Volx/Margareten: Philoktet

Mai 8, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Stefanie Reinsperger im Superlativ

Stefanie Reinsperger brilliert als Philoktet. Bild: © Robert Polster / Volkstheater

Sozusagen vor ihrer Abreise nach Salzburg macht Stefanie Reinsperger dem Wiener Publikum noch ein Geschenk. Im Volx/Margareten spielt sie Heiner Müllers „Philoktet“, und sie ist in dieser Rolle grandios, gewaltiger als alles, was man bisher von ihr kennt; sie wird im Laufe des Abends überlebensgroß, wächst über ihr Schauspielerinnenmaß hinaus – Steffi Reinsperger im Superlativ.

Calle Fuhr legt mit der Inszenierung seine erste große Arbeit am Haus vor; er setzt auf ein ästhetisch klares, asketisches Konzept, setzt aufs Wort als Waffe, seine Bühne ist ein leerer Raum mit einigen gerahmten Leinwänden, auf denen sich die Schatten der Menschen wie ein Gespensterreigen drehen. Fuhr bezieht Müllers Text auf seinen Ursprung zurück, die Zeit des Mauerbaus, derart Verschanzungen entstehen ja gerade weltweit wieder, und so weitet er – ohne großartig gekünstelten Fingerzeig – Müllers spitzfedrige Analyse des DDR-Regimes ins 21. Jahrhundert aus.

Dessen drei Protagonisten stellt er exemplarisch vor: Odysseus, den Systemstrategen, Neoptolemos, den Moralisten, der zum Mörder werden muss, und Philoktet, das vom Wollen und Wirken der Masse zerschundene Individuum. Der Typus Funktionär und die Typen, die fürs Gemeinwohl funktionieren, das sind seine Wiedergänger, ersterer die Art politisch Untoter, die nach jeder Krise nur umso länger zu leben und desto stärker geworden zu sein scheint, zweitere Mitläufer, weil ihnen der Mut zum Davonlaufen nicht reicht. Dass Fuhr den Philoktet von einer Frau darstellen lässt, kann man als Reverenz an Müllers (zweite von vier) Ehefrau und wichtige Mitautorin Inge lesen, die sich 1966 das Leben nahm …

Dass das Ganze nicht im Akademischen bleibt, ist neben der Reinsperger ihren fabelhaften Kollegen Sebastian Klein und Luka Vlatković zu danken. Sie alle zeigen sich der Satzkaskaden, die es hier 90 Minuten lang zu bewältigen gilt, mächtig, zeigen das, was Dimiter Gotscheff (er 2005 ein „Philoktet“ in eigener Inszenierung) einmal über seinen Freund und Weggefährten sagte: ”Die Sprache Heiner Müllers fährt mir direkt in die Gedärme.“

Der lange Schatten des Odysseus fällt auf Neoptolemos: Luka Vlatković. Bild: © Robert Polster / Volkstheater

Der erste Profi in Sachen Politpropaganda: Sebastian Klein als Odysseus. Bild: © Robert Polster / Volkstheater

„Kein Platz für Tugend hier und keine Zeit jetzt“, braust Odysseus gegen Neoptolemos auf. Sebastian Klein legt ihn als sleeken Manager im Casual-Friday-Outfit an, als Phrasendrescher und Feindbildschaffer, sein Odysseus ist ein Spötter, ein Spieler, ein Teflonmann, und mit schneidender Stimme – der Erfinder der Politpropaganda. So, wie er dasteht, könnte er heute Nachwuchshoffnung jeder neoliberal-bürgerlichen Partei sein. Den Sohn des Achill macht er sich mit Schokoriegeln gefügig, und der, Luka Vlatković als Neoptolemos, wirkt wie ein eingeschüchterter Praktikant, der grad begreift, dass er seine Uni-Ethik im Geschäftsleben einpacken kann.

