Wienbibliothek im Rathaus: Die Hochzeit von Auschwitz

Juni 28, 2022 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Nachlass des Widerstandskämpfers Rudolf Friemel

Hochzeitsfoto Margarita Ferrer Rey und Rudolf Friemel, 18. März 1944 © Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Rudolf Friemel

Obwohl der Wiener Rudolf Friemel (1907–1944) zu den österreichischen Auschwitz-Häftlingen zählte und seine Biografie ein wichtiges Zeugnis des politischen Engagements gegen den Faschismus ist, war seine Geschichte lange nur wenigen bekannt. Erst 2002 wurde seiner Person durch Erich Hackls Buch „Die Hochzeit von Auschwitz. Eine Begebenheit“ eine größere öffentliche Wahrnehmung zuteil. Vor Kurzem wurde der Nachlass Friemels an die Wienbibliothek im Rathaus übergeben.

Eine Ausstellung erinnert nun ab 1. Juli mit den wichtigsten Briefen, Fotografien und Lebensdokumenten an den kommunistischen Widerstandskämpfer.

Im Zuge der Neugestaltung der österreichischen Ausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau stieß das Ausstellungsteam über die Vermittlung Erich Hackls auf Rudolf Friemels in Frankreich lebenden Enkel Rodolphe Friemel, der den Nachlass seines Großvaters verwahrte. Er überantwortete ihn der Wienbibliothek im Rathaus, die nun in einer von Albert Lichtblau, Hannes Sulzenbacher und Barbara Staudinger kuratierten Ausstellung die wichtigsten Briefe, Fotografien, Zeitungsartikel, Kassiber und Lebensdokumente zeigt. In der Broschüre zur Ausstellung zieht Hackl, der für sein Buch zehn Jahre mit der Lebensgeschichte Rudolf Friemels befasst war, Bilanz: „,Die Hochzeit von Auschwitz‘ hat mich in meiner Auffassung bestärkt, dass die größte, jedenfalls nachprüfbare Wirkung von Literatur (einer auf Fakten gestützten, also politisch eingreifenden) auf diejenigen abzielt, von denen sie handelt.“

Antifaschistischer Widerstand in Österreich und Spanien

Friemel wurde 1926 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei sowie des Republikanischen Schutzbunds. Wegen seiner Teilnahme an den Kämpfen gegen das austrofaschistische Regime wurde er Ende 1934 verhaftet. Nach der Inhaftierung trat er 1936 der in Österreich verbotenen Kommunistischen Partei bei und nahm als Brigadist 1937 am Spanischen Bürgerkrieg teil. In dieser Zeit verliebte er sich in Margarita Ferrer Rey († 1987). Friemel war damals noch mit einer Wienerin verheiratet und hatte einen Sohn, Norbert. In Spanien ließ er sich mit Margarita Ferrer Rey kirchlich trauen.

Nach der Niederlage des antifaschistischen Kampfes in Spanien flohen Friemel und Ferrer Rey 1939 aus Spanien nach Frankreich, wo Friemel interniert wurde. Er leistete als Bergarbeiter Arbeitsdienst in einer Mine in Carmaux. 1941 wurde ihr gemeinsamer Sohn Edouard geboren. Auf Empfehlung der Kommunistischen Partei an ihre Mitglieder stellte Friemel im Sommer 1941 einen Antrag zur Rückstellung ins „Deutsche Reich“. Dies stellte sich als schwerer Fehler heraus, da die französischen Behörden bereits an der Grenze Rudolf Friemel, Margarita Ferrer Rey und Edouard der Gestapo übergaben. Friemel wurde in Wien erkennungsdienstlich erfasst und im Jänner 1942 in das Konzentrationslager Auschwitz überstellt. Margarita und ihr Sohn wurden in ein Heim für ledige Mütter nach Kirchheim unter Teck verbracht.

