VON MICHAELA MOTTINGER
Ein prüder Brite spielt Nick Hornbys „Nipple Jesus“

Jesse Inman
Bild: Matthias Heschl
Mit Nick Hornbys Monolog „Nipple Jesus“ erweitert das Schauspielhaus sein englischsprachiges Programm. Jesse Inman, gebürtiger Brite und im Spätsommer mit Tomas Schweigen nach Wien gekommen (mehr: www.schauspielhaus.at/team/jesse_inman), spielt ab 18. Februar im Nachbarhaus einen Türsteher, der engagiert wird, um ein umstrittenes Kunstwerk zu bewachen: Eine Christusdarstellung, die sich bei näherer Betrachtung aus Fotos von Brüsten zusammensetzt.
Nick Hornbys lustvolle Auseinandersetzung mit moderner Kunst und ihrer Rezeption, gesellschaftlichen Moralvorstellungen und Nacktheit gilt in England längst als Klassiker. Regie führt Günther Grosser. Künftig wird es am Haus mehr Angebot auf Englisch geben (www.schauspielhaus.at/spielplan/englischsprachiges_programm). Neben Aufführungen mit Übertiteln und Gastspielen richtet sich auch die neue Lesereihe „Sprachwelten“ an Menschen, die sich in mehreren solchen bewegen. Am 18. April starten die „English Mondays“, bei denen Jesse Inman und Noëmi Steffen zu szenischen Lesungen zeitgenössischer englischsprachiger Dramatik bei Schwarztee, Chips und Bier ins Nachbarhaus einladen. Jesse Inman im Gespräch:
MM: Ich würde nicht fragen, wenn Sie nicht Brite wären: Kennen Sie Nick Hornby persönlich?
Jesse Inman: Nein. Ich hoffe, dass er zur Premiere nach Wien kommt. Regisseur Günther Grosser hat ihn eingeladen, und ich weiß, dass er das Stück schon in Deutschland auf Deutsch gesehen hat, aber noch nie auf dem Kontinent in Englisch. Mal sehen.
MM: Ich habe Sie jetzt zwei Mal gesehen, in „Punk & Politik“ und in „Der grüne Kakadu“, und ich habe das Gefühl, Sie haben einen sehr eigenen Humor.
Inman: Ja, vermutlich, den sagt man mir nach. Ich kann sehr lachen über Dinge, die irgendwie abgefahren sind. Ich denke, dass das zu Nick Hornby ganz gut passt. Ich habe ein Bühnen-Alter-Ego, dass der Figur in „Nipple Jesus“ nicht unähnlich ist. Privat bin ich ein zurückgenommener Mensch, aber wenn die Musik in der Arena spielt, muss ich …
MM: Rausgehen und Spaß haben?
Inman: Ja, als Schauspieler kann ich das. Dazu ist dieses Solo sehr geeignet. Ich mag die Intimität kleiner Räume. Ich liebe es, den Zuschauern ins Gesicht zu schauen und direkt zu ihnen zu sprechen, ich mag es, auf der Bühne eine Atmosphäre zu erzeugen, die dem Publikum verdeutlicht, dass wir gemeinsam einen Abend kreieren.
MM: Der Mann, den Sie spielen, Dave, beschützt ein Kunstwerk, den „Nipple Jesus“, das an Ende zerstört wird. Was ihn mehr stört, als die Künstlerin. Denn sie sagt, es wäre ihr nicht so sehr um den „Wert“ ihrer Kunst als um die Reaktion des Betrachters gegangen. Wie finden Sie das?
Inman: Es geht immer um die Reaktion des Betrachters, damit bin ich völlig einverstanden. Das ist der Grund, warum ich Theater mache. Ich bin nicht der clever-geschliffene Schauspieler, aber ich liebe es, Geschichten zu erzählen. Ich will als Schauspieler ehrlich und authentisch sein und so Emotionen schaffen. Egal, ob sie Freude oder Traurigkeit oder Ärger sind. Das Wichtigste für mich ist, dass das Publikum bewegt ist – im einen oder anderen Sinne.
MM: Sie sind aus Birmingham, wie Barbara Cartland oder Geezer Butler. Sie spielen auch Gitarre?
