Theater zum Fürchten: Betrogen
Oktober 22, 2020 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Affären sind auch nur eine Art Ehe

Ein starkes Bild mit Teddybär: Sophie Prusa und Boris A. Popovic, hinten: Leopold Selinger. Bild: Bettina Frenzel
„Wie geht´s?“ „Danke, und dir?“ „Alles bestens!“ „Bei mir auch.“ Diese Sorte verkniffenen Small Talks bekommt man in den kommenden neun Szenen des Öfteren zu hören. Das Theater zum Fürchten zeigt an seiner Wiener Spielstätte, der Scala, Harold Pinters „Betrogen“. Dies Stück, wenn richtig gerechnet, zuletzt 1978 am Akademietheater zu sehen, und wer die Werke des Literaturnobelpreisträgers gedanklich längst zum alten Eisen gelegt hat, den wird diese Inszenierung von Isabella Gregor eines Besseren belehren.
Pinters hinterlistiger Blick auf die Doppelmoral der europäischen Mittelschicht ist nach wie vor in vielen Belangen gültig, des Autors Ansinnen, den Biedermann und Wohlstandsbürger zu demontieren, in Gregors erster Arbeit für das TzF mit dem Ensembletrio Sophie Prusa, Leopold Selinger und Hausdebütant Boris A. Popovic vom Feinsten umgesetzt.
Mit einem kleinen Einwand betreffs Frauenbild, Szene 6/1973 – Wer trifft sich schon mit seinem Geliebtem in der gemeinsamen geheimen Wohnung, um einen Eintopf aufzusetzen? Darum geht es also. Pinter erzählt eine Dreiecksgeschichte.
Zwischen Lover Jerry, Emma und deren Ehemann Robert, doch tut er dies im Rückwärtsgang von 1977 nach 1968, man begegnet Emma und Jerry eingangs in der Schlussszene, als ihr pendant l’amour seit zwei Jahren vorbei ist. Da nun Robert seitenspringt, und erfahren hat sie’s vergangene Nacht, soll Jerry Emma seelisch zur Seite stehen. Was diesen zur sofortigen Aussprache mit seinem besten Freund veranlasst, in Panik seine alte Geschichte könnte aufgeflogen sein.
Was sie auch ist. Doch lautet Roberts trockener Kommentar dazu: „Sie hat mir gestern Nacht nichts von euch beiden erzählt. Sie hat mir vor vier Jahren von euch beiden erzählt …“ Nach Isabella Gregors Idee hat Marcus Ganser zur zerstörten ménage à trois einen zerschmetterten Zauberwürfel auf die Bühne gestellt (das Publikum übrigens gesichert durch seitliches Plexiglas). Mit jeder Drehung öffnen sich neue, ungeahnte Räume, bis am Ende, als Jerry Emma auf deren Party seine Verliebtheit gesteht, Rubik’s Cubes Seiten zum Ganzen gefügt sind. Eine exzellente, eine raffinierte Idee. Wie auch die, stets alle drei Schauspieler anwesend sein zu lassen, der am Dialog gerade nicht beteiligte, hinter einer Gazewand kaum zu sehen, aber sichtbar da.

