David Schalko: Bad Regina
März 7, 2021 in Buch
VON MICHAELA MOTTINGER
Ziagts dem Thomas Bernhard die Lederhos’n aus …
Ein Chinese. Eh klar. Erst klonen sie Hallstatt, jetzt kaufen sie gleich einen ganzen Ort. Bad Regina – und ein Schelm, wer da an Bad Gastein denkt, und zwar in der chronologischen Reihenfolge: majestätische Belle-Époque-Hotels am Alpenhang, Thermalquellen in den Hohen Tauern und illustre Gäste von Kaisern bis Krupps, Massenskitourismus, brutalistische Betonklötze, Leerstand, Stillstand …
Dies also die Echokammer, in die sich Fabulierkünstler David Schalko für seinen jüngsten Roman eingemietet hat. „Bad Regina“ ist ebenso ein Lost Place des pittoresken Verfalls, Schalkos Buch eine begnadet gnadenlose Satire auf das Ausverkaufhaus Österreich im Speziellen und des, mag man’s denn so lesen, ethischen Super-Sale Europas im Besonderen.
Zwischen Grand Hotel, Helenenbad und Casino sind noch 46 Seelen verblieben, ein sich selbst in Stasis gegossen habendes Wachsfigurenkabinett, ein Mikrokosmos des Österreichischen. Vom „Nazibrut“-Bürgermeister Zesch bis zur linkslinken Exkommunardin Selma, vom heimatselig kleingeistigen Größenwahn bis zum hart vom Inzest gestreiften Altadel.
Blätternder Putz, bröckelnder Stuck, vernagelte Fenster, vernagelte Köpfe. Zwar kommt der Verwesungsgeruch nur noch aus dem Kabinett von Oma Zesch und nicht mehr aus der Judendeportations-Vergangenheit, aber vom damals vertriebenen Schandor ist noch der Neffe übrig … Und mitten drin, um das Sittenbild zu komplettieren, „der arme Achmed“, der letzte von zehn aufgenommenen und bald wieder abgeschobenen Flüchtlingen, „vor drei Jahren war er als abstinenter und hoffnungsbegabter Syrer nach Bad Regina gekommen“, die restlichen 400 Buchseiten wird man ihn in der einen oder anderen Ecke herumlungern sehen, wo er sich langsam zu Tode säuft.
Wie ein Forscher im Biotop folgt nun Schalko seinem Protagonisten Antiheld Othmar, Biertourengeher zwischen dem um alte Eleganz ringenden Hotel Waldhaus vom Moschinger und der Luziwuzi-Bar vom Tschermak und dessen zänkischer Gattin Karin, benannt nach dem sein Schwulsein offen lebenden jüngsten Bruder Kaiser Franz Josephs – Othmar, immer mit Sehnsuchtsblick auf den Karlsstein zum „Kraken“, seinem im Bergstollen geführten „berühmtesten Klub der Alpen“. Bis aus der großen Party die klassische österreichische Provinzposse wurde.
Der Gottseibeiuns, der umgeht, heißt Chen. Ein Business-Chinese, undurchsichtig wie alle seiner Art, der Haus um Haus, Hof um Hof, Würde um Würde aufkauft, nur um diese dem Verfall anheimzugeben. „Niemand von den Verbliebenen kannte ihn. Niemand wusste, was er vorhatte. Aber alle nahmen sein Angebot an. Irgendwann stand er bei jedem vor der Tür.“ Othmar, wiewohl um nichts weniger desolat als die Kulisse, wird zum Detektiv in Sachen teuflischem Immobilienpakt.
Der morbide Charme der Geschichte, der makabre Dialogwitz, das Höllentempo, in dem zwischen Personen und Situationen gewechselt wird, lassen den grandiosen Drehbuchautor erkennen. Nicht einmal denkt man beim Lesen, das gehört verfilmt. Man kann sich an Schalkos Panoptikum nicht sattsehen: der Zesch-Sohn, der die Selma-Tochter liebt, der Polizist Schleining, der die transsexuelle Petzi/Petra/Peter verehrt, Moschingers in Gewaltfantasien schwelgender Teenager-Sprössling Max, der Ex-Häfnbruder-Priester Helge, der sich auf einem geheimen Rachefeldzug gegen Gott befindet. Was Wunder, legt man im Kopf schon eine Besetzungsliste an.