Inman: Welche eine Kombination, nicht wahr? Ja, ich spiele sehr viele Instrumente sehr schlecht. Ein bisschen E-Gitarre, ein bisschen Bass. Ich kann auch die singende Säge, das macht Spaß! Das habe ich für eine Produktion von Tomas Schweigens Kompagnie „Far A Day Cage“ gelernt. Ich kam da rein und jeder konnte ein Instrument spielen, also haben sie für mich auch eines ausgesucht, in jedem Stück ein anderes und so kommt es, dass ich sehr viele Instrumente sehr schlecht spiele.
MM: Und Sie können Feuerspucken. Wo lernt man das? Im Zirkus?
Inman: Nein, mit einem Freund als Teenager in Birmingham. Das ist eine furchtbare Geschichte. Ich habe es schon lange nicht mehr gemacht, weil sich dieser Freund bei einer gemeinsamen Strandshow in Thailand schwer verletzte. Ich habe ihn schnell ins Meer gestoßen, um noch Schlimmeres zu verhindern – und seither habe ich nicht mehr zum Flüssigbrennstoff gegriffen, sondern arbeite wenn mit einem Pulver.
MM: Wie sind Sie von Großbritannien nach Deutschland und schließlich Österreich gekommen?
Inman: Ich war schon in Birmingham Schauspieler, habe es aber 2003 verlassen, weil ich wegen einer Frau nach Berlin übersiedelt bin. In Großbritannien habe ich nicht an großen, etablierten Häusern gespielt, sondern bei einer Truppe, die mit einem Zelt über Land gezogen ist …
MM: Also doch Zirkus!
Inman: Stimmt, ein wenig. Von dort habe ich meine Ausbildung. Ich habe auch sozialpädagogisches Theater gemacht, unter anderem mit psychisch Kranken, dann bin ich nach Deutschland gegangen und dachte, ich werde nie wieder als Schauspieler arbeiten, aber es gab sehr viele Chancen in Berlin für mich, mehr als in Birmingham. Und so bin ich dort in die englischsprachige Theaterszene eingetaucht. Ich kam dann durch eine Audition an Tomas Schweigen – und ihm folge ich jetzt von Ort zu Ort, seit elf Jahren. Wir haben einer des anderen Humor sofort verstanden, was ja auch keine Selbstverständlichkeit ist.
MM: Ist es einfacher oder schwerer hierzulande Theater zu spielen als in England?
Inman: Man hat mir über das Wiener Publikum ja schon im Vorfeld viel erzählt und manches hat sich bewahrheitet. Was ich liebe, ist die Ehrlichkeit hier. Wenn die Leute etwas mögen, dann lassen sie es dich spüren, dann rufen sie dich zum Applaus raus, drei Mal, vier Mal. In England wird kurz applaudiert und dann ins Pub gegangen, egal, ob es ihnen gefallen hat oder nicht. Andererseits teilen dir die Wiener Zuschauer auch beinhart mit, wenn ihnen etwas nicht gefallen hat.
MM: Was erwarten Sie bei „Nipple Jesus“?
Inman: Ich habe „Nipple Jesus“ bei einem kleinen Theaterfestival in Irland gespielt. Vor lauter netten alten Ladys, die das Stück die ganze Zeit kommentiert haben. Wir waren damit auch auf Jahrmärkten und in Zelten auf Parkplätzen, das war lustig, und die Reaktionen waren immer gut. Nur zwei Mal hat man uns gesagt: No Way! Und wir sagten, aber das Stück verletzt niemandes religiöse Gefühle, es geht um Sinn und Unsinn von Kunst. Und der Veranstalter sagte: Das ist mir egal, es heißt „Nipple Jesus“, vergesst es.
MM: Damit wollen Sie sagen, Sie haben Erfahrung mit dem Stück in katholischen Ländern?
Inman: Nein! (Er lacht.) Ich bin zuversichtlich, dass es gut angenommen wird.
MM: Fühlen Sie sich in Wien schon ein wenig zu Hause?
Inman: Vom Gefühl her bereits sehr, was das Geografische betrifft, versuche ich mich immer noch zu orientieren. Ich suche noch „meine kleine Ecke“, aber wir haben, seit wir hier angekommen sind, so viel gearbeitet, dass ich kaum dazugekommen bin, mich in der Stadt umzusehen. Ich war in ein paar Museen und will demnächst ins Schmetterlingshaus, falls es einmal offen hat, wenn ich dort bin. Ich war auf dem Beethovenweg in Nußdorf spazieren, ich war auf der Donauinsel – und obwohl ich britisch-prüde bin ganz kurz nackt baden … Als ich vergangenen August hier ankam, fand ich die Stadt allerdings schwierig.
