Kunst Haus Wien: Teach Nature

Juni 13, 2022 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Zur Eröffnung gibt’s ein Sommerfest in der Grätzloase

© Akademie der bildenden Künste Wien © Freja Gøtke

Das Kunst Haus Wien zeigt ab 15. Juni die Ausstellung „Teach Nature“. Für die Gruppenausstellung setzen sich Studierende der Akademie der bildenden Künste mit der Bedeutung von Natur für die Kunstproduktion auseinander. Inspiriert wurden ihre Arbeiten durch Besuche österreichischer Nationalsparks und Gespräche mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Parkbetreuerinnen und Parkbetreuern.

Ausgangspunkt der Beschäftigung der Studierenden war die sogenannte „Rote Liste“, also die stetig steigende Anzahl der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten Österreichs. Simone Bader, Mona Hahn, Roland Kollnitz, Nora Schultz und Heimo Zobernig standen den Studierenden  als Lehrende der Fachbereiche Bildhauerei | Raumstrategien, Bildhauerei und Installation, sowie Kunst im öffentlichen Raum begleitend zur Seite. In regelmäßigen Treffen wurden die Zusammenhänge der in und mit der Natur gesammelten Eindrücke und deren Bedeutung für die Kunstproduktion diskutiert und Bezüge zur künstlerischen Arbeitsmethodik hergestellt.

Die künstlerischen Ergebnisse sind Interventionen im Innen- und Außenbereich der Garage des Kunst Haus Wien sowie im Café: Skulpturen, Malerei, Drucke, Videos und Performances. Zu den Künstlerinnen und Künstlern aus dem In- und Ausland zählen Vik Bayer, Anna Bochkova, Karolin Brägger, PYO E, Bianca Phos, Emma Hummerhielm Carlén, Kristina Cyan, Nana Dahlin, Freja Gøtke, Yoko Gwen Halbwidl,  Jusun Lee, raúl i. lima und Bob Schatzi Hausmann.

Zu sehen bis 2. Oktober.

Sommerfest im Kunst Haus Wien

© Akademie der bildenden Künste Wien © Bob Schatzi Hausmann

© Akademie der bildenden Künste Wien © Freja Gøtke

Zur Eröffnung der Ausstellung „Teach Nature“ und der neu installierten grünen Grätzloase lädt das Kunst Haus Wien zum Sommerfest am Dienstag, 14. Juni ab 18 Uhr. An diesem Abend ist auch die Fotografie- ausstellung „Wenn der Wind weht“ bei freiem Eintritt zu besichtigen. Es gibt es sommerliche Cocktails, Grillköstlichkeiten und Eis sowie feine Beats von den DJs Juliana Lindenhofer und Gerald Moser im begrünten Innenhof und der Grätzloase des Kunst Haus Wien.

Programm:

18 Uhr: Eröffnung Ausstellung „Teach Nature“
18.45 Uhr: “This basic nature” von Florian Hofer
17.30 – 20 Uhr: DJ Gerald Moser
20 Uhr: Performance/Konzert von Nana Dahlin
20.30 – 22 Uhr: „Du musst nicht alles wissen / Says the ruling class“ DJ- Set von Juliana Lindenhofer
18 -21 Uhr Ausstellung „Wenn der Wind weht“

Food & Drinks:

Lammwürste vom Grill mit Wiederkehr Brot von Ströck
Sommerliche Cocktails von der Eden Bar
Eis von Ramelle in der Grätzloase *

* Das begrünte Parklet des Kunst Haus Wien wurde von Designer Robert Rüf gestaltet und besteht aus massiver Lärche und Seekiefer-Sperrholz. Für die Bepflanzung wurde der Fokus auf essbare, Kräuter und bienenfreundliche Pflanzen gelegt. So findet sich in der Grätzloase zum Beispiel Lavendel, Salbei, Griechischer Bergtee, Minze, Petersilie und Gewürztagetes.

