Theater Nestroyhof Hamakom: Herbst der Untertanen

Januar 19, 