Im Wortsinn hemdsärmelig steht er da, die Schultern trotzig hochgezogen, so ein Schlamassel, in den es da geraten ist, das Halbgottheldensöhnchen, das an der Front keiner für voll nimmt. Und dann findet Philoktet das Schokoladepapierchen. „Willkommen in der Narrheit, Grieche“, grüßt er es, und schon ist klar, hier ist einer vom Wahnsinn angesprungen. Die junge Frau, die den alten Mann gibt, das ist eine Spielart, die eine eigene Sogwirkung und eine eigenartige Sinnlichkeit entwickelt.

Die Reinsperger, in einmal High Heel, einmal Socke eine hinkend-androgyne Amazone, ist von einer schmerzhaften Intensität, wenn sie Zwiesprache mit dem faulenden Bein hält. In schrullig-freundlichem Stakkato versucht sie in Neoptolemos einen Verbündeten zu finden, im nächsten Augenblick gilt ihr ganzer Furor dem Verräter Odysseus. Ihr Philoktet schreit vor Schmerz, weint vor Wut – doch im Sarkasmus des Besiegten läuft sie schlussendlich zur Höchstform auf, Reinsperger, die Meisterin von Vers und Tempo. Das Ende kommt rasch, unvermittelt, beinah sieht man nicht, wie Vlatkovićs Neoptolemos es herbeiführt, und auf, auf jagt ihn Odysseus zu neuen Taten. Fast möcht’ man sagen: zum nächsten Meeting. Die Leiche wird er für seine Manipulationen noch zu nutzen wissen, im Abgang feilt er schon an der diesbezüglichen Rede. Der Unschuldige hat sich schuldig gemacht, nur so kann Macht Struktur gewinnen. Doch letztlich sagt Heiner Müller, sagt Calle Fuhr, kann es im Krieg der Weltanschauungen keine Gewinner geben. Der tote Körper, schwer, unhandlich, erweist sich als nicht transportierbar …

Ein bemerkenswerter Abend, der da im intimen Spielraum im 5. Bezirk zu sehen ist. Nächste Station für Stefanie Reinsperger ist nun die Buhlschaft, und im Hinausgehen flüsterte es jemand: „Den Jedermann könnte sie auch.“

www.volkstheater.at

Wien, 8. 5. 2017

Wiener Festwochen: Der Auftrag

Mai 24, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Mehr Heiner Müller geht nicht

Regisseur Jürgen Kuttner als Heiner Müller, Hagen Oechel, Corinna Harfouch und Janko Kahle. Bild: © Katrin Ribbe

Regisseur Jürgen Kuttner als Heiner Müller mit der drapeau tricolore: Hagen Oechel, Corinna Harfouch und Janko Kahle. Bild: © Katrin Ribbe

Das mit den Königspudel-Cheerleadern erschließt sich nur bedingt. Wegen des von der ErstenLieben verlangten Vergewaltigungsakts der „schwarzen Hündin“? Au, Hirnverstauchung, das wär‘ aber ums Eck gedacht. Na, macht ja nix. Das Regieduo Tom Kühnel und Jürgen Kuttner zeigt bei den Wiener Festwochen Heiner Müllers „Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution“, und die Produktion aus Hannover hat auf ihrem Weg ans Theater an der Wien nichts an Farbe eingebüßt.

Liberté, égalité, fraternité steht nicht nur in großen Lettern über der Bühne, sondern den Darstellern buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Auch das letztlich eine Ins-Konzept-Quetschung, weil, was hatten Debuisson und das Ideal der Gleichheit aller Menschen je miteinander zu tun? Aber, apropos Idee und Konzept, Unterwerfung unter beide, so noch das Wörtchen Regie- davor steht, muss sein. Und so laden Kühnel und Kuttner ins Varieté der Eitelkeiten, mitten rein also in die Politik, willkommen, bienvenue, welcome, was wird dieser Tage nicht ein Zirkus gemacht um Ideologien und politische Zeitenwenden, deren Stunde dann doch nicht schlägt. Es spricht, und zwar beinah ausschließlich, Heiner Müller himself. Die Regisseure machen den Mitschnitt einer Lesung aus dem Jahr 1980 zur Tonspur ihrer Inszenierung, das hat schon was, der DDR-Dichter und Andersdenker mit seiner nasalen, schmucklosen Stimme, die sich nie hebt und nichts hervorhebt, und man weiß spätestens jetzt, warum Heiner-Müller-Stücke als enigmatisch zu gelten haben: Die Schauspieler haben ihn mutmaßlich nicht verstanden, akustisch heißt das, übers Metaphorische lässt sich ohnedies nur orakeln.

