Werk X-Petersplatz: Rocky! Die Rückkehr des Verlierers

Januar 18, 2022 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Boxer auf dem Weg zum populistischen Politiker

Andreas Patton als Rocky. Bild: © Alexander Gotter

Gut gelaunt und gut gekleidet kommt der Schauspieler auf die Spielfläche. Einen Humanisten nennt er sich, so wie wohl auch sein Publikum aus solchen besteht, und wie es sich für Philanthropinnen und Philanthropen gehört, wünscht er dem „kleinen Mann“ eine Ausstiegschance bis zu einem gewissen Grad, der Unterschichtler soll seinem sozialen Erbe entfliehen können. Im hermetischen Andachtsraum der Gleichgesinnten,

wo die Meinung Andersdenkender nicht willkommen ist, werden diese weisen Worte von der ZuschauerInnentribüne her abgenickt. Andreas Patton spielt im Werk X-Petersplatz „Rocky! Die Rückkehr des Verlierers“, inszeniert von Hans-Peter Kellner, der das preisgekrönte Stück von Tue Biering auch vom Dänischen ins Deutsche übersetzte. Die deutschsprachige Erstaufführung ist eine Produktion der Juggernauten in Kooperation mit dem WERK X- Petersplatz.

Der Schauspieler präsentiert auch gleich sein liebstes Paradebeispiel, wenn auch ein fiktives, „Rocky“, den ständigen Verlierer, der dennoch nicht aufhört zu fighten und zu fighten und zu fighten. Animiert von Patton summen alle die legendäre Titelmelodie des Films, eine Zuschauerin fordert Patton auf, „Adrian“ zu rufen. „Ich bin alles andere als Rocky. Ich bin belesen, gebildet, habe Möglichkeiten zu wählen, doch ich kann mich in den Schmerz und die Ohnmacht dieses linkshändigen Losers hineinversetzen“, kontert der – nur um sein Anschauungsobjekt mit dem nächsten Satz schon zu verraten: „Muskeln ohne mentalen Überbau“.

Patton beginnt, die Filmstory nachzuerzählen, und wer die Filmreihe mit Sylvester Stallone immer gemocht hat, muss sich klarmachen, dass es hier nicht darum geht. Ausstatterin Sandra Moser erreicht mit geringsten Mitteln kolossale Wirkung, das Sounddesign von Edgar Aichinger steuert Atmosphäre bei. Patton berichtet vom besten Freund Paulie, von der geliebten Adrian, vom Trainer Mickey (Burgess Meredith unvergesslich), er „läuft“ hinauf zur Liberty Bell. Mit roter Farbe pinselt er Creed an die Wand, der ungeschlagene schwarze Schwergewichts-Boxweltmeister, der hofft bei einem Schaukampf mit lebendigem Sandsack die Leute zu amüsieren.

Fürs Training zerrt Patton ein geschlachtetes Schwein* in den Raum, hat Rocky doch im Schlachthaus die Fäuste schwingen lassen. Trotz FFP2-Maske wittert man den Fleisch- und Blutgeruch. Patton zieht das Schwein an einem Elektrokettenzug hoch. *Die auf der Bühne eingesetzten Schweine wird nach den Vorstellungen in das Wolfsgehege des Wildparks Ernstbrunn gebracht, wo sich das weltweit einzigartige Wolf Science Center der Vet-Uni Wien befindet. www.wolfscience.at    www.wildpark-ernstbrunn.at Der schutzlose Körper, auf den bald eingedroschen wird, ist erbarmungswürdig.

Bild: © Alexander Gotter

Bild: © Alexander Gotter

Bild: © Alexander Gotter

Bild: © Alexander Gotter

Patton wechselt nun vom selbstverständlichen Mitglied der kulturellen Elite im Land zum halbnackten Haudrauf. Die Beinarbeit führt weg vom gutmütigen Trottel, mit einem Mal ist „Rocky! ein Politstück. Und der Protagonist lässt deutlich seinen Hass spüren. Auf die schwarzen Affen, auf die, die ins Land kommen und Unterstützung fordern, während Einheimische sich die Mieten nicht mehr leisten können. „Die Weißen werden überrannt, bis keine mehr von uns übrig sind“, sagt er. Unwillkürlich erinnert man sich an die Kapitolstürmer, den „QAnon-Schamanen“ Jake Angeli, die Staatsverweigerer auf dem Heldenplatz und den rechten, nein: nicht Rand, sondern die rechte Mitte bei den Corona-Maßnahmen-Demos.

