Volksoper: Die Dubarry

September 4, 2022 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER-MEHMOOD

Babylon Berlin meets Wiener Walzerseligkeit

Endlich zur Mätresse des Königs aufgestiegen: Annette Dasch als Gräfin Dubarry und Harald Schmidt als Ludwig XV. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Kommt man nach der Pause zurück in den Saal, sitzen auf der Bühne bereits Oliver Liebl als Hauslehrer und Annette Dasch, die von diesem vom Arbeitermädchen Jeanne Beçu zur Gräfin Dubarry erzogen werden soll – allerdings nicht für den Hof des französischen Königs Ludwig XV., sondern laut Liebls Zungenschlag eindeutig für den kaiserlichen zu Wien. Da gibt’s freilich viel zu lachen bei diesem Zwischenspiel, wenn der Berlinerin vom Wiener Kaffeeunterricht erteilt wird,

wenn die „Piefkenesin“ an der Knödelfrage „Hauptspeis‘, Zuaspeis‘, Nachspeis‘?“ scheitert, das Hand-Ablecken ist gleich den Handkuss pervers findet, und sich schief lacht über die Anrede „Eiergnaden“. Liebls „Lecker is bei uns goar nix!“ wird von jenem Teil des Publikums mit einem Jauchzer begrüßt, der auch am Schluss für Jubel und Applaus sorgte, während der andere ob des Niveaus indigniert das Leading Team mit Buhrufen bedachte.

Das war sie also die Eröffnungspremiere der Direktion Lotte de Beer an der Volksoper, „Die Dubarry“, mit einem ZuschauerInnen-Unentschieden als Endstand, wobei an dieser Stelle von einem verheißungsvollen Start die Rede sein soll. Hausdebütant Regisseur Jan Philipp Gloger turnt bei seiner theatralen Recherche über die Weibsbilder toxischer Männlichkeit eine Rolle rückwärts, vom Heute in die 1930er-Jahre zum Ende des 19. Jahrhunderts zu Louis Quinze, was weniger mit der von dem betriebenen Beilegung des Habsburgisch-Französischen Gegensatzes zu tun hat, als mit der Zeitlinie, die der Operette eingeschrieben ist:

Der Aufführung des selten gespielten, weil doch ziemlich angestaubten Werks im Jahr 2022, der Originalfassung des österreichischen Komponisten Carl Millöcker anno 1879, der Neufassung vom Deutschen Theo Mackeben von 1931 und der Handlung rund ums Jahr 1769. Entstanden ist so eine frisch aufgebrühte Melange mit dem melodie-verliebten Charme der goldenen Operettenära in der Donaumetropole und einer schmissig-schnoddrigen Revue-Operette à la an der Spree, sozusagen ein Babylon Berlin meets Wiener Walzerseligkeit, eine Konfetti-Explosion voll Witz und Ironie fürs Genre, dessen Dekonstruktion zweifellos – aber durchaus mit dem gebotenen Respekt.

Und in der Titelpartie eine entfesselte Annette Dasch, die mit ihrer Stimme sowieso und ihrem Spiel begeistert, eine grandiose Komödiantin, die ihren Charakter aber auch in Tiefen gleiten lassen kann, wenn es gilt die antiquiert-anzüglichen Frauenfantasien der besseren Herren zu hinterfragen – wobei trotz Feminismus und Büstenhalter-Verbrennung die bittere Essenz des Abends ist, dass Emanzipation bis zum Anschlag immer noch nicht stattgefunden hat. In allen vier Teilen bleibt die Frau mehr oder minder (Sex-)Objekt des Mannes, das alles gut getarnt im Dreivierteltakt als „Weiblicher Reize Macht“.

Los geht’s im Jetzt: Die „Putzmacherinnen“ im Atelier Madame Labille dekorieren Schaufensterpuppen, schwatzen über die neueste Emma-Ausgabe und, dass sie lieber bei Cartier als bei Kik shoppen würden, die Dasch rauscht mit Timbre und Temperament heran. Noch ist sie die aus ärmlichsten Verhältnissen stammende Jeanne Bécu, doch mit bester Freundin Margot, entzückend quirlig wie stets: Juliette Khalil, schmiedet sie größere Pläne. Die so rotzfrechen wie leichtlebigen Gören haben noch was vor: reiche Männer gegens eigene Elend aufreißen. Ergo raus aus dem Modesalon, rein ins Nachtleben, wo Marco Di Sapia als Graf Dubarry, Daniel Ohlenschläger, Oliver Liebl, Martin Enenkel und Wolfgang Gratschmaier ihr zynisches „Cherchez la femme“ anstimmen, Motto: Klug muss sie nicht sein, aber schön. „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen.“