Die Kaffeekannenbourgeoisie: Sarah Franke und Jonas Steglich. Bild: © Katrin Ribbe

Die Kaffeekannenbourgeoisie: Julia Schmalbrock und Jonas Steglich. Bild: © Katrin Ribbe

Im Theater der weißen Revolution: Corinna Harfouch beobachtet den Kampf Robespierre gegen Danton. Bild: © Katrin Ribbe

Theater der weißen Revolution: Papp-Danton gegen Karton-Robespierre. Bild: © Katrin Ribbe

Der Star in der Manege ist Corinna Harfouch als Debuisson, angetan als Weißclown und den Großteil des Abends als Müllers stumme Dienerin beschäftigt. Erst beim Fahrstuhl-Monolog darf sie die eigene Stimme erheben. Das tut sie anfangs karikaturhaft sächselnd, bis ihr das Clownesk-Komödiantische ins Grauen wegbricht. Dies ungefähr auch die beiden Temperaturen, zwischen denen die Aufführung wechselt. Wie sie ihren Debuisson mit großen, beinah stummfilmhaften Gesten, weil die Figur hier ja allegorisch-überlebensgroß erscheint, über die Bühne schiebt, ist eine Sensation. Sie hat sich selbst choreografiert, ihren Auftritt mit eckigen Bewegungen wie ein bizarres Ballett ausgestaltet. Harfouch ist der Höhepunkt des Abends. Ihre Mitrevolutionäre sind Janko Kahle als roter Löwenbändiger-Galloudec und Hagen Oechel als ein Sasportas, dem der Glaube an die Freiheit so eingebläut wurde, dass sich sogar seine Haut danach färbte. „Wir sind nicht gleich, bis wir einander nicht die Haut abgezogen haben“, sagt die Figur einmal und in diesem Fall könnte diese ihr Outfit an die Blue Man Group verleihen.

Artisten Tiere Attraktionen. In der nächsten Abteilung eine Käfignummer, ein Zaubertrick, der aber niemanden entfesselt. Der sterbende Sklave, dessen die drei Emissäre der Französischen Revolution bei ihrer Ankunft auf Jamaika als erstes ansichtig werden, muss in seinem Foltergefängnis verbleiben. Sie wissen schon, Zitat „Einem können wir nicht helfen“. Mit solcherart skurrilbunten Bildern und den sphärisch mahlenden Postrockklängen der „Tentakel von Delphi“ rund um Harfouch-Sohn Hannes Gwisdek geht es weiter. Antoine nebst Gattin sind zu biederbourgeouiser Petite-Fleur-Kaffeekanne nebst Tasse mutiert, er hat den überdimensionalen Ausgießer genau da, wo!, wenigstens das ein Glück; den Brief, der die Rückblende einleitet, überreicht ausgerechnet einer der Matrosen von Kronstadt. Rote-Fahne-Schwenken inklusive. Die ErsteLiebe lebt mit ihren Pudeln offensichtlich auf Tara, schlechte Tonqualität und Uralttechnicolor, jetzt passt das endlich, und Billie Holiday singt „Strange Fruit“. Das „Theater der weißen Revolution“ ist ein hinreißend gestalteter Livecomicfilm, in dem sich Danton und Robespierre zum „Rocky“-Theme die Pappkameradenköpfe einschlagen. Heiner Müller im Wunderlichland. Und an der Assoziationskette leuchten alle Tricolore-Lichter.