MM: Warum?
Inman: Es klingt lächerlich, aber mir kam nach drei Jahren Basel plötzlich alles so groß vor. So viele Menschen, so viel Lärm, ich war richtig überwältigt. Die Menschen hier haben einen trockenen Humor und den können sie dir sehr hart um die Ohren werfen. Ich bin Radfahrer und versuchte immer noch das hiesige Radwegenetz zu durchschauen. Was denken Sie, wie oft ein Autofahrer neben mir das Fenster runterkurbelt und etwas in einem Dialekt rausschreit, den ich sowieso nicht verstehe. Ich komme dann immer ganz zittrig ins Theater, aber die österreichischen Kollegen wie Sebastian Schindegger sagen, ich soll mich vom Temperament der Leute hier nicht irritieren lassen.
MM: Was ist mit Film? Haben Sie den derzeit zurückgestellt?
Inman: Ich würde schon gern, habe aber keine Angebote. Ich hätte große Lust, ein paar österreichische Produzenten kennenzulernen, um der britische Parade-Spion der hiesigen Film- und Fernsehwelt zu werden. Also, ladet mich zu Castings ein!
MM: Sie wissen, warum ich frage: von wegen britisch-prüde? Sie waren zuletzt in zwei außergewöhnlichen Filmen: In Julie Delpys „The Countess“ als König Matthias von Ungarn und in Lars von Triers „Nymphomaniac“. Wie war das?
Inman: Ich weiß gar nicht, ob ich das erzählen kann. Ich mag es wirklich nicht, mich auszuziehen, und immer muss ich es. Ich kam also ans Set als „Man D“ und Stacy Martin hatte als junge Joe schon mit allen Sex gehabt. Man sagte mir: Jesse, mach‘ deinen Text und kümmere dich nicht um den Rest, wir haben einen Pornodarsteller und dessen Penis wird dann im Film zu sehen sein. Der Mann war ein wunderschöner, bronzegebräunter Riese ohne ein Körperhaar und ich dachte, das klappt nie. Hat es auch nicht. Nach dem Dreh kam Lars von Trier zu mir und fragte: Jesse, würde es dir was ausmachen, dich doch auszuziehen? Ich saß da in einem kleinen Slip und Lars stand vor mir und ich konnte nicht Nein sagen. Zwanzig Leute am Set, es war kalt, man hat mich mit eisigem Wasser bespritzt. Was soll ich sagen? Es war nicht meine „größte“ Leistung … Oh mein Gott, das können wir so nicht schreiben.
MM: Aber sicher. Jetzt wissen die Leser, Sie mögen es bloody and rare. Was anderes: Was erhoffen Sie sich von Ihrer Zeit am Schauspielhaus?
Inman: Worauf ich immer hoffe. Ich möchte eine einzigartige Arbeit abliefern, die sich nicht zu ernst nimmt, weil ich das selber auch nicht tue. „Far A Day Cage“ war meine Familie und ich war traurig, als dieses Theaterprojekt zu Ende gegangen ist. Nun hoffe ich, hier am Schauspielhaus eine neue Familie zu finden. Und die Chancen stehen gut dafür. Alle hier sind so nett und so interessiert am Theater. Jeder hat seinen eigenen Zugang und das macht unser Zusammentreffen so bunt und vielfältig. Ich hoffe, dass wir diese Gelegenheit nutzen und für das Publikum etwas ganz besonders schaffen.
MM: Wir in Wien schaffen uns gern Publikumslieblinge. Sie hätten das Zeug dazu. Wäre das was?
Inman: Da kommen wieder die zwei Seelen in meiner Brust ins Spiel. Ich würde es absolut lieben, denn wie jeder Schauspieler habe ich ein enormes Ego. Andererseits kann ich mit Komplimenten nicht so gut umgehen. Publikumsliebling zu sein, würde mich also verunsichern, aber auf wirklich nette Art.
www.schauspielhaus.at
Wien, 12. 2. 2016