstmals in der alttestamentarischen Geschichte von Adam und Eva dargestellt ist. Die Vorstellungen vom Paradies – ob als verlorene Urheimat, ob als diesseitiger Garten Eden, als imaginärer Zukunftsort im Jenseits oder im eigenen inneren Erleben – werden an sieben Abenden im Klangraum Krems Minoritenkirche und an einem Abend im Kolomanisaal des Stifts Melk in mehreren Uraufführungen, in spiritueller Musik aus Ägypten und Indien, in Kompositionen aus jahrhundertealten Codices und von zeitgenössischen Komponisten, in Tanzperformances, Lesungen und Filmprogrammen, Podiumsgesprächen sowie in einer künstlerischen Interpretation des traditionellen Osterfeuer reflektiert.
Der renommierte estnische philharmonische Kammerchor und das Tallinn Kammerorchester eröffnen das Programm  mit Arvo Pärts Vertonungen von Texten des Mönchs Siluan vom Berg Athos, in denen Adam den Verlust des Paradieses und der Verbindung zu Gott beklagt. Vor dem Konzert stellt sich Filmemacher Ulrich Seidl einem philosophisch-theologischen Diskurs über unterschiedliche Paradiesesvorstellungen. Das Paradies in sich selbst zu finden, es durch Kontemplation als etwas realistisch zu Erreichendes zu betrachten ist nicht nur spiritueller Hintergrund des indischen Dhrupad-Gesangs Ritwik Sanyals (4.4.), sondern auch des ihm verwandten Sufismus, wie ihn die Sufis vom Nil praktizieren (11.4.). Gesang und Tanz werden so zu Techniken, die Wahrheit, also die Verbindung zu Gott, im Diesseits wiederzufinden.
Peter  Simonischek erzählt mit Jean Gionos Kurzgeschichte „Der Mann mit den Bäumen“ von den Möglichkeiten der Menschen, ein irdisches Paradies zu schaffen (5.4./Stift Melk) – musikalisch umrahmt von sechs herausragenden Solisten des Klangforums Wien und der Camerata Salzburg mit Werken von Olivier Messiaen und Krzysztof Penderecki.
Das belgische Vokal-Ensemble Graindelavoix singt am 12.4. in mittelalterlichen Motetten aus den Musikhandschriften von Montpellier von den Gärten aus dem verlorenen Paradies. Am Karfreitag (18.4.) führt „Towards Silence“ eine Meditation für vier Streichquartette und eine tibetische Klangschale des erst im November 2013 verstorben britischen Komponisten John Tavener, auf den Weg zur Vereinigung des wahren Selbst mit der Weltseele, zur Einheit des Menschlichen und des Göttlichen (mit Medici Quartet, Koehne Quartett, Ensemble Lux, Minetti Quartett). Zuvor spielt jedes der vier Quartett ein Werk für Streichquartett, darunter die Uraufführung einer Auftragsarbeit des Festivals von John Tavener. Zum Höhepunkt des Osterfests, in der Osternacht am Karsamstag (19.4.), wird das Ritual des Osterfeuers vom japanischen Klangkünstler Akio Suzuki und der Tänzerin Hiromi Miyakita neu interpretiert, umrahmt von einem Reigen aus englischen Madrigalen, zeitgenössischen Kompositionen und den schwebenden Klängen des archaischen Semantrons und die orgelgleichen Sphärentöne der Paetzodflöten. Das Licht ist der Welt wiedergegeben. Kompositionen von William Byrd, Anthony Holborne, Michael Gordon sowie drei Uraufführungen von Werken von Burkhard Stangl, Pauline Oliveros und Gunter Schneider (mit Plenum, Paetzold Bassblockflöten Ensemble, Anna Clare Hauf, Mezzosopran, und Slagwerk Den Haag).

Zum Abschluss des Festivals erinnert lateinamerikanische Musik aus dem 17. und 18. Jhdt. an einen Versuch, das Paradies auf Erden zu errichten: Das chilenische Alte-Musik-Ensemble Capilla de Indias wird  am Ostermontag (21.4.) mit Kompositionen voll Lebensfreude aus dem Archiv der Kathedrale von Santiago de Chile, aus Missionen in Paraguay, Peru und Bolivien in die Utopien des Heiligen Experiments der Jesuiten führen.

www.klangraum.at  (Hier findet sich auch Info zu den neuen Shuttlebussen.)

Wien, 27. 3. 2014