Le drapeau tricolore: Hagen Oechel, Corinna Harfouch und Janko Kahle. Bild: © Katrin Ribbe

Auch Zirkusartisten können keinen Sklaven aus seinem Käfig befreien: Hagen Oechel, Corinna Harfouch und Janko Kahle. Bild: © Katrin Ribbe

Dass die Burleske zur Müller-Pathetik über weite Strecken aufgeht, ist erstaunlich, aber Tatsache: Idee + Konzept = Regie. Kühnel und Kuttner haben ihren Auftrag erfüllt. Mehr Heiner Müller geht nicht. Nicht nur, weil Jürgen Kuttner als dessen quasi Alter Ego mit Krankenkassenbrille und zerlebter Lederjacke die Veranstaltung moderiert – ein Heiner Müller aus Karton wirft im Revolutionsring das Handtuch, ein anderer hängt als Fotografie an einer Wohnzimmerwand.

Sondern weil sie seine Botschaft aus dem Jahr 1979 konsequent weitergedacht haben. Am Ende, im Plattenbau-Verschlag, versammelt sich die linke Creme, Marx und Lenin und Stalin, Rosa Luxemburg, Mao und der Che, ihr Tun nicht einsichtig, sondern per Überwachungskamera ins außen übertragen. Sie werden für ihre Gedankenerbschaft sterben müssen. Die Revolution frisst bekanntlich ihre Kinder, um den Satz auch noch zu bemühen, manchmal aber fressen die Kinder ihre Revolution. Und immer schreien andere „Wir sind das Volk“. Debuisson sagt: „Jetzt weht der Wind aus gestern“, denn der von Heiner Müller beschriebene Krieg der Landschaften hat längst wieder begonnen. Das aufzuzeigen ist ein starkes Stück.

Video: www.youtube.com/watch?v=nFG7LyMUVEI

www.festwochen.at

Mehr Rezensionen von den Wiener Festwochen:

Látszatélet/ Scheinleben: www.mottingers-meinung.at/?p=20141

Città del Vaticano: www.mottingers-meinung.at/?p=20120

Die Passagierin: www.mottingers-meinung.at/?p=20085

Tschewengur. Die Wanderung mit offenem Herzen: www.mottingers-meinung.at/?p=19870

Wien, 24. 5. 2016

Berliner Theatertreffen: Zement

Mai 5, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Das Vermächtnis des Dimiter Gotscheff

Sebastian Blomberg, Bibiana Beglau Bild: Armin Smailovic/Residenztheater München

Sebastian Blomberg, Bibiana Beglau
Bild: Armin Smailovic/Residenztheater München

Festspielintendant Thomas Oberender eröffnete  das 51. Berliner Theatertreffen mit einer Inszenierung aus dem Münchner Residenztheater: Dimiter Gotscheff hatte Heiner Müllers „Zement“ inszeniert – es war seine erste Arbeit am Haus und seine letzte bevor der Regisseur verstarb. Und wenn man eines von Beginn des dreistündigen Abend (der in München übrigens höchst kontrovers aufgenommen worden war) an sagen konnte, dann: Er fehlt. Dieser Theaterberserker, der vor Archaik und Pathos nicht zurückschreckte, der Herz und Hirn in Gleichklang bringt, der es schafft ein Publikum zu berühren und anzurempeln – der „seinen“ Heiner Müller so auf die Bühne bringt, dass man versteht, was einen der Große „von damals“ noch angeht. Und dabei die Schönheit seiner Sprache in den Mittelpunkt stellt. Gotscheff zeigt Müllers dystopisches Revolutionsstück „Zement“ aus dem Jahr 1972, geschickt verpackt zwischen Zeilen und Szenen des Autors und des Regisseurs zwiespältiges Verhältnis zum Arbeiter- und Bauernstaat. Den Sowjet im Sinn, kommt man auf die DDR hin. Müllers Dramatisierung eines Romans von Fjodor Gladkow aus dem Jahr 1925 behandelt die Geschichte der russischen Revolution. Gleb Tschumalow (Sebastian Blomberg), Schlosser und kommunistischer Bürgerkriegsheld gegen die weißen Garden, kehrt heim. Das Zementwerk ist stillgelegt, seine traumatisierte und fanatisierte Frau Dascha (Bibiana Beglau) ist erkaltet wie der heimische Herd. Seine Tochter wird im Kinderheim verhungern, sie derweil die Frauenbewegung anführen. Die Revolution frißt ihre Kinder.

