Regisseur Michael Sturminger im Gespräch

Mai 18, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Zwei Juni-Premieren in Perchtoldsdorf, danach ein neues Musiktheaterprojekt mit John Malkovich

Ein Sommernachtstraum: Andreas Patton verwandelt sich in Oberon. Bild: Lalo Jodlbauer

Ein Sommernachtstraum: Andreas Patton verwandelt sich in Oberon. Bild: Lalo Jodlbauer

40 Jahre Sommerspiele Perchtoldsdorf, das ist ein guter Grund das Theater zu feiern. Intendant Michael Sturminger inszeniert zu diesem Anlass Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“. Doch bevor der Komödienklassiker ab 29. Juni im neu gestalteten Burghof aufgeführt werden wird, zeigt der Regisseur als Gastspiel seine Arbeit vom Stadttheater Klagenfurt: „Der Gott des Gemetzels“ mit seinem späteren „Oberon“ Andreas Patton und Burgschauspielerin Sabine Haupt. Premiere dieser Produktion ist bereits am 13. Juni im Neuen Burgsaal. Ein Gespräch über den Geschlechterkrieg oben und unten, Geld und die Gunst des Publikums, und ein neues, Sturmingers viertes Projekt mit Schauspielstar John Malkovich: „Call me God“ – der Monolog eines abtretenden Diktators:

MM: 40 Jahre Sommerspiele Perchtoldsdorf, das dritte Jahr der Intendanz Michael Sturminger. Was haben Sie bisher gelernt?

Michael Sturminger: Dass man wenig Spielraum hat und viel Geld verdienen muss. Die Subventionen sind knapp, und im Vergleich zu 2001, wo ich das erste Mal in Perchtoldsdorf inszeniert habe, nicht einmal mehr die Hälfte wert. Damals haben wir richtig gute Gagen zahlen können, jetzt müssen wir mehr als 50 Prozent erwirtschaften und haben eine Gemeinde, die sehr streng schaut, dass wir keinen Groschen zu viel ausgeben. Es gibt viele, die uns begeistert unterstützen, aber auch solche mit dem Was-brauch‘-ma-des-Gesicht, zwei Parteien also, und wir brauchen tatsächlich auch Unterstützung von außen, damit den Perchtoldsdorfern klar wird, dass sie da eine Institution haben.

MM: Sie kommen in Europa viel herum. Ist dieses Herabschauen auf den hauseigenen Kulturbetrieb nicht eine generelle Tendenz?

Sturminger: Ja, das hat für mich in Italien begonnen, wo der Berlusconismus befunden hat, dass er Theater nicht mehr braucht. Bei uns beginnt das alles erst. Denn niemand in der Politik lebt mehr vor, dass Theater etwas wert ist, dass Theater Werte vermittelt. Man muss doch vor allem jungen Leuten erklären, dass Theater nicht etwas ist, das man macht, wie die dritte Urlaubsreise im Jahr, wenn sich’s mit dem Geld ausgeht, gut, wenn nicht, dann eben nicht. Sondern, dass Theater den Mensch zum Menschen macht. Weil es ihn zwingt, sich mit Verstand und Gefühl Themen auszusetzen, das persönliche Spektrum zu erweitern, neue Dinge kennenzulernen. Theater ist ein Kennenlernen der Welt. Wenn das zur Disposition steht, verlieren wir alles, was unser Zusammenleben ausmacht und werden engstirnig und intolerant.

MM: Wie hoch ist Ihr Budget?

Sturminger: Alles in allem 575.000 Euro. Das klingt nicht schlecht, aber wenn man die Kosten für die Bühne bedenkt, die Anmietung der Tribüne, mehr als die Hälfte der Ausgaben sind Steuern … da bleibt für Schauspielergehälter nicht viel übrig. Dabei hatten wir vergangenes Jahr beinah 10.000 Zuschauer.

MM: Darunter auch sehr viele junge. Überall wird bejammert, dass man junge Leute nicht ins Theater bringt, Sie haben gegen diesen Trend ein Projekt ins Leben gerufen: Theater macht Schule.

Sturminger: Man muss die jungen Leute informieren, aber auch hören, und das tun wir. Wir laden sie zu den Proben ein, bieten eine Werkeinführung, und lassen dabei aber die Jugendlichen zu Wort kommen. Wir machen auch Einführungen für alle vor der Vorstellung, da waren vergangenes Jahr jeden Abend mehr als 150 Leute, also ein Viertel unseres Publikums. Wir gestalten dicke Programmhefte, weil wir Streber sind, und den Zuschauern vermitteln wollen, was wir nicht alles wissen, und die kommen so gut an, dass wir sie vergangenes Jahr nach zweieinhalb Wochen nachdrucken mussten. Das alles funktioniert, weil wir total auf die Leute zugehen. Hoffentlich kriegen wir so ein Stammpublikum zusammen. Wenn ich denke, welch tolle Schauspieler hier einmal begonnen haben, Gerti Drassl, Franziska Hackl, Gregor Bloéb …  ich wünsche mir ein Theaterpublikum, das in zehn Jahren irgendwo in einer österreichischen Bühne sitzt, einen Star sieht und sagt: Jesses, kannst dich erinnern, wie der in Perchtoldsdorf angefangen hat.

