Kasino des Burgtheaters: Sechs Tanzstunden in sechs Wochen

Mai 16, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Zwei supersympathische Dancing Stars

Tango mit Pasión: Andrea Eckert und Markus Meyer. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Was sich Regisseurin Martina Gredler und Kostümbildnerin Lejla Ganic an Outfits für Markus Meyer ausgedacht haben, ist für sich genommen schon eine Show. Vom goldglitzernden Matador-Jäckchen über eine weiße Fantasieuniform mit Sisi-Enten-Shirt bis zu Jeanshotpants mit „Stars ans Stripes“-Leggins, so angetan wirbelt Meyer als Tanzlehrer Michael Minetti ins Leben der pensionierten Lehrerin Lily Harrison.

Andrea Eckert, die am Burgtheater in der Andrea-Breth-Inszenierung von „Die Ratten“ eine großartige Frau Knobbe gibt (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=32521), spielt nun in dieser Kasino-Produktion die – zumindest anfangs – spaßgebremste Schülerin, die sich über den exaltierten Kerl, der da in ihrer Tür steht, nur erstaunen kann. Und während sie noch seinen verqueren Humor und seine sozialen Groschenweisheiten für gewöhnungsbedürftig hält, kippt er schon ins Unflätige, muss „die alte Schachtel“ aber letztlich um diesen Job anflehen, weil weit und breit kein anderer in Aussicht ist …

Ein Tüll-Traum für den Walzer: Andrea Eckert. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Der exaltierte Michael: Markus Meyer. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Mit dem tragikomischen Feel-Good-Stück „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ des US-Dramatikers Richard Alfieri geht Burg-Herrin Karin Bergmann ins Finale ihrer Direktionszeit. Dass die ansonsten aufs Experiment zugeschnittene Spielfläche auch als Parkett für leichte Theaterkost taugt, ist vor allem den supersympathischen Darstellern zu danken, Markus Meyer in Jugendjahren Turniertänzer, Andrea Eckert seit dem Alter von fünf „Tänzerin aus Leidenschaft“, die an Spielfreude mit Verve für ihre Figuren alles geben. Es ist im Stück nicht anders, als bei den Original-Dancing-Stars: Zwei verlorene Seelen zicken um die Wette, kommen sich beim Ankeifen menschlich aber durchaus näher.

Man will sich dem anderen gegenüber anders zeigen, als es tatsächlich ist, doch – von diesem Spannungsbogen profitiert das Ganze – nach und nach fallen die Masken, werden Schicksale enthüllt, kommen die kleineren Flunkereien und die größeren Unwahrheiten ans Licht. Mit jeder Trainingsstunde offenbaren die beiden mehr von sich, etwa, dass Lily gar keinen Tanzkurs, aber Gesellschaft braucht, um ihr zu viel an Zeit zu füllen, oder, dass Michael nicht nur am Broadway gescheitert ist, sondern in New York auch seine große Liebe Charly begraben musste. Bald ist es zwischen dem Schwulen und der Witwe ein gespielter Witz, wer die größere Bitch ist, und derart holen sich die Hitzköpfe gegenseitig aus den Schneckenhäusern der selbstgewählten Isolation.

Autor Alfieri versteht es in bester amerikanischer Well-made-Play-Manier die Themen Alter, Einsamkeit und Tod in Screwball-Pointen zu verpacken. Eine Krebskrise noch schnell, dann sind Lily und Michael BFF – Best Friends Forever. Neben Eckert und Meyer brilliert noch ein dritter Akteur, das schmissige Salonorchester, bestehend aus Lenny Dickson, Andreas Radovan, Emily Stewart sowie Alexander und Konstantin Wladigeroff, das swingen und rocken und grooven vom Feinsten kann. Bühnenbildnerin Sophie Lux deutet das Seniorenparadies Florida mit einem luftig-kühlen Luxusappartement an, in dem die Eckert in mal sexy, mal eleganten Kleidern die Frustration, auch Wut, ihrer Lily mit viel Elan ausstattet, was den Konfrontationen mit Meyers Michael natürlich Pepp gibt. Dieser gibt nicht nur in den Choreografien von Daniela Mühlbauer Vollgas, sondern auch im Komödiantischen.

