Schauspielhaus Wien und brut starten durch
Oktober 8, 2015 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Das Programm von Tomas Schweigen und Kira Kirsch
Auf dem Schauspielhaus-Plakat ist King Kong mit rosa Brille. Er erklimmt das Burgtheater. Man mixe eben Selbstvertrauen mit Selbstironie meint der neue Intendant Tomas Schweigen dazu. Und packt einen Küchenwecker aus. Man wolle hier weder Zeit noch Nerven der Anwesenden strapazieren, dies übrigens auch der Grund, warum man sich zu dieser gemeinsamen Pressekonferenz entschlossen habe. Ein Zeichen für gegenseitige Neugier statt Neid. Wien scheint zwei bemerkenswerte Theatermacher dazugewonnen zu haben: Donnerstagvormittag präsentierten Schauspielhaus-Chef Schweigen und die neue brut-Intendantin Kira Kirsch ihre Programme. Das brut eröffnet am 30. Oktober, das Schauspielhaus am 31. Oktober.
Schauspielhaus Wien
Gemeinsam mit dem neuen Leitenden Dramaturgen Tobias Schuster stellte der gebürtige Wiener Schweigen sein Team vor. Das siebenköpfige Ensemble besteht aus Simon Bauer, Vera von Gunten, Jesse Inman, Steffen Link, Sophia Löffler, Vassilissa Reznikoff und Sebastian Schindegger. Das Haus, nunmehr wegen flexiblerer Raumlösungen wieder ein Ensuite-Haus, bleibt bei seiner Kompetenz für Ur- und Erstaufführungen; mit sieben Eigenproduktionen will man die Vielfalt des Autorentheaters zeigen, auch als Work in Progress. Das neue Programm widmet sich politischen Fragestellungen zur Zeit, dies so Schweigen „ist die Aufgabe eines zeitgenössischen Theaters“. Das Hans-Gratzer-Stipendium bleibt bestehen, wird durch einen Workshop mit Falk Richter, der auch inszenieren wird, sogar aufgewertet.
Los geht es am 31. Oktober mit der von Schweigen selbst verantworteten Uraufführung von „Punk & Politik“. Der vom Ensemble erstellte Text, das sich bei dieser Gelegenheit in seiner Gesamtheit vorstellen wird, befasst sich mit dem isländischen Punk und Politiker Jón Gnarr, der 2008 „Die beste Partei“ gründete und entgegen aller Erwartungen dem Land Stabilität brachte. Schweigen: „Ein Aufzeigen von Reformperspektiven!“ Mit Chris Thorpes dichtem Theatertext „Möglicherweise gab es einen Zwischenfall“ (Premiere: 6. 11.) wird erstmals ein Werk des in Großbritannien bereits gefeierten Autors auf einer deutschsprachigen Bühne gespielt. Es geht um Schicksalssekunden im Leben von vier Menschen – und wie schön es wäre, für eine ausführliche Reflexion derselben die Zeit anzuhalten. Thorpe wird im November in „Confirmation“ selbst als Hauptdarsteller auf der Schauspielhausbühne stehen.
„Der Grüne Kakadu“ von Arthur Schnitzler wird in einer Version mit zeitgenössischen Texten von Bernhard Studlar uraufgeführt (Premiere: 14. 1.), „unsere Klassikerposition“ nennt Schweigen die Produktion; mit „Imperium“ (Premiere: 25. 2.) ist eine Romanbearbeitung im Programm: erstmals wird Christian Krachts Bestseller in Österreich zu sehen sein. Die Geschichte des Nürnberger Lebensreformers August Engelhardt soll in der Regie von Jan-Christoh Gockel zur schrillen Komödie über religiösen Wahn und Welthandel werden. Gockel gilt als theatraler Experte für Kolonialismus und seine Nachwirkungen. Mit der Uraufführung „Strotter“ am 1. April machen Thomas Köck – einer der vielversprechendsten jungen Dramatiker Österreichs – und Tomas Schweigen nicht nur die Wiener Unterwelt unsicher, sondern auch den Anfang mit einem Projekt, das den Theaterraum verlässt und sich hinaus in die Stadt begibt. Bei der Rauminstallation „Cellar Door“ (Premiere 14. 4.) des schwedischen Installationskünstlers Thomas Bo Nilsson wird das gesamte Schauspielhaus in einen Bühnenkosmos verwandeln. Dabei wird das sich aktuell vorwiegend in Hass-Postings äußernde Aggressionspotenzial einer schweigenden Mehrheit zum Ausgangspunkt räumlicher und szenischer Überlegungen. Man darf gespannt sein auf diese Arbeit eines „Größen-Wahnsinnigen“.