Hochzeit und Hinrichtung in Auschwitz

Im KZ Auschwitz-Stammlager arbeitete Rudolf Friemel als sogenannter „Funktionshäftling“, als Mechaniker in der Fahrbereitschaft der SS. Als politischer Häftling war es ihm erlaubt, regelmäßig – zensurierte – Briefe nach Hause zu schicken, die ein Teil der Ausstellung sind. Friemel schloss sich der österreichischen Widerstandsgruppe an, die eine wichtige Rolle in der international zusammengesetzten „Kampfgruppe Auschwitz“ einnahm, und der auch andere Österreicher wie Heinrich Dürmayer, Alfred Klahr, Hermann Langbein, Ludwig Soswinski, Ernst Burger und Ludwig „Vickerl“ Vesely angehörten. Wegen seiner französischen Sprachkenntnisse war Friemel wichtig für die Kontakte zur französischen Widerstandsgruppe. Friemels erste Ehe wurde 1941 rechtskräftig geschieden.

Glückwunschbillett von Mithäftlingen, 18. März 1944 © Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Rudolf Friemel

Glückwunschbillett von Mithäftlingen, 18. März 1944 © Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Rudolf Friemel

Glückwunschbillett von Mithäftlingen, 18. März 1944 © Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Rudolf Friemel

Bereits kurz nach seiner Inhaftierung verfolgte er den Plan, seine Ehe mit Margarita Ferrer Rey legalisieren zu lassen, um ihr und seinem Sohn einen rechtmäßigen Aufenthalt im „Deutschen Reich“ zu verschaffen. Seine Bemühungen hatten Erfolg: Aus nicht nachvollziehbaren Gründen durften Friemel und Ferrer Rey am 18. März 1944 im sonst ausschließlich für das Ausstellen von Totenscheinen zuständigen Standesamt des KZ Auschwitz-Birkenau heiraten. Es war die einzige im KZ Auschwitz geschlossene Ehe, einem Ort, an dem mehr als eine Million Menschen ermordet wurden.

Neben der Braut und dem gemeinsamen Sohn Edouard durften auch der Vater und der Bruder des Bräutigams zur Zeremonie nach Auschwitz kommen. Für die Hochzeit durfte sich Rudolf Friemel die Haare wachsen lassen und Zivilkleidung tragen. Davon zeugen die Hochzeitsfotos, die der Lagerfotograf Wilhelm Brasse anfertigte und die ebenso in der Ausstellung zu sehen sind wie Glückwunschbilletts und ein Hochzeitsgedicht von Mitgefangenen. Für die Hochzeitsnacht wurde dem Brautpaar ein Zimmer im ersten Stock des Blocks 24a, dem Lagerbordell, zur Verfügung gestellt.

Im Oktober 1944, wenige Monate vor der Befreiung von Auschwitz half Friemel bei den Vorbereitungen für einen vom Lagerwiderstand organisierten Fluchtversuch einiger Häftlinge. Der Fluchtversuch scheiterte und Friemel wurden wegen „Fluchtbegünstigung“ gemeinsam mit den österreichischen Widerstandskämpfern Ernst Burger und Ludwig Vesely sowie den polnischen Widerstandskämpfern Piotr Piąty und Bernard Świerczyna am 30. Dezember 1944, nur knapp ein Monat vor der Befreiung, in Anwesenheit der zu diesem Zeitpunkt noch

verbliebenen Häftlinge gehängt. Im Gegensatz zu den anderen Delinquenten, die Häftlingskleidung trugen, schritt Friemel in seinem mit Rosen bestickten Hochzeitshemd zum Galgen. Mithäftlinge erinnerten sich später an unterschiedliche Parolen, die die Verurteilten unmittelbar vor der Hinrichtung gerufen haben. In einem Interview mit Franz Danimann, der wegen seiner kommunistischen Widerstandstätigkeit von 1942 bis zur Befreiung im Stammlager inhaftiert war, heißt es: „Und noch unter dem Galgen haben sie ihre gefesselten Hände gehoben. Ernst Burger: ‚Es lebe ein freies Österreich!‘ Rudi Friemel: ‚Nieder mit der braunen Mordpest!‘ Und Vickerl Vesely: ‚Heute wir, morgen ihr!‘ Und die Polen in ihrer Sprache: ‚Niech żyje wolność, niech żyje Polska.‘ Es lebe die Freiheit, es lebe Polen!“

Telegramm des Standesamts Auschwitz, 6. März 1944 © Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Rudolf Friemel

Brief von Rudolf Friemel an Margarita Ferrer Rey, 17. Oktober 1943 © Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Rudolf Friemel

