Volksoper: Der Kongress tanzt

Februar 21, 2016 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Vom Film- zum vorprogrammierten Bühnenhit

Fritz von Friedl, Wolfgang Gratschmaier, Nicolaus Hagg, Thomas Sigwald, Boris Eder, Ildiko Babos und Regula Rosin Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien,

Fritz von Friedl, Wolfgang Gratschmaier, Nicolaus Hagg, Thomas Sigwald, Boris Eder, Ildiko Babos und Regula Rosin. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Na also, endlich. Europahauptstadt. Nicht, dass dadurch die Weltpolitik besser würde, aber der Veltliner … Wien und der Wein. Und das Weib natürlich. Und die Walzerseligkeit. Und die Heurigenstimmung. Tourismusverbände aller Länder, vereinigt euch! An der Volksoper hatte „Der Kongress tanzt“ Premiere.

Das war einmal ein Film von Erik Charell mit Lilian Harvey und Willy Fritsch. 1931 in die Kinos gebracht, 1937 verboten. Die Handlung trägt sich zur Zeit des Wiener Kongresses zu. Metternich will bei seinen Verhandlungen möglichst keine Gegenstimme und daher Alexander von Russland ausschalten. Der, ein bekannter Steiger, sollte relativ einfach in ein amouröses Abenteuer zu verwickeln sein, und deswegen den Abstimmungen fern bleiben. Und so kommt dem Fürsten die junge Handschuhmacherin Christel gelegen, die aus Werbezwecken jedem Staatsgast ein Blumensträußchen zuwirft – und den Zaren damit auf den Kopf trifft. Als sich die „Bombe“ als Bouquet entpuppt, entwickelt sich eine Romanze, sehr zum Ärger von Geheimsekretär Pepi, der in die schöne Ladenbesitzerin bis über beide Ohren verliebt ist. Ausgerechnet er soll aber nun den Zaren immer weiter in die „Weibergeschichte“ verstricken. Doch der hat einen Doppelgänger mit nach Wien gebracht und schafft es daher, Staatsgeschäfte und Liebesangelegenheiten parallel zu erledigen …

Die unsterblichen Melodien dieser Leinwandoperette stammen aus der Feder von Werner Richard Heymann: „Schön ist das Leben“, „Das muss ein Stück vom Himmel sein“, „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder“. „Sie kennen mich nicht, aber sie haben schon viel von mir gehört“, war später Heymanns Auftrittssatz, sein Gag bei Konzerten. Der gebürtige Königsberger, wesentlichster Komponist der Comedian Harmonists, auch Mitarbeiter und dann Nachfolger von Max Reinhardt an dessen Bühne „Schall und Rauch“, war ein glühender Europäer. So sehr, dass er, 1933 von den Nazis mit Berufsverbot belegt und ins Exil gejagt, nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrte. Obwohl er in den USA beachtliche Erfolge hatte, unter anderem die Musik für die Ernst-Lubitsch-Filme „Ninotschka“ und „Sein oder Nichtsein“ schrieb und mehrmals für den Oscar nominiert war. Volksoperndirektor Robert Meyer und Komponist und Arrangeur Christian Kolonovits haben Heymanns Schatz nun für das Haus am Gürtel geborgen. Der Film- ist ein vorprogrammierter Bühnenhit. Mit allem, was der Gast aus dem In- und Ausland zu schätzen weiß.

Dies ist allem voran Kolonovits zu danken. Er hat die Musik sozusagen aus dem Film abgeschrieben. Denn es gibt von „Der Kongress tanzt“ weder Partitur noch Orchesterstimmen, nur ein paar Klavierauszüge und einige Skizzen haben das Dritte Reich überlebt. Kolonovits schaffte es durch liebevolles Hinhören das Flair der 1930er-Jahre wieder aufleben zu lassen – inklusive des charakteristischen Kratzens alter Schellack-Platten. Er dirigiert seine „Originalklang-Operette“ selbst, und das wunderbar wandlungsfähige Volksopernorchester, das schon mehrmals unter Beweis gestellt hat, wie schwungvoll es swingen kann, wird in seinen Händen zur Big Band. Allein schon sein Sound ist diesen Feel-Good-Abend wert.