„Bad Regina“ ist ein Roman, in dem wahnsinnig viel passiert, ohne dass etwas passiert. Wortreich, aber tatenlos schaut man sich hier selbst beim Untergang zu. In der Begegnung Kapitalist vs. Kapitulist steigert sich der Aberwitz Runde um Runde, doch schildert Schalko die ohnmächtige Hilflosigkeit der Angezählten nicht ohne Herzblut. Die Charaktere geraten ihm durchaus zur tragischen Figur, nur dass sie Schalko mittels Situationskomik sofort wieder aus den Seilen holt.

Bild: pixabay.com

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Als wär’s die Neuerfindung der literarischen Gattung parodistische Hommage fallen Thomas-Bernhard’sche Sätze. Dies Fan Moschinger zu danken, der auf eBay für 3000 Euro des Nestbeschmutzers Lederhose ersteigerte, und der, wenn diese tragend, wie eine krachlederne Werkausgabe klingt:
„Der Nationalsozialismus ist die Antwort des Deutschen auf den Vorwurf, ein Langeweiler zu sein. In Österreich hingegen kommt man als Nazi zur Welt. In Österreich ist jeder ein Nazi. Über acht Millionen Einzelfälle! Und jeder in den Hass verliebt.“ – „Wenn das Provinzielle wahnsinnig wird, heißt das Österreich!“ – „Österreich ist kein Land. Österreich ist eine Geisteskrankheit.“ – „Dem Österreicher fehlt ein Gen. Er hat kein Unrechtsbewusstsein. Für den Österreicher kann überhaupt nie die Unschuldsvermutung gelten. Man muss beim Österreicher immer davon ausgehen, dass er schuldig ist.“
Bei derartiger Erregung um die Auslöschung ist Eskalation vorprogrammiert. Die „Lügenpresse“ stürzt sich gleich Geiern auf den einstigen Kurort, und auch „die Hyänen des Landeshäuptlings umkreisten den Kadaver Bad Regina und fragten sich, warum für sie nichts abfiel“. Als Superlativ der Skurrilität – Achtung: Spoiler! – wird in einer Anrainer-Verschwörung Chen per auf Gemeindekosten angemieteten Reisebus entführt, im „Kraken“ will die auf einmal wie zusammengeschweißte Schicksalsgemeinschaft seine sinistren Pläne aus ihm herausquetschen.
Dabei enttarnt sich zumindest der Leserin, dem Leser, wer ein doppeltes Spiel spielt und wer sein eigenes Süppchen kocht. Fulminant, wie die Fäden, die die einen spinnen und an denen die anderen wie Marionetten baumeln, unter Tage zusammenlaufen. Doch längst ist zu vermuten, dass Chen nicht das Zeug zum Mephisto hat, sondern dass da noch jemand im Hintergrund wirken muss. Eine Person, auf die Schalko schon die ganze Zeit Hinweise geliefert hat. Das Ende ist dann friedrich-dürren-matt. Und ob Bad Regina seinem Mzungu entkommen kann, gilt es selber nachzulesen. „Bad Regina“ ist eine wilde Mischung aus Politsatire, Heimatroman und Krimistimmung nach dem Motto: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
„In Österreich ist alles vermodert“, bernhardet der Moschinger einmal. „Selbst der Humor. Der ja keiner ist. Selbst der vielgerühmte Humor ist nichts als Verdunkelung. In Österreich will nichts ans Licht, weil sich der Österreicher nur im Dunkeln als Riese wähnen kann. Der Österreicher hat zu allem ein schlampiges Verhältnis. Alles, was er tut, passiert, um etwas zu kaschieren. Im Gegensatz zum Deutschen, der versucht, alles richtig zu machen. Der Österreicher macht alles falsch. Und das mit allergrößter Lust. Deshalb braucht der Österreicher Humor und der Deutsche nicht.“
Über den Autor: David Schalko, geboren 1973 in Wien, lebt als Autor und Regisseur in Wien. Er begann mit 22 Jahren als Lyriker zu veröffentlichen. Bekannt wurde er mit revolutionären Fernsehformaten wie der „Sendung ohne Namen“. Seine Filme wie „Aufschneider“ mit Josef Hader und die Serien „Braunschlag“ und „Altes Geld“ genießen Kultstatus und wurden mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Im Frühjahr 2019 wurde seine Mini-Serie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ – ein Remake von Fritz Langs berühmtem Film – erstausgestrahlt, eben lief auf der Berlinale 2021 seine neue Serie „Ich und die anderen“. Schalkos letzter Roman „Schwere Knochen“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=29139) ist 2018 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und wurde in dramatisierter Form am Volkstheater Wien uraufgeführt (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=40081).
Kiepenheuer & Witsch, David Schalko: „Bad Regina“, Roman, 400 Seiten.
- 3. 2021