Der Eintritt zum Sommerfest ist frei!
Um Anmeldung wird gebeten: HIER ANMELDEN

Welttag des Windes: 1+1 gratis ins Museum

Kunst Haus Wien. Bild: © Rudolf Strobl

Zum Welttag des Windes am 15. Juni, 10 bis 18 Uhr, erhalten Besucherinnen und Besucher zu jedem Vollpreisticket ein weiteres Ticket gratis dazu. Im Kontext der Klimakrise spielen sowohl Luftverschmutzung und Stürme als auch die Windkraft als erneuerbare Energiequelle eine wesentliche Rolle. Ursprünglich als Aktionstag der Windenergie ausgerichtet, dient er nun zur Bewusstseinsbildung zu alternativer Energieformen, Ökologie und Umweltschutz. Um 17 Uhr startet eine Führung durch die Fotoausstellung Wenn der Wind weht. Die Teilnahme ist ebenfalls gratis.

www.kunsthauswien.com

13. 6. 2022

Burgtheater: Die Ärztin

Januar 8, 2022 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine brillante Fortschreibung des Professor Bernhardi

Die Ärztin vor dem Tribunal einer TV-Talkshow: Sophie von Kessel, Bless Amada, Zeynep Buyraç und Gunther Eckes. Bild: © Marcella Ruiz Cruz

Sich in Wien an eine Schnitzler-Fortschreibung zu wagen, da mag die Angelegenheit andernorts noch so bejubelt worden sein, ist ein Wagnis. Der britische Autor und Regisseur Robert Icke hat gewagt und gewonnen. Icke, von der Orestie bis „Onkel Wanja“ bekannt für diese Arbeitsweise, hat sich den „Professor Bernhardi“ als Vorlage für sein Stück „Die Ärztin“ hergenommen, die hervorragende Übersetzung ins Deutsche stammt von Christina Schlögl.

Entstanden ist so die hochintelligente, hochenergetische, am Ende mit viel Applaus bedankte deutschsprachige Erstaufführung am Burgtheater. Mit einem sich die Seele aus dem Leib spielenden Ensemble, Leib und Seele ja sozusagen die Metareflexion des Dramas, angeführt von der famosen Sophie von Kessel, doch gab’s auch einige – zumindest für einen selbst – neue Gesichter zu entdecken: den in Togo geborenen Bless Amada, seit dieser Spielzeit am Haus, den deutsch-ghanaischen Theater- und Filmschauspieler Ernst Allan Hausmann. Sandra Selimović kennt man unter anderem aus dem Kosmos Theater und dem Werk X, wo auch Zeynep Buyraç künstlerisch verwurzelt ist.

Skurril mutet im Kontext an, wie schubladendenkend Buyraç von den Medien als „erste türkischstämmige Burgtheaterschauspielerin“ präsentiert wurde, ist derlei doch genau das, was Icke nicht will. Icke hält sich in Wien ans erprobte Konzept seiner 2019-Uraufführung am Londoner Almeida: Cross-Casting sowohl was Geschlecht als auch Hautfarbe betrifft. Erst aus den Dialogen entschlüsselt sich, wer hier Mann/Frau, Schwarz/Weiß ist, und diese Erkenntnisse sind allemal für Überraschungen gut – und über allen thront Teresa Müllner am Schlagwerk, die zweieinhalb Stunden lang, auch in der Pause, für Atmosphäre sorgt, einem Herzschlag, einer Hektik, die sich zum Crescendo steigert, einem sanften Vibrieren der Becken für die wenigen stillen Momente.

Die Story, die sich im mit London identen, da ebenfalls von Hildegard Bechtler besorgtem Bühnenbild abspielt, ist auf den ersten Blick nicht allzu weit von Schnitzler entfernt: Professor Ruth Wolff, P.W. – böser Wolf witzeln ihre Kollegen anfangs noch, verweigert einem Priester den Zutritt zu einem an einer Sepsis nach Abtreibung sterbenden Mädchen. Lange ist Wolff wie Bernhardi im Original überzeugt, dass sie es sich leisten könne, sich aus den Querelen und Machtspielen herauszuhalten. Worin sie sich täuscht. Das Ganze gerät zum Skandal, Wolff, die säkulare Jüdin, ins Kreuzfeuer der Kritik. Hier wendet sich das Blatt von 1912, denn Wolff, Leiterin einer prestigeträchtigen Alzheimer-Klinik und -Forschungseinrichtung, muss sich jäh die Frage stellen lassen, ob sie etwas gegen das Christentum oder, denn der Pfarrer ist einer, gegen Schwarze habe, ob sie eine Rassistin sei.