Aus zickigen Tanzpartnern werden beste Freunde fürs Leben: Andrea Eckert und Markus Meyer. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Als Lehrer glaubt er an die ganzheitliche Methode, weswegen er beim Tango „spanish“ lispelt und beim Walzer ins „Gnä’ Frau“ verfällt. Er schwoft und springinkerlt und kommt er durch die Tür, sind ihm die Lacher des Publikums schon sicher. Auch bei der spitzen Bemerkung, Lily schwärmt von einem früheren Wien-Besuch und den liebenswerten Leuten dort, die Österreicher seien ja bekanntlich stets ein anschlussfreudiges Völkchen gewesen …

„Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ im Kasino ist einfach rundum entzückend. „Wie beim Sex kommt alles auf die Ausführung an“, sagt Lily übers Tanzen an einer Stelle. Diesbezüglich ist an diesem Abend alles gelungen. TIPP: „Let’s Dance“ – zum Ende jeder Vorstellung lädt die Band das Publikum in den Ballroom, von denen jeder ein besonderes Motto hat: Am 31. Mai „Love and Peace and Dance“, am 1. Juni „Dance the Savoy“, am 11. Juni „Kasino Night Fever“ und am 16. Juni „Kasino Royal“. Ab 23 Uhr steht dann DJane Colette am Mischpult.

www.burgtheater.at

  1. 5. 2019

Wiener Festwochen: Идеальный муж / Ein idealer Gatte

Mai 26, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Populist liebt populären Popstar

Bild: Ekaterina Tsvetkova

Eine Männerliebe fürs Leben: Igor Mirkurbanow als Lord und Alexej Krawtschenko als Minister Robert Ternow. Bild: Ekaterina Tsvetkova

Als zur Mitte des Abends Schauspieler Sergej Tschonischwili unter Szenenapplaus als Dorian Gray auftritt und jede Ähnlichkeit mit dem amtierenden russischen Präsidenten natürlich ein Zufall sein muss, erklärt sich, warum gewisse Kräfte in Moskau versucht haben, diese Aufführung vom Spielplan zu verbannen. Nicht nur lässt er sein Bildnis von einer Figur namens „der letzte russische Intellektuelle“ malen.

Er schließt auch einen faustischen Pakt mit der Kirche, um es an seiner Stelle hässlich und alt werden zu lassen, und stülpt sich schließlich die Zarenkrone auf den Kopf. Tschonischwilis Fanpublikum tobt vor Lachen, es singt auch die angestimmten Schlagersongs und Volkslieder mit, oder johlt, wenn sich eine Protagonistin als Laura Palmer ausgibt. Der Gag entschlüsselt sich unser einem erst via Wladimir Kaminers Blog: Gorbatschow sah so gerne „Twin Peaks“ – vermutlich wegen des Nebels, der über der Geschichte wabert …

Schauspielchefin Marina Davydova beschert den diesjährigen Wiener Festwochen die Theatersensation der Saison: Sie lud Konstantin Bogomolov und das Tschechow Künstlertheater Moskau ins Museumsquartier, damit sie ihre Version von „Ein idealer Gatte“ zeigen. Bogomolov hat Oscar Wildes Text adaptiert, die betuchte britische Upperclass zur neureichen russischen Elite gemacht, und die demaskiert der Regisseur nun unter Zuhilfenahme von sehr viel Komödianten-Make-up. Wobei die Inszenierung nicht so skurril-spaßig ist, wie man es von deutschsprachigen des Stoffs kennt, vielmehr schwebt über allem die Schwere der russischen Seele, ein Hauch Moskauer Melancholie. Bogomolov legt eine Arbeit vor, die das Innerste nach außen kehrt, heißt in diesem Fall: Links auf Rechts dreht, da bleibt keine Paillette und keine Epaulette an ihrem Platz, da werden Scheinheiligkeit und Verlogenheit eines Systems und seiner Profiteure ausgestellt, politische wie religiöse Orthodoxie veralbert, dass es nur so kracht. „Ein idealer Gatte“-reloaded ist eine satirisch-trashige Enzyklopädie des modernen Russland, freilich, es dürfen sich auch anderswo neoliberalistische Antidemokraten angesprochen fühlen.

Und so ist es nur konsequent, dass die Dorian-Gray-Episode ähnlich Dostojewskis „Großinquisitor“ einen separaten zweiten Akt darstellt, geht es doch im Rundherum um dessen „Heftklammern“, ein Begriff, der, so lehrt der Programmzettel, im Putin’schen Neusprech jene High Society zusammenfasst, die sein Polit-Projekt zusammen- und die gemeinsamen Werte, Ideen und Überzeugungen hochhält. Bogomolov hat sein Publikum über ein soziales Netzwerk an der Entstehung des Stückes beteiligt, im Mittelpunkt der Handlung steht der für die Gummiproduktion des Landes zuständige Minister Robert Ternow, dessen Frau Gertruda selbstverständlich die wichtigste Gummiproduzentin des Landes ist, damit die Aufträge ja schön in der Familie bleiben. Robert, der diesbezüglich ideale Gatte, liebt aber fremd, und zwar den Schlagersänger Lord. Dem Populisten und dem populären Popstar muss eine Missis Cheavely in die Quere kommen, nur will sie diesmal groß ins Gummigeschäft einsteigen und den Vertrag dazu vom Minister mittels Sexvideo erpressen. Einen Mayble gibt es auch, Lord adoptiert den Jüngling aus einem von Frömmlern in Popengewändern betriebenen Waisenhaus, das offensichtlich ein Einkaufscenter für Pädophile ist.