Das Ganze: Eine Tragödie griechischen Ausmaßes. Gespielt in einem grauen Betonwürfel, desssen Boden/Podium sich steiler und steiler aufrichtet. Die Kostüme schmutziggrauweiß, ein Chor mit Gesichtsmasken aus Strümpfen, Mützen – die er für einen kurzen Moment, da das Werk wieder läuft, abnehmen wird. Doch dann siegt das Kollektiv über das Individuum. Und sie vermummen sich wieder zur anonymen Masse. Einmal müssen sie sogar die Schreibmaschine sein. Auch Revolution braucht Bürokratie. Sie erschlägt sich mit Papier. Valery Tscheplanowa, das tote Kind, klein und allein, erzählt, singt dazu. Vom an den Felsen geschmiedeten Prometheus, vom trojanischen Krieg, von der Kindsmörderin Medea. Von Gleb und Dascha. Er, ein russigschwarzes Gespenst, dem die Maschinen zuschreien: Mach‘, dass unser Zementwerk läuft. Sie, Frau Oberbolschewikin, hart wie Stein. Vom Feind gefoltert und missbraucht, um den Aufenthaltsort ihres Mannes preiszugeben – der jetzt nach drei Jahren Absenz Sex will. Man ist sich fremd geworden. Und wird sich auch nicht mehr finden. Mit kleinsten Gesten erzählen die Gotscheff-Vertrauten Beglau und Blomberg das. Das Ende der Zwischenmenschlichkeit, den Beginn des Sowjetmenschen. Ein neues Land steht auf in diesem Infight der Protagonisten. Man hat nicht mehr die selben Lebensziele, so endet diese Liebesgeschichte. Beide spielen sie das gestochen scharf und trotzdem mit gebrochenem Herzen. Zwei Verletzte, die sich ihre Wunden nicht zeigen wollen oder können. Beide umkreisen sich mit atemberaubender Körperspannung. Eine großartige schauspielerische Leistung. Ebenso großartig, wie Gotscheff den Chor einsetzt, der einerseits von Politfunktionär, vom Apparatschik bis zum Bürger alle nachahmt, gleichzeitig jederzeit Lynchmob ist. Hauptsache, es gibt jemanden, an den man sich klammern kann. Das Feuer der Revolution hat ihnen die Köpfe enteignet. „Keine Sklaven mehr und keine Herren“, skandieren sie. Ob sie schon wissen, dass es nicht stimmen wird?

Gotscheff schuf großes, wuchtiges Theater. Dargeboten als Weihespiel. Es geht um Politik vs Wirtschaft. Den kategorische Imperativ. Die kampfverliebte Polja (Leitsatz: „An den Gewehren war die beste Zeit!“) und der anerkennungssüchtige, weil aus bourgeoiser Familie stammender Iwagin (Lukas Turtur) – das Gegenpaar zu Gleb und Dascha – stecken sich nach ihrem Parteiausschluss ihre zu Pistolen gekrümmten Zeigefinger in den Mund und versinken im Boden. Gewalt regiert und geschrieen wird viel. Der Kommunismus ist kein Traum, sondern Arbeit. Zeit und Welt sind bei Müller/Gotscheff aus den Fugen. Das ist der Stoff aus dem politisches Theater von und für Heute ist. Ein Menschheitsalbtraumtraumadrama.

www.berlinerfestspiele.de

www.residenztheater.de

Wien, 5. 5. 2014

Burgtheater: Die Krönung Richards III.