Der Gott des Gemetzels: Andreas Patton, Franziska Hackl, Sabine Haupt und Roman Blumenschein. Bild: © Karlheinz Fessl

Der Gott des Gemetzels: Andreas Patton, Franziska Hackl, Sabine Haupt und Roman Blumenschein. Bild: © Karlheinz Fessl

Gastspiel im Neuen Burgsaal: Patton, Haupt und Blumenschein. Bild: © Karlheinz Fessl

Erstmals ein Gastspiel im Neuen Burgsaal: Patton, Haupt und Blumenschein. Bild: © Karlheinz Fessl

MM: Damit zu den diesjährigen Aufführungen: Zum ersten Mal gibt es heuer eine eigenständige Produktion im Neuen Burgsaal: „Der Gott des Gemetzels“ mit Andreas Patton, Sabine Haupt, Franziska Hackl und Roman Blumenschein. An drei Terminen ab 13. Juni.

Sturminger: Das ist eine Produktion vom Stadttheater Klagenfurt, wir könnten uns eine eigene ja gar nicht leisten, dafür habe ich kein Budget mehr. Die Aufführung ist fantastisch, hat auch sehr gute Kritiken und vier tolle Schauspieler, deshalb traue ich mich das im Jubiläumsjahr. Florian Scholz und das Stadttheater Klagenfurt sind uns gegenüber sehr großzügig. Wenn wir etwas Gewinn machen sollten, kriegen sie auch was ab, wenn nicht …

MM: Geschlechterkampf oben und unten – war das eine programmatische Überlegung?

Sturminger: Jetzt, wo Sie’s sagen (er lacht) … nein … ich hatte einfach diese sehr schöne Produktion, als ich das geplant habe, wusste ich vom „Sommernachtstraum“ noch nichts. Ich mag diese Inszenierung einfach so gern, dass ich sie dem Perchtoldsdorfer Publikum zeigen wollte. Nun passt es natürlich ausgezeichnet, der Ehekrieg auf allen Spielplätzen.

MM: Denn am 29. Juni folgt „Ein Sommernachtstraum“ nach dem „Sturm“ 2015. Wird das eine Shakespeare-Pflege oder ist es Zufall?

Sturminger: Naja, zu 40 Jahren Sommerspiele dachte ich, ich will ein Stück über Theater-auf-dem-Theater machen. Ich wollte heuer auch wieder einen populären Titel, vielleicht können wir uns dann kommendes Jahr was trauen.

MM: Die Bühnenlösung wird neu sein? Die ersten Bilder schauen sehr unkonventionell aus.

Sturminger: Das Publikum sitzt heuer im Kreis um die Bühne, im Hintergrund bleibt die Burgruine. Ich will zeigen, wie man ins Theater immer mehr hineinstolpert. Wenn der Abend beginnt, sind wir alle noch bei Sinnen, wenn der Abend endet, haben wir die Normalität, die Rationalität verlassen, haben Dinge erlebt, die wir so nicht erwartet haben, die uns aus dem Tritt bringen, aber hoffentlich als Menschen kompletter machen. Ich will ja jetzt gar nicht so viel verraten, aber wir fangen an, wie Besucher der Sommerspiele und casten uns ein Ensemble zusammen. Das Ensemble verführt die Zuschauer mitten hinein in die Zauberwelt des Theaters, es nimmt sie mit auf eine Reise, das ist der Plan.

MM: Aber was wollen Sie erzählen? Den „Sommernachtstraum“ hat jeder x-Mal gesehen. Was daran ist wichtig?

Sturminger: Wir wollen Mut machen, sich als ganzer Mensch zu begreifen, und Begrenzungen nicht zu ernst zu nehmen, ich glaube, es ist das, was Shakespeare erzählen will. Es geht um Perspektivenänderung. Sich finden, indem man sich selbst verliert. Im Kern des Stücks sind die Schauspieler, und die sind wir, und sie werden uns über 400 Jahre Menschsein und dass sich daran nichts geändert hat, erzählen. Und wir wollen natürlich gemeinsam ein Fest feiern, darum geht’s ja auch im „Sommernachtstraum“, um ein Hochzeitsfest. Das Stück ist ein Hoch-Leben-Lassen des Theaters – und daher für ein Jubiläum so geeignet.

Markus Kofler. Bild: Lalo Jodlbauer

Markus Kofler. Bild: Lalo Jodlbauer

Theater macht Schule: Das Ensemble geht mit dem jungen Publikum in Tuchfühlung. Bild: Lalo Jodlbauer

Theater macht Schule: Das Ensemble geht mit dem jungen Publikum in Tuchfühlung. Bild: Lalo Jodlbauer

Schauspieler und Musikant: Raphael Nicholas. Bild: Lalo Jodlbauer

Raphael Nicholas. Bild: Lalo Jodlbauer

MM: Sie haben sich wieder ein feines Ensemble zusammengestellt. Wie versammeln Sie Ihre Truppe um sich?

Sturminger: Es sind einige, die schon vergangenes Jahr dabei waren, und einige, die ich noch nicht kenne, diese Challenge brauche ich. Ich suche für jeden eine Rolle, mit der er gefordert ist, damit sich alle drauf freuen. Andreas Patton und Veronika Glatzner spielen Oberon und Titania beziehungsweise Theseus und Hippolyta, die Handwerker sind Nikolaus Barton, Markus Kofler und Raphael Nicholas, der natürlich Akkordeon spielen wird. Markus Kofler als Squenz ist sozusagen unser „Regisseur“, der auch für das Fest verantwortlich ist. Bei den jungen Schauspielern habe ich lange gesucht, mich jetzt für Jan Hutter, Julia Richter, Sophie Aujesky und Benjamin Vanyek entschieden. Ich habe versucht, vier Leute zu finden, die nicht so typische junge Schauspieler sind, sondern „Typen“, ein wenig seltsam, ein wenig spleenig. Ich finde das sehr förderlich für junge Schauspieler, wenn sie nicht der kleinste gemeinsame Nenner von allem sind, sondern etwas besonderes.