Bild: Ekaterina Tsvetkova

Dorian Gray und ein Medienbildnis: Sergej Tschonischwili. Bild: Ekaterina Tsvetkova

Bild: Ekaterina Tsvetkova

Da ist die Welt noch in Ordnung: Der Minister planscht in der Badewanne. Bild: Ekaterina Tsvetkova

Für die russischen Theatergeher soll das alles üppig und neu gewesen sein. Gewohnt, hehre Texte auf hohem Niveau vorgetragen zu bekommen, und wie zu erwarten konnte sich Bogomolov eine kurze Persiflage auf dortige Theatergepflogenheiten nicht verkneifen, besah man in Moskau das intrigante Treiben um die Männerliebe erst mit einer gewissen Schreckstarre. Dabei dominiert für hierzulande fast Dezenz. „Stellen Sie sich das vor!“, befiehlt ein Insert an der Stelle, an der die Bühnenfiguren entsetzt das Video betrachten. Später lässt Lord Ternow einen Thermophor, auch genannt Bettwärmer, aufblasen, bis er platzt. Welch ein Bild! Und davon gibt es an diesem Abend etliche. Das Ensemble agiert auf höchstem Niveau. Allen voran Igor Mirkurbanow als Lord, der von Anfang an die Halle mit heißen Rhythmen rockt. Er gibt den Entertainer, den Großsprecher und Phrasendrescher von Kremls Gnaden, um gleich darauf in harte, zynische Selbstkritik zu verfallen, um gleich darauf ein zarter Liebender zu sein, der für das Glück des Geliebten sein eigenes opfert. Eine Stimme wie ein Reibeisen, eine Seele weich wie Paskha. Mirkurbanow ist wie ein Nowosibirsker Bill Nighy mit einem schwarzen Schwung Keith Richards um die Augen.

Seinen seit 15 Jahren geheimgehaltenen Gatten spielt Alexej Krawtschenko als nach außen hin sleekes Schlitzohr. Des Ministers Leidenschaft gehört außer Lord antiken Statuen und Schnee, davon weht es jede Menge die Nasen hoch, in Moskau sind die Winter kalt, lässt ein Lied wissen, und Gertrudas Geld. „Obwohl mein Glied manchmal abgleitet, gehört mein Herz meiner Frau“, versucht er Missis Cheavelys Enthüllungsandrohung kleinzureden. Wie man ihn aber dann via „Fernsehzuspielung“ dicke, bittere Tränen weinen sieht, als er seinen Mann und die Intrigantin am Traualtar erblickt, die Cheavely verlangt von Lord die Ehe im Gegenzug für die Aufgabe ihrer Pläne, das ist so anrührend, das geht so ans Herz, dass man beinah vergißt, dass hier keiner ein Guter und niemand bemitleidenswert und das alles ein Nonsense mit sehr viel Hintersinn ist. Darja Moros gestaltet die Gertruda als herrische, herrlich geldgeile Bissgurn, die ihre „kleinen usbekischen Sklaven“ scheucht und bei Einlangen von Geld auf ihrem Konto von Orgasmen geschüttelt wird. Damit ihr Finanzklimax kein Ende findet, muss der Minister an Ort und Stelle bleiben, und so stellt sie als vermutetes Pantscherl Missis Cheavely zur Rede. Ein köstlicher Schlagabtausch mit der unterkühlt agierenden Marina Sudina.