Inszeniert hat Robert Meyer mit viel Spaß an der Sache und zart eingesetzten Zeitbezügen. Etwa, wenn sich sein Metternich als geistiger Großvater der NSA zeigt, oder Fritz von Friedl als Bürgermeister ein Original ist, dass dem echten rein zufällig ein bisschen ähnelt. Auch, dass Wien anno 1814 nur ums Eck von Brüssel 2016 liegt, zeigt er ganz klar. Viel – musikalisches – Muskelspiel, aber dürftig in den politischen Beschlüssen. „Der Kongress gleicht einem Jahrmarkt in einer kleinen Stadt, wo jeder sein Vieh hintreibt, es zu verkaufen und zu vertauschen“, notierte der preußische Generalfeldmarschall Blücher damals. Um den schnellen Filmschnitten gerecht zu werden, gleiten die Szenen, begleitet von Spieluhrmusik, die Darsteller wie deren Figuren aufgestellt, auf der Drehbühne vorbei. Das ist eine schöne Idee, doch wird die Handlung, bevor sie richtig Fahrt aufnimmt, von diesem steten Wechsel ein wenig ausgebremst. Das ist schade. Unterm Strich aber hat Robert Meyer, der als Metternich selbstironisch über sein Los als „Führungspersönlichkeit“ klagt, für sein Haus einmal mehr ein perfektes Ensemblestück ausgesucht. Jeder kommt hier zu seinem großen Auftritt.

Das nutzen Anita Götz und Michael Havlicek ganz vorzüglich. Als Christel und Pepi sind die Sopranistin und der Bariton sowohl komödiantisch als auch gesanglich ein Traumpaar. Sie, die freche Resche mit leichter Bissgurn-Veranlagung, er, der Stotterer in Liebesdingen, ein Pantoffelheld schon vor der Heirat. In viel zu riesiger rosa Robe, ein textiles Sinnbild für: diese Welt ist nicht die ihre, wartet sie in der Hofburg auf den Zaren, der am Ende doch abreisen wird. Worauf sie sich nicht – siehe Film – sofort ihrem Pepi in die Arme wirft, sondern erst einmal, weil ja jetzt als Adelspantscherl berühmt, im Laden das große Geschäft macht. Das ist Emanzipation für beide Geschlechter, weil auch ein Pepi hat nicht alles nötig. Havlicek spielt das sehr charmant, er hat als Pepi durchaus Herzensbrecher-Potential. Boris Eder brilliert in der Doppelrolle als Zar Alexander und dessen Double Uralsky. Eder kann sowohl den weltgewandeten Verführer als auch den einwandfreien Dodl überzeugend über die Rampe bringen, und ist stimmlich sowieso glänzend. Seinem kurzsichtigen Uralsky, dem Thomas Sigwald als Adjutant Bibikoff die Brille wegnimmt, was zusätzlich für dessen Verwirrung und ergo Tumult sorgt, hätte man einen Slapstick mehr sehr gerne gegönnt. Mit Agnes Palmisano besingt eine waschechte Dudlerin Wiens alkoholische Qualitäten. Nicolaus Hagg jammert als Finanzminister gekonnt über die Kosten.

Zusätzliche Heymann-Lieder peppen die Aufführung auf. Wie für die Zusammenstellung einer Revue haben Kolonovits und Meyer gut gewählt, was zur Handlung passt. Zar-Eder darf auch noch „Hoppla, jetzt komm‘ ich“ aus dem Film „Der Sieger“ anstimmen. Für Regula Rosin als Fürstin wurde mit „Die älteren Jahrgänge“ aus „Professor Unrat“ ein gesanglich-kabarettistisches Kabinettstückchen gefunden. Wolfgang Gratschmaier, Marco Di Sapia, Axel Herrig, Bernd Birkhahn, Franz Suhrada und Gernot Kranner wissen als gekrönte und gewählte Häupter „Einmal schafft’s jeder“ – aus „Ein blonder Traum“. Und Robert Meyer hat für sich den „Alraune“-Tango „Heut‘ gefall‘ ich mir“ reserviert. Noch nie war Metternich so sexy.

Zum großen Schlussapplaus gab’s als Da Capo Christels „Das gibt’s nur einmal“. Als es am 8. Mai 1945 in Berlin keinen Strom, daher auch kein Radio gab, wussten die Menschen vielerorts nichts davon, dass die Wehrmacht die Waffen niedergelegt hatte. Da spielte beim Bahnhof Zoo ein russischer Lautsprecherwagen die Melodie – und die Berliner wagten sich aus ihren Verstecken. So etwas muss man erst einmal schreiben: Ein Lied, mit dem das Kämpfen endet und der Friede beginnt. An der Volksoper jetzt wieder zu hören. Ein Evergreen als zart eingesetzter Zeitbezug. Jeder Frühling hat nur einen Mai …

www.volksoper.at

Wien, 21. 2. 2016

Belvedere: Europa in Wien

Februar 19, 2015 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

Der Wiener Kongress 1814/15

Johann Peter Krafft, Der Abschied des Landwehrmannes, 1813. Öl auf Leinwand © Belvedere, Wien

Johann Peter Krafft, Der Abschied des Landwehrmannes, 1813. Öl auf Leinwand
© Belvedere, Wien