Sophie von Kessel als spitzzüngige Ruth Wolff. Bild: © Marcella Ruiz Cruz

Mit Maresi Riegner, oben am Schlagwerk: Teresa Müllner. Bild: © Marcella Ruiz Cruz

Sandra Selimović als Lebenspartnerin Charlie und Sophie von Kessel. Bild: © Marcella Ruiz Cruz

Entlang dieser Bassline entwickelt Icke seinen Bernhardi 2.0. Themen wie Postenschacher, Religion gegen Wissenschaft, wobei die eine Seite um nichts weniger fanatisch ist, als die andere, das Ringen darum, wer über Ethik und Moral zu werten habe, scheinen als epochenübergreifende Praxis auf. Darüber hinaus allerdings verhandelt „Die Ärztin“ eine toxische „Identitätspolitik“, dies der neue Kampfbegriff für die Zuordnung von Menschen zu einer bestimmten Gruppe. Verhandelt „Die Ärztin“ Zuschreibungen in einer Welt, in der auch Hautfarbe, Geschlecht und Herkunft zum gesellschaftspolitischen Stolperstein werden können.

Sie fühle sich keiner Gruppe zugehörig, sagt Ruth Wolff denn auch mehrmals. Da ist der Shitstorm längst über sie hinweggefegt, hat sie die selbstgerechte Political Correctness der Social Media Communities längst erfahren, „ich trende“ sagt sie dazu, sitzt sie bereits im Fernsehstudio dem Tribunal der Talkshow „Im Ring“ gegenüber, wo sie sich der in einen Topf geworfenen Ressentiments bald nicht mehr erwehren kann – ihre Gegenüber etwa eine Abtreibungsgegnerin, ein Aktivist „mit Schwerpunkt postkoloniale Theorie“ oder die Leiterin einer „nationalen Aktionsgruppe zur Bekämpfung unbewusster Vorurteile“, das hat schon Witz.

Von Kessel agiert in diesem Diversitätsdilemma als spitzfindige, scharfzüngige Ruth. Das Paradoxon ihrer Performance heißt: eiskalt emotional. Ickes Text ist, was man im Englischen witty nennt, und wofür es keine adäquate Übersetzung gibt: geistreich, galgenhumorig, die Sarkasmen zugespitzt zu Satzpfeilen, jede Medisance ein Treffer, und ja, darüber wird im Saal gelacht. „Hexe in Weiß“ nennt sich Ruth als die Hexenjagd, die mediale Hinrichtung im digitalen Zeitalter beginnt. Ihr Leitsatz „Es ist vorbei, wenn es eine Leiche gibt“, wird sich schlussendlich als radikale, das Publikum atemlos zurücklassende Lösung anbieten.

Als Ruths Gegenspieler, der nationalistische, antisemitische Professor Roger Hardiman, kommt Zeynep Buyraç zum Zug, sie gestaltet mit Verve einen schlauen Intriganten und Zyniker. Einen Karrierestrategen, der niemals die Contenance verliert, will er für alle, für allem für sich doch nur das Beste. Einen Machtmenschen, der weiß, wie er mit einem Minimum von Anstrengung dominieren und sich dabei auch noch amüsieren kann. Derlei Figuren kennt man aus der hiesigen Politik. Und apropos: Stacyian Jackson gibt die Gesundheitsministerin, vormals Ruths Assistenzärztin, die es mit dem Kalkül einer Politikerin versteht, ihr Fähnlein nach dem Wind der öffentlichen Meinung zu hängen.