Ein Coup ist in Koproduktion mit den Wiener Festwochen ist gelungen: Falk Richter und Choreograf Nir de Volff werden sich der „Cittá del Vaticano“ annähern. Eine Arbeit, die sich mit dem prägenden Einfluss von Religion und Kirche befasst, aus Workshops in mehreren Ländern entstehen soll, und auch nach der Uraufführung im Mai Work in Progress bleiben wird.
brut
„brut bleibt ein Ort für künstlerisches Abenteuer und Forschung und ein Heimathafen für die freie Szene“, versicherte Kira Kirsch. „Das Haus soll zum Experiment werden und in Diskussion mit der Stadt und seinen Bewohnern treten“. Das brut macht am 30. Oktober seinen Neu-Anfang: Für „We ’ve only just begun – Un-mapping the beginning“ werden „mehr als zwanzig Positionen aus Wien zum Thema Neubeginn und Neustart komponiert“. Mit dabei sind unter anderem Claudia Bosse, toxic dreams, Thomas Edlinger, die Rabtaldirndln, Doris Uhlich, das Grazer Theater im Bahnhof und das Schauspielhaus-Team. Kirsch: „Ein flexibles Format, mit dem Künstler auch auf die Wien-Wahl reagieren können, so sie das wollen.“ Außerdem richtet das rennweg no collective ein performatives Fest unter dem Titel „Part ay“ aus. Parallel dazu lädt am Eröffnungswochenende das Schweizer Theaterkollektiv mercimax in einem „Autoballett“ das Publikum auf die Beifahrersitze von Wiener Autofahrern. „Zu hören sind dabei die Geschichten der Autofahrer, die ihr Verhältnis zum Auto und zur Stadt reflektieren“, so Kirsch, die zuletzt leitende Dramaturgin beim steirischen herbst war.
Dieses und andere Projekte im Stadtraum erhalten das Label „brut+“. So bespielen die New Yorker Performerin Ann Liv Young und der Pianist Marino Formenti ab 16. November in dieser Reihe vier Wochen lang ein leer stehendes Wiener Geschäft mit zweistündigen Performances für jeweils einen Zuschauer, dem sie „auf Augenhöhe“ begegnen wollen. Diese Einzelbegegnungen münden in eine „Revue“ am 12. Dezember. Als erste genreübergreifende Kooperation realisiert das Hamburger Kollektiv geheimagentur ein Wettbüro zwischen brut und der Wiener Kunsthalle Exnergasse.
Uraufführungen und Kollaborationen mit lokalen Künstlern und Institutionen bilden den Schwerpunkt im brut-Programm. Unter anderem entstehen die Musikkomödie „Dr. Kawis Erforschung des Einstellungsinventars der Liebesstile“ des Wiener Künstlers und Queer-Theoretikers Gin Müller mit Barbara Kaiser und Tamara Wilhelm für Dezember sowie ein gemeinsames Weltraumstück der Wiener Autorin Gerhild Steinbuch mit dem Schauspieler Sebastian Straub und der Bühnenbildnerin Philine Rinnert für Jänner. Auch die Wiener Künstler Anne Juren und Michikazu Matsune arbeiten an neuen Projekten für brut. Das Grazer Theater im Bahnhof startet die regelmäßige Reihe „Zu Gast im brut“, moderiert von Pia Hierzegger. Die Präsentation internationaler Produktionen ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil des Programms. So konnte für das zweite Wochenende der Spielzeit der argentinische Theater- und Filmregisseur Federico León für ein Gastspiel mit dem Titel „Las ideas“ gewonnen werden. Außerdem wird das Debütstück des jungen Choreografen Julian Weber gezeigt, in dem Meg Stuart, Nik Haffner und Peter Pleyer zu sehen sind.
Neu sind die Küchenstammtische „Bring your own booze“ – Getränk ist mitzubringen, das brut wird die Gäste mit Essen versorgen. Die Bar trägt ab sofort den Namen „burt“, DJs machen hier Party.
Die Finanzen
Das brut sei von Thomas Frank schuldenfrei übergeben worden, sagte Geschäftsführer Richard Schweitzer. Der Spielort im Konzerthaus-Keller wurde aus inhaltlichen und finanziellen Überlegungen aufgegeben. Etwa 100.000 Euro jährlich könnten dadurch gespart werden. Die Förderung der Stadt Wien beträgt unverändert 1,6 Mio. Euro jährlich, Anträge für Bundes- und EU-Förderungen, diese im Juni allerdings abgeschmettert, wurden erneut abgegeben oder werden vorbereitet. Das Schauspielhaus wurde laut seiner kaufmännischen Leiterin Rita Kelemen von Vorgänger Andreas Beck mit einem Plus von 25.000 Euro übernommen, die Subventionshöhe (1,9 Mio. Euro von Bund und Stadt) ist unverändert geblieben.
Wien, 8. 9. 2015