Ein Abschiedsgedicht von Rudolf Friemel an seinen Sohn Edouard ist in einer Abschrift von Margarita Ferrer Rey erhalten. In diesem appelliert er an den Sohn: „Folge dem Weg / deines Vaters / Mit jeder Faser deines Willens. / Fest und kompromisslos. / Kämpfe, wie dein Vater gekämpft hat. / Für unsere Idee / und den Fortschritt der Menschheit. / Dieser Weg ist hart: / Aber das Ziel lohnt den Einsatz / Des Menschen, der du sein musst.“ (Übersetzung aus dem Spanischen von Schriftsteller Erich Hackl)

Im Nachlass findet sich eine Abschrift von Rudolf Friemels letztem Brief, der abrupt endet: „Ich habe meine Aufgabe vollständig beendet, ich sterbe standhaft für meine heilige Sache. Die wird siegen, weil sie die Idee der Menschheit ist und deren Fortschritt. Nur ist es schwer sehen schon die Menschheit gerettet von Leiden so nah und doch nicht können uns erreichen und teilnehmen an den Neuaufbau der Welt und gemeinsam mit Euch genießen das Ergebnis vieler Menschenopfer.“

Zu sehen bis 30. September. Montag bis Freitag, 9 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei. Sommerschließzeiten: Vom 1. bis 19. August ist die Ausstellung nach Voranmeldung zu besichtigen. Führungstermine zur Ausstellung hier.

www.wienbibliothek.at

28. 6. 2022

10 Jahre theaterfink: Jubiläum der Vienna Street Puppets

Juli 9, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Mit Theresia K., dem Einedrahra und dem Lechner Edi

Theresia entsorgt ihren erschlagenen Ehemann (Walter Kukla) in der Buttn. Das Publikum marschiert mit. Bild: Hans-Georg Sedlak

Der theaterfink, Wiens einziges kontinuierlich spielendes Stationentheater im öffentlichen Raum, begeht sein Zehn-Jahres-Jubiläum. Und fliegt erstmals auch auf Landpartie. Gemeinsam mit dem Publikum wandern die Darsteller zu historischen Schauplätzen der Wiener Kriminalgeschichte und erzählen meist vergessene Ereignisse vor Ort. Durch Schauspiel, Puppenspiel und musikalischem Treibstoff werden so historische Begebenheiten lebendig und in Bezug zur Gegenwart gesetzt.

Zum Geburtstag ihrer „Straßengang“ lassen die Leiterinnen Susita Fink und Karin Sedlak die Highlights der vergangenen Jahre noch einmal aufleben. In der Inneren Stadt wird ab 12. Juli das „Abschiedslied der zum Tode verurteilten Theresia K** oder Als Resi ‘s Hackl zur Hülf’ holte!“ neu begangen (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=25243). Theresia Kandl, geboren am 10. Juni 1785, wuchs in Atzgersdorf bei Wien in einem angesehenen Elternhaus auf. Sie entwickelte sich zu einer außergewöhnlichen und aufmüpfigen Schönheit. Eine verbotene Liebschaft, ein uneheliches Kind und eine erzwungene Ehe später fand ihr turbulentes Leben ein jähes Ende. Als erste und einzige Frau wurde sie an der Hinrichtungsstätte „Spinnerin am Kreuz“ im Alter von nur 23 Jahren wegen Mordes an ihrem Gatten öffentlich gehängt …

Im Rahmen des Viertelfestivals Niederösterreich ist ab 2. August auf Schloss Kottingbrunn „Da Einedrahra kauft a Schloss!“ zu sehen. Peter Ritter von Bohr, angesehener Maler, Unternehmer, Aktionär, Bankengründer, Adeliger und Geldfälscher, eventuell auch Mörder, wird danach ab 16. August bei „Hin und Weg“ in Litschau sein Unwesen treiben, ab 24. August heißt es dann in Gallizien und Klagenfurt „Da Einedrahra hält Hochzeit!“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=21440).