Bild: Ekaterina Tsvetkova

Missis Cheavely erpresst von Lord die Ehe, der leidet still: Igor Mirkurbanow mit Marina Sudina. Bild: Ekaterina Tsvetkova

Garniert ist das Ganze mit großartigem Personal, etwa Pawel Tschinarew als Ferrari fahrenden Mayble, Alexander Semtschew als vaterlandstreuen Vater Lords, Maxim Matweew als diabolischen Priester, und Pawel Waschtschilin als schwulen Modeschöpfer. Der ist irgendwie auch Andrej Prosorow. Denn wie um zu verorten, dass der Ennui des Establishments, dessen Nichtstuer, Nichtsnutze und Tunichtgute kein neuzeitliches und bei weitem kein Insel-Phänomen sind, verknüpft Bogomolov Oscar Wilde mit dem russischen Bildungskanon. Puschkin wird bemüht, Turgenew und, wie könnte es anders sein?, Godfather Tschechow. Dessen „Drei Schwestern“ sitzen, in den Originalsätzen ihre Untätigkeit und ihre Sehnsucht nach einem arbeitsamen Leben gejammernd, in einer schicken Bar, tippen in Displays und lassen sich zwischendurch von Männern abschleppen. Und weil, wo Theatergiganten unter sich sind, Shakespeare keinesfalls fehlen darf, wird „Romeo und Julia“ zitiert.

Aber da ist alles schon zu Ende, Lord hat sich aus Liebeskummer erschossen, und auch der Minister greift zur Waffe, neben dem Leichnam des Vorausgegangenen die letzten Worte des Veroneser Adelsspross‘ rezitierend. Über den gläsernen Sarg der beiden fällt die russische Flagge. Kurze Kranzniederlegung. Aus. Jubel und Applaus. Das Publikum dankte ausgiebig für den gelungenen, fast vierstündigen Abend. Bogomolov hat eine Inszenierung gezeigt, die im besten Wilde’schen Sinne als witty zu bezeichnen ist – witzig, geistreich, originell. Er fordert auf zu mehr Aufmerksamkeit und weiterem Nachdenken, was gesellschaftspolitische Phänomene und ihre Auswüchse betrifft. Er macht es den Zuschauern nicht leicht, er verlangt ihre Mitarbeit, das zeigten schon die Pausengespräche, und das ist gut so. „Ein idealer Gatte“ ist eine perfekte Produktion. Mit allem Drum und allem Dran. Und als Zugabe gab’s, wie schön,  Wiens russische Gemeinde, die sich gar nicht genug über die Insiderjokes amüsieren konnte. Was einen selbst, siehe Kaminer, auch noch zum Nachforschen anregte.

Video – ein Premierenbericht des russischen Fernsehens: https://www.youtube.com/watch?v=iZD5ajqQDJs

www.festwochen.at

Mehr Rezensionen von den Wiener Festwochen:

Dugne / Nachtasyl: www.mottingers-meinung.at/?p=20221

Der Auftrag: www.mottingers-meinung.at/?p=20189

Látszatélet / Scheinleben: www.mottingers-meinung.at/?p=20141

Città del Vaticano: www.mottingers-meinung.at/?p=20120

Die Passagierin: www.mottingers-meinung.at/?p=20085

Tschewengur. Die Wanderung mit offenem Herzen: www.mottingers-meinung.at/?p=19870

Wien, 25. 5. 2016

Theatermuseum: Five Truths. Shakespeares Wahrheit und die Kunst der Regie

April 19, 2016 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

Katie Mitchell zeigt Ophelias Wahnsinn hoch fünf

Five Truths Video Installation. Bild: © Gareth Fry

Five Truths Video Installation. Bild: © Gareth Fry

Wie unterscheiden sich die Regiestile von fünf der einflussreichsten europäischen Theaterpraktikern des 20. Jahrhunderts? Wie würden Konstantin Stanislawski, Antonin Artaud, Bertolt Brecht, Jerzy Grotowski oder Peter Brook die berühmte Wahnsinnsszene der Ophelia aus Shakespeares Hamlet inszenieren?

Für ihre Video-Installation hat die berühmte britische Regisseurin Katie Mitchell, die in Österreich zuletzt bei den Salzburger Festspielen ihre Arbeit „Forbidden Zone“ zeigte (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=10209), diese eine Szene mit ein und derselben Schauspielerin im Stil dieser fünf maßgeblichen Regisseure inszeniert und gefilmt. Das Theatermuseum zeigt die „touring installation“ des Victoria and Albert Museum ab 21. April zum 400. Todestag von William Shakespeare.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=7oxnyRl8e8A

www.theatermuseum.at

Wien, 19. 4. 2016

„Maikäfer flieg“: Gerald Votava im Gespräch

März 4, 2016 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine Annäherung auf Zehenspitzen

Gerald Votava mit "Feldwebel" Ivan Shvedoff Bild: © Oliver Oppitz

Trost für den Besatzer: Gerald Votava mit „Feldwebel“ Ivan Shvedoff
Bild: © Oliver Oppitz

