Streaming – Bridgerton: Die Serien-Sensation der Saison

Januar 3, 2021 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Colorblind Casting und ein Vergewaltigungsskandal

Simon, der Duke of Hastings, und seine angetraute Daphne im bonbonfarbenen Fairy-Tale-Land: Regé-Jean Page und Phoebe Dynevor. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Als knapp nach Weihnachten die US-Serie „Bridgerton“ auf Netflix ihre Premiere hatte, war das Binge! von den Bildschirmen bis auf die Straßen zu hören. Staffel eins steht komplett online, eine Kostümschmonzette, die Shonda Rhimes mit ihrer Produktionsfirma Shondaland nach den Büchern von Bestsellerautorin Julia Quinn realisiert hat. Quinn, deren historische Liebesromane aus dem britischen Regency wegen ihres frechen Humors, ihrer spritzigen Dialoge und

eines absolut unzeitgemäßen Feminismus Millionen Fans haben. Und so wirkt auch „Bridgerton“, als wäre das „Gossip Girl“ die verloren geglaubte sechste Bennet-Schwester. Die Bridgertons sind sogar acht Geschwister, die’s zwischen Stolz und Vorurteil, Verstand und Gefühl hin und her reißt, mittendrin Eloise, eine wahrhafte Jane-Austen-Figur. Der Rest ist schnell erzählt: In einer bonbonbunten Fairy-Tale-Welt schuftet sich die Londoner High Society durch die Ballsaison anno 1813 – übrigens das Jahr, in dem „Pride and Prejudice“ dereinst erschienen ist.

Ehrgeizige Mütter treiben ihre pubertären Gänse auf den Heiratsmarkt, doch alle Debütantinnen werden überstrahlt von der Anmut Daphne Bridgertons, der sogar Königin Charlotte zugesteht, „ein Diamant erster Güte“ zu sein. Auftritt Simon Basset, seit dem Ableben seines Vaters der Duke of Hastings, und weil er die aufdringlichen Mütter und sie einen ebensolchen Verehrer loswerden will, schmieden Daphne und Simon den sinistren Plan, sich so lange als Turteltauben zu gerieren, bis er Ruhe und sie einen annehmbaren Antrag hat.

Allein, das Experiment läuft aus dem Ruder, das Nicht-Liebespaar, das natürlich totalmente ineinander verschossen ist, landet mit allen erdenklichen Folgen vorm Altar – und über all das und mehr klatscht und tratscht die mysteriöse Lady Whistledown in ihrem Boulevardblättchen, Lady Whistledown eine Whistleblowerin d’amour, die Vorfahrin aller spitzzüngigen Gesellschaftskolumnisten. So weit, so eh schon wissen, würde sich „Bridgerton“ nicht durch eine Wokeness auszeichnen, die in derlei Serien-Paketen selten ist – und sehr, sehr, seehr viel Sex.

Wobei die Objekte der Begierde hier eine ansehnliche Reihe junger Herren ist, die mit blanker Brust und Pobacken glänzen. Allen voran Regé-Jean Page, der als Duke of Hastings so schön ist, wie weiland Denzel Washington als Don Pedro in Kenneth Branaghs „Viel Lärm um nichts“, und Jonathan Bailey als Daphnes großer Bruder Viscount Anthony Bridgerton.

Claudia Jessie als Eloise und Ruth Gemmell als Lady Violet Bridgerton. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

National-Theatre-Star Adjoa Andoh als süffisant spöttelnde Lady Danbury. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Von der lesbischen Othello zu Königin Charlotte: die britische Bühnengröße Golda Rosheuvel. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Die Featheringtons: Polly Walker, Ruby Barker und Kathryn Drysdale als Genevieve. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Fünf Punkte, die „Bridgerton“ besonders machen (Inhalt kann Spoiler enthalten)

1. Das Matriarchat. Rund um den Grosvenor Square regiert das Matriarchat, das heißt eigentlich beginnt dieses schon im Kew Palace, von wo aus Königin Charlotte das Volk im mütterlich festem Griff hat – Schauspielerin Golda Rosheuvel, die Nachrichten aus dem Gemach ihres wegen seiner Stoffwechsel- an einer Geisteskrankheit leidenden Gemahl George III., „Eure Majestät, der König …“, mit einem hoffnungsvollen „Ist er tot?“ quittiert.