Das „Einedrahra“-Ensemble. Bild: Joseph Vonblon

theaterfink-Leiterin Susita Fink. Bild: Susita Fink

Eva Billisich und die schöne Resi. Bild: Susita Fink

Viel Publikum fürs Straßentheater. Bild: Susita Fink

Als Neuinszenierung zeigen Susita Fink und Ensemble ab 9. September in Wien-Erdberg Jura Soyfers „Der Lechner Edi schaut ins Paradies“. Inhalt: Der Lechner Edi ist arbeitslos. Schuld daran ist der Motor, der ihn in seiner Fabrik ersetzt hat. Als er Rache an dem Motor üben will, offenbart ihm dieser, dass auch er ausrangiert wurde.  Schuld daran sind wiederum der Lechner Edi und seinesgleichen, da aufgrund der Wirtschaftskrise keiner mehr kauft. Gemeinsam mit Edis Freundin Fritzi begeben sich die beiden Arbeitslosen auf eine Zeitreise, um den wahren Schuldigen ausfindig zu machen. Aber wo nimmt das Übel seinen Anfang? Irgendwer muss doch immer Schuld haben.

theaterfink bringt nun Jura Soyfers im Jahre 1936 entstandenes Stück aufs Pflaster und zeigt, dass es nichts an Aktualität und politischer Brisanz eingebüßt hat.  Bespielt werden dabei historische Plätze aus der Jugend Jura Soyfers in Erdberg sowie Produktionsstätten und Betriebe, wo immer noch von Hand geschaffen wird. Es spielen Walter Kukla, Claudia Hisberger und Susita Fink, musikalisch begleitet von Walther Soyka.

Susita Fink und Karin Sedlak im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=25205

Videos:

www.youtube.com/watch?v=zADRAM-TN74

 

www.theaterfink.at

9. 7. 2019

Ateliertheater: Kafkas Affe oder Die Hochzeit des Tieffalls

Februar 23, 2015 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Nach Franz Kafka’s „Bericht für eine Akademie“ …

Bild: Die desillusionierte  Befreiung, Ludwig Drahosch

Bild: Die desillusionierte Befreiung, Ludwig Drahosch

… mit einigen wenigen Texten von Pisstesse Herman’S de la Deulange.

Am 26. Februar hat im Ateliertheater Reloaded „Kafkas Affe“ Premiere. Es spielt Benjamin Vanyek, ein Absolvent der Schauspielakademie Elfriede Ott www.ottstudio.at/absolventen/; Regie führt Nina C. Gabriel.

„Ich habe Angst, daß man nicht genau versteht, was ich unter Ausweg verstehe. Ich gebrauche das Wort in seinem gewöhnlichsten und vollsten Sinn. Ich sage absichtlich nicht Freiheit. Ich meine nicht dieses große Gefühl der Freiheit nach allen Seiten. Als Affe kannte ich es vielleicht und ich habe Menschen kennengelernt, die sich danach sehnen. Was mich aber anlangt, verlangte ich Freiheit weder damals noch heute. Nebenbei: mit Freiheit betrügt man sich unter Menschen allzuoft. Und so wie die Freiheit zu den erhabensten Gefühlen zählt, so auch die entsprechende Täuschung zu den erhabensten. Oft habe ich in den Varietés vor meinem Auftreten irgendein Künstlerpaar oben an der Decke an Trapezen hantieren sehen. Sie schwangen sich, sie schaukelten, sie sprangen, sie schwebten einander in die Arme, einer trug den andern an den Haaren mit dem Gebiß. ›Auch das ist Menschenfreiheit‹, dachte ich, ›selbstherrliche Bewegung. ‹ Du Verspottung der heiligen Natur! Kein Bau würde standhalten vor dem Gelächter des Affentums bei diesem Anblick… Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg; rechts, links, wohin immer; ich stellte keine anderen Forderungen; sollte der Ausweg auch nur eine Täuschung sein; die Forderung war klein, die Täuschung würde nicht größer sein.“

Franz Kafka

„…Ich will nicht lügen, wenn ich sage: Ich liebe Euch!

Was kümmert euch mein Stand, was kümmert mich der Eure, zwischen uns liegt das Nichts.