Philipp Hauß, Bardo Böhlefeld, Melanie Sidhu, Ernest Allan Hausmann, Gunther Eckes, Bless Amada und Sophie von Kessel. Bild: © Marcella Ruiz Cruz

Intrigant Hardiman übernimmt das Team: Gunther Eckes, Bardo Böhlefeld, Zeynep Buyraç, Melanie Sidhu und Ernest Allan Hausmann. Bild: © Marcella Ruiz Cruz

Stacyian Jackson als Gesundheitsministerin, Sophie von Kessel und Ernest Allan Hausmann. Bild: © Marcella Ruiz Cruz

Ähnliche Ansprüche, unterschiedliche Anschauungen: Sophie von Kessel und Philipp Hauß. Bild: © Marcella Ruiz Cruz

Bless Amada spielt den loyalen, weiß-jüdischen Dr. Michael Copley, Ernest Allan Hausmann macht aus Klinik-Grandseigneur Professor Brian Cyprian einen herrlich cholerischen Charakter. Bardo Böhlefeld im Herrenanzug ist erst Krankenhaus-Pressesprecherin Rebecca, dann der Talkshow-Moderator. Gunther Eckes als katholisch geifernder Dr. Paul Murphy und Melanie Sidhu als Assistenzarzt Junior machen sich ob der Krise übers wirtschaftliche Überleben des Krankenhauses Gedanken, auch diesen aktuellen Aspekt der Ökonomie um jeden Preis bringt Icke ein.

Philipp Hauß ist mal als schwarzer Pfarrer, mal als bigotter Vater des verstorbenen Mädchens zu lesen, ein Vater, dem sich die Schwangere offensichtlich nicht anzuvertrauen traute. Wie stets überzeugt Hauß mit seiner ruhigen, überlegten Art zu spielen. Ihn auf der Bühne zu sehen, ist immer ein Gewinn. Die anderen agieren wie auf einem Pulverfass, Sophie von Kessel hält den ganzen Abend die Lunte in der Hand und beeindruckt auf ihrem Weg von der selbstbewussten Medizinerin hin zur gebrochenen Existenz.

Die Situationen eskalieren, die Entgleisungen nehmen zu, zum Feindbild wird die weiße, jüdische Frau. Management stellt sich gegen Menschlichkeit und der Ministerin Definition von Opportunismus lautet „offen und transparent sein“. Auch einen Seitenhieb auf Covid-19-Debatten verkneift man sich nicht, wenn Bless Amada festhält: „Menschen, die lieber sterben, als technischen Fortschritt anzunehmen – Menschen, die sich vor jeder neuen Idee fürchten, worauf ich nur sagen kann: ‚Sterbt ruhig, wenn ihr wollt, aber meine Kinder werden geimpft'“.

Im Gegensatz zur aggressiven Klinikwelt, scheint Ruth daheim eine heile zu haben. Mit Nachbars-Transkind Sami aka Maresi Riegner und Sandra Selimović als Lebensgefährtin Charlie. Umso mehr schockiert, als sich bei einem finalen Besuch des Pfarrers und dem gemeinsamen Versuch, die wissenschaftliche und die religiöse Weltanschauung auf einen Nenner zu bringen (und wieder Schnitzler: von allen Figuren sind sich der Gottesmann und die Klinikchefin am nächsten, braucht’s doch für beiden Professionen Mitgefühl, Idealismus und Glaubensstärke), Charlies Rolle enträtselt. Beglückt, benommen, betroffen, macht man sich zur 22-Uhr-Sperrstunde auf dem Nachhauseweg.

Teaser: www.youtube.com/watch?v=9LyWkpdtyu4          www.burgtheater.at          roberticke.com

TIPP: Am 13. Jänner um 18.45 Uhr spricht Sophie von Kessel im Online-Talk-Format „Werk im Fokus“ des Burgtheaters über „Die Ärztin“. Live auf Zoom. Die Teilnahme ist kostenlos. Der Link geht an alle Newsletter-Abonnentinnen und -Abonnenten.