Er ist der Eröffnungsfilm der Diagonale am 8. März und kommt am 11. März in die heimischen Kinos: „Maikäfer flieg“, entstanden nach dem autobiografischen Roman „Maikäfer, flieg! Mein Vater, das Kriegsende, Cohn und ich“ von Christine Nöstlinger. Filmemacherin Mirjam Unger hat die Erinnerungen der Autorin an eine Kindheit im Krieg gemeinsam mit Sandra Bohle für die Leinwand adaptiert. Zita Gaier spielt die junge Christl, Ursula Strauss die Mutter, Gerald Votava den Vater – und er besticht mit seiner „einfachen“ Darstellung eines offenbar sehr bemerkenswerten Mannes. Ein Gespräch über Christine Nöstlinger und ihren Vater Walter Göd, Brad Pitt am Set und die eigene Ehefrau als Regisseurin:

MM: Sie sind bei diesem Projekt der Vermittler zu Christine Nöstlinger. Wie kam’s?

Gerald Votava: Wir haben vor einiger Zeit im Rabenhof das Stück „Iba de gaunz oamen Leit“ gespielt und sie war bei der Premiere persönlich anwesend. Da haben wir einander kennen gelernt, geplaudert und ich war gleich verliebt. Mirjam war bei dieser Theaterproduktion natürlich am Rande dabei und hat dann das Maikäfer-Buch hervorgeholt. Die ganze Familie hat’s gelesen und für sehr verfilmungswürdig befunden. Ich habe Christine Nöstlinger angerufen und ihr das erzählt und sie meinte nur: „Des haben andere a schon probiert.“ Es gab offenbar schon zwei Versuche, beide gescheitert …

MM: Hat Frau Nöstlinger Ihren Film schon gesehen?

Votava: Ja, ich habe aber noch nicht mit ihr darüber gesprochen. Ich habe ein Interview gelesen, da sagt sie: „Er ist eh ned so schlecht.“ Das macht mich glücklich, das klingt nach einem Lob.

MM: Sie spielen im Film Christls Vater Walter Göd. Frau Nöstlinger dürfte zu ihm ein besonderes Verhältnis gehabt haben, er ist im Buchtitel ja auch direkt angesprochen. Welch eine Verantwortung diese Rolle zu gestalten!

Votava: Da nähert man sich auf Zehenspitzen! Ich bin viel bei Christine Nöstlinger gesessen und habe mir von ihm erzählen lassen. Und bald war klar, da wird eine große Veränderung notwendig sein, um diesem Erscheinungsbild nahe zu kommen. Der Mann war an der Russlandfront, wurde verletzt, kam ins Lazarett, ist daraus desertiert, weil er in Österreich bleiben und nicht nach Deutschland verlegt werden wollte … Das ist schon eine Lebensgeschichte. Christine schildert ihn davor als ziemlichen Feschak, dem im ganzen Bezirk die Frauen nachgeschaut haben. Dem allem wollte ich äußerlich gerecht werden. Technisch durch Ernährungsumstellung und Training. Dabei konnte ich auch gleich das Hungergefühl kennenlernen.

MM: Und „innerlich“? Was haben Sie da erfahren? Sie spielen ja einen sehr überlegten, abwartenden Mann, einen stillen Beobachter der Szenerie …

Votava: Christine Nöstlinger erzählt vor allem, dass er ein Papa war, der da war. Auch schon vor dem Krieg, Er hat bei seinen Kindern beispielsweise die Windeln gewechselt, das war für einen Mann dieser Generation sicher eine Besonderheit, Vaterschaft so zu verstehen. Das muss ein unglaublicher Mann gewesen sein. Mir kam außerdem zugute, dass ich auch beim Militär war, weil ich vor der Zivildienstkommission nicht bestanden habe, durfte ich beim Bundesheer in Baden lernen, wie man ein Geschütz bedient. Ich konnte mich also auch ganz gut da reindenken, in den kriegerischen Wahnsinn, in dem sich die Familie befindet.

MM: Es gibt eine ganz starke Szene. Da gehen einem russischen Feldwebel die Nerven durch und der Vater wiegt ihn in den Armen wie ein Kind, flüstert ihm beruhigende Sätze ins Ohr – und der Mann ergibt sich seinen Vorgesetzten. So rettet der Vater die brenzligste Situation im Film.