Zwischen Gedeih und Verderb, Kunst und Wissenschaft – die Hochzeit des Tieffalls…“

Pisstesse Herman’S de la Deulange

Wien, 23. 2. 2014

Theater in der Josefstadt: „Hochzeit auf Italienisch“

Oktober 4, 2013 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Tempo, Tollheit und viel Temperament

Sandra Cervik (Filumena Marturano), Herbert Föttinger (Domenico Soriano), Hilde Dalik (Diana) Bild: © Sepp Gallauer

Sandra Cervik (Filumena Marturano), Herbert Föttinger (Domenico Soriano), Hilde Dalik (Diana), Siegfried Walther (Alfredo)
Bild: © Sepp Gallauer

Ach, jetzt noch Pesce all’Acquapazza oder eine Portion Involtini di carne di bufala mit Sformato di Zucchine, dazu ein ehrlicher Taurasi – und das Glück wäre perfekt. Für die Dolci haben Sandra Cervik und Herbert Föttinger ja ausreichend gesorgt. Er diesmal nicht in seiner Funktion als Josefstadt-Direktor, sondern in der Rolle des neapolitanischen Süßwarenfabrikanten Domenico Soriano. Sie, weil sie als „Filumena Marturano“ (so der eigentliche Titel der Theatertragikomödie von Eduardo De Filippo aus dem Jahr 1946) edelzartbitter zu Tränen rührt. „Hochzeit auf Italienisch“ – 1964 von Vittorio De Sica mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni verfilmt – hält das Künstlerehepaar nun auf der Bühne. Ein vorprogrammierter Publikumserfolg. Der Garant für ein volles Haus. Völlig zu Recht. Denn die Inszenierung vom hauptberuflichen Theater-der-Jugend-Chef Thomas Birkmeir ist entzückend. Unter anderem oder vor allem, weil er als Regisseur das Tragi- genauso ernst nimmt wie das -komische.

Der Inhalt: Vor 25 Jahren hat Domenico die Dirne Filumena kennengelernt und, der Stammkundenschaft überdrüssig, sie in sein Haus genommen. Die in mehrfacher Hinsicht wilde Ehe bringt’s mit sich, dass Filumena Domenicos demente Mutter pflegen, den Haushalt und bald auch die Geschäfte führen muss. Der feine Herr nämlich treibt sich lieber in der Weltgeschichte herum, um’s zu treiben. Doch nun plötzlich soll die Ex-Prostituierte weg. Domenico will seine blutjunge Sekretärin Diana heiraten. Filumena wird „sterbenskrank“, erzwingt auf dem Totenbett die Eheschließung – und feiert mit Ring am Finger und der Plünderung des Eiskastens fröhliche Auferstehung. Domenico schäumt. Will die sofortige Annullierung des Bundes. Doch Filumena hat noch ein Ass im Ärmel. Das heißt: Eigentlich drei. Söhne. Und einer davon ist Domenicos …

Herbert Föttinger passt die Figur des „Mimi“ Soriano wie eine zweite Haut. Jedes Klischee über italienische Männer sitzt. Changierend zwischen Muttersöhnchen (wunderbar, wie er sich mit einem Aufschrei auf ihren Sarg wirft oder später die „heilige“ Verstorbene auf Knien um Beistand gegen Filumena anfleht) und knallhartem Macho, elegant tänzelnd, weniger elegant keifend, mittelschwer hypochondrisch, ebenso hysterisch, ein Herrenschuhfetischist, ein Maulheld, aber ein anrührender. Nicht umsonst wird er von Filumena so heiß geliebt. Diese, das „alte, angestaubte Möbelstück“, spielt Sandra Cervik nach ihrer fulminanten „Sterbeszene“ mit beinah immer stoischer Ruhe – manchmal greift sie auch zum Küchenmesser. Ihre Filumena ist ernsthafter, ehrlicher, ehrbarer als der Rest der Gesellschaft. Eine, die aus der Gosse wollte, und im Leerlauf der Versprechungen endete. Zynisch kommentiert sie die von De Filippo festgeschriebene Sozialkritik, wenn sie das reiche, verzogene, ergraute Bürschen entspannt, die Hühnerhaxn in der Hand, filetiert. Sie hat den Spieß umgedreht – in einer Zeit, in der es noch keine DNA-Tests gab, aber das Blatt wird sich noch einmal wenden … Als sie sich ihren Söhnen erstmals als das präsentiert, was sie ist, ihnen dabei nicht ins Gesicht sehen kann, hat Cervik die stärkste Szene des Abends. Doch für den ganzen gilt, wie schön es ist zuzusehen, wie die Chemie zwischen ihr und Herbert Föttinger stimmt. Außerdem gefallen Filumenas „Mitverschwörer“ Marianne Nentwich als Haushälterin Rosalia, Siegfried Walther als vermeintlicher Mimi-Intimus Alfredo und Gideon Singer als desorientierter Priester. Hilde Dalik, wie immer eine Augenweide, lässt als „naive“ Schöne Diana schön durchblicken, welch bösartige Xanthippe sich hinter der bezaubernden Oberfläche verbirgt.