Die Putzmacherinnen und die Blaublüter anno 2022, M.: Wolfgang Gratschmaier und Juliette Khalil. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Die Bohème-Romantik kann er sich einrahmen lassen: Annette Dasch und Lucian Krasznec als Maler René Lavallery. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

In den Berliner 1930ern, gestrandet als Sängerin im Bordell: Annette Dasch und Marco Di Sapia als Graf Dubarry. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Im k.u.k.-Reich Seiner Majestät: Martin Enenkel, Wolfgang Gratschmaier, Marco Di Sapia, Annette Dasch und Oliver Liebl. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Vor allem gefällt hier Wolfgang Gratschmaier als Marquis de Brissac, ein in die Jahre gekommener schlitzohriger Don Juan, dessen Ähnlichkeit mit einem bekannten Wiener Rechtsanwalt rein zufällig ist. Gemeinsam mit Khalil wird er in zahlreichen Bravourszenen ein akklamiertes Buffo-Paar abgeben. Margot wird nämlich die Geliebte des alten Gockels und hat sich in den Kopf gesetzt, sich von ihm die Schauspielerei finanzieren zu lassen.

Zwischen kleinen Gags, kurzem Augenzwinkern und dem Schießen von Selfies darf derweil Lucian Krasznec als Kunstmaler René Lavallery seine Schellackstimme strahlen lassen. Es stand hier schon in der Rezension zum „Bettelstudent“ (www.mottingers-meinung.at/?p=19470), dass da einer ziemlich nah an den großen Adolf Dallapozza heranreicht, ein Eindruck, der sich bei seinem Schmachten um Jeanne wiederholt. In ihren Szenen sind Dasch und Krasznec musikalisch als das dramatische Liebespaar der Operette ausgewiesen, auch wenn ihn Besitzgier und häusliche Gewalt fehlleiten und die wichtigste Frage an die Geliebte ist, was sie denn vorhabe zu kochen. Bühnenbildner Christof Hetzer setzt Renés Bohème-Stube in einen blattgoldenen Bilderrahmen, in den –  einmal rausgestiegenJeanne kein Zurück mehr findet.

Denn die Dasch wirft den Würfel mit den zahlreichen Spielflächen selbst immer wieder händisch an, dreht die eigene Geschichte weiter, die Zeituhr zurück in die 1930er-Jahre, wo sie als Sängerin mit Künstlerinnennamen Manon in einem anrüchigen Etablissement auftritt. Alles atmet hier die Exzellenz der Dekadenz, als erneut Marco Di Sapia als eiskalt-eleganter, sinistrer Graf Dubarry erscheint, um der desillusionierten Jeanne, die er sofort als solche erkennt, ein unmoralisches Angebot zu machen: Um sein politisches Ränkeschmieden in Versailles voranzutreiben, will er sie als Gräfin Dubarry zur Mätresse des Königs machen. Schließlich habe sie nicht nur den Körper, sondern auch den Geist, um in dieser monarchisierten Form der Prostitution zu reüssieren.

Und während Dasch in einer De-facto-Vergewaltigungsszene beim Roulettetisch „Ich schenk mein Herz nur dem allein, dem ich das Höchste könnte sein“ singt, zeigt Margot, wie’s mit dem „Der Mann denkt, aber die Frau lenkt“ richtig geht: Sie trotzt dem Marquis de Brissac Luxuslabel-Sackerl um Luxuslabel-Sackerl ab, singt ihm ein fröhliches „Wenn Verliebte bummeln gehen“, während der alte Bock dasteht wie ein Packesel.