Votava: Und in der Realität. Er hat im Krieg russisch gelernt und das nützt er jetzt, um die Frauen und Kinder zu retten. Sie haben recht, er war wohl einer, der erst geschaut und dann reagiert hat. Alles, was meine Figur ist, die Definition dieser Rolle, kommt von Christine Nöstlinger. Ich habe sie sehr konkret nach Situationen gefragt und wie er da reagiert hat. Und so wie sie mir das erzählt hat: Der Mann hatte einen zynischen Humor, er hat viel gelesen, Hermann Hesse, was damals sehr ausgeflippt war, war Jazzliebhaber, …

MM: Weshalb im Film entweder Radio BBC läuft oder das Grammophon spielt.

Votava: … der war vorn, seiner Zeit voraus, in vielerlei Hinsicht. Ich hätte den sehr gerne kennengelernt. Der Vorteil für mich, einen Vater zu spielen, ist, dass ich der Figur relativ offen gegenübertreten konnte, weil ich ohne Vater aufgewachsen bin und auch nicht von Ersatzvaterfiguren umzingelt war. Ich komme aus einer sehr weiblichen Familie, dadurch hatte ich viel Platz zum Füllen.

MM: Sie sind nicht nur einer der Hauptdarsteller, Sie haben an der Produktion auch dramaturgisch mitgearbeitet?

Votava: Meine Funktion war sozusagen Rückmeldung. Ich habe die Buchfassung von Sandra Bohle und Mirjam Unger als erster gelesen und was dazu gesagt. Ich bin mit „Maikäfer flieg“ von Grund auf und in jeder Position beschäftigt gewesen und es ist ein großes Herzensprojekt.

MM: Wie ist arbeiten mit der Ehefrau als Regisseurin. Weil Sie vorher sagten „Hungergefühl“, hat sie Ihnen nichts zum Essen gegeben?

Votava: Mir geht’s mit Frauen prinzipiell sehr gut, weil ich ja ohne Männer aufgewachsen bin, bis auf den Opa. Mir ist es aber relativ wurscht, ob einer Mann oder Frau ist, ich schätze gute Arbeit und gute Menschen. Mir geht’s darum, dass man sich gemeinsam auf eine Vision einlässt. Da funktioniert die Zusammenarbeit mit Mirjam Unger natürlich sehr gut, weil wir einander lange kennen und sehr vertraut sind. Da ist „Wie spricht man miteinander?“ kein Thema, weil wir das eh täglich tun. Das ist schon super.

MM: Und der Hunger?

Votava: Ich weiß, jeder sagt mir, ich bin sehr schlank geworden und jetzt reicht’s. Ich wollte aber sowieso abnehmen, also kam mir das ganz recht. Als Schauspieler muss man bereit sein, in extremere Zustände zu gehen, und im Krieg hat’s nichts zu essen gegeben, also wollte ich hungern, um diesen Zustand nachvollziehen und spielen zu können. Das ist definitiv eine ganz wichtige Facette in einem Krieg und in unserem Film. Die Diät machen war für mich eine gute Erfahrung: Damit zurechtzukommen, wenn dieser Grant hochsteigt und man muss trotzdem freundlich bleiben. Walter Göd war sicher kein Mensch, der seine schlechte Laune an anderen ausgelassen oder geraunzt hat … Wer weiß, spiel‘ ich bald einen, für den ich zehn Kilo zunehmen muss, dann schau‘ ich wieder anders aus.

MM: Wie war’s mit den russischen Kollegen am Set? Mit Konstantin Khabensky als Cohn hatten Sie ja einen richtigen St. Petersburger Schauspielstar.

Votava: Der uns in jeder Drehpause von seinem guten Freund Brad Pitt erzählt hat. (Er lacht.) Das war lustig, am Set war’s sehr nett. Ich habe auch ein wenig russisch gelernt, auch Verständnis für die russische Seite des Krieges bekommen. Das war sehr interessant. Ivan Shvedoff, der Darsteller des Feldwebels, mit dem ich im Film die große Auseinandersetzung habe, ist am Abend oft mir mit zusammengesessen. Denis Burgazliev, der den Major spielt, ist dazu gekommen … Ich habe mich sehr gefreut, über diese Begegnungen. Man lernt sich kennen und verstehen – so muss es damals auch gewesen sein. Und dann natürlich Ursula Strauss, mit der ich immer wieder gern arbeite. Die hat wirklich was abgeliefert, halleluja!, es war eine große Freude ihr Filmgatte zu sein.

MM: Sie haben noch zwei Projekte am Start „Kater“ von Händl Klaus …

Votava: Ja, das ist eine gute Anekdote. Klaus hat mich angerufen: Die beiden Hauptdarsteller Lukas Turtur und Philipp Hochmair sind ja Mitglieder eines Orchesters, und da soll einer einen Witz erzählen, was wohl nicht geklappt hat. Also sollte ich das machen und aus dieser kleinen Szene ist dann meine Rolle Max entstanden. Ich bin einer im Umfeld dieser Beziehung, um die sich der Film dreht. Das waren auch schöne Dreharbeiten.