8.1. 2022

Museum NÖ – Der junge Hitler: Ausstellung geht ins Netz

November 25, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Grundstein für Nationalismus und Rassismus

Das Kaiserpanorama, Bilder von 1914. Bild: © Daniel Hinterramskogler

Die Sonderausstellung „Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators. 1889-1914“ ist das bisher inhaltlich ambitionierteste Projekt im Haus der Geschichte in St. Pölten. Sie traf dort auf ein interessiertes Publikum und erfuhr internationale Medienaufmerksamkeit. Bis Ende Oktober 2021 war die Ausstellung im Nordico Linz zu sehen. Ab sofort ist sie als virtueller Rundgang auf abzurufen: www.museumnoe.at/ausstellungjungehitler

„Normalerweise wird in Ausstellungen nur der aktuelle Wissensstand vermittelt. Bei diesem Projekt war es anders. Die Ausstellung wurde selbst zum Impulsgeber für neue Forschungen“, hält Christian Rapp, wissenschaftlicher Leiter des Hauses der Geschichte fest. „Bei unserem Workshop ‚Hitler und das Fin de Siècle‘ im Herbst 2020 hat Roman Sandgruber erstmals seine Forschungen zu Adolf Hitlers Vater Alois vorgestellt. Auch wir selbst konnten wichtige neue Quellen zu Kindheit und Jugend Hitlers beisteuern. Im April 2021 wurden diese dann in der Linzer Fassung der Ausstellung für das Nordico integriert.“ Die Beiträge des internationalen Workshops „Hitler und das Fin de Siècle“ und eine kurze Einführung von Christian Rapp sind hier abrufbar: https://www.museumnoe.at/de/haus-der-geschichte/Sonderausstellung/der_junge_Hitler.

Und hier noch einmal die Rezension der Schau vom Februar 2020: Vor 75 Jahren endete mit dem Zweiten Weltkrieg auch der Holocaust, beides entfesselt von Adolf Hitler und den Nationalsozialisten. Das Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich nimmt das zum Anlass, nach den Anfängen zu fragen: Woher kamen Militarismus, Rassenhass und Antisemitismus? Wie weit waren sie in der Gesellschaft bereits verankert? Die Parallelerzählung „Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators. 1889-1914“ beleuchtet die frühe Biografie des späteren „Führer“ und die politischen Strömungen dieser Zeit.

Porträt von Mutter Klara Hitler. © ÖNB/Wien

Hitlers Vater Alois, in seiner Uniform als Zollbeamter, um 1890. © ÖNB/Wien

Der 16-jährige Adolf Hitler, gezeichnet von einem Mitschüler namens Sturmlechner in der Realschule Steyr, 1905. © Sammlung Rauch / Interfoto / picturedesk.com

„Die Ausstellung eignet sich nicht zur Heldenverehrung. Anhand authentischer Dokumente zeichnet sich vielmehr das Bild eines früh Gescheiterten ab und eines Außenseiters, der stets die Umwelt für eigenes Versagen verantwortlich macht“, schließt Christian Rapp jedes Missverständnis aus. „Ganz wichtig ist es uns gleichzeitig, die düsteren Seiten der Jahrhundertwende darzustellen. Viele Objekte der Ausstellung machen deutlich, wie die Politiker jener Zeit mit Ängsten und Vorurteilen Stimmung gemacht haben, ob es sich um den radikalen Deutschnationalen Georg von Schönerer handelt oder um den antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger. Ihre Parolen haben sie in ihren Reden, ihren Zeitungen, aber auch auf Werbemarken und auf Zierporzellan verbreitet. Mit Objekten und Bildern lassen sich auch die abstrusen Lehren von Rassen- hygienikern gut dokumentieren, die rassistische Überheblichkeit der Europäer als Kolonialherren, die Frauen- feindlichkeit und die Kriegsbegeisterung. Sie prägen Adolf Hitler und seine Zeitgenossen“, so Rapp.

Das Parlament – Aquarell von Adolf Hitler. © Verlag Alinari

Michaelerplatz – Aquarell von Adolf Hitler. © Verlag Alinari

„Über die Kindheit und Jugend von Adolf Hitler wurde schon viel geschrieben und publiziert. Aufgabe unserer wissenschaftlichen Aufarbeitung war es nun, akribisch Geschichte von Geschichten zu trennen“, ergänzt Hannes Leidinger, der gemeinsam mit Rapp ein Buch zum Thema veröffentlicht hat. „Wichtig war es uns, neuerlich an die Quellen zu gehen und die neuen elektronischen Recherchemethoden zu nutzen. Außerdem war uns erstmals der Nachlass seines Jugendfreundes August Kubizek zugänglich. Wir zeigen daraus einige aufschlussreiche Originale wie ein Notenblatt, das entstand, als Adolf Hitler sich als Opernkomponist im Stile Richard Wagners versucht hat. Hier wird die fatale Selbstüberschätzung bereits sichtbar“, so Leidinger. Erstveröffentlichung: www.mottingers-meinung.at/?p=38606