März 15, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Schon die zweite Vorstellung wurde abgesagt

Martin Wuttke Bild: Reinhard Werner, Burgtheater

Martin Wuttke
Bild: Reinhard Werner, Burgtheater

Freitag, 16.45 Uhr, wogten die Zuschauermassen durchs Foyer des Burgtheaters wie Wellen bei schwerem Seegang. Erst hieß es, die Vorstellung finde nicht statt. Also hin zur Kassa, Karten hergeben, Geld entgegennehmen. Dann hörte man, nein, die Vorstellung werde doch gespielt. Also Geld retour, Karten retour. Schließlich ließ Frank Castorf die zweite Vorstellung von „Die Krönung Richards III.“ absagen. Zwei Damen des Ensembles seien stimmlos. Oliver Masucci verlässt das Haus über den Bühneneingang,lässig, mit Sonnenbrille. Ein deutsches enttäuschtes Paar: „Bei uns schließen sie die Theater, die Burg sperrt sich von innen zu.“ Der mittlerweile auch schon entnervte Mann an der Kassa: „Wenn jetzt alle ihr Geld wollen, habe ich zu wenig Bares da.“ Nanu? Bares ging doch sonst am Haus in 100.000er-Summen über den Tisch.

Tags zuvor hatte manch Premieren-Printschreiber von Massenfluchten des Publikums berichtet. Nun wären die wahren Castorfianer da gewesen, um sich an der jüngsten Dekonstruktion des Grumpy Old Man des deutschen Diskurstheaters sechs Stunden lang zu laben. Der viel gemühte Sager vom Stückezertrümmerer ist nämlich ein blöder. Auch für „Heiterkeiten“ zum Thema Hinternwundsitzen besteht kein Anlass. Castorf macht größer, führt Gedanken der von ihm bearbeiteten Autoren fort und aus. Diesmal um Texte von Antonin Artaud – was könnte besser zu Hans Henny Jahnn passen, als dessen Theater der Grausamkeit -, Georges Batailles surrealistisch-dekadente-erotische Prosa  und, weil Bataille stark von ihm beeinflusst war und Castorf ohne ihn sowieso nicht kann: Karl Marx. Ans Ende stellte der Theatermacher Heiner Müllers „Der Auftrag“. Dessen, Martin Wuttkes als Richard III., vorletzter, viel belachter, von „Qualitätszeitungen“ als aktuell improvisiert interpretierter Satz „Unsere Firma steht nicht mehr im Handelsregister. Ich entlasse uns aus unserem Auftrag“, steht 1:1 so bei Heiner Müller. Lernen Sie Kultur, Herr Redakteur. Martin Wuttke, die treue Seele, war’s dann auch, die sich freitags anbot, auf der Bühne Material aus dem und ums Stück zu lesen.

Hans Henny Jahnn war ein Unbequemer, einer der großen produktiven Außenseitern des Zwanzigsten Jahrhunderts. Im Ersten Weltkrieg Kriegsdienstverweigerer, von den Nazis verfemt, man solle seine Stücke und Romane verbrennen, statt aufführen, meinte und tat das Dritte Reich, später einer der ersten öffentlichen Gegner der Atombombe. Und Tierversuchsgegner. Begründer der Künstlergruppe Ugrino. Orgelbauer und Pazifist, obwohl oder wohl weil er nicht an das Gute im Menschen glaubte. Er kämpfte in den frühen fünfziger Jahren gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands, gegen die Zerstörung der Umwelt und auch gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie, weil er die Lagerung des atomaren Mülls schon damals für unverantwortlich hielt. Den Menschen hat er einmal als „Schöpfungsfehler“ bezeichnet, der zentrale Gedanke seines Werks ist eine antichristliche Schöpfungsmythologie. In seinen Aufsätzen, Reden und in seinen Romanen beobachtet er mit wachsendem Entsetzen das Ausmaß an Grausamkeit und Destruktivität, dessen der Mensch fähig ist. „Der Mensch ist Körper zuerst, und dann vielleicht Geist“, sagt er einmal. „Der Trieb, die Gier, die Aggression sind unmittelbar“. Gott ist bei Jahnn nicht tot, er hat aufgegeben.