MM: … und „Hotel Rock’n’Roll.

Votava: Das rockt! Das ist ein Film von Michael Ostrowski und Helmut Köpping, bei dem Michael Glawogger noch am Drehbuch gearbeitet hat. Mit den üblichen Schauspielern Pia Hierzegger, Georg Friedrich, Detlev Buck, Hilde Dalik … Diesmal übernehmen wir ein total abgesandeltes Hotel. Ich freu‘ mich schon sehr, wenn der Film rauskommt.

MM: In meiner Wahrnehmung machen Sie seit einiger Zeit vermehrt Film. Ein Ausgleich zur One-Man-Bühnenshow?

Votava: Ich bin immer gern mit Menschen. Das ist für mich das höchste, wenn eine Gruppe zusammenkommt und gemeinsam was macht. Es hat beides was, aber die Filmarbeit hat etwas, wo ich das Gefühl habe, da bin ich jetzt richtig.

MM: Das heißt, auf einen Nachfolger von „Narzissmus und Tiere“ werden wir warten müssen?

Votava: Ja, schon noch … Ich steh‘ derweil mit der „Familie Lässig“ auf der Bühne. Aber Filme machen und bis ins kleinste Detail etwas zu erzählen und das dann auf der großen Leinwand sehen, das hat schon Magie.

MM: Welche Magie soll sich bei „Maikäfer flieg“ auf die Zuschauer übertragen? Sie verstehen, das ist die Frage nach der „Message“.

Votava: Ich finde es immer ganz gut, wenn ein Werk für sich steht, ich bin nicht so für Begleittexte. Die Themen im Film sind selbsterklärend, sehr heutig, leider – der Krieg, Fliehen und Verstecken müssen. Der Moment im Film ist ja der, an dem der Krieg vorbei ist und „wichtige“ Menschen in Konferenzen sitzen und die Welt unter sich aufteilen. Wie sehr das 2016 ist, muss ich, glaub‘ ich, nicht sagen. Der Film zeigt auch, wie sich Menschen in Extremsituationen drehen, wie die Windradln. Vor allem geht’s aber um die Christl, um ein Kind, das in einen Krieg hineingeboren ist und gar nichts anderes kennt. Und wie sie da durchgeht und agiert und nachher diese große Schriftstellerin wird: Wow!

maikaeferflieg.derfilm.at

Trailer: www.youtube.com/watch?v=ED0tLOZeGBk

Filmkritik : www.mottingers-meinung.at/?p=17909

Mehr zur Diagonale 2016: www.mottingers-meinung.at/?p=17827

Wien, 4. 3. 2016

Festspiele Stockerau: Einer flog über das Kuckucksnest

Juli 2, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Häuptling fand seinen kongenialen Cowboy

Horst Heiss (Häuptling Bromden) und Klaus Huhle (Randle P. McMurphy) Bild: © Johannes Ehn - Festspiele Stockerau

Horst Heiss (Häuptling Bromden) und Klaus Huhle (Randle P. McMurphy)
Bild: © Johannes Ehn – Festspiele Stockerau

Es war ein Wagnis. Und wer wagt, gewinnt. So wie Intendant und Regisseur Zeno Stanek mit seiner Inszenierung von „Einer flog über das Kuckucksnest“ in Stockerau. Die Vorlage ist gewaltig. 1962 veröffentlichte Ken Kesey seinen Roman, den Dale Wasserman  (der auch „Der Mann von La Mancha“ dramatisierte) ein Jahr später zum Bühnenstück umarbeitete. 1975 dann der Knalleffekt: Miloš Forman verfilmte den Stoff mit Jack Nicholson und Will Sampson www.youtube.com/watch?v=wBB985CIva4 . Nicholsons zerrupfte Frisur, sein irrer Blick, sein Wolfsgrinsen brachten dem Meisterwerk fünf Oscars, sechs Golden Globes und sechs Mal den Britischen Filmpreis ein. Nur Autor Kesey war nicht zufrieden. Er verließ die Produktion nach zwei Wochen, weil seine Story nicht mehr von Chief Bromden erzählt wurde, sondern Forman sich ganz auf Nicholson fokussierte.