All diese Tollheiten hat Birkmeir mit Tempo und Temperament in Szene gesetzt. Inklusive Rückblenden über die ersten Augenblicke zwischen Domenico und Filumena. Für die flotte Umsetzung sorgt Christoph Schubiger mit seinem ruckzuck variablem Bühnenbild. Dazu gibt’s Musik von Peppino di Capri bis Rita Pavone. Che m’importa del Mondo (www.youtube.com/watch?v=NyLZiVR7p38)!

www.josefstadt.org

www.mottingers-meinung.at/sandra-cervik-und-herbert-foettinger-im-gespraech

BUCHTIPP: Mehr über das Neapel dieser Tage schildert Curzio Malaparte in seinem Roman „Die Haut“ (Erstausgabe 1949; neu erschienen im Zsolnay-Verlag): Als Verbindungsoffizier der Alliierten, die 1943 Neapel von den deutschen Besatzern befreiten, begleitet Malaparte die amerikanischen Truppen auf ihren Wegen durch die Stadt. Er wird zum Zeugen einer beispiellosen Verrohung unter der neapolitanischen Bevölkerung, die nur eines kennt: die eigene Haut zu retten. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Entstehen schockiert dieser Roman noch immer. Vom Vatikan auf den Index gesetzt, machte „Die Haut“ ihren Verfasser weltberühmt.

Wien, 4. 10. 2013

Sandra Cervik und Herbert Föttinger im Gespräch

Oktober 2, 2013 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

„Hochzeit auf Italienisch“ im Theater in der Josefstadt

Marianne Nentwich (Rosalia Solimene), Sandra Cervik (Filumena Marturano), Herbert Föttinger (Domenico Soriano) Bild: © Sepp Gallauer

Marianne Nentwich (Rosalia Solimene), Sandra Cervik (Filumena Marturano), Herbert Föttinger (Domenico Soriano)
Bild: © Sepp Gallauer

Den Film von Vittorio De Sica kennt wohl jeder. 1964. „Hochzeit auf Italienisch“. Sophia Loren und Marcello Mastroianni im lustvollen Infight. Denn: Nach fünfundzwanzig Jahren wilder Ehe mit der ehemaligen Prostituierten Filumena will der wohlhabende Domenico plötzlich nichts mehr von ihr wissen: der Grund heißt Diana und ist blutjung. Die verschmähte Geliebte täuscht daraufhin vor, „todkrank“ zu sein, um den Treulosen zu einer raschen Eheschließung zu nötigen. Doch der Betrug fliegt auf, ein Anwalt erklärt die Ehe für null und nichtig. Nun muss Filumena zu härteren Mitteln greifen: Sie konfrontiert Domenico mit ihren drei Söhnen, die sie bis dato verheimlicht hatte. Einer davon, behauptet sie, sei sogar sein eigener. Nur welcher?

Am Theater in der Josefstadt hat am 3. Oktober „das Original“ Premiere: Eduardo De Filippos Theaterstück „Filumena Marturano“, bei dessen Uraufführung 1946 in Neapel er selbst Regie führte. Theater-der-Jugend-Intendant Thomas Birkmeir inszeniert das Josefstadt-Traumpaar Sandra Cervik und Hausherr Herbert Föttinger. Ein Gespräch.

MM: Ich orte am Haus eine gewisse Italianità. Sie haben gerne Peter Turrinis Goldini-Bearbeitungen auf den Spielplan gesetzt, nun folgt die Wiederentdeckung von Eduardo De Filippo …

Herbert Föttinger: „Diener zweier Herren“ und „Campiello“ hatten mehr mit Turrini zu tun, als mit Goldoni. Das ist sehr italienisch, wildes italienisches Straßentheater, das stimmt. Bei „Filumena Marturano“ ist es was anderes. Eduardo De Filippo ist keine Straßentheater-Italianità. Er selbst hat sein Stück 1946 uraufgeführt. Es ist ein sozialkritisches Stück, hat mit einem existenziellen Geschlechterkampf zu tun …