Unter ihr herrschen Ruth Gemmell als verwitwete Lady Violet Bridgerton, die ihren Clan mit viel Liebe an die Kandare nimmt, Nachbarin und, da Mutter dreier von der Natur weniger begünstigter Töchter, Rivalin Lady Portia Featherington, verkörpert von Polly Walker, deren liederlich-trotteliger Ehemann das Familienvermögen verspielt und verhurt – und die unvergleichliche Großmeisterin des süffisant spöttelnden Smalltalks, Adjoa Andoh als Lady Danbury, die Klein-Simon großzog, da sein Vater das vor Angst stotternde Kind aus den Augen haben wollte.

Die nächste Generation ist nicht minder frühemanzipiert: Claudia Jessie als Freigeist Eloise Bridgerton, die an die Universität statt unter die Haube will, ihre beste Freundin Penelope Featherington, Nicola Coughlan, der Verstand vor Gewicht geht, und schließlich Anthonys Affäre, die selbstbewusste Opernsopranistin Siena Rosso, Sabrina Bartlett, und die geschäftstüchtige Modemacherin Genevieve Delacroix, Kathryn Drysdale – die noch dazu ein nächtliches Doppelleben führt, infolgedessen sie Sohn Nummer zwei Benedict Bridgerton bei einer Party von dessen bisexuellem Hofmaler-Freund zu ihrem Geliebten macht.

Die ärmliche, vom Land in die Stadt verfrachtete Featherington-Cousine Marina Thompson, Ruby Barker spielt die Schönheit, weigert sich trotz geheim gehaltener Schwangerschaft den Nächstschlechtesten zu ehelichen, stattdessen stürzt sie sich im Wortsinn auf den dritten Bridgerton-Bruder, den unschuldigen, den naiven Colin … Jede dieser Frauen hätte das Zeug dazu, Lady Whistledown zu sein.

2. Das Colorblind Casting. Die Ensemble-Diversität in „Bridgeton“ lässt die Frage nach Hautfarbe gar nicht erst aufkommen. Showrunner Chris Van Dusen hat quer durch den britischen Adel weiße und nicht-weiße Schauspielerinnen und Schauspieler besetzt. An britischen Theaterhäusern, von denen etliche der Engagierten kommen, hat das Colorblind Casting eine lange Tradition, siehe die Rezensionen von www.mottingers-meinung.at über das Londoner Shakespeare’s Globe Theatre beim Art Carnuntum Festival.

Die Besetzung der People of Color wurde als ein Statement getroffen, so Van Dusen, angefangen bei der renommierten Theaterschauspielerin Golda Rosheuvel, zu deren Bühnen-Credits „Macbeth“, „Romeo und Julia“ und 2018 eine lesbische „Othello“ zählen. Hier ist sie Königin Charlotte, über deren „afrikanisches Antlitz“ Zeitgenossen tatsächlich munkelten, und das Historiker heute auf die portugiesische Linie der von Mecklenburg-Strelitzens zurückführen.

Dieser Aspekt immerhin schien Van Dusen so bemerkenswert, dass er die historische Persönlichkeit ins Setting einführte, in den Büchern kommt die Königin nämlich nicht vor, in der Serie leitet Rosheuvel den Cast an – von Regé-Jean Page bis Adjoa Andoh, von Ruby Barker bis zu Simons Freund und Boxtrainer, Martins Imhangbe als Will Mondrich, und Simons Butler, Jason Barnett als Jeffries. Kathryn Drysdale ist topaktuell für die Rolle der Meghan Markle im Gespräch.

Anthony Bridgerton ist soeben dem Bett seiner Mätresse entstiegen: Jonathan Bailey. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Serien-Beau Regé-Jean Page als Simon Basset, Duke of Hastings, in ähnlicher Situation. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Daphne erprobt ihre Verführungskunst: Phoebe Dynevor und Regé-Jean Page. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Der Höhepunkt der Vergewaltigungsszene: Regé-Jean Page sorgt für Skandal. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

3. Der Vergewaltigungsszenen-Skandal. An Liebesszenen wird in „Bridgerton“ nicht gespart, vor allem zwischen Daphne und Simon. Nicht nur erklärt er ihr, wie man die Wonnen des Orgasmus für sich allein entdecken kann, sie zieht ihn mit ihren Blicken quasi aus, bevor er es selber tun kann. Ob Beau Page nun lasziv einen Eislöffel ableckt oder beim Training im Boxring seine Muskeln spielen lässt, in „Bridgerton“ ist fürs weibliche Herz allerhand dabei. Eine Szene mit der zauberhaften Phoebe Dynevor erregt allerdings die männlichen Gemüter – und nein, nicht so.