Der König der Late-Night-Shows kündigt seinen Gast an: Harald Schmidt als Ludwig XV. Bild: © B. Pálffy/Volksoper Wien

Die Dubarry rockt Versaille: Gi­tar­re­ra Annette Dasch und Harald Schmidt. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Aus dem Schaf wird keine Schauspielerin: Juliette Khalil als Margot. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Am Ende steht die Guillotine: Daschs Dubarry wird zum Opfer der französischen Revolution. Bild: © B. Pálffy/Volksoper Wien

In der zweiten Hälfte der Aufführung findet man sich in Millöckers k.u.k.-Wien wieder, beim „Alles Walzer!“ mit weißroten Gala- und Husaren-Uniformen à la Ungarland. Nach wie vor bewegt sich die nunmehrige Gräfin Dubarry in einer Männerwelt – und gallig klingt der Dasch mit erhobener linker Faust dargebotenes „Ob man gefällt oder nicht gefällt“, von Kai Tietje mit krassen Dissonanzen und gehetztem Rhythmus dirigiert, derweil sich die Szenerie vom neuen Resident Lichtdesigner Alex Brok ins Teuflische, Albtraumhafte verändert.

Nicht nur die Herren liefern Großteils mehrere Rollen ab, die großartige Ulrike Steinsky wechselt von Couturière Madame Labille über Bordellbesitzerin Marianne Verrières bis zur Marschallin von Luxemburg von Chefinnen-Gekeife über Raucherlungen-Tonfall zu Paula-Wessely’schem Schönbrunner Näseln. Der Steinsky gelingt jedes dieser Kabinettstücke vom Feinsten, immer toller werden die Kapriolen, die sie macht, und auffällt, wie präzise und exquisit die „Nebenfiguren“ geführt sind.

Zu guter Letzt: Auftrittsapplaus für Harald Schmidt als Ludwig XV. im Epoche-gemäßen Justaucorps, Annette Dasch mit Cul de Paris, endlich der Moment, an dem sich Kostümbildnerin Sibylle Wallum austoben durfte. Und Volksopern-Debütant Schmidt macht gar nicht den Versuch majestätisch zu sein. Die Entertainerlegende spielt sich selbst als König der Late-Night-Shows (auch der echte Ludwig XV. verstand es, sich als le Bien-Aimé zu inszenieren), er „dirigiert“ das Orchester wie Helmut Zerlett und die ARD-Showband, stellt ganz Talkmaster seinem Volk als Gast die Dubarry vor – und dieser dann dumme Fragen, die sie mit einem „Glauben Sie nicht, dass das ziemlich erniedrigend ist?“ quittiert.

Worauf der absolutistische Herrscher übers Ancien Régime der Fernsehunterhaltung sich bis über beide Ohren verliebt. Ein Gag über einen Film, den Johnny Depp als ER/Ludwig XV. gerade in Frankreich dreht, darf auch nicht fehlen. Die neue Favoritin des Königs singt als „Gstanzl“ mit Gitarre noch einmal „Ich schenk mein Herz nur dem allein, dem ich das Höchste könnte sein“, bevor beim beliebten Schäferspiel alle in den Gassenhauer „Ja, so ist sie, die Dubarry, wer sie einst sah, vergisst sie nie“ einstimmen. „Das hisst das Regietheater die weiße Fahne, und ich spüre Originaltext in mir aufsteigen“, flachst Schmidt und schließt so den Kreis zum ersten Bild.

Satire as Satire can. Mit tausend und einer Idee lässt Jan Philipp Gloger die Operette einen g’feanzten Blick auf die eigene Beschaffenheit werfen. Charmant und sympathisch wie Lotte de Beer hat sich ihr neues Team schon mal in die Hälfte der Herzen hineingespielt. Also: Alles Friede, Freude, Eierkuchen, Eiergnaden? Mitnichten, denn Gloger, der in der Aufführung immer wieder auch auf die Täterin-Opfer-Brüche der Person Dubarry hinweist, erzählt ihre Geschichte anders als Millöcker und Mackeben zu Ende. In der Volksoper wird sie dazu mitten im Trubel des Hofballs von Schergen der französischen Revolution abgeführt, wird ihr die bombastische Perücke vom Kopf gerissen – und ab unter die Guillotine.

www.volksoper.at           Trailer: www.youtube.com/watch?v=dH0k4fzsV8Y           Harald Schmidt über König Ludwig XV.: www.youtube.com/watch?v=ejo1alus1RU

TV-TIPP: Heute Abend ist die gestrige Volksopern-Premiere von „Die Dubarry“ um 20.15 Uhr auf ORF III zu sehen.