MM: Das ist sicher einer der Vorzüge von Sommertheater, dass man sich sein Team selbst zusammenstellen kann, und nicht wie beim Stadttheater aus dem bestehenden Ensemble zu wählen hat.

Sturminger: Ja, und auch das Team liebt das, einmal in ganz neuen Konstellationen arbeiten zu dürfen. Da ist niemand dabei, weil er muss, weil er vor 19 Jahren unvorsichtigerweise einen Ensemblevertrag unterschrieben hat, da ist jeder dabei, weil er will. Das schweißt unglaublich zusammen. Alle sind mit großer Begeisterung und irrsinnig kollegial bei der Sache.

MM: Sie planen außerdem nach „The Infernal Comedy“ und „The Giacomo Variations“ ein neues Projekt mit John Malkovich?

Sturminger: Es heißt „Call me God“, was angeblich ein Zitat von Idi Amin ist, der auf die Frage, wie man ihn denn ansprechen soll, sagte: Just call me God. Wir zeigen es nächstes Jahr beim Eröffnungsfestival der Hamburger Elbphilharmonie, dann kommt’s nach Wien, Luxemburg, Amsterdam, und so weiter. Es ist ein Stück, das einen abtretenden Diktator porträtiert, und es kombiniert Schauspiel, mit dem großen Instrument der Macht, der Orgel.

MM: Womit dann der Dritte im Bunde, Martin Haselböck, ins Spiel kommt.

Sturminger: Genau, beim dritten Teil der Trilogie haben wir diesmal kein Orchester, sondern Martin Haselböck an der Orgel. Das Textbuch ist wieder von mir, wobei, die letzte Szene fehlt mir noch. Ich wollte das schon lang machen, vor drei Jahren, aber dann kam uns der Casanova-Film dazwischen (mehr dazu: www.mottingers-meinung.at/?p=13305)

MM: Malkovich und Sie, das wird eine Liebe fürs Leben …

Sturminger: Wir haben eine echte Arbeitsliebe. Ich habe ihm gesagt, er soll sich gut überlegen, ob er das machen will, denn wir hatten unzählige Vorstellungen mit den anderen beiden Stücken, rund um den Globus, und wir werden diesen Sommer auch wieder nach Kanada und in die USA fahren, aber er sagte. Ja, ja, ja. Also machen wir’s.

MM: Fehlt nur noch Malkovich in Perchtoldsdorf.

Sturminger: Vielleicht bringe ich ihn als Gast zur Premiere. Wir werden sehen, ob wir das schaffen.

www.sommerspiele-perchtoldsdorf.at

www.sturminger.com

Wien, 18. 5. 2016

Michael Sturminger im Gespräch

Januar 19, 2015 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

„Casanova Variations“: John Malkovich hoch Drei

John Malkovich, Veronica Ferres Bild: © Amour Fou Vienna

John Malkovich, Veronica Ferres
Bild: © Amour Fou Vienna

Publikum strömt gut gelaunt in die Oper. An der Garderobe werden die Mäntel abgegeben, das erste Glas Champagner getrunken, die Plätze eingenommen. Casanova alias John Malkovich tritt auf – und bricht auf offener Bühne zusammen, das Orchester hört erschrocken auf zu spielen, Kollegen und Bühnenpersonal wollen Erste Hilfe leisten, eine Ärztin aus dem Publikum kommt, um zu untersuchen. Es  ist nicht mehr klar, ob hier der dargestellte Casanova oder der Darsteller John Malkovich einen Schlaganfall erleidet. Doch als im nächsten Moment eine als Dottore verkleidete Sängerin die Szene in ein Commedia dell’arte-Ensemble von Mozart und Da Ponte überführt und unsere Protagonistin hinter einer Tapetentür versteckt zusieht, wie der sterbende Casanova dem Arzt beinahe das Ohr abschießt, um zu verhindern, dass er zur Ader gelassen wird, haben wir bereits verstanden, dass sich hier einer die Freiheit nimmt, zwischen allen Genres zu springen, um schlussendlich zu behaupten: Alles ist Kino! Dieser eine ist Regisseur Michael Sturminger.