Boris A. Popovic und Leopold Selinger. Bild: Bettina Frenzel

Boris A. Popovic und Sophie Prusa. Bild: Bettina Frenzel

Leopold Selinger, hinten: Sophie Prusa. Bild: Bettina Frenzel

Boris A. Popovic und Leopold Selinger. Bild: Bettina Frenzel
Das berührt besonders in einer Episode in Emmas und Jerrys Liebesnest, vorne heiße Küsse, während hinten Robert nachdenklich den Teddybären seines Sohnes in Händen hält. Den Reiz, dass man bereits weiß, wie es weitergegangen sein wird, reizt Gregor voll aus. Dies schmerzliche Wissen teilen die Zuschauer mit den Akteuren, deren Gesichter und Gesten ihre Kenntnis von dem, was in Zukunft passiert sein wird, offenkundig machen. Meister dieser Disziplin ist TzF-Associated-Artist Selinger.
Doch auch Sophie Prusa und Boris A. Popovic verstehen es, dieses Gefühlswechselbad zwischen Vertrautheit und Befangenheit zu spielen, nuancenreich bauen sie die Veränderung ihrer Emotionen auf, eine theatralische Eifersucht zwischen den Männern, im Glauben der andere hätte, was man selbst vermisst, die Vergesslichkeit der Männer gegen das Erinnerungstalent von Frauen in Beziehungsangelegenheiten.
Mit großem Gespür für Text wie Darsteller lotet Gregor die Situationen aus. Diese insgesamt mehr heikle Diskussionen als Liebesschwüre und Sex-Stimmung, ein selbstschützendes all die Jahre die Zwischentöne Überhören, die Verunsicherung, die gespielte Gleichgültigkeit. Pinters formale Komödie entpuppt sich bei Gregor als veritable Tragödie – Pinter soll sie mit Ehefrau Vivien Merchant und Langzeit-Geliebter Antonia Fraser am eigenen Leib erlebt haben. Und über allem schwebt wie ein Gespenst der Schriftsteller Casey Spinks, Emmas aktuelles Gspusi, dessen Bücher sie früher verabscheut, dann verteidigt haben wird.

Sophie Prusa und Boris A. Popovic. Bild: Bettina Frenzel

Leopold Selinger und Sophie Prusa. Bild: Bettina Frenzel

Boris A. Popovic und Leopold Selinger. Bild: Bettina Frenzel
Dies zur Frage, wie’s überhaupt so weit kommen konnte. Nicht nur, dass auf Robert punkto Jerry der Spruch „Bruder vor Luder“ zutrifft, die beiden sind auch beruflich verbandelt, ersterer Verleger für die vom Agenten und Talentsucher entdeckten literarischen Hoffnungen. Und so sind sie weit über die Freundschaft hinaus auch beruflich miteinander verbandelt. Der im Wortsinn zerknitterte Jerry von Boris A. Popovic, von dem er nie aus den Augen lässt, dass der zweifache Familienvater trotz seiner ehelichen Untreue ein lieber Mensch und treuer Kumpel ist. Der seine Verletztheit mit Süffisanz tarnende Robert des Leopold Selinger, nach außen ein Macher mit markigen Sprüchen, innen ein gebrochenes Herz.
Wie Selinger das gestaltet, sein angsteinflößender Furor in Venedig, Szene 5/1973, da offenbart sich ihm Emma, seine in jeder Körperfaser abzulesende Erschütterung nach ihrem Eingeständnis, das ist verdammt gut. Wie ihre Mitstreiter hat auch Sophie Prusa alle Schattierungen von Glück, Zweifel und Groll drauf, schön, wie sie’s schafft, zwischendurch mädchenhaft rot zu werden, von der letztendlichen Ernüchterung zur Enttäuschung zur wilden Leidenschaft am abschließenden Beginn. Ein sich abkühlender Jerry, der sich zur Erregung aufschwingt, ein still leidender Robert, dessen Vernachlässigung Emmas ihm zum Verhängnis geworden sein wird.
Die Frau zwischen zwei Männern, die man beide nicht geschenkt haben möchte, und unterwegs zum dritten. Ein vom Regen in die Traufe Kommen, gegen das bis heute kein Kraut gewachsen zu sein scheint. Die bittere Pille, die Pinter verabreicht, heißt, dass auch Affären nur eine Art Ehe sind. Sich einschleifen und einschlafen und eines Tages nicht mehr aufstehen. Vielleicht, sagt Isabella Gregor, war’s nur eine b‘soffene G’schicht‘. Und einer solchen ist nicht zu trauen. Man weiß es.
- 10. 2020