4. 9. 2022

Volksoper: Der Zigeunerbaron

März 1, 2020 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Strudelteig aus Temesvár

Eine Wandertruppe spielt die Moritat vom Zigeunerbaron: Kristiane Kaiser, Lucian Krasznec, Boris Eder, Martina Mikelić und Kurt Rydl. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Tatsächlich, Regisseur Peter Lund hat alle vorab getätigten Ansagen eingehalten. „Der Zigeunerbaron“, den er gestern an der Volksoper zur Premiere brachte, ist eine bis ins Detail durchdachte Auseinander- setzung mit rassistischem Klischeekitsch, martialischem Hurrapatriotismus und sogar dem k.k. Kolonialismus. Sein Studium der Novelle „Sáffi“ von Mór Jókai sowie Lunds historisches Interesse an den Johann-Strauß’schen Bezugspunkten sind deutlich miterleb- und nachvollziehbar.

Zeitgeschichte und Zeitgeist sind ebenfalls berücksichtigt, subtile Korrekturen an der einen oder anderen Stelle machen vieles drastischer, dramatischer, dramaturgisch ausgefeilter. Dem Zsupán wird, wie’s bei Jókai mit Sáffis „Hexen“-Mutter ja geschieht und wie es die Völkermordstrategie der NS-Vernichtungsmaschinerie war, der Halbsatz in den Mund gelegt, man solle alle Zigeuner verbrennen. Czipra und Saffi sprechen miteinander auf Romani, was ob des männlichen Nichtverstehens Absprachen zwischen den beiden Frauen möglich macht. Mirabella ist nicht die lang verschollene Carnero-Gattin, sondern Zsupáns Langzeitpantscherl.

Ottokar folglich der in höchst dubioser Situation gezeugte Sohn eines türkischen Paschas, dies wiederum eine Ohrfeige für die xenophobe Arsena. Im Wilde-Ehe-Duett wird der Dompfaff zur Spottdrossel. Die fliegt anfangs Laterna-magica-animiert durch die Ouvertüre, ein sinister dreinblickender Sinti-und-Roma-Chor singt mittendrein sein „Habet acht vor den Kindern der Nacht!“, über die abbruchreife Apsis/Schlossruine von Bühnenbildnerin Ulrike Reinhard ziehen Schattenspiel-Türken und Prinz-Eugen-Silhouette, Belagerung, Befreiung von Wien.

Der Doppeladler verformt sich zu zwei Todeskrähen, das fahrende Volk wird zur Wandertheatertruppe. Als deren Impresario kündet Boris Eder an, ein Stück über eines gewissen Zigeunerbarons Schicksal aufführen zu wollen, bevor er seine Tragöden samt ihren Rollen vorstellt. Einen „Kniff“ nennt Lund im Programmheftinterview diesen Thespiskarren, der „das Moritatenhafte der Handlung“ transportieren soll, und apropos: geleierte Melodie, moralische Belehrung, Lund ist letztlich so sehr mit P.C.-Sein beschäftigt, dass er auf die Operette vergisst.

Liebespaar I: Rydl und Regula Rosin. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Liebespaar II: Krasznec und Kaiser. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Liebespaar III: Anita Götz,  David Sitka. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Er hat das Rot-Gelb-Grün des Banat zu Grauschattierungen entfärbt, buchstäblich und sinnbildlich, die heitere Melancholie des Schnitzer-Librettos in ein bleiern schweres Melodram verwandelt, und wirklich schlimm ist: Alfred Eschwé, sonst steter Garant für schwungvolles Operettendirigat, wirkt wie von der Temesvárer Elegie entmutigt. Statt beschwingtem Walzer und feurigem Csárdás klingt’s, als wäre das Orchester picken geblieben, nein, pardon, falscher Strudelteig, besser passt das Wienerische Bonmot vom sich ziehenden zur Aufführung.

An dieser Stelle nun den satirischen Text einer 1885-Karikatur über des Komponisten Opernhaushoffnungen für sein Werk wiederzugeben, ist selbstverständlich ein schlechter Scherz – Strauß und eine Waage in einem Fesselballon über Wien, unten Schnitzer und Jókai vor der Staatsoper, sagt er eine zu anderen: „Vor lauter Hin- und Her-Balancieren ist der Waag‘ schon ganz schlecht. Jetzt bin ich nur neugierig, auf welcher Seite wir durchfallen werden …“

Aber leicht macht es einem Kostümbildnerin Daria Kornysheva mit ihrem Stilblütenstrauß aus Modern Gipsy, Lumpenfashion und schwarzem Leder nicht, dazu – Achtung: Uraufführungsdatum – Spätbiedermeierfolklore und das Buffo-Paar mummenverschanzt als verschmockte gagerlgelbe Knallchargen. Nicht nur muss Anita Götz als Arsena dazu in Schweinsklauen-Schuhe mündende ferkelrosa Strümpfe tragen, und der Chor in der Zsupán’schen Fleischfabrik Rüssel, selbst eine Ansonsten-Auskenner-Befragung konnte das Geheimnis nicht lüften, warum die Saffi in ein Herrennachthemd verdammt wurde.