In seinem Film „Casanova Variations“ (ab 23. Jänner im Kino) erlebt ein Opernpublikum die Aufführung einer nach Mozart und Da Ponte konzipierten Oper über den berühmten Lebenskünstler und Liebhaber Giacomo Casanova. Der heute nicht minder berühmte John Malkovich steht an der Spitze eines Ensembles aus SchauspielerInnen und SängerInnen. Er gibt nicht nur den Casanova, er scheint auch der Produzent der Aufführung (Malkovich spielt Malkovich hinter der Bühne) zu sein. Parallel dazu erlebt der alternde Casanova (Malkovich zum dritten Mal) im böhmischen Schloss Dux eine letzte Begegnung mit einer Frau, der Dichterin Elisa van der Recke (Veronica Ferres), deren Besuch ihn in vielerlei Hinsicht noch einmal heftig zum Leben erweckt. Zuerst ist sie eine allein reisende Frau, gebildet und attraktiv und damit ein Glücksfall, den er in der Abgeschiedenheit seiner Existenz als Bibliothekar auf einem abgelegenen gräflichen Landsitz nie zu erleben gehofft hätte. Darüberhinaus ist sie eine Gefahr, weil sie als Verfasserin eines bekannten Buches über den Abenteurer Cagliostro zu Ruhm und Reichtum gekommen ist, während der von ihr porträtierte Hochstapler nach dem Erscheinen ihres Buches ruiniert und verarmt verstorben ist. Mit seiner, in vielerlei Hinsicht mit Cagliostro vergleichbaren Lebensgeschichte, hat Giacomo Casanova durchaus Grund, sich vor Elisa in Acht zu nehmen. Elisas Interesse gilt immer deutlicher Casanovas tausende Seiten umfassenden Memoiren und er begreift, dass seine „Histoire de ma vie“ beim Versuch, noch einmal eine Frau zu verführen, als letztes Ass im Ärmel dienen könnte  …
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Regisseur Michael Sturminger im Gespräch:
MM: „Casanova Variations“ ist ein gewagtes Projekt, das beim Kinozuschauer einiges an Vorwissen voraussetzt.
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Michael Sturminger: Ich weiß das nicht. Es verlangt vom Publikum eine gewisse Offenheit. Sie dürfen sich nicht davor schrecken, sie müssen sich in die Schönheit von Mozarts Musik, in das spannende Leben Casanovas, in das Charisma des Schauspielers John Malkovich fallen lassen, dann muss man vorher gar nichts wissen und wird alles verstehen. Der Zuschauer darf sich nicht so fühlen, als wäre er in einem fremden Land, in dem er die Sprache nicht spricht. Ich glaube, dass die Handlung ganz unmittelbar ankommt.

MM: Sie möchten also nicht verschrecken, sondern einladen.

Sturminger: Auf alle Fälle. Der Film ist nicht schwer zugänglich. Kommts! Wer mit offenem Herzen reingeht, wird mit vollem Herzen rausgehen.

MM: Der Film entstand aus dem Theaterstück „The Giacomo Variations“. Die Produktion hatte 2011 im Wiener Ronacher mit Malkovich Uraufführung und wurde im Anschluss weltweit gefeiert. John Malkovich und Sie scheinen eine Regisseur-Schauspieler-Beziehung aufgebaut zu haben, wie man sie nicht alle Tage findet.

Sturminger: Ich fühle mich deswegen auch geehrt. Das ist ein Privileg und eine Freude. Wir haben zuvor schon „The Infernal Comedy“ gemacht und CNN hat eine Doku gedreht. Als ich mir die später im Fernsehen angeschaut habe, sagt John über mich: „Nach dreißig Jahren als Schauspieler habe ich endlich meine verwandte Seele gefunden.“ Und ich saß da und dachte: Na, Servus! Das hat mir schon etwas bedeutet.

MM: Nun haben Sie ihn sogar dazu gebracht, zu singen. Nicht schön, aber von Herzen.

Sturminger: Und absolut richtig. Es geht ja in seinen Szenen nicht um Schöngesang, sondern um zur Rolle passenden. Er ist ja Casanova und keine Mozartfigur. Der Name kombiniert mit „Variations“ passt sehr gut zu John, weil er immer wieder Neues ausprobieren will. Das hat ihn an dem Ganzen sehr gereizt. Wie man die Vorstellung und das Dahinter sieht. Wir glauben beide, dass ein kreativer Prozess nur dann im Gange ist, wenn man nichts Fertiges abliefert, sondern jedes Mal im Augenblick Neues schafft. Ich strebe kein Idealbild an, sondern versuche, von Probe zu Probe herauszufiltern was richtig ist. Und umso mehr können dann auch Schauspieler beziehungsweise Sänger ihre eigenen Entscheidungen treffen, über das, was sie zeigen wollen. Das macht unglaublich viele Variationen möglich. Ich will auch nicht wissen, ob einer bei einer Szene sitzt oder steht. Ich bin ja nicht der Mann am Joystick, der das Spiel kontrolliert. Wenn einmal geklärt ist, wie eine Figur tickt, was da drin steckt, dann wird die Intuition beteiligt. Das ist ja das Schöne im Film, am Theater, an der Oper … Freiheit für den Augenblick, nicht etwas einzuhalten, nur weil es irgendwann einmal vereinbart war.

MM: Das ist der Eindruck, den ich auch über John Malkovich im Film hatte. Es gibt Momente, da ist er so bei sich, dass man ihn wahrscheinlich gar nicht unterbrechen könnte.

Sturminger: Und auch nicht wollte. Ja, der Eindruck ist vollkommen richtig. Wir haben ja gewisse Szenen mit der Handkamera gedreht. Und wenn John in dieser Art Trance war, habe ich zu meinem Kameramann André Szankowski gesagt: Halt einfach drauf. Viel Spaß, fang’ ein, was du kannst. So kam es natürlich zu einer Riesenmenge von sehr langen Einstellungen, dafür konnte man beim Schneiden auch größtmögliche Freiheit haben.