www.museumnoe.at           www.museumnoe.at/ausstellungjungehitler

25. 11. 2021

Haus der Geschichte: Web-Schau zum Nachkriegsfilm

Januar 19, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Das Kino als Hort der heilen Welt

Die Deutschmeister, Regie: Ernst Marischka, A 1955, Jupiter Film

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschien hierzulande vielen nicht nur die Zukunft, sondern auch eine eigene Identität höchst unsicher. Darauf reagierte die österreichische Filmindustrie: Mit neuen Produktionen vermittelte sie dem Publikum auf unterhaltsame Weise die Eigenarten und Vorzüge des „Österreichischen“. Die unmittelbare Vergangenheit berührte das Kino kaum. Stattdessen bot es Ablenkung durch lustige Verwechslungskomödien, schwungvolle Melodien und

Bilderbuchlandschaften. Der historische Kostümfilm übersprang das Dritte Reich, den „Anschluss“ und den Nationalsozialismus und ließ Österreichs glorreiche Vergangenheit in der Habsburgermonarchie wiederaufleben und das Land damit in neuem altem Glanz erstrahlen.

In der Web-Ausstellung „Österreich als filmischer Sehnsuchtsort“ zeigt das Haus der Geschichte Österreich diese zeitgeschichtlichen Zusammenhänge auf. „Das Kino der Nachkriegszeit erreichte hunderttausende Menschen und beeinflusste damit die österreichische Identität weit wirkungsvoller als jedes Regierungsprogramm. In der Bewerbung des ‚Österreichischen‘ schlug man mehrere Fliegen mit einer Klappe. Hier verbanden sich die Zielsetzungen der politischen Eliten auf ideale Weise mit den Interessen der Filmindustrie und den Sehnsüchten der Menschen“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer.

Die heimische Filmindustrie stellte sich nur zu gern in den Dienst des nationalen Identitätsprojekts. Sie war durch alliierte Exportverbote vom größten Absatzmarkt Deutschland abgekoppelt und gleichzeitig bemüht, von der eigenen Mitwirkung in der nationalsozialistischen Filmwirtschaft abzulenken. Anhand von Filmausschnitten berühmt gewordener Werke greift das hdgö vier Aspekte auf:

Die Fiakermilli, Regie: Arthur Maria Rabenalt, A 1953, Jupiter Film

Die Welt dreht sich verkehrt, Regie: J. A. Hübler-Kahla, A 1947, Jupiter Film

Der Engel mit der Posaune, Regie: Karl Hartl, A 1948, Jupiter Film

„Tanzen statt schießen“ hieß es für österreichische Soldaten. Der Kostümfilm ersetzte die belastete Wehrmachtsuniform durch die makellose blaue k.u.k.-Uniform und verwandelte deren Träger in einen sanftmütigen, musikalischen Genius. Der österreichische Soldat schwärmt für Mehlspeisen und Musik, sitzt den lieben langen Tag im Kaffeehaus oder bringt der Herzenstrauten ein Ständchen dar. Gewalt und Töten sind ihm wesensfremd – siehe „Kaiserwalzer”, Regie von Franz Antel, aus dem Jahr 1953 (Trailer), oder „Die Deutschmeister”, Regie von Ernst Marischka, aus dem Jahr 1955. www.hdgoe.at/tanzen_schiessen

 

„Starke Frauen im Nachkriegskino“ zeigt zunächst selbstbewusste Frauen, die sich weder von Männern noch von Geldnot abhalten ließen, ihre Ziele zu erreichen. Solche emanzipatorischen Vorbilder, wie in „Rendezvous im Salzkammergut”, Regie von Alfred Stöger, aus dem Jahr 1948, verschwanden bald wieder von der Leinwand. In „Die Fiakermilli”, Regie von Arthur Maria Rabenalt, aus dem Jahr 1953, tauchten sie noch einmal auf, mit Erni Mangold in einer der erotischsten Szenen des österreichischen Kinos – siehe Trailer. www.hdgoe.at/selbstbewusst_erotisch

