Theater Nestroyhof Hamakom: Herbst der Untertanen
Januar 19, 2022 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Ein Dienstbotenkrieg von gnadenloser Grausamkeit

Christine Dorner, Tonia Fechter und Katharina Schumacher. Bild: © Marcel Köhler
Im Halbdunkel raunt es: „Existiert das Land noch, aus dem sie kommt?“, dann: „Wo ist die Waffe?“ Seit Tschechow weiß man, gibt’s im ersten Akt eine Waffe, wird im dritten damit geschossen. Man wird sehen … Im Theater Nestroyhof Hamakom wurde nach mehrmaliger Cov19-Verschiebung endlich die österreichische Erstaufführung von „Herbst der Untertanen“ der georgischen Autorin Nino Haratischwili über die Bühne gebracht.
Doch einer fehlte – Regisseur Michael Gruner, der am 20. Oktober 2021 verstarb. Und so legt beim Schlussapplaus Ingrid Lang, die Leiterin des Hamakom, eine rote Rose auf seinen Platz und verbeugt sich vor ihr. Ein bewegendes Bild. Davor war’s weniger seelenvoll zur Sache gegangen. „Herbst der Untertanen“ erzählt von den letzten drei Bewohnerinnen einer palastähnlichen Villa (wofür sich das angekratzte Jugendstil-Ambiente des Hamakom wunderbar eignet), in einem Land, offensichtlich einer Diktatur, in der zum wiederholten Male ein Bürgerkrieg tobt. Eine Revolution gegen das Regime, die Partisanen rücken auf die Stadt zu, draußen vor der Tür fallen Schüsse, detonieren Granaten.
Der Hausherr, General und erster, gleichzeitig meistgehasster Mann im Staat, hat sich nebst Gattin abgesetzt. Auch haben sämtliche Hausangestellte das Weite gesucht. Einzig Rina, die alte Köchin, Kaela, die Haushälterin, und eine junge Dienstmagd, ein Flüchtlingsmädchen aus dem in den Bürgerkrieg hineingezogenen Nachbarland, vom General lustvoll sabbernd „Lucy“ genannt, sind geblieben. Christine Dorner gestaltet die Rina zum Gruseln gut, den Kadavergehorsam der Patriotin um jeden Preis, die im festen Glauben, ihr General werde zurückkehren, der Herrschaft allabendlich ein Festmahl zubereitet.

Christine Dorner, Tonia Fechter und Katharina Schumacher. Bild: © M. Köhler

Tonia Fechter und Katharina Schumacher. Bild: © Marcel Köhler

Kaela bricht zusammen: Katharina Schumacher. Bild: © Marcel Köhler
„Eine ausgemergelte Sadistin, die die Moral der Welt für sich gepachtet hat“, nennt Kaela sie, Katharina Schumacher als angriffslustige, spöttische Rebellin im Adlerhorst, die endlich den Luxus genießen will, Madames Kleider tragen, in deren Bett schlafen, deren Essen essen – Cordon Bleu und teurer Wein statt des Angestellteneintopfs. Gruner, Experte für psychologische Tiefenbohrung, entfaltet ein Machtspiel um Befehlsgewalt, Erniedrigung und Menschenwürde. Die zwei von Kriegen gezeichneten Frauen (Lucy steigt erst später in den Irrwitz ein, noch ist sie Opfer, nicht Täterin) begegnen einander mit gnadenloser Grausamkeit – so wie sie’s wohl von der Herrschaft gelernt haben, so wie jene wohl mit ihnen umgegangen ist. Nichts anderes kennend erhalten, replizieren, ahmen die Frauen die Strukturen des „Führer“-Staates nach.
Irrwitz, das Wort war hier nicht zufällig gewählt. „Herbst der Untertanen“ ist auch eine Farce, ein brutaler Spaß, in der es Kaela ist, die das Leben meistens als Groteske nimmt. Katharina Schumacher bringt mit ihrer Spielenergie das Setting von Alina Amman zum Leuchten. Bald schlüpft sie in die Generalsuniform, imitiert diesen zu Lucys Amüsement, dann probieren die beiden Champagnertrunken die Abendkleider der Gnädigen auf dem Balkon (wie schön, dass der auch mal bespielt wird!), was Rina naturgemäß erzürnt. Und während Gruner mit Tonia Fechters Lucy die Ambivalenz von Abscheu und Empathie auslotet, gehen die Gegnerinnen Rina und Kaela wie Kampfhündinnen aufeinander los. Frauensolidarität? Fehlanzeige!

Imitiert den General in seiner Uniform: Katharina Schumacher als Kaela, hi.: Tonia Fechter. Bild: © Marcel Köhler
Jedes Mittel ist den beiden recht, um den Schmutz der Vergangenheit freizulegen, Sätze werden wie Streubomben abgeworfen, um möglichst viel emotionalen Schaden anzurichten. Rina schildert explizit und en detail die Massenvergewaltigung Kaelas durch Soldaten, und Christine Dorner spielt das mit diebischer Freude und großer Genugtuung. Diese rächt sich mit einem Auftritt im militärischen Tarnanzug. „Zieh‘ das aus“, kreischt Rina. Man erfährt, die „Mutter aller Tugenden“ hat ihren Sohn, als der vom Staatsheer zum Widerstand wechselte, an seine Folterer und Mörder ausgeliefert.
Prägnant, präzise und böse wird dieses genüssliches Stochern in offenen Wunden in den Spielraum gestellt, noch wird Lucy wie ein Pingpong-Ball, weinend, verzweifelt, zwischen den Älteren hin und her geworfen. Auf Geheiß Rinas muss sie Kaela mit einem nassen Putztuch prügeln. Ein Haus des Wahnsinns. „Ihr seid ja krank“, stellt die zwischen Hoffnungslosigkeit und Zweckoptimismus changierende Lucy immer öfter fest. Sie selbst will nun endlich raus aus der klaustrophobischen Situation, will die Eltern und die Schwester wiederfinden, da eröffnen ihr Rina und Kaela, welche Informationen der General bei der Flüchtlingshilfe über sein neues Hausmädchen eingeholt hat … (worauf Tonia Fechter mit ein bissl viel hysterischer Theatralik reagiert).
Gruner dreht permanent stärker an der Schraube. Anfangs noch subtile Nebenbemerkungen werden bald offen auf dem Schlachtfeld ausgetragen. Er treibt seine Schauspielerinnen Christine Dorner, Katharina Schumacher und Tonia Fechter zum Äußersten, hetzt Rina, Kaela und Lucy wieder und wieder aufeinander los. In extremen Zeiten, sagt Gruner, ist gegenseitige Zerfleischung wahrscheinlich „menschlicher“ als Zusammenhalt. Das Ende naht, die Apokalypse. Es gibt keine Vorräte mehr, kein Wasser. „Wo ist die Waffe?“, raunt es wieder im Halbdunkeln. Da hört man ein Geräusch von Lucy aus der Küche. „Ach, du Scheiße!“
Zu sehen bis 11. Februar.
www.hamakom.at Trailer: www.facebook.com/theaternestroyhofhamakom/videos/609756156778637
- 1. 2022