MM: John Malkovich ist Hauptdarsteller hoch Drei. Eine der schönsten diesbezüglichen Szenen ist, als „John Malkovich“ hinter der Bühne um ein Autogramm gebeten wird und der Fan fragt, ob er schwul sei, wie’s im Internet doch stünde. Schnitt. Ein Hofball. Und die Blaublütige, mit der Casanova tanzt, will sozusagen eine Namensliste, der von ihm Verführten. Malkovich darauf beide Male: „Was, erwarten Sie, sollte ein Gentleman darauf antworten?“

Sturminger: John Malkovich spielt einerseits John Malkovich. Dann auf einer Opernbühne den jungen Casanova, der immer wieder von Bariton Florian Boesch abgelöst wird, Malkovich gibt ihm sogar Perücke und Rock weiter, und den alten Casanova als Bibliothekar auf Schloss Dux. John war ein wenig skeptisch, weil es den Film „Being John Malkovich“ ja schon gegeben hat. Aber hier erfindet er eine imaginäre Figur seiner selbst, jemanden, der seinen Namen und sein Gesicht hat – und trotzdem habe ich alle Situationen, die auf dieser Ebene des Films vorkommen auf Theatertournee mit ihm erlebt, und auch, wie er darauf reagiert. Das war für mich wahnsinnig komisch. Er ist echt, macht aber eben gerade mit seiner Aura verständlich, was Casanova für seine Zeit war. Jemand, dem ein Ruf vorausgeeilt ist, berühmt-berüchtigt, beide mit einem Image behaftet und hinter diesem doch nur der nackte Mensch. So spinnt sich die Geschichte weiter. Casanova war ein hochsensibler, intelligenter Mensch, der immer der Idee auf der Spur war, was das Individuum sein kann, was Freiheit für den einzelnen bedeutet, ob Verletzung erst vorhanden ist, wenn sie decouvriert wird. Da gibt es viele Überlagerungspunkte. Daraus konnte ich einen Film machen, der keine historische Abhandlung über Casanova, sondern die gemeinsame Fantasie aller Mitwirkender zu einem größeren Fragenkreis ist.

MM: Und die „Altersszenen“ mit Veronica Ferres?

Sturminger: Sind eine Art Bespiegelung. Mehr als Erotik ist zwischen den beiden das Thema, was sie sieht, wenn sie ihn ansieht. Sie erfindet für ihn den Begriff des Romantikers, den es zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht gegeben hat, der aber in diesen Jahren zum ersten Mal auftaucht. Sie sagt, er ist ein Herz voller gebrochener Herzen, sie sagt, er liebte die Liebe als solche mehr als das Objekt seiner Hingabe. Er ist ein ewig Suchender, ein Idealist im pragmatischen Hochbarock. Casanova war ein moderner Mensch, der sich sein Leben jeden Tag neu erfinden musste, ein Schauspielerkind, dem niemand an der Wiege gesungen hat, dass er an Fürstenhöfen empfangen werden wird, politische Bücher schreibt, mit Voltaire, Jefferson, Katherina der Großen diskutiert, heißt: ein führender Kopf seiner Zeit wird. Diese politische Ebene „bespielen“ wir dort, wo sie in den Da-Ponte-Opern zu finden ist. Wir beginnen mit „Viva la libertà“ und enden auch damit. Wobei am Schluss der Tod die Befreiung ist …

MM: Erzählen Sie über Veronica Ferres am Set.

Sturminger: Veronica ist großartig. Sie ist ein Vollprofi und kann arbeiten bis zum … In der Bibliothek hat’s 40 Grad gehabt und wir haben ewig darin gedreht und es kam nie ein Wort. Sie ist wirklich jemand mit dem man Pferde stehlen kann, wahnwitzig vorbereitet und immer gut gelaunt. Es geht die Sonne auf, wenn sie kommt. Ein Gewinn für jedes Team und ein Motor. Und John und sie harmonieren ausgezeichnet. Die sind seit langer Zeit gute Freunde und sie treffen sich auch in ihrem Arbeitsethos. Das ist etwas, das nicht zu unterschätzen ist. Leute, die sich wichtiger nehmen, als alle anderen, können so eine Arbeit sehr schwierig machen. Diese beiden „Stars“, die so unfassbar kein Geld für diese Produktion bekommen haben, weil wir keines hatten, sehen sich als Teil des Ganzen und drehen an den Rädchen, bis sie ineinander greifen. Außerdem sind sie rührend zum Stab: John hat beispielsweise der verkühlten Regieassistentin Kräutertee aufgebrüht, damit es ihr besser geht.

MM: Martin Haselböck und das Originalklangorchester Wiener Akademie waren für den „guten Ton“ zuständig. Sie sind nicht nur nahe liegender Weise bei Mozarts „Don Giovanni“ geblieben, sondern haben sich musikalisch auch bei „Così fan tutte“ und „Le nozze de Figaro“ bedient.

Sturminger: Der Film ist ein eigenes Werk, da musste auch musikalisch was Neues passieren. Also alle drei Da-Ponte-Opern. Außerdem haben wir ein paar Adagios geplündert. Wir haben Themen gewählt, die mit dem Inhalt und diesem Klangkörper zu tun haben. Die Szene, in der Jonas Kaufmann Casanova auf der Bühne ersticht – während der alte Casanova in Veronica Ferres‘ Armen stirbt -, ist ein Terzett aus „Così“, der Graf Branicki ist eine Partie, die Jonas so nie singen würde, weil sie für einen Bariton geschrieben ist. Wir nehmen uns alle Freiheiten, auch musikalisch. Martin Haselböck und sein Orchester bringen eine Qualität ein, die unvergleichlich ist.