Daphnes sexuelle Erweckung ist einer der wichtigsten Themenstränge der Serie. Von Mama und ihrer Herumdruckserei denkbar unaufgeklärt, sagt ihr Simons Verhalten knapp vor dem Kommen, sich wegdrehen und in ein Taschentuch stöhnen, erst nichts. Der Herzog hat vor seinem sterbenden, ihm verhassten Vater den Schwur getan, die Hastings aussterben zu lassen, heißt: niemals ein Kind zu zeugen, daher der Hang zum Interruptus.

Es bedarf der Kammerzofe Polly, um ihrer Herrin zu erklären, wie das mit den Bienen und Blüten funktioniert, also inszeniert Daphne einen Samenraub de luxe, sie dreht den Spieß ist gleich die Beischlafpositionen um, und so kann Simon noch so sehr ums „Bitte aufhören!“ betteln, der Höhepunkt steht wie eine Eins. Skandal, skandiert’s nun durch die Social Media, eine Vergewaltigungsszene wird vom Publikum bagatellisiert. Im Roman war’s noch ärger, da machte Daphne Simon sogar betrunken und willfährig – tja …

4. Julie Andrews. Wem’s irgend möglich ist, der sollte sich „Bridgerton“ im englischen Original ansehen. Julie Andrews näselt sich als Lady Whistledown aus dem Off very british durch deren boshafte kleine Sticheleien, auch Eloise hat ein entzückend loses Mundwerk, und überhaupt sind die Dialoge im O-Ton ein so rasantes wie sarkastisches Ping-Pong-Spiel. Und siehe: Plötzlich ist „Bridgerton“ eine Serie, die sich so gar nicht todernst nimmt. Wenn Frauen die Tuscheltrommel rühren, um die hochfahrenden, allerdings hirnrissigen Pläne der Männer samt und sonders zu ruinieren …

Penelope Featherington wird noch eine wichtige Rolle spielen: die wunderbare Nicola Coughlan. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

5. Die zweite Staffel. Ist in Planung, die Dreharbeiten sollen im März starten, laut Gerüchten aber ohne Daphne und Simon. In Julia Quinns Buchreihe hat die Autorin jedem der acht Bridgerton-Kinder einen Roman gewidmet. In Band zwei ist ergo Anthony an der Reihe, dem auf dem Bildschirm die wegen seiner Hop-on-Hop-off-Liebe erzürnte Siena gerade die Tür vor der Nase zugeschlagen hat. Erzählenswert ist zweifellos aber auch die Geschichte von Eloise, die nach Daphne in Season 2 in die Gesellschaft eingeführt werden

soll, dies aber um die Burg nicht will. Francesca Bridgerton, die zweitjüngste Tochter, kehrt in den letzten Minuten der Staffel eins erst aus Bath zurück, über sie weiß man also noch gar nichts. Und auch die heillos in Colin verliebte Penelope ist der Aufmerksamkeit wert. Und last, but not least gilt es nach wie vor die Identität der Lady Whistledown aufzudecken.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=gpv7ayf_tyE           www.youtube.com/watch?v=XM8-Q_dssYI           www.netflix.com

  1. 1. 2021

The Show Must Go On! Jesus Christ Superstar online

April 11, 2020 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Rockopernklassiker goes Heavy Metal

Im Konflikt zwischen Judas und Jesus kommt es zu ernsten Handgreiflichkeiten: Tim Minchin und Ben Forster. Bild: Rudolf Mottinger © Jesus Christ Superstar Live Arena Tour, 2012

Genre-Godfather Andrew Lloyd Webber hat die Verkündigung wahr gemacht, seine berühmtesten Musicals auf dem Youtube-Channel „The Show Must Go On!“ kostenlos zu streamen, zum Wochenende je ein neues, und am Karfreitag war das selbstverständlich eine Bühnenproduktion von „Jesus Christ Superstar“, die nun bis inklusive Ostersonntagabend online ausgestrahlt wird.