Stanek lässt das alles offensichtlich kalt. Wenn man etwas dazu sagen kann, dann, dass er näher am Buch ist, als an allen anderen Steilvorlagen. Inhalt: Der unangepasste Kleinganove und leidenschaftliche Spieler Randle P. McMurphy wird auf Grund eines durch ihn vorgetäuschten Wahnsinns vom Gefängnis in die Psychiatrie (das Kuckucksnest) verlegt. Dort ruft er die Patienten mit Witz und Vehemenz zum Widerstand gegen das System und vor allem gegen Ober­schwester Miss Ratched auf. Bald hat er seine Kollegen soweit, Glücksspiele zu bestreiten und Wet­­ten aller Art abzuschließen. McMurphy stellt die Anstaltsordnung auf den Kopf, lädt leichte Mädchen (sehr sexy: Karin Verdorfer, einmal in Schwesternkittel, einmal in Hot Pants) ein. Der Gipfel ist die Wet­te, die stets Contenance bewahrende Miss Ratched außer Fassung zu bringen. Eine Wette mit weit­rei­chen­den Folgen für alle Anstaltsinsassen. Es folgen ein Selbstmord und ein Gnadentod. Und ein Befreiungsschlag, ein Ausweg in den Sonnenuntergang …

Stanek zeigt diesen Mikrokosmos als Abbild der Welt. Er gestaltet eine Parabel über die als totalitäres System empfundene Gesellschaft, die dem Individuum nur die Wahl zwischen unterwürfiger Selbstaufgabe oder aber Ausschluss und Bestrafung lässt.  Der „Staatschef“, heißt: der Anstaltsleiter Dr. Spivey (ein gutmütiger, edler Marcus J. Carney) steht unter der Knute der militanten Oberschwester Ratched (Elke Hartmann wunderbar herrisch. Auf die mehrfach gestellte Frage: „Habt ihr keine Eier?“ kann man nur antworten: Sie schon. Ratched nimmt übrigens Platz fünf der All-Time-Schurken-Liste Hollywoods ein.) Ratched betreibt Elektroschocktherapie getarnt als Patientenbasisdemokratie. Stanek zeigt in erschreckenden Szenen deren Entmündigung durch die Götter in Weiß. Erbarmungslos wird in Gruppensitzungen deren Innerstes vor aller Augen nach außen gerissen. Häuptling Bromden, der sich als taubstumm verstellt, um seine Ruhe zu haben, darf das alles wieder als Stimme aus dem Off erzählen. Aus dem Off denken. Der stets großartige Hüne Horst Heiss www.horstheiss.com gibt einen stoischen Renidenzler, einen Beobachter, der schließlich zur Tat schreitet. Doch nicht nur, was sich innerhalb des Irrenhaus-Gitterkäfigs abspielt, berichtet er, sondern auch von Großkonzernen, die seinen Stamm enteignet und von seinem Land vertrieben haben. Er, der letzte des Clans, der letzte Aufwiegler, wird weggesperrt. Und halluziniert vom Wasserfall und dem Ruf der Wildgänse.

In Klaus Huhle hat der Häuptling einen kongenialen Cowboy gefunden. Dieser McMurphy kommt nämlich mit Stetson und Boots in die „Arena“ gestiefelt. Huhle hat nicht die Absicht, den schlechteren Jack zu mimen. Er gibt der Rolle seine eigene, höchst gelungene Färbung. Statt ein zynisches Arschloch à la Nicholson zu sein, ist er ein tragikomischer Antiheld, der tatsächlich an Gerechtigkeit glaubt, ein Vorschriftenbrecher gegen die Schwesterntrachtdiktatur. Ein Rebellenführer, der am geschlossenen System scheitern wird. Denn in all seiner Lustigmacherei, seiner Spaßvogelei, seiner Schlitzohrigkeit erkennt er nicht, dass er mit einem Feuer spielt, das ihn verbrennen wird. So bauernschlau er ist, so sehr ist er auch ein Tor, der das Ende der Geschichte nicht kommen sieht. Eine spannende, außergewöhnliche Auslegung der Figur. Gut angelegt sind auch Simon Jaritz als distinguierter Patientensprecher Dale Harding, dem durch den Atombusen seiner Frau die Rakete umgefallen ist; Karl Ferdinand Kratzl als menschliche Bombe; Mutterflüchtling Billy Bibbit, sehr eindrücklich dargestellt von Konstantin Gerlach; „Ruckly“ Christian Strasser als sein personal Jesus; Raufbold „Cheswick“ Robert Kolar und der Kartentrickser „Martini“ Daniel Wagner.

Ein sehenswerter Abend, der entsprechend mit viel Applaus bedankt wurde.

www.festspiele-stockerau.at