MM: Apropos, Qualität: Auch das Sängerensemble liest sich wie ein Who-is-Who der internationalen Opernwelt: Florian Boesch, Anna Prohaska, Jonas Kaufmann … Die haben alle sofort Ja gesagt, obwohl sie nur minutenlange Szenen haben?

Sturminger: Ja, (er lacht) der Name Malkovich zieht schon. Mit John zu spielen, ist schon lustig. Die meisten kannte ich auch gut, weil ich bereits mit ihnen gearbeitet habe, einige kannte ich nicht, sondern hab’ sie einfach angeschrieben. Ich musste niemanden lange überreden. Barbara Hannigan ist drei Mal angeflogen, hat gleichzeitig mit Simon Rattle geprobt. Anna hatte nur einen Tag frei. Jonas war bei den Salzburger Festspielen und hat als Gage nur um den Flug gebeten. Kerstin Avemo, die die Leonilda singt, hat schon mit Haneke die „Così“ gemacht. Bellino ist Kate Lindsey, die sonst an der MET singt. Fanny Ardant war die Lucretia. Ich bin ganz gerührt, wenn ich denke, was die alles gemacht haben, und was ich ihnen dafür nicht bieten konnte. Das ist kein Scherz, meine Frau Renate Martin hat als Kostümbildnerin bis in die Nacht hinein Blüten auf Röcke gestickt, weil wir eine Bildopulenz wollten, die wir uns eigentlich nicht leisten konnten. Wir wollten ein großes sinnliches Vergnügen schaffen. Menschen, die hemmungslos schön sind. Fazit: Mit ein bissl Geschick kann man alles teuer aussehen lassen (er lacht wieder).

MM: Sie zieht’s jetzt zurück zum Theater.

Sturminger: Mich zieht’s immer dort hin, wo Aufgaben und Menschen warten, die mich interessieren. Im März kommen zunächst die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von den Bregenzer Festspielen ans Theater an der Wien. Dann inszeniere ich am Landestheater Niederösterreich Maxim Gorkijs „Sommergäste“. Das hat am 24. April Premiere und ich freue mich sehr, weil ich immer schon mit Intendantin Bettina Hering arbeiten wollte. Und bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf, deren Intendant ich ja seit dem vergangenen Jahr bin, inszeniere ich Shakespeares „Sturm“. Mit Andreas Patton als Prospero.

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www.filmladen.at

www.mottingers-meinung.at/michael-sturmingers-casanova-variations-in-san-sebastian

Wien, 19. 1. 2015

Sturmingers „Casanova Variations“ in San Sebastián

September 16, 2014 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Film kommt im Dezember in die heimischen Kinos

Bild: © Amour Fou Vienna

Bild: © Amour Fou Vienna

Michael Sturmingers Film „Casanova Variations“ mit John Malkovich in der Hauptrolle wird im Wettbewerb von San Sebastián (19. bis 27. September) seine Weltpremiere haben. In weiteren Rollen sind zu sehen: Veronica Ferres, Florian Boesch, Miah Persson, Anna Prohaska, Fanny Ardant, Jonas Kaufmann, Maria Joao Bastos, Lola Naymark, Kerstin Avemo, Kate Lindsey uvm. Der Film kommt im Dezember  in die österreichischen Kinos.

Inhalt: Mozart meets Malkovich meets Casanova: Das ist, kurz zusammengefasst, die Essenz der „Casanova Variations“ von Michael Sturminger. Mit der Bildgewalt des Kinos, der Intimität des Theaters und der Leichtigkeit der Opernmusik wurde die Geschichte Giacomo Casanovas nun von Michael Sturminger auf die Leinwand gebannt. Und da keiner den legendären Venezianer so selbstverständlich verkörpern kann wie er, steht er auch für den Film als Hauptdarsteller vor der Kamera: John Malkovich. In der Rolle der Elisa steht ihm keine Geringere als Veronica Ferres zur Seite. Unterstützt werden sie von hochkarätigen Sängern: Dem Bariton Florian Boesch als singendem Casanova, Anna Prohaska als Caterina, Miah Persson als Elisa II und dem mehrfach ausgezeichneten, weltberühmten Tenor Jonas Kaufmann als Graf Branicki.

Drehbuch & Regie: Michael Sturminger
Co-Autor: Markus Schleinzer
Orchester: Wiener Akademie
Musikalische Leitung: Martin Haselböck

Interview mit John Malkovich

Wer ist für Sie Giacomo Casanova?

Casanova ist für mich eine spannende historische Figur, die ein sehr ereignisreiches und interessantes Leben geführt hat und dann auch noch gut und fesselnd darüber geschrieben hat.

Sie haben den Casanova bereits auf der Bühne gespielt und nun vor der Kamera. Was machte für Sie den Unterschied aus?

Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Die Bühne lebt, sie ist organisch. Film ist da ganz anders. Viele meinen, eine Kamera würde nicht lügen. Ich sage dann immer, dass eine Kamera genau dafür da ist – nämlich um gut zu lügen. Filme sind viel stärker manipuliert und fabriziert. Und sie werden immer Stückchenweise hergestellt, auch wenn in diesem Fall ein solches Stück jeweils mehrere Minuten dauert.

Wie unterscheidet sich die Rolle auf der Bühne und im Film?