Ab 20. Februar ist im Unteren Belvedere und in der Orangerie die Ausstellung „Europa in Wien“ zu sehen. In der europäischen Geschichte zählt der Wiener Kongress zu den bedeutendsten internationalen Großereignissen. Vor 200 Jahren war Wien mehrere Monate lang das politische, kulturelle und gesellschaftliche Zentrum Europas. Gastgeber war Kaiser Franz I. von Österreich. Alle großen Mächte Europas sandten ihre Delegierten, um gemeinsam über die Neuordnung des Kontinents, der durch die Napoleonischen Kriege seine politische Stabilität verloren hatte, zu beraten. Österreich wurde durch Fürst von Metternich repräsentiert, der auch als Präsident des Kongresses fungierte. Das erklärte Ziel war, durch einen Ausgleich der Machtverhältnisse Frieden und Ordnung in Europa zu schaffen und dauerhaft zu sichern. Begleitet wurden die diplomatischen Verhandlungen von gesellschaftlichen Ereignissen und Vergnügungen verschiedenster Art, deren ungeheure Prachtentfaltung in zahlreichen schriftlichen und bildlichen Dokumenten festgehalten ist. Wien blühte als Zentrum des kulturellen Lebens auf, zahlreiche Künstler kamen in die Kaiserstadt, und alle Sparten der heimischen Kunstproduktion wurden angeregt. Mit „Europa in Wien. Der Wiener Kongress 1814/15“ zeigt das Belvedere eine umfassende Ausstellung, die sowohl die politischen als auch die gesellschaftlichen Aspekte dieses außergewöhnlichen Ereignisses, das ganz Europa mehrere Monate hindurch in Atem hielt, beleuchtet.

Zu wohl kaum einem anderen politischen, diplomatischen und gesellschaftlichen Geschehen des 19. Jahrhunderts existiert so viel unterschiedliches Material wie zum Wiener Kongress, der die Donaumetropole für eine kurze Periode zum Mittelpunkt Europas machte. Die Aufbereitung der Exponate für eine Ausstellung stellte die Kuratoren Sabine Grabner und Werner Telesko vor die Herausforderung, ein diplomatisches und historisches Ereignis, das vor allem als ein gesellschaftliches wahrgenommen wird, anschaulich zu präsentieren. Von der Reportagegrafik und der Karikatur über Historienbilder bis hin zu Porträts in mannigfachen Formaten – vom Miniaturformat über die Skulptur bis zum lebensgroßen Ölbild – reichen die aus vielen Ländern stammenden Ausstellungsstücke. Die Breite des Phänomens Wiener Kongress in seinen gesellschaftlichen und künstlerischen Verästelungen wird vor allem anhand von Hauptwerken aller Kunstgattungen dargestellt. Das Themenspektrum trägt sowohl der spannenden Chronologie der Ereignisse – von den Befreiungskriegen über die zweimalige Besetzung Wiens (1805 und 1809) bis hin zur Völkerschlacht bei Leipzig 1813 – als auch einer adäquaten Darstellung des Anteils der Protagonisten in Adel und Bürgertum Rechnung.

„Für das Belvedere war es von besonderer Wichtigkeit, das epochale Ereignis des Wiener Kongresses so breit wie möglich darzustellen, also sowohl seine historisch-politischen als auch seine gesellschaftlich-kulturellen Implikationen“, so Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere und 21er Haus. „Für uns war wesentlich, den kulturellen Niederschlag des Kongresses und die Stimmung der damaligen Zeit auch durch private Leihgaben erfahrbar zu machen. Fündig wurden wir vor allem im Umfeld von direkten Nachfahren der damals beteiligten
Diplomaten und Adeligen. Neben persönlichen Erinnerungsstücken wie Medaillen und Tabatieren werden nun auch das Porträt der Dorothea Prinzessin von Kurland, Herzogin von Dino, Talleyrand-Périgord und Sagan von François Gérard oder jenes des Siegers der  Völkerschlacht bei Leipzig, Karl I. Philipp Fürst von Schwarzenberg, von Johann Peter Krafft zu sehen sein. Besonders freut es mich, dass wir die Partitur der Eroica von Ludwig van Beethoven aus dem Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien für die Ausstellung gewinnen konnten, ebenso wie die prächtig gestaltete Schlussakte des Wiener Kongresses, die natürlich das Kernstück der Ausstellung sein wird“, so Agnes Husslein-Arco. Zu den weiteren Besonderheiten in der Ausstellung zählen das Porträt des damaligen  Außenministers und späteren Staatskanzlers Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich des englischen „Starmalers“ Thomas Lawrence wie auch das überlebensgroße Porträt von Zar Alexander I. von François Gérard aus Schloss Malmaison bei Paris, das sonst kaum auf Reisen geschickt wird.

www.belvedere.at

Wien, 19. 2. 2015