Und siehe: Das britische Arena-Spektakel aus dem Jahr 2012, über das nach der Premiere im O2 auch hier zu lesen stand, die Darsteller hätten ihr Kreuz damit, den Dome stimmlich und schauspielerisch zu füllen, hat auf Film gebannt von Regisseur Laurence Connor, er auch beteiligt gewesen an „Les Misérables“ mit Hugh Jackman und Russell Crowe, punkto Intensität und Emotion nur gewonnen.

Connor zeigt eine couragiert zeitgemäße Aufführung, sein Heiliges Land findet ein Äquivalent in der Anonymous-Bewegung, klar, alles ist heut‘ global issue, und das Apostelkollektiv wär‘ jetzt vielleicht eins aus Hacktivisten. Auf Vidiwall und Showtreppe tanzen Guy Fawkes mit Antikriegs-, Antikapitalismus-, Klimademonstranten, Jesus‘ Feuer und Schwert ist nun ein Megaphon, die Szenerie bereit für den Aufstieg eines politisch Aufständischen, der den Status Quo staatlicher Autorität gefährdet. Zwischen Anarchy-Tags und „Rome lies“-Schildern kommt es zur Straßenschlacht. Die „The Twelve“-Revolutionsfaust erhebt sich, der Rockopernklassiker goes Heavy Metal.

Dies dank der musikalischen Leitung von Louise Hunt, die mit der neunköpfigen Band die Ausdrucksstärke der Webber’schen Partitur wohl zu bedienen weiß. Die tragische ménage à trois aus von seiner Aufgabe erschöpftem Jesus, sehnsüchtiger Maria Magdalena und einem leidenschaftlich aufbegehrenden Judas gestalten Ben Forster, Melanie C und Tim Minchin, die Kritik weiland unverhältnismäßig unfreundlich zum Heiland, dessen Sieg in der UK-TV-Talentshow „Superstar“ für mehr als ein schales Witzchen herhalten musste.

Melanie C als Mary Magdalane. Bild: Rudolf Mottinger © Jesus Christ Superstar Live Arena Tour, 2012

Ben Forster und Tim Minchin. Bild: Rudolf Mottinger © Jesus Christ Superstar Live Arena Tour, 2012

Chris Moyles als Showmaster King Herod. Bild: Rudolf Mottinger © Jesus Christ Superstar Live Arena Tour, 2012

Tatsächlich ist Forster ein sinnlich-sanfter Erlöser mit samtiger Stimme und schöner Höhe. Den Auftritt im Tempel schafft er zwar nicht Ted-Neeley-like, dafür ist sein hingerotzter Gethsemane-Song wütend, anklagend und mit fabelhaftem „Alright, I’ll die!“-Hohem-C. Dass dieser Messias mit dem Ex-Spice-Girl als Mary Magdalane eine übers geistliche hinausgehende Liebesbeziehung hat, machen die beiden in ihren Blicken und Gesten deutlich, Melanie C, die sich beseelt die Schminke aus dem Gesicht wischt, und deren smoother Gesang am besten beim melancholischen „I Don’t Know How to Love Him“ zur Geltung kommt. Kaum je konnte eine bei voller Kraft so erotisch wispern.

Das Ereignis des Abends ist allerdings der australische Comedian, Komponist und – wie passend für den Part – Vertreter des internationalen Skeptikernetzwerks CSI Tim Minchin als Judas. Er fährt mit vollem Gefühl in diese Figur ein, die nicht nur nach der Nikos-Kazantzakis-Tim-Rice’schen Lesart vom Menschensohn mit dem Verrat beauftragt wurde, damit Seine Mission gelinge, und sich dennoch erhängen muss. Angetan mit Dreadlocks, Punklidstrich und Palästinensertuch kann er Verstocktheit, wilde Verzweiflung, Revolte – seine Stimme eine Hetfield-Röhre, in Höchstform beim Last Supper, seinTo Think I Admired You“ wie vor die Füße gespuckt, sein „Does He Love Me Too?“ ein Schmerzensschrei.