Ich glaube nicht, dass die Rolle selbst sehr viel anders ist als auf der Bühne, aber der Rahmen ist natürlich ein ganz anderer. Auf der Bühne gab es neben mir als Casanova nur drei andere Schauspieler, die alle anderen Rollen spielten, und das waren eine ganze Menge. Im Film haben wir für jede Rolle eigene Schauspieler und Sänger.

Michael Sturminger, der schon das Stück inszenierte, ist nun auch der Regisseur des Films. Wie unterscheidet sich seine Arbeit auf der Bühne und hinter der Kamera?

Michael war immer sehr gut vorbereitet und er wusste genau, was er wollte. Er war bei der Arbeit am Film immer noch viel genauer als er es beim Bühnenstück war. Er wusste genau, was er sehen wollte, und wir haben es durchgezogen. So sind wir sogar einen Tag früher fertig geworden als geplant.

Wie war die Zusammenarbeit mit Veronica Ferres?

Veronica ist eine sehr gute Freundin von mir. Die Rolle passt hervorragend zu ihr und sie hat eine fantastische Arbeitsmoral. Veronica ist die Art von Schauspielerin, die nach einem 12-oder 13-stündigen Drehtag auf der Rückfahrt im Auto noch mit dir proben möchte. Sie ist unglaublich diszipliniert und ernsthaft in ihrer Arbeit. Bei aller Ernsthaftigkeit ist sie aber auch ein sehr lustiger Mensch und eine amüsante Gesellschaft.

Wie ist es für John Malkovich, nun schon zum zweiten Mal nach Being John Malkovich John Malkovich zu spielen?

Ehrlich gesagt hatte ich diesbezüglich gemischte Gefühle. Aber es erschien logisch, da ich nun schon vier Jahre mit Michael Sturminger, Martin Haselböck und der Wiener Akademie gearbeitet habe. Ihnen gehörte ein bestimmtes Zeitfenster in meinem Leben und sie haben dabei erlebt, wie es ist, sich in meinem unmittelbaren Umfeld zu bewegen. Zunächst einmal war das für Michael vermutlich interessanter als für mich, da es ja auch seine Aufgabe als Regisseur und Drehbuchautor war, das umzusetzen. Diese Erfahrungen hat Michael auch in das Drehbuch einfließen lassen, und im Film ist es als dritte Ebene auch bestens aufgegangen.

www.thecasanovavariations.com/en

Wien, 16. 9. 2014

OsterKlang 2014

April 9, 2014 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Von der Johannes-Passion bis zu Messiah

2689675763_e88384cd33Das achtzehnte OsterKlang-Festival spannt in der Zeit von 13. bis 20. April seinen musikalischen Bogen von Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion bis hin zu Werken Wolfgang Amadeus Mozart, Georg Friedrich Händel, französischer Barockmusik von François Couperin und Marc-Antoine Charpentier sowie Ludwig van Beethovens Missa Solemnis. Den szenischen Kern des Festivalprogramms bilden die Mozart-Oper La clemenza di Tito in der Kammeroper und G. F. Händels Oratorium Messiah in einer szenischen Fassung und Inszenierung von Claus Guth im Theater an der Wien. Erstmals wird das Festival am 13. April in Kooperation mit den Wiener Symphonikern im Großen Saal des Wiener Konzerthauses eröffnet. Auch in den Jahren 2015-16 wird diese Kooperation mit den Wiener Symphonikern weitergeführt. Im Zentrum der kommenden Eröffnungskonzerte stehen wichtige sakrale Werke von J. S. Bach.

Die Spielorte während der Osterwoche sind das Theater an der Wien, die Kammeroper, das Wiener Konzerthaus, die Minoritenkirche und der Musikverein. Neben den renommierten SängerInnen wie Bernarda Fink, Klara Ek, Johannes Chum, Hanno Müller-Brachmann, Johan Botha, Bejun Mehta, Florian Boesch und Maria Bengtsson bestreitet das Junge Ensemble des Theater an der Wien die Mozart-Oper La clemenza di Tito in der Kammeroper. Dirigenten wie Giovanni Antonini, Christophe Rousset, Simone Young, Rubén Dubrovsky und Martin Haselböck sowie die Wiener Symphoniker, das französische Originalklangensemble Les Talens Lyriques und das Orchester Wiener Akademie präsentieren ein auserlesenes Konzert- und Opernprogramm. Eröffnet wird der 18. OsterKlang am Palmsonntag, den 13. April  mit der Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach. Unter der musikalischen Leitung von Giovanni Antonini musizieren die Wiener Symphoniker. Als Solisten sind Johannes Chum als Evangelist und Hanno Müller-Brachmann als Jesus sowie Klara Ek und Bernarda Fink zu hören. Es singt der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde. Die Johannes-Passion ist die früheste, heute noch vollständig erhaltene Passion Bachs. Sie wurde am 7. April, dem Karfreitag des Jahres 1724, in der Nicolaikirche in Leipzig uraufgeführt, wo Bach derzeit als Thomaskantor tätig war. In dieser Passion schildert Bach die Ereignisse um das Leiden Jesu – von seiner Gefangennahme bis zur Grablegung – in ergreifend schlichter Klarheit und direkter Dramatik. Die Passionshandlung und die kontemplativen Chorpartien greifen direkt ineinander, sodass die Passion Christi direkt und eindringlich nachvollzogen werden kann.