 

„Österreich – Immer Opfer?“ Nach 1945 wies Österreich jegliche Mitschuld an Krieg und Holocaust von sich und präsentierte sich als „erstes Opfer“ der Aggression durch Hitler-Deutschland. Johannes Alexander Hübler-Kahlas ironische Komödie „Die Welt dreht sich verkehrt” aus dem Jahr 1947 greift diese Opferthese auf und verfolgt ihre historischen Wurzeln bis in die Keltenzeit. „Der Engel mit der Posaune”, Regie von Karl Hartl, aus dem Jahr 1948, 2017 in einer Bühnenfassung am Theater in der Josefstadt zu sehen (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=25769) hingegen thematisiert die Beteiligung von Österreicherinnen und Österreicher am Holocaust – siehe Trailer. www.hdgoe.at/oesterreich_opfer

 

„Schuldig oder nicht schuldig?“ Diese Frage sparte das österreichische Kino weitgehend aus. Doch es gab Ausnahmen, wie ein Filmausschnitt aus Eduard von Borsodys „Die Frau am Weg”  aus dem Jahr 1948 belegt. Der Film zeigt die unmenschliche Haltung eines österreichischen Grenzbeamten auf, der sich auf seine Pflicht beruft – siehe Trailer. www.hdgoe.at/schuldig_nichtschuldig

 

www.hdgoe.at

19. 1. 2021

Elfie Semotan im Kunst Haus Wien. Ab 13. März

Dezember 28, 2020 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Haltung und Pose: Eine Werkschau zum 80. Geburtstag

Inspiriert von einem Kollegen: Vivien Solari („Life moves fast“ inspired by Jeff Wall), New York, 1999. Courtesy Studio Semotan. © Elfie Semotan

Anlässlich ihres 80. Geburtstags würdigt das Kunst Haus Wien die große österreichische Fotografin Elfie Semotan in seiner Eröffnungsausstellung 2021 mit einer umfangreichen Werkschau. Präsentiert wird das vielschichtige und umfangreiche Schaffen der Kamerakünstlerin – von ihren weltberühmten Modeaufnahmen für Helmut Lang, Liska oder Zalando über Werbe-Auftragsarbeiten für Palmers und Römerquelle bis hin zu ihren faszinierenden Aufnahmen von Ateliers, ihren berührenden Landschaftsaufnahmen und Stillleben und ihren bekannten

Künstler- und Künstlerinnenporträts. Von Persönlichkeiten wie William Dafoe oder Missy Elliott und Models wie Naomi Campell, Claudia Schiffer oder Cordula Reyer – die Schau „Haltung und Pose“ zeigt ab 13. März mehr als 160 Arbeiten. „Über diese große Museumsausstellung freue ich mich sehr und bin auch stolz, da das Kunst Haus Wien jener Ort in Wien ist, der sich kontinuierlich mit künstlerischer Fotografie auseinandersetzt“, sagt Elfie Semotan und erklärt: „Die Ausstellung-Komposition wird extravagant, meine Arbeit wird nicht chronologisch, sondern aus einem neuen intuitiven und innovativen Blickwinkel präsentiert.“

Über die Künstlerin:
Die 1941 in Wels geborene Elfie Semotan besucht in Wien die Modeschule und geht im Anschluss, im Alter von 20 Jahren, nach Paris, wo sie für einige Jahre als Mannequin arbeitet und Einblick in die Welt der Mode und der Fotografie erhält. In Paris lernt Semotan auch Sarah Moon kennen, die später neben Elfie Semotan, Corinne Day und Ellen von Unwerth zu den wenigen sehr erfolgreichen Modefotografinnen in dieser männerdominierten Branche gehören wird.