Ist Judas der Fundi, so Giovanni Spano als Simon Zealotes der Realo, der zum PR-Manager und bei „Christ, You Know I love You“ zum Massenanheizer wird, und mit riesigen Parteiplakaten zum „Believe“ auffordert. Rundum agiert ein großartig diverses Ensemble. Pete Gallagher und Gerard Bentall, der eine mit bedrohlichem Bass, der andere vipernhaft vibrierend, sind als Caiaphas und Annas Eminenzen im grauen Anzug, deren Businessmen-Priester gelangweilt die Financial Times durchblättern, Broadway- und West-End-Star Alexander Hanson wechselt als Pontius Pilate von der Richterrobe zum Trial in den Sportdress, alle drei sind sie süffisante Populisten und Volksverdreher.

Die Jesus-Aktivisten protestieren vorm Jerusalemer Tempel. Bild: Rudolf Mottinger © JCS Live Arena Tour, 2012

I Don’t Want Your Blood Money: Tim Minchin. Bild: Rudolf Mottinger © Jesus Christ Superstar Live Arena Tour, 2012

I Don’t Know How to Love Him: Melanie C und Ben Forster. Bild: Rudolf Mottinger © JCS Live Arena Tour, 2012

Simon Zealotes wird zum PR-Manager des Christus-Kults. Bild: Rudolf Mottinger © JCS Live Arena Tour, 2012

Wobei bezüglich Letzterem Chris Moyles als King Herod den Vogel abschießt. Der hauptberufliche Radio- und Fernsehmoderator macht auf der Bühne ebendieses, er gibt den Statthalter von Roms Gnaden als TV-Spielshow-Host im roten Samtoutfit, dessen Abendunterhaltung nicht nur aus einem Buzzer-Quiz für Jesus besteht, sondern der auch das Publikum zur SMS-Abstimmung aufruft: „Is he the Lord or a fraud? Text to phonenumber …, see you after the break!“ Hinreißend, wie er dem auf den Gamestuhl gefesselten Christus das befohlene „Walk Across My Swimming Pool“ via Einspielung vortrippelt.

Dramatisch dicht und voller Fingerzeige geht’s Golgatha entgegen. „Poor Jerusalem“ ist bevölkert von Obdachlosen und Bettlern, die auf Schwarzweiß-Bildern moderne Metropolen durchwandern, Peter’s Denial findet nicht an einer Wasserstelle in der Wüste statt, sondern an einer brennenden Mülltonne, einer Wärmestelle für gestrandete Existenzen. Im The-Temple-Club gibt’s Poledance und Toy Boys, einen Drag-Teufel und sexy Dessous-Engelchen, die auch den nunmehrigen „Kill-Your-Idol“-Rockstar Judas bei seinem „Jesus Christ Superstar“-Hit umschwärmen werden. BeimCould We Start Again, Please“ legt Maria Magdalena bereits Petrus den Mantel um. Als wüsste sie, dass er der kommende Kirchenmann ist.

Bloody brilliant ist das alles – und wie eine Zuseherin im Live-Chat schrieb: Please, let’s do this every Good Friday! Am Ende, und das kommt – einziger Einwand – zu unwürdig gewimmert, wird das Lamm Gottes von seinen Jüngern vom Kreuz genommen und in einer Prozession weggetragen. Bis morgen. Zur Auferstehung. Dem Urgrund des christlichen Glaubens.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=OGhnaIw20Ho           www.youtube.com/watch?v=_ZCx3WFw_QI

Die ganze Show: www.youtube.com/channel/UCdmPjhKMaXNNeCr1FjuMvag           www.youtube.com/watch?v=GpO4ohqx3os

www.jesuschristsuperstar.com           www.andrewlloydwebber.com

  1. 4. 2020

Art Carnuntum: “The Taming Of The Shrew”

August 7, 2013 in Bühne

Acht Frauen als achtbare Mannsbilder

Wer braucht schon einen Mann? Katherina bestimmt nicht. Oder doch? Piero Bordin holte diesen Sommer zum zweiten Mal Shakespeare’s Globe Theatre aus London ins römische Amphitheater nach Carnuntum.