Rocky reüssiert, er wird nicht mehr ausgelacht, sondern aufgefordert zu kandidieren. Wenn er es schafft, können andere es auch! Wenn sich die vielen weißen Rockys dieser Welt erheben, sich nicht länger mit ihrer Rolle als Verlierer abfinden und ihre eigenen Wertvorstellungen definieren, wird die Geschichte zum Albtraum des Establishments. „Es ist die Naivität der Politiker, die nicht gesehen haben, was aus uns Rockys wird. Es gibt welche, die kein Recht haben, hier zu sein. Es muss Schluss sein mit den Bimbos und Kanaken in Samt und Seide“, krakeelt Rocky bei einer Wahlveranstaltung. Apollo Creed mit seiner bürgerlichen Attitüde gehört da dazu. Das Stimmvieh hängt an Rockys schiefer Lippe. Vereint in kollektiver Wut, im Demofieber: „Wir sind das Volk!“ Das ist geil.

Selbst die Herzen der Ku-Klux-Klan-Oberschichtstudenten fliegen Rocky zu. Seine Parolen sind einfach, er verkörpert ein kleines, überschaubares Wertesystem, er hat für alles eine simple physische Lösung. Rocky ist längst nicht nur aus dem Zinshaus im ärmeren Viertel, er ist Anwalt, Arzt, Architekt, Polizist, beim Bundesheer. Was Kunst und Kultur betrifft, entsteht eine „Identitätsbewegung für österreichische Interventionen“ … Andreas Patton brilliert als „Schauspieler“ mit seiner intimen, intensiven Art in diesem vielschichtigen Gesellschaftsspiel, dazwischen die Momente martialischer Gewalt.

„Rechtsradikal“, das sagt sich leicht. Karikieren, sich über sie zu belustigen oder sie gar zu verhöhnen, ist mittlerweile kontraproduktiv. Am Horizont zeigt sich eine posthumanistische Epoche und wir im Theater-Safe-Space haben kein Patent mehr darauf, den Humanismus zu verteidigen. Andererseits: Wer seine Toleranz aufgibt, tauscht nur die Rolle mit den Rockys. Rocky, das ist kein Einzelkämpfer mehr, sondern ein ganzes Spektrum der Rechten, das ein dringliches Demokratieproblem widerspiegelt: Auf welche Art, oder überhaupt?, können wir mit jenen kommunizieren, die anderen ethischen Paradigmen folgen als wir?

Am Ende „Schauspieler“ Andreas Patton. Er ist jetzt der Verlierer. Nackt. Gedemütigt und wertlos. Er klassifiziert sich mit roter Farbe in seine Teilstücke, wie’s bei Schlachtvieh getan wird. Er hängt sich, die Füße voran, an den Elektrokettenzug und zieht sich hoch: „Ich bin das Schwein am Haken, die intellektuelle Elite, die er längst mit unsichtbarer Faust zu Boden geboxt hat“, sagt er, und raunt, das Publikum wäre als nächstes dran. Dem gilt es vorzubeugen, indem man auf die Bühne wie in einen Boxring steigt. Bevor die Rockys dort oben stehen – und wir draußen vor der Tür.

Zu sehen bis 22. Jänner.

werk-x.at           Trailer: vimeo.com/654882969

  1. 1. 2022

Die Staatsoper auf ORF III: Spielplanpräsentation 2020/21

April 26, 2020 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Bogdan Roščić spricht über Pläne, Anna Netrebko singt

Bogdan Roščić ist neuer Direktor der Staatsoper. Bild: Regina Aigner/BKA

Mit der Spielplanpräsentation des designierten Direktors Bogdan Roščić für die Saison 2020/21 wird an der Wiener Staatsoper nun offiziell eine neue Ära eingeleitet. Da es dem Haus am Ring #Corona-bedingt nicht möglich ist, diese live abzuhalten, findet die Saisonvorschau erstmals im Fernsehen statt – heute, 21.30 Uhr, ORF III.

Programmatisch setzt Roščić drei Schwerpunkte: Mozart, Wagner sowie jene klassisch gewordenen Opern des 20. Jahrhunderts, die wie eine Brücke sind zwischen der Tradition und den Kompositionen der Zeitgenossen. Der Fokus auf Mozarts Werk bedeutet 2020/21 zunächst das Schließen einer großen Lücke im Repertoire. Seine „Entführung aus dem Serail“, bis ins Jahr 2000 im Haus am Ring fast 700 mal gespielt, wird in Hans Neuenfels’ virtuoser Inszenierung gezeigt.