Sandra Cervik: … der allerdings auch mit Temperament ausgetragen wird …

Föttinger: aber nicht mit diesen Spaghetti-Klischees. „Hochzeit auf Italienisch – Filumena Marturano“ ist ein allgemeingültiges Stück. In Italien hat es ja einen Siegeszug angetreten, der noch nicht vorbei ist. Nur bei uns wird De Filippo kaum mehr gespielt. Ich mag dieses Stück, seit ich es kenne. Sandra Cervik und ich haben vor 13 Jahren Max Frischs „Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie“ in Thomas Birkmeirs Regie miteinander gespielt. Und er sagte damals schon: „Ihr solltet ,Hochzeit auf Italienisch’ zusammen machen.“ Das geisterte mir immer im Kopf herum – und nun war die Zeit reif: Ich bin, wie im Stück vorgesehen, 52 Jahre alt, Sandra 48 …

Cervik: Noch nicht!

Föttinger: Thomas Birkmeir hatte Zeit, die Inszenierung zu übernehmen. Es ist also alles ideal. Es hat sich, glaube ich, gelohnt, seit 2000 darauf zu warten.

 MM: Man kennt die Verfilmung von Vittorio De Sica aus dem Jahr 1964 mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni. De Sica wurde damals von der italienischen Presse sehr gescholten, er hätte sich damit endgültig in seichtes Gewässer begeben. Zwischen der Loren und Mastroianni fliegen Fetzen und Spaghetti. Wie kann man gegen diese Bilder in den Köpfen des Publikums anspielen?

Föttinger: Zum Teil gar nicht. Und ich spiele auch ein wenig mit meiner Mastroianni-Attitude, die mir ja schon Emmy Werner bescheinigt hat. Ich habe mir, wie Sie sehen, sogar ein Bärtchen wachsen lassen. Aber wir spielen nicht den Film, sondern das Stück. Da gibt es eine komödiantische Fassade, hinter der die Tragödie hindurchscheint.

MM: Das wird vor allem für Sie, Frau Cervik, eine Gratwanderung werden.

Cervik: Absolut richtig. Der Humor liegt nicht auf der Seite der Filumena; in den Momenten, in denen sie glaubt, auf der Siegerstraße zu sein, bereitet ihr das zwar Vergnügen, aber sonst hat diese Figur durchaus archaische, medeenhafte Züge. Sie sammelt ihre drei Kinder ein, die sie bei fremden Familien untergebracht hatte, um Domenico zu sagen, einer wäre sein Sohn – aber welcher? Das ist alles nicht komisch. Der Monolog, in dem sie ihren Söhnen erklärt, warum sie ist, was sie ist, ist nicht einfach. Ich mag das aber sehr gerne, es muss nicht alles nur moll oder Dur sein. Keine Komödie ohne Tragödie, keine Tragödie ohne Komödie. Die Komik liegt aber eindeutig bei der Männerfigur.

Föttinger: Und in der Auseinandersetzung der beiden. Mit all der Verrücktheit und Hingabe, die dieser Mann, Domenico, braucht, um etwas für und aus seinem Leben zu lernen.

 MM: Wie legen Sie den Domenico an? Als Macho, als Schlitzohr, als Muttersöhnchen?

Föttinger: Er ist ein oberflächlicher, verantwortungsloser Nichtstuer. Ein verzogenes, wohlhabendes Söhnchen, der in dieser Beziehung zu Filumena Verantwortungsgefühl lernen muss. Das macht er dann aber schon auf eine besondere Art und Weise, die in Italien 1946 wahrscheinlich noch wichtiger war, als heute: Indem er alle drei Söhne als seine annimmt. Das ist ein großer, schöner Schritt.

Cervik: Apropos, Sozialkritik: Das ist ja von De Filippo nicht zufällig so geschrieben, dass er der Reiche ist und sie die Prostituierte. Die Figur Filumena bringt von Anfang an viel mehr Tiefe mit. Domenico, weil er nie ein Problem hatte, um nichts kämpfen musste, ihm alles in den Schoß gefallen ist, ist ganz anders drauf, als sie. Deshalb liebt sie ihn auch: Weil er etwas in ihr zum Klingen bringen. Filumena heißt auch Power of Love. Sie hat sich in diesen Mann verguckt, sie kann nicht lassen von ihm. Er ist ja kein böser Mensch, er soll nur weg von seiner Oberflächlichkeit, verstehen, was sie meint und will.

