VON MICHAELA MOTTINGER
Theater in der Josefstadt: Eine dunkle Begierde

Michael Dangl (C. G. Jung), Martina Ebm (Sabina Spielrein)
Bild: Sepp Gallauer
Am 27. November wird in der Josefstadt „Eine dunkle Begierde“ uraufgeführt. Die Väter der modernen Psychoanalyse in einem neuen Stück. Spannende Rivalität zwischen Sigmund Freud und C. G. Jung, Dreiecksbeziehungen und Psychoduelle. Oscarpreisträger Christopher Hampton inszeniert sein Stück „Eine dunkle Begierde“ (deutsche Übersetzung von Daniel Kehlmann) über C. G. Jung, seinen „Übervater“ Sigmund Freud und das Verhältnis zur „Hysterie“-Patientin und späteren Psychoanalytikerin Sabina Spielrein. „Eine dunkle Begierde“ erzählt wie sich Sigmund Freud (Herbert Föttinger) und sein „Lieblingsschüler“ Carl Gustav Jung (Michael Dangl) entzweiten; einerseits wegen der 18-jährigen Sabina (Martina Ebm), aber auch wegen Jungs Neigung zu erotischen, esoterischen und mystizistischen Abwegen. Und wie aus der einstigen Hysterie-Patientin eine Pionierin der Psychoanalyse wurde. Im Kern aber berichtet „Eine dunkle Begierde“ von der Tragödie des revolutionären Denkers Sigmund Freud, der in einer Welt, die seinen Lehren und Erkenntnissen meist feindlich begegnete, an den Rand der Resignation gerät. In weiteren Rollen: Alma Hasun (Emma Jung), Florian Teichtmeister (Otto Gross), Therese Lohner (Eine Krankenschwester). Ein Gespräch mit Martina Ebm:
MM: Zu Beginn gleich die ganz private Frage: Jung oder Freud?
Martina Ebm: Jung hat seinen Reiz, weil er so ein schöner, intelligenter, verständnisvoller Mann war, der Empathie hatte mit seinen Patienten. Ich kann mir schon vorstellen, dass man sich in so einen verliebt. Auch vom Alter her. (Sie lacht.)
MM: Ich denke, es ist eine ziemliche Herausforderung, Sabina Spielrein darzustellen. Ihre Krankheit, ihre Ticks, ohne zu übertreiben, diese Verwundungen der Kindheit, die in der einen oder anderen Form jeder in sich trägt. Wer hat seine Kindheit schon ohne „Tick“ hinter sich gebracht?
Ebm: Das war die schwierigste Aufgabe, da einen Weg zu finden, der emotional ist, der auch den Zuschauer packen wird, der aber kein „Theater“ ist. Man muss in den eigenen Wunden kramen, sonst kann es nicht funktionieren, dass das Publikum mitfühlt. Jeder hat aus seiner Kindheit ein Packerl zu tragen, das man aufzuarbeiten versucht. Manche verstecken, weil’s ihnen besser geht, wenn sie diese Box nicht öffnen. Mir gibt diese Rolle sehr viel, ich habe schon davor viel über Psychoanalyse gelesen und alles immer auf mich bezogen – und dachte mir dann, was ist das, das Sabina ausmacht. Wie zeigt man diese Hysteriediagnose, wie sie damals war – heute. Denn die „Frauenkrankheit Hysterie“ gibt es heute nicht mehr. Damals lebten Frauen in anderen Korsetten und Konventionen, hatten wenig Freiraum, dafür viel Freizeit, in der sie erst recht nichts tun durften. – vielleicht hat sich dieser Begriff daraus entwickelt. Eine Situation, in die man sich mehr und mehr hineinsteigert … Wir waren bei einem Psychiater, der meinte, heute würde man es am ehesten definieren als Borderline mit Psychose, bipolare Störung … Ich begann dann, mir zu überlegen, wie sehr man den inneren Schmerz äußerlich noch zeigen muss. Wie notwendig das ist. Ich habe viele Sachen ausprobiert und bin zu dem Schluss gekommen, dass das Emotionale vor dem „Körperlichen“ der Krankheit im Vordergrund ist.
MM: Das heißt?
Ebm: Weniger Vasenzerschmeißen als Stimmungsschwankungen. Von ganz oben nach ganz unten –sehr sprunghaft. Ich wollte mehr von innen agieren als die „Ticks“ zu zeigen. Ich hoffe, es transportiert sich in den Zuschauerraum. Wenn man Gefühle zeigt, sollten die auch in der hintersten Reihe noch erspürbar sein. Sabina musste ja ein halbes Leben lang ihre Sexualität unterdrücken, ihre Mutter war sogar bei ihrem Biologielehrer, um ihm zu sagen, dass er über das „Schmutzige“ vor ihrer Tochter nicht reden darf. Und wenn man dann in die Pubertät kommt und beginnt, seinen Körper zu erfahren, und alle sagen, das ist Böse, dann kann man schon ex- beziehungsweise implodieren. Weil man nicht weiß, wie man mit der von aussen oktroyierten „Schuld“ umgehen soll.
MM: Später war die Spielrein sehr emanzipiert, hat als erste Frau in der Psychoanalyse promoviert, hat eigene Ideen entwickelt, hat Freud (!) widersprochen, der ihr aber dennoch, oder gerade deshalb Patienten zukommen ließ … Wie haben Sie sich in sie eingelesen?