In diesem Sinne erklären sich alle Arten von Sadismus und Perversion, die „Die Krönung Richards III.“ ausmachen. Im Gegensatz zu Shakespeare stirbt der Antiheld am Ende nicht. Er muss leben. Weiterleben. Weil es Gewalt und Grausamkeit auch tun. In Ewigkeit, Amen. An der Burg spielen hoffentlich bald wieder: Martin Wuttke als Richard III., Ignaz Kirchner, Fabian Krüger, Jasna Fritzi Bauer, Oliver Masucci als Herzog Buckingham, Marcus Kiepe, Hermann Scheidleder, Dirk Nocker, Sophie Rois als Königswitwe Elisabeth, Markus Meyer, Marc Hosemann und Moussa Baba, Azamat Chabkhanov, Jovita Domingos-Dendo, Robin Furlic, Simon Jung, Anasiudu Kenechukwu, Tobias Margiol, Bernhard Mendel, Adam Nakaev, Marie-Christiane Nishimwe, Christoph Prochart und Philipp Schwab. Bühne und Kostüme: Bert Neumann.

Die nächste Vorstellung wäre am 20. März.

www.burgtheater.at/Content.Node2/home/ueber_uns/aktuelles/Vorstellungsabsage_14-03-2014.at.php

www.hans-henny-jahnn.de

Wien, 15. 3. 2014

Theater in der Josefstadt: Quartett

Februar 7, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Elisabeth Trissenaar und Helmuth Lohner brillieren

in der Regie von Hans Neuenfels

Elisabeth Trissenaar (Merteuil), Helmuth Lohner (Valmont) Bild: © Monika Rittershaus

Elisabeth Trissenaar (Merteuil), Helmuth Lohner (Valmont)
Bild: © Monika Rittershaus

Humor und Heiner Müller schließen sich nicht aus. Das war nie so, das galt nur als abgemacht. Es musste einer kommen wie Hans Neuenfels, um das auch klar zu machen. Als Josefstadtdebütant griff der Regiealtmeister erstmals zu einem Werk seines langjährigen Freundes, „Quartett“, und legte an dem in unzähligen Aufführungen auf akademisch getrimmten Stück wieder Wesentliches frei: Die ausgeprägte Galgenstrickkomödiantik, eine Perversion innerhalb der gekonnten Rethorik, die von den Figuren als Machtmittel freigesetzt wird, zur Waffe wird wie die entwaffnende Sprache. Drastisch ist dieses Drama. Und Neuenfels lässt die Körpersäfte fließen. Blut, Schweiß und Tränen. Scheiße. Und Sperma. Seine Inszenierung hat was von einer Screwball-Comedy des Grauens. Mit Gri-Masken und Mummenschanz. Mit heiterem Horror. Das Publikum war zu Recht amüsiert.