2021/22 beginnt dann die Erarbeitung einer neuen Da-Ponte-Trilogie in der Regie von Barrie Kosky. Er wird aber auch in der nächsten Spielzeit präsent sein – mit seiner preisgekrönten „Macbeth“-Produktion. Am Beginn der Erneuerung des Wagner-Repertoires steht „Parsifal“ in Zusammenarbeit mit dem russischen Theater-Magier Kirill Serebrennikow. 2021/22 folgt dann „Tristan und Isolde“ mit Calixto Bieito, der aber schon zu Ostern 2021 sein Staatsopern-Debüt gibt – und zwar mit der Übernahme seiner weltweit gefeierten „Carmen“-Inszenierung.

Die klassische Moderne wird vertreten sein durch den Mann, der vielleicht mehr als jeder andere zum Kanon der Oper nach 1945 beigetragen hat: Hans Werner Henze mit „Das verratene Meer“. Eine Saison später folgt das vielleicht wichtigste Werk des 20. Jahrhunderts: Alban Bergs „Wozzeck“ in einer neuen Inszenierung von Simon Stone. Schon im März 2021 debütiert Stone an der Staatsoper mit seiner neuen Inszenierung der „Traviata“, die Bogdan Roščić mit ihm und der Opéra national de Paris produziert hat.

Ans Dirigtenpult kehren kommende Spielzeit vertraute Namen wie Christian Thielemann, Franz Welser-Möst oder Bertrand de Billy zurück. Das im Zentrum aller Planungen stehende Ensemble mit vielen neuen Stimmen wird ergänzt durch die Mitglieder des soeben gegründeten Studios, in dem ganz junge Sängerinnen und Sänger den Anfang ihrer internationalen Karriere setzen. Die Saison 2020/21 ist ebenfalls der Beginn einer neuen Ära für das Staatsballett. Der Schweizer Choreograph Martin Schläpfer übernimmt die Führung der Kompagnie. Seine erste Kreation für Wien ist Mahler gewidmet, dessen 4. Symphonie Schläpfer für die gesamte Kompagnie choreographiert, also für mehr als hundert Tänzerinnen und Tänzer.

Anna Netrebko. Bild: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Jonas Kaufmann. Bild: © Gregor Hohenberg / Sony Classical

Elīna Garanča. Bild: © Paul Schirnhofer / Deutsche Grammophon

Auf ORF III geben neben Bogdan Roščić www.youtube.com/watch?v=kdcXxn-31jk der designierte Musikdirektor Philippe Jordan, zugeschaltet aus Paris, sowie der künftige Leiter des Wiener Staatsballetts Martin Schläpfer, per Videoschaltung aus Düsseldorf, Einblicke in die kommende Spielzeit. In Videoclips berichten auch die Künstlerinnen und Künstler sowie die Regisseure von ihrer bereits angelaufen gewesenen Arbeit an den geplanten zehn Produktionen.

Darunter Anna Netrebko www.youtube.com/watch?v=hMrlVkZuHhg, Jonas Kaufmann www.youtube.com/watch?v=Hzj2PFk1sfc&t=20s, Elīna Garanča www.youtube.com/watch?v=9QmJSBC6Bfk und Asmik Grigorian www.youtube.com/watch?v=mVhLwjAQGag, Barrie Kosky www.youtube.com/watch?v=s0UgNfLl4Mg, Simon Stone www.youtube.com/watch?v=aOUQ_ekTpGQ&t=24s, Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock www.youtube.com/watch?v=UkRVWy1bgHo, Hans Neuenfels www.youtube.com/watch?v=RD6vD2AvtTo, Calixto Bieito www.youtube.com/watch?v=BkWNqhGQIKE, Kate Lindsey und Jan Lauwers www.youtube.com/watch?v=h5dF9vtIyEI&t=88s.

Musikalischer Höhepunkt der Spielplanpräsentation sind drei besondere Auftritte: Operndiva Anna Netrebko gibt Giacomo Puccinis „In quelle trine morbide“ aus „Manon Lescaut“ zum Besten. Die österreichische Mezzosopranistin Patricia Nolz, auch Mitglied des neugeschaffenen Opernstudios, singt „Morgen!“ von Richard Strauss, und der slowakische Bassist Peter Kellner, Ensemble-Mitglied der Wiener Staatsoper, präsentiert die Arie „Se vuol ballare“ aus Wolfgang Amadeus Mozarts „Le nozze di Figaro“. Jendrik Springer, Pianist und Musikalischer Studienleiter der Wiener Staatsoper, begleitet die Solistinnen und den Solisten am Klavier.

Die Sendung wird via TVthek.ORF.at als Live-Stream sowie für sieben Tage als Video-on-Demand bereitgestellt. Sie ist live auf der Klassikplattform www.myfidelio.at und anschließend in der fidelio-Klassithek abrufbar.

www.wiener-staatsoper.at/spielzeit-202021

Die Videos zur Saison 2020/21: www.wiener-staatsoper.at/die-staatsoper/mediathek

26. 4. 2020