Ebm: Ich habe Tagebücher quergelesen, Freud, Jung; das ist das Spannende an der Figur, dass sie hochintelligent ist – g’scheiter als Freud und Jung zusammen -, dass sie nach ihrer Heilung ein klares Berufsziel vor Augen hat, aus ihrer eigenen Geschichte heraus, Kinderpsychologin wird, weil sie glaubt, dass man nicht früh genug zu heilen beginnen kann, um unsägliches Leid abzuwenden. Ich glaube, dass sie auch emotional sehr großzügig war. Mit solchen Leuten passiert etwas Großes. Sie musste sich erst zerstören, um sich neu zu erschaffen.
MM: Was konnte ihr Freud geben, was ihr Jung nicht mehr geben konnte?
Ebm: Im Stück sage ich zu Jung: „Ich gehe zu Freud, weil du für mich nicht mehr verfügbar bist.“ Das war so eine starke Liebesbeziehung, so ein starkes Freiheitsgefühl, das die beiden miteinander entwickelt haben. Dennoch ist Jung nie zu dieser Beziehung gestanden und hat gleich danach die nächste angefangen und dazwischen schon welche gehabt. Er hat mit allen geliebäugelt. Das macht mich persönlich so traurig. Gut, ich revidiere meine Antwort von der ersten Frage: Freud. Eindeutig. Mit Vollbart voll verlässlich.
MM: Sabina Spielrein heiratet, hat ein Kind. Liegt die Ruhe in der Familie?
Ebm: So habe ich das bis jetzt noch nicht gesehen. Aber Sabina hat nach der Affäre mit Jung sehr schnell geheiratet und sehr schnell ein Kind bekommen, so, dass Freud ihr Briefe schrieb, ob das die richtige Entscheidung war, wenn etwas so schnell geht. Man müsste eigentlich dran zweifeln. Wir haben aber gegen jede Form von Klischeedenken ein sehr ausgeglichenes Ende gefunden.
MM: Apropos, Ende …
Ebm: Das kommt in einer Art Traum- oder Trancesequenz oder Vision vorweggenommen auch vor: Sabina Spielrein ging ja zurück nach Russland und wurde vom Stalinregime als Jüdin, als Akademikerin, als Psychoanalytikerin geächtet, denn Stalin hat Psychoanalyse verboten, und von den Nazis erschossen. Man soll ja wissen, was mit ihr passiert ist.
MM: Wie ist es, mit einem Oscarpreisträger zu arbeiten? Das hat man ja auch nicht alle Tage.
Ebm: Stimmt. Aber Christopher Hampton ist so ein lieber, bodenständiger Mensch, so drauf bedacht, dass es uns gut geht. Ich fühle mich beschützt bei ihm. Er weiß immer, was er sagt, man kann ihm die dümmsten Fragen stellen und er behandelt sie trotzdem ernsthaft. Er kennt das Thema ja in- und auswendig. Man kann sich mit ihm Stück für Stück an seinen Gedanken abarbeiten. Er ist echt ein großer Mann.
MM: Das ist Ihre erste Saison an der Josefstadt, die zweite Rolle nach der Kathi im „Zerrissenen“ …
Ebm: Und ich glaube immer noch, ich träume. Ich war vorher in der freien Szene unterwegs, habe „Alma“ gemacht, mit Freunden das „Ensemble 08“ gegründet, wo unsere bekannteste Produktion „Shoppen und Ficken“ war, aber ich wollte immer an die Josefstadt, das ist hier wie eine Familie. Die Möglichkeit, zwei so unterschiedliche Rollen in so kurzer Zeit zu gestalten, ist ein Wahnsinn. Manchmal wache ich in der früh auf und denke mir: Arg, wie super g’rad alles ist.
MM: Man kennt Sie aber auch aus Film und Fernsehen.
Ebm: Ich hatte mehrere kleine Rollen, die größte kommt erst: die ORF-„Vorstadtweiber“ mit Maria Köstlinger, Gerti Drassl, Nina Proll und Adina Vetter. Ich bin schon ganz gespannt. Ich spiele eine umtriebige Frau, die mit ihrem älteren Mann sexuell nicht ausgelastet ist und sich ein bissl umschaut. Die „Vorstadtweiber“ sind alle guuute Freundinnen, aber keine würde ihren Schein aufgeben, alle haben ihre Geheimnisse und Intrigen. Ich hoffe, es ist lustig anzuschauen.
MM: Die berüchtigte Frage „Wo sehen Sie sich in …?“ entfällt also?
Ebm: Toi, toi, toi! Mir geht’s sehr gut, so wie es derzeit ist. Ich mag es so, wie es jetzt ist. Arg, dass ich mein Geld verdiene, mit dem was ich am Allerliebsten mache.
Sabina Spielrein (1885-1942)
Sabina Spielrein gilt als Pionierin der Psychoanalyse des Kindes. Sie entwickelte als Erste die These, nach welcher der Sexualtrieb aus zwei gegensätzlichen Komponenten besteht, die von Freud übernommen wurde. Ihre erste Begegnung mit der Psychoanalyse hatte sie allerdings als Patientin. Sabina Spielrein wurde 1904 mit der Diagnose „Hysterie“ in die Psychiatrie eingewiesen und von C.G. Jung behandelt. 1906 begann Jung einen Briefwechsel mit Freud über Spielrein – dies war die Geburtsstunde der Lehranalyse. Nach Spielreins Promotion wurde sie als eine der wenigen weiblichen Ärztinnen in Freuds Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen. 1942 wurde Sabina Spielrein mit ihren Kindern von den Nazis ermordet.
www.josefstadt.org
Trailer: http://youtu.be/B4bT5IDyaMI
Wien, 25. 11. 2014