Von Moon inspiriert, lernt Semotan von ihrem damaligen Partner, dem kanadischen Fotografen und Filmemacher John Cook, schließlich selbst den Umgang mit der Kamera wie auch die Arbeit in der Dunkelkammer und entwickelt ihr außergewöhnliches Gespür für Licht. Cooks ans Filmische angelehnte und in Geschichten gedachte fotografische Herangehensweise sollte Semotans Art zu fotografieren beeinflussen. Prägend wirkt sich auch ihre eigene Erfahrung als Fotomodell aus.

Gerhard Freidl, Wien, 2009. Courtesy Studio Semotan. © Elfie Semotan

Self-portrait, New York, 2000. Courtesy Studio Semotan. © Elfie Semotan

o.T. (Inspiriert von Roy Lichtenstein), New York, 2002. Courtesy Studio Semotan. © Elfie Semotan

In der Zusammenarbeit mit professionellen Models, aber auch bei ihren Porträtaufnahmen setzt Semotan fortan auf eine angenehme Atmosphäre und eine offene Kommunikation. Durch ihre lockere, aber respektvolle Art holt sie ihre Modelle aus der Defensive. „Ich weiß, wie alleine gelassen man sich fühlt, wenn einem der Fotograf nicht sagt, wohin die Reise gehen soll. Man muss den Menschen vor der Kamera von seinen Ängsten und Eitelkeiten ablenken, denn sonst verkrampft er und versucht, möglichst schön und souverän auszusehen, und das verhindert, dass gute Bilder entstehen“, reflektiert die Künstlerin ihre Art, Menschen zu fotografieren.

Nach einigen Jahren in Paris, vielen Reisen in die Modemetropolen London, New York und Mailand und ersten Aufträgen als Fotografin kehrt Semotan nach Wien zurück. Dort reüssiert sie in den 1980er-Jahren als Mode- und Werbefotografin, bis sie in den 1990er-Jahren durch ihre Arbeit mit Helmut Lang, für den sie exklusiv die Modekampagnen fotografiert, schließlich weltbekannt wird. Es sind ihre Fotografien, die das kühle und intellektuelle Image der minimalistischen Mode des Stardesigners transportieren. Nun entstehen Modestrecken für weitere große Labels und ihre bekannten Porträtaufnahmen wichtiger Persönlichkeiten.

Elfie Semotans fotografischer Ansatz ist von Beginn an, mehr als nur schöne Kleider und Produkte abzubilden. Sie inszeniert und konstruiert innerhalb des Bildformats Geschichten. Auf dem Produkt, um das es geht, liegt – siehe ihre Arbeiten für Römerquelle – dabei oft nicht das Hauptaugenmerk. Anfang der 2000er-Jahre treibt Semotan diese Inszenierung in einer später legendären Modestrecke auf die Spitze: Die Models sind nur noch auf TV-Bildschirmen zu sehen, die einen Teil des fotografierten Interieurs bilden. Semotan wird zur Meisterin im Verknüpfen von Kreativität und Kommerzialität.

Kunst als Inspirationsquelle: o.T. (Floor Dance), New York, 1998. Courtesy Studio Semotan. © Elfie Semotan

Die Kunst und die Kunstgeschichte dienen ihr vielfach als Inspirationsquelle. Ihre Nähe zur bildenden Kunst wurde auch durch ihre Ehen mit den Künstlern Kurt Kocherscheidt und Martin Kippenberger verstärkt. Semotan nutzt ihr umfassendes Kunstverständnis und geht sehr frei und kreativ an ihre Aufträge heran. Künstlerische Aneignungen, Adaptionen und Hommagen an Kunstwerke, Künstlerinnen und Künstler finden sich in etlichen ihrer Serien, etwa „Inspired by Lucian Freud“ aus dem Jahr 1997, „Präraffaeliten“ von 2005 und in Arbeiten, die auf ikonische Bilder von so berühmten Fotografinnen und Fotografen wie John Coplans, Diane Arbus, Irving Penn oder Robert Frank Bezug nehmen.

www.kunsthauswien.com           semotan.com

Programmvorschau 2021: www.youtube.com/watch?v=yBktIA0jRhk           Trailer: www.youtube.com/watch?v=61JQ8RlJHYM           www.youtube.com/watch?v=DpViSCkAvRw

28. 12. 2020