Unter all den Schweineschnauzen gibt Kurt Rydl als blutig geschürzter Borstentierzüchter ein spätes Operettendebüt, sein Kálmán Zsupán dabei weniger Bauer als Wurst- und Speckerzeuger, ein landräuberischer Gutsherr, dessen gierigen Opportunismus Rydl routiniert herausarbeitet. Doch bleibt auch sein Charakter, was das Komödiantische betrifft und trotz Rydls Rampensau-Bemühungen zu Zsupáns Gesülze, ein getragen vortragender Spätzünder.

Die unfreiwillige Braut: Lucian Krasznec, Anita Götz, Kurt Rydl, Boris Eder und Chor. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Begeisterung für den Krieg: Marco Di Sapia als Graf Homonay und Kurt Rydl (re.). Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Die Schrecken des Krieges: Lucian Krasznec, Marco Di Sapia und David Sitka (M.). Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Wer zuletzt lacht …  das ist die famose Martina Mikelić als Czipra. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Lucian Krasznec, übrigens im rumänischen Banat geboren, ist ein sympathischer Sándor Bárinkay mit angenehmem Tenor. Als seine Saffi ist Kristiane Kaiser mit dessen sicheren Höhen mitunter überfordert, Kaiser kann auch – verständlicherweise, siehe Kostüm – kaum berühren. Immerhin, so sagte der Sitznachbar, muss sie sich weder vor noch nach der Hochzeitsnacht umziehen. Regula Rosins Mirabella hat im Böse-Gouvernanten-Look ihre Momente, wenn sie den säumigen Zsupán zum Ringetauschen zwingen will. Und da’s bereits um schrill geht: Anita Götz‘ Arsena toppt diesbezüglich alles.

Marco Di Sapia holt aus seinem Kurzauftritt als Graf Homonay, hier ein sehr stimmiger Husaren-Haudrauf mit Skelettpferd, was geht. Und um beim Erfreulichen zu bleiben, da ist David Sitka als in ständiger Angst vor der eigenen Courage lebender Ottokar zu nennen, Boris Eder, der als verklemmter, sexbefreiter, korrupter Sittenkommissär die ihm laut Regie verbleibenden Register zieht, sein Conte Carnero fast eine Nestroy-Figur – und vor allem Martina Mikelić als Czipra. Ihr ominös okkultes Erscheinen macht sie – pah, Baron! – zur Zigeunerkönigin, zur Spielmacherin, die beim sichtlichen Handlese-Schwindel einzig ihre Sache verfolgt und den feschen und mit ihrer Hilfe bald reichen Bárinkay von Saffi bis zum Schatz manipuliert. Dieser samt einer Art Stephanskrone einer, der den der Nibelungen zu Tand degradiert.

Doppelt passt hier, dass Czipra dem Conte nichts wahrsagt, weil sie’s erstens nicht kann und der zweitens mit einem Eheweib nichts anzufangen wüsste. Es kommen die Soldatenwerber, in einem großartigen Bild der Krieg und dessen Untote-kriechen-aus-einem-unterirdischen-Mordskarussell-Ende. Womit man wieder am Anfang landet, nämlich bei den Brettln, die Theaterkarren bedeuten, wo Impresario Eder Ottokar und Bárinkay unter die vielen gefallenen Helden zählt. Die Bühnenzuschauer buhen, nur Feigling Zsupán hat es „Von des Tajo Strand“ nach Hause geschafft, so etwas will das Publikum nicht sehen.

Also zieht Eder den Vorhang auf zum Happy End. Es fügt sich, was zusammengehört, die als Paschatochter enttarnte Saffi schwebt in Maria-Theresia-Aufmachung unters jubelnde Volk. „Heiraten! Vivat!“ Zu einer derart ausbremsten Operette war der Schlussapplaus dennoch entsprechend schaumgebremst.