 MM: Das Stück ist ein Spiel um Täuschungen, Enttäuschungen. Da kann man auf große Gesten setzen, fuchteln, streiten … Wie unterscheidet sich da das Paar Filumena/Domenico vom Paar Föttinger/Cervik?

Cervik: Wir fuchteln privat weniger (sie lacht).

Föttinger: Also, ich fuchtle gern!

Cervik: Im Ernst jetzt: Wir streiten, obwohl wir beide temperamentvolle Menschen sind, wenig und wenn eher sachlich. Wir sind nicht die Plärrer und Schreier. Die schlimmste Strafe für ihn ist ohnedies mein Schweigen.

Föttinger: Grauenhaft! Die grausamste Art von Liebesentzug. Weiterstreiten, diskutieren ja, aber bitte nicht schweigen. Natürlich geben wir unseren Beruf nicht daheim vor der Haustüre ab, aber wer tut das schon? Wenn du etwas mit Leidenschaft machst, wirst du es auch nach Hause tragen – und ich finde das nicht einen Moment schlecht, sondern gut so!

Cervik: Auch ich kann das Theater nicht einfach „abstellen“. Aber es gibt das Andere, unseren Sohn. Da ist ganz was anderes Thema, die Schule zum Beispiel. Grundsätzlich kann ich meine aktuelle Bühnenrolle daheim nicht in ein Winkerl stellen, egal ob ich mit Herbert Föttinger oder einem anderen Bühnenpartner spiele.

Föttinger: Ich denke mir manchmal, das Ärgste in einer Beziehung muss sein, wenn sich der andere so gar nicht für das interessiert, was man tut. Das stelle ich mir sehr unfein vor.

MM: Sie sind die Dreifaltigkeit des Hauses: Intendant, Schauspieler, Regisseur.

Föttinger: Und noch geht sich das ganz gut aus. Der Umbau der Kammerspiele ist in der Zielgeraden, das macht mich sehr stolz. Es war nicht so anstrengend, wie der Umbau der Josefstadt. Was das Bauliche betrifft, bin ich sozusagen fertig. Und ohne, dass die künstlerische Arbeit je zu kurz kam.

MM: Wie kann man so einem Mann hinterher hecheln?

Cervik: Unter uns: Das muss ich nicht. Weil ab und zu „fällt“ er ja doch um und dann stehe ich da, um den erschöpften Gatten liebend in die Arme zu nehmen. Es gibt eben Dinge, die wir gemeinsam machen können, Dinge, die nur meins sind, Dinge, für die er allein verantwortlich ist … und da waren die neuen Kammerspiele eben ein intensiv-beglückendes Meisterstück.

 MM: Nun wurde vorher schon erwähnt, Thomas Birkmeir hat Sie zu diesem Projekt ein wenig „angestiftet“. Was sind seine Qualitäten als Regisseur?

Föttinger: Er kann mit dem Stoff was anfangen, also war für mich nur logisch, dass er ihn auch umsetzt. Ich freue mich sehr, dass er nach 13 Jahren wieder an der Josefstadt arbeitet. Er ist für Sandra und mich ein Gegenüber. Das ist unglaublich wichtig.

Cervik: Und Thomas ist ein sehr genauer Zuschauer. Er sieht Kleinigkeiten, kann sie auch formulieren. Er ist genau im Detail. Er lässt dich als Schauspieler machen, nimmt das auf und bringt es in eine gute Form.

MM: Wie sollen die Zuschauer nach dem Abend empfinden? Beschwingt oder betropetzt?

Cervik: Gute Frage.

Föttinger: Mit einem guten Gefühl. Wenn zwei Menschen sich nach 25 Jahren so zusammenraufen, sage ich, es ist toll, wenn man jenseits der 50 noch was lernen kann. Und wenn das einsetzen würde, dass eine Frau einen Mann dazu bewegen kann, sich umzukrempeln, neu zu denken, dann gibt uns das doch Hoffnung.

Cervik: Eine leise melancholisch-positive Hoffnung.

www.josefstadt.org

Trailer: www.youtube.com/watch?v=KIhc5IpgVhM&feature=player_embedded#t=1

Wien, 2. 10. 2013