Bild: (c) Art Carnuntum / Helena Miscioscia

Bild: (c) Art Carnuntum / Helena Miscioscia

Nach dem wunderbaren „King Lear“ im Juni stand nun die Komödie „The Taming Of The Shrew“ (Der Widerspenstigen Zähmung) auf dem Spielplan. Einst wunderbar verfilmt mit Liz Taylor und Richard Burton, zum Musical „Kiss me, Kate“ verarbeitet, war es diesmal nicht notwendig bei Shakespeare nachzuschlagen. Das großartige Ensemble spielte, wie es sich der britische Barde wohl gewünscht hätte. Regisseur Joe Murphy erlaubte sich einen fabelhaften Einfall. Weil zu Shakespeare’s Zeiten ja nur Männer auf der Bühne standen, ließ er die Rollen (viele Darstellerinnen in mehreren) ätsch ausschließlich von Frauen spielen. Welch ein Kick! Und weniger eine „emanzipatorische“ Idee, als eine die die Schwächen des starken Geschlechts umso intensiver entlarvte. Karikierte. Außerdem aber zeigte, dass es ohne „ihn“ auch wiederum nicht geht. Frau muss halt Geduld haben …

In einem Zirkuszelt mit zwei Galgenstricken, die Kostüme im Stil der 20er-Jahre mit Charleston-Kleidchen und Strohhut, mit Anklängen an das englische Jagd-Outfit mit roter Jacke und schwarzer Kappe, mit Gesang und Musik von Harmonika bis Saxophon – immer wieder erstaunlich, wie vielseitig begabt das Globe-Ensemble ist – begann das Spiel, in dem mehr Intrigen gesponnen werden (etwa den reichen „Lucentio“ Becci Gemmell, der sich als Lehrer und seinen Diener „Tranio“ Remy Beasley als sich ausgibt, um unauffällig um Bianca zu werben), als in den Königsdramen. Die Handlung in Kürze: Der reiche Baptista (Kathryn Hunt) hat zwei Töchter – die liebreizende Bianca (Olivia Morgan), um die sich Dutzende Ehewillige scharen, und Katherina (Kate Lamb), mit einer Zunge, scharf wie ein Schwert. Baptista hat verfügt, dass erst die ältere Kate verheiratet sein muss, bevor Bianca vor den Altar treten darf. Und so holt man einen ebenbürtigen Gegner als potentiellen Gatten: Petruchio (Leah Whitaker).

Die „Globe“trotterinnen sind mit so viel Freude bei der Sache, dass sich der Spaßvirus in Sekundenschnelle aufs Publikum überträgt. Selten ein Theater(zelt) in so ausgelassener Stimmung erlebt! Noch dazu, wo die Komödie in Originalsprache so richtig frivol zur Sache geht. Ein Beispiel: Petruchio: „Who knows not where a wasp does wear his sting? In his tail.“ Katherina: „In his tongoe.“ Petruchio: „Whose tongue?“ Katherina: „Yours, if you talk of tales, and so farewell.“ Petruchio: „What, with my tongue in your tail? Nay come again, Good Kate, I am a gentleman.“ Katherina: „That I’ll try.“ Sie ohrfeigt ihn. Ohne Oralsex. Kate Lamb und Leah Whitaker sind im Infight ein Traumpaar. Feuer und Feuer wird zum Feuerwerk. Sie, die Schreckschraube, die wild cat, „er“ ein hochtrabender, selbstsicherer Angeber, eine echte Teufelskerlin, die zur Schmach aller zur Hochzeit im himmelblauen Anzug mit rosa Luftballons, betrunken mit leerer Champagnerflasche, mit Bierdosen scheppernd antritt. Kathryn Hunt spielt dazu einen Baptista und Petruchios Motorradmechaniker Grumio mit einer Stimme, die wohl den edelsten aller Recken das Fürchten lehren würde. Remy Beasley als Tranio ist der eigentliche Motor der Handlung. Wie sie von Rolle zu Rolle die Situation meistert, wie sie angeberisch, unterwürfig, sich ihres niederen Standes bewusst offensiv reagiert, ist fast schon modern. Ein Extra-Bravo!

Apropos, modern. Das Ende ist bekannt. Von drei herbeigerufenen Ehefrauen bei Biancas Hochzeit mit Lucentio erscheint nur Kate, sogar bereit, ihre Hand unter ihres Gatten Fuß zu legen. Da hätte sich frau – ohne Shakespeare zu vergewaltigen – einen feministischeren Schluß gewünscht. Eine Geste, einen Blick. Der sagt: Na, warte, meine Retourkutsche wird noch vorfahren …

www.artcarnuntum.at

www.mottingers-meinung.at/art-carnuntum-king-lear

Von Michaela Mottinger

Wien, 25. 7. 2013