Einführung: www.youtube.com/watch?v=E2jQKhn4PMs           www.youtube.com/watch?v=A6IrtLPpXvI             Kurt Rydl und Lucian Krasznec im Gespräch: www.youtube.com/watch?v=hsE7kmqnSyc                                Peter Lund und Alfred Eschwé im Gespräch: www.youtube.com/watch?v=H6tUNKAACjM             Probeneinblicke: www.youtube.com/watch?v=A75D7yD6Hmw             www.volksoper.at

1. 3. 2020

Volksoper: Die Csárdásfürstin

September 23, 2018 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Erste Weltkrieg bricht übers Varieté herein

Applaus für die Csárdásfürstin: Lucian Krasznec als Edwin, Elissa Huber als Sylva Varescu, Chor und Wiener Staatsballett. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Das Bild zu Beginn beweist bereits, dass hier nichts Patina angesetzt haben wird. Da sitzen Edwin und seine Verlobte in spe, Stasi, in der Bibliothek derer von und zu Lippert-Weylersheim, sie orgelt schon einmal elegisch ein paar „Schwalben“ heim, er langweilt sich über seiner Zeitungslektüre. Da bricht aus dem Hintergrund und das Bühnenbild entzwei Edwins Erinnerung an die Revuewelt der Sylva Varescu.

Das Budapester Sodom tanzt zwischen den Bücherwänden der Blaublüter. Heia, Heia, so beschwingt geht es her, wenn Regisseur Peter Lund an der Volksoper Emmerich Kálmáns „Die Csárdásfürstin“ inszeniert. Lund hat sich jedmöglichem Ungarn-Kitsch entzogen, die Optik seiner Arbeit ist von eher Klimt’scher Anmutung, dazu ein Hauch Dada – sogar eine Hugo-Ball-Figur in kubistischem Kostüm ist auf der Bühne.

Nicht einen Moment verliert Lund die Entstehungszeit dieses Schlageralbums der silbernen Operettenära aus den Augen, uraufgeführt 1915, ein Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Er kann, das hat er schon bei „Axel an der Himmelstür“ fulminant vorgeführt, den Staub wegblasen und trotzdem werktreu bleiben.

Jakob Semotan brilliert als Boni, mit ihm das Wiener Staatsballett. Bild: © Alfred Eschwé

Von bigott zu flott: Sigrid Hauser als Anhilte von und zu Lippert-Weylersheim. Bild: © Alfred Eschwé

Und so zeigt er – und wieder arbeitet er mit dem Stilmittel Film – Wochenschauaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg, Soldaten im Schützengraben, alte Zeitungsartikel über Siege und öfter noch Verluste, Flanieren über den Ringstraßenkorso und Fallen im Feld. Am Ende werden Kampfflieger übers „Habt euch lieb“ donnern, und man wird wissen, das Glück der frisch vereinten Paare hat ein Ablaufdatum. Wie’s der Feri Bácsi singt: „Weißt du, wie lange noch der Globus sich dreht / Ob es morgen nicht schon zu spät …“

Die spritzig-charmante Inszenierung ist unter der diesbezüglichen Leitung von Alfred Eschwé auch musikalisch in Höchstform. Das Volksopern-Orchester kann Walzer, Swing und Charleston vom Feinsten, der Chor des Hauses und das Wiener Staatsballett sind sowieso stets eine Freude.

Ein wahrer Glücksgriff ist Elissa Huber, die als Sylva ihr Volksoperndebüt gibt, die virtuos zwischen lyrischen Höhen und erdigen Tiefen changieren kann, und die darstellerisch Paprika im Blut hat. Lucian Krasznec steht ihr als klassischer Operettenkavalier Edwin – seine Rolle nach einem veritablen „Schwalben“-Streit mit Stasi um „Heut Nacht hab ich geträumt von dir“ aus Kálmáns „Veilchen vom Montmartre“ aufgewertet – sängerisch und schauspielerisch in nichts nach.