Mozarts spätes Meisterwerk La clemenza di Tito ist zweifelsohne ein der Aufklärung verpflichtetes Plädoyer für Aufrichtigkeit und Gnade, das uns bewegende Einblicke in die Einsamkeit eröffnet, der ein Regent bei seinen Entscheidungen ausgesetzt ist, im Sinne des Fürstenspiegels zeigt es aber genauso die Gefahren von Willkür, Unberechenbarkeit und Selbststilisierung, die unter dem Deckmantel der Milde besonders gefährlich erscheinen müssen. Die Opera seria in zwei Akten (1791) gelangt am 13. April  in einer Neuproduktion des Theater an der Wien in der Kammeroper unter der musikalischen Leitung von Rubén Dubrovsky mit seinem Ensemble Bach Consort Wien zur Premiere. Die Mitglieder des Jungen Ensembles des Theater an der Wien bilden das Sängerensemble, allen voran Andrew Owens als Tito Vespasiano, Çiğdem Soyarslan als Vitellia und Gaia Petrone als Sesto. Für die Inszenierung zeichnet der italienische Regisseur Alberto Triola verantwortlich.

Was ist Schuld? Was bedeutet Liebe? Was heißt Tod? Was heißt Erlösung? Diese Fragen, die Menschen aller Religionen miteinander verbinden, thematisiert Claus Guths Inszenierung des Oratoriums Messiah. Händel zeichnet mit seiner Musik ein emotionales Gemälde der menschlichen Ängste und Hoffnungen, aber auch der Erlösungsgewissheit, welche oftmals einzig in seinem berühmten Chor Hallelujah verortet wurde.Nach vier Jahren kehrt die erfolgreiche Produktion in außerordentlicher Besetzung und in einer Neueinstudierung unter der musikalischen Leitung von Christophe Rousset ans Theater an der Wien zurück. Als Solisten sind Maria Bengtsson, Ingela Bohlin, Paul Lorenger, Bejun Mehta, Florian Boesch, Charles Workman und Nadia Kichler zu erleben. Es singt der Arnold Schoenberg Chor. Die Premiere ist am 14. April, die Vorstellungen am 17. und 19. April finden im Rahmen des OsterKlang-Festivals statt. Am 15. April  steht mit den Leçons de ténèbres (Lesungen der Dunkelheit) eine spezifische Gattung des französischen Barock auf dem Programm des Festivals in der Minoritenkirche. Leçons de ténèbres sind liturgische Gesänge, die für die Nachtoffizien der Karwoche komponiert wurden. Besonders die kontemplativen und elegischen Melismen der Singstimmen spiegeln die schmerzliche Passions- und Sterbensgeschichte Jesu Christi wieder. Diese spezifische Gattung des französischen Barock erfuhr im 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt und war lange Zeit nahezu völlig vergessen. Dieser besondere Abend wird mit Werken von Marc-Antoine Charpentier und François Couperin gestaltet. Christophe Rousset, am Cembalo und an der Orgel, musiziert mit den Sopranistinnen Amel Brahim-Djelloul und Judith van Wanroij, begleitet vom Gambisten François Joubert-Caillet.

„Von Herzen – Möge es wieder – zu Herzen gehen!“ Mit diesen Worten widmete Ludwig van Beethoven seine feierliche Messe, die Missa Solemnis, seinem Freund und Schüler Erzherzog Rudolph. Am 16. April 2014 gelangt dieses expressive Werk unter der musikalischen Leitung von Martin Haselböck im Theater an der Wien zur Aufführung. Gesangssolisten sind Malin Hartelius, Caitlin Hulcup, Daniel Behle und Stefan Cerny. Es musiziert das Orchester Wiener Akademie und singt der Philharmonische Chor Brünn. Am Karfreitag, den 18. April, stehen unter dem Titel Crucifixus sakrale russische Chöre von Pawel Tschesnokow, Dimitri Bortnjanski und Sergei Rachmaninow auf dem Programm in der Minoritenkirche. Den Abschluss und gleichzeitig den Höhepunkt der vorösterlichen Fastenzeit bildet die Karwoche. Besonders ab Gründonnerstag begehen Christen aller Konfessionen und überall auf der Welt das Triduum Sacrum, die heiligen drei Tage vom Leiden, Sterben und der Grabesruhe Jesu Christi. In ihrem Zentrum steht das „Crucifixus est“, jener zentrale Opfertod, der mit der Auferstehung am Ostersonntag den Christen die Erlösungshoffnung gibt.Der Dreifaltigkeitschor des Alexander Newski Männerklosters St. Petersburg bietet in seinem Konzert einen Einblick in die Fastenliturgie der russisch-orthodoxen Kirche.

Unter der Leitung der Dirigentin Simone Young präsentieren die Wiener Symphoniker am Ostersonntag traditionellerweise ihren Frühling in Wien und schließen mit diesem Konzert das Festival OsterKlang Wien. Im Musikverein erwartet das Publikum ein typisch wienerisches Programm mit Werken von Franz Schubert, Ludwig van Beethoven, Carl Maria von Weber, Otto Nicolai, Richard Wagner, Johann Strauss (Sohn), Franz von Suppé, Franz Léhar und Richard Heuberger. Mit Johan Botha, einem der begehrtesten Tenöre unserer Zeit, wird diese österliche „Soirée de Vienne“ zu einem feierlichen Finale des Festivals.

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Wien, 9. 4. 2014