„Quartett“ ist die Fortschreibung von Choderlos de Laclos‘ Briefroman „Gefährliche Liebschaften“. Müller beschränkt die Personen auf die Marquise Merteuil und ihren ehemaligen Geliebten Vicomte Valmont. Die beiden ergehen sich im erotisch-egomanischen Rollenspiel. Sie ist er und er ist sie. Dazu äffen sie die bigotte Präsidentengattin Madame de Tourvel nach, die Valmont zu Fall, heißt: ins Bett, bringen will, ganz fiebriger Jäger, die Betschwester zu erlegen. Und Merteuils junge Nichte Cécile de Volanges, eine Klosterschülerin. Die Marquise wünscht aus reiner Bosheit deren Entjungferung durch den Vicomte, bevor die Volanges in den Ehestand tritt. Doch der hat zunächst an der leichten, naiven Beute kein Interesse. Das diabolische Paar verstrickt sich immer mehr in seine Ränkeschmiedearbeiten, krankt aber vor allem an der Beziehung zueinander. Man laboriert an diesem Ding, das man einst gemeinsam besessen hat. War’s jemals Liebe? Sex sicherlich. Die Körperlichkeit wurde Gewohnheit, dann Leere. Ein Krebs, an dem Heiner Müller starb. Am Ende tropft bei Neuenfels beiden Ungeheuern das Blut aus den offenen Mäulern.

Dieses Endspiel, die vorgeschriebene Endzeitmüdigkeit beherrschen Elisabeth Trissenaar (Neuenfels‘ Ehefrau, auch sie erstmals an der Josefstadt) und Helmuth Lohner perfekt. Mit leichter Hand in die Szene gesetzt – Bühnenbild: ein tiefschwarzer, Heiner Müllers Ausstattungsanweisung aufs Beste interpretierender Boudoir-Bunker von Reinhard von der Thannen, der auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet – entfesseln die beiden Schauspielstars eine darstellerische Gewalt, dass es einem den Atem nimmt. Die Trissenaar, gehüllt in violetten Samt, changiert im schnellen Wechsel zwischen winselnder Sehnsucht, hysterischer Xanthippenhaftigkeit und spröder, strenger Zuchtmeisterin. Eine Domina auf dem Weg zur Vettel. Lohner erscheint mit grauweißer Langhaarperücke und düsterem Brokatgehrock samt Rüschenhemd, ein abgefuckter Graf Dracula, ein in die Jahre gekommener Hengst, der den Abdecker durch vorgeführte Geschmeidigkeit beeindrucken muss. Valmont-Lohner turnt elastisch über die Bühne, übt sich an einer Art Balletstange und in der Bodengymnastik. Ganz ehrlich: Lohner ist zum Fürchten, jedermanns Teufel, wie weiland in Salzburg, eingehüllt in das Faszinosum des Monströsen.

So treffen einander Teufel und Teufelin zum Schlagabtausch. Mit Trissenaar und Lohner wird „Quartett“ zum Schlachtfest für zwei Ausnahmeschauspieler. Sie schenken sich nichts, höchstens einer dem anderen vergifteten Wein ein. Sie bringen die Hassliebe zweier den Hass Liebenden zum Glühen. Sprachgewaltig sind sie sowieso; große Kunst ist aber auch, wie sie beim Rollentausch Gestik und Mimik des anderen annehmen. Die Trissenaar ist ganz ganzer Kerl, Lohner ganz Mädchen, entzückend, und begeistert mit seiner Persiflage der Perlenkette kauenden Präsidentengattin Tourvel. Ach, halb zog er sie, halb sank sie hin. Trissenaar antwortet mit einer herrlich undamenhaften Ekelfratze auf sein „Bespringen der Kuh“.  Auf einer Parallelebene zum Grotesk-Grauslich-Komischen agiert in den wie Untote wirkenden Merteuil und Valmont doch die schiere Verzweiflung ob des eigenen Endes, gestalten Trissenaar und Lohner den Tod mit, der schon um die Ecke lauert. „Zeit“ ist der größte Feind der Figuren. In Neuenfels‘ Anleitung gelingt den Darstellern ein vielschichtiges Spiel, das Fassaden immer wieder neu aufbricht und die vor sich hin rottenden Innenleben freilegt. Es bleibt einem nichts anderes, als das Böse zu bemitleiden. Das Publikum, versunken im Wechselbad der Gefühle, dankt mit viel Applaus. Weshalb es in diesem Stück der Besiegten an diesem Abend nur Sieger gibt.

www.josefstadt.org

Wien, 7. 2. 2014