Sylva zerreißt Edwins Eheversprechen: Elissa Huber und Lucian Krasznec. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Aus den insgesamt hervorragenden Solistinnen und Solisten – etwa Wolfgang Gratschmaier als grummelig-gutmütiger Fürst von und zu Lippert-Weylersheim, Johanna Arrouas als Komtesse Stasi in Verwandlung vom grauen Entlein zum quicksteppenden Schwan, Axel Herrig als so skurriler wie altersweiser Feri Bácsi, der aus seinem Part immer wieder ein Kabinettstück macht – sticht Jakob Semotan als Graf Boni heraus.

Semotan erweist sich als einwandfreier Komödiant, der mit den Mädis vom Chantant um die Wette über die Bühne wirbeln, singen, tanzen, spielen, und alles gleichzeitig kann. Kein Wunder, dass ihm die Herzen des Publikums zufliegen. Ein weiterer komischer Genuss ist naturgemäß Sigrid Hauser als Fürstin Anhilte, auch diese Rolle für ihre großartige Verkörperin vergrößert und ums Lied der „Hajmasi Hilda und Paul“ erweitert, eine bigotte Bissgurn, die sich als flotte Brettldiva entpuppen wird. Keine Frage, mit dieser „Csárdásfürstin“ fügt die Volksoper ihrem Spielplan ein weiteres Highlight hinzu.

www.volksoper.at

23. 9. 2018

Volksoper: Der Bettelstudent

Mai 1, 2016 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Wie ein skurrilbuntes Pop-Up-Bilderbuch

Boris Eder (Enterich, Kerkermeister), Roman Martin, Gernot Kranner (Offiziere im sächsischen Heer). Bild: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Boris Eder als Kerkermeister Enterich mit Roman Martin und Gernot Kranner. Bild: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

„Herr Kapellmeister, dürfen wir um etwas Musik bitten, aber mit Tempo!“, rief eine strubbelige Figur in den Orchestergraben. Dem Wunsche konnte entsprochen werden. Wolfram-Maria Märtig, neuer Kapelllmeister am Haus, dirigierte seine erste Volksopern-Premiere kräftig und schwungvoll, doch nicht nur dank ihm überzeugte „Der Bettelstudent“ vom ersten Moment an. Als nämlich als erster Boris Eder als Kerkermeister Enterich in Jack-Sparrow-Adjustierung auf die Bühne torkelte und sich mit „I bin der Johnny von Ottakring“ vorstellte, war klar: Regisseur Anatol Preissler wird hier einen knallbunten, von skurrilen Geschöpfen bewohnten Bilderbogen entfalten.

So geht’s denn auch zweieinhalb Stunden zu wie in einem Pop-Up-Buch, Schlag auf Schlag, Szene auf Szene, mit musikalischen Zitaten vom „Fluch der Karibik“-Soundtrack bis zum Streicherstakkato aus Hitchcocks „Psycho“. Muss jemand ungeduldig warten, tickt laut eine Uhr, und gibt’s einen Keulenschlag auf den Kopf zwitschern die ACME-Vögelein. Da haben zwei, Märtig und Preissler, die sich, wie Gesprächen vorab zu entnehmen war, gut verstehen, ihrem Humor freien Lauf gelassen.

Dazu das mit augenzwinkernden Gimmicks versehene Bühnenbild von Karel Spanhak und die im doppelten Wortsinn barocken Kostüme von Marrit van der Burgt, mit besonders schönen Raffrolloröcken, einem Modemuss, um heiratsfähige Herren anzulocken – einem Possenschreiber wie Carl Millöcker würde diese Inszenierung seines Werks wohl gefallen haben.

Nicht zuletzt auch deshalb, apropos Posse, weil Preissler das Couplet des Ollendorf, „Schwamm Drüber“, mit nestroyesken Zeitstrophen zur Bundespräsidentenwahl ausstattete. Mit seiner Arbeit stellt Preissler aus, dass Comic immer auch ein Mittel zur Politsatire ist. Und was dieser Abend über die alltägliche Prostitution der besseren Leut‘ um des lieben Geldes willen, darob moralbefreites Handeln, Betrug, Bestechung und Beutelschneiden aussagt, ist mehr, als eine brave Bearbeitung des Stücks vielleicht vermocht hätte. Man kann gar nicht anders, als die Schurken auszulachen.

Thomas Zisterer (Offizier im sächsischen Heer), Elisabeth Flechl (Palmatica Gräfin Nowalska), Lucian Krasznec (Symon Rymanowicz), Martin Winkler (Oberst Ollendorf, Gouverneur von Krakau), Roman Martin (Offizier im sächsischen Heer). Bild: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Thomas Zisterer, Elisabeth Flechl, Lucian Krasznec, Martin Winkler und Roman Martin. Bild: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Martin Fischerauer (Onuphrie, Palmaticas Diener), Elisabeth Flechl (Palmatica Gräfin Nowalska), Mara Mastalir (Bronislawa). Bild: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Kabinett-Stückchen: Martin Fischerauer, Elisabeth Flechl und Mara Mastalir. Bild: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Deren obersten, den Oberst Ollendorf, spielt der famose Martin Winkler, wie immer sängerisch und schauspielerisch auf der Höhe, als explodierten Rotschopf. Ein Möchtegern, der sich düpiert sieht, denn er hat sie ja nur, Schulter und so weiter, und dabei verleiht Winkler dem Operettenbösewicht zutiefst menschliche Züge. Er gestaltet einen, der doch nur geliebt werden will, vom Volk, von der einen Frau, aber laut Libretto darf das natürlich nicht sein. Fast hat man Mitleid mit ihm, wie er schofel um sein für die Intrige verschleudertes Geld raunzt, und seine Mannen erst! Die sind bei weitem keine schneidige Soldateska, sondern ein kriegsmüder Krüppelhaufen. Als hätte August der Starke das letzte Aufgebot nach Krakau bestellt. „Noch ist Polen nicht verloren“, ist übrigens auch einer der eingewobenen Sätze.

Anja-Nina Bahrmann (Laura), Lucian Krasznec (Symon Rymanowicz), Martin Winkler (Oberst Ollendorf, Gouverneur von Krakau), Chor der Volksoper Wien. Bild: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Anja-Nina Bahrmann, Lucian Krasznec, Martin Winkler und der Chor der Volksoper. Bild: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Das Liebesquartett bilden Anja-Nina Bahrmann und Mara Mastalir als Schwestern Laura und Bronislawa sowie Alexander Pinderak als Jan Janicki und Lucian Krasznec als „Bettelstudent“ Symon Rymanowicz. Krasznec gibt in der Rolle sein Volksoperndebüt, ein bemerkenswerter junger Mann, dessen Charme sich dem des großen Adolf Dallapozza annähert, und der sich mit seiner strahlenden, glanzvollen und mühelosen Stimme bei Höchste Lust und Tiefstes Leid“ und „Ich Hab‘ Kein Geld“ zweimal tosenden Szenenapplaus abholt.

Mara Mastalir ist entzückend und im Zusammenspiel mit Pinderak, der auch mit seinen Original-Polnisch-Kenntnissen brillieren darf, ein einnehmendes Paar. Sie mit Quirrligkeit und ihrem klaren, sauber geführten Sopran, bei Preissler ist die Bronislawa übrigens überzeugte Tierschützerin und Veganerin, er ein ernsthafter, sich den Buffo beinah verbietender Held, der den „Bettelstudent“  durch seine Würde fast zur „Freiheitsoperette“ adelt.

Anja-Nina Bahrmann ist keine gewohnt zickige Laura, sondern ein Mädl mit Herz, sie weiß nicht nur ihre Stimme schön einzusetzen, sondern auch, wie man, weil komödiantisch so gewünscht, auf Teufel komm‘ raus schmiert. Mit der Gräfin Nowalska gibt sich die Tochter vornehm verarmt, als Vorwegnahme der „Anatevka“-Wiederaufnahme in vierzehn Tagen klingt schon „Wenn ich einmal reich wär“ an. Und Elisabeth Flechl zeigt mit viel Ironie und raumfüllenden Reifröcken eine Fürstin jenseits ihrer güldenen Jahre. Eine mit Talerzeichen in den Augen und Besitzgier im Blut. Stets an ihrer Seite Diener Onuphrie, den Martin Fischerauer stumm und im Schlurfgang als Hommage an Freddie Frinton gestaltet. Nur, dass es zum Dinner nur noch für Erdäpfel reicht. Vor allem die Ankleidesequenz im Boudoir machen die beiden zum Kabinettstückchen. Am Ende ist alles gut, die letzte Volksopern-Premiere dieser Saison ein Triumph für alle Mitwirkenden. Das Publikum dankte mit langanhaltendem Applaus und der einfallsreichen Regie sogar mit Standing Ovations.

www.volksoper.at

www.luciankrasznec.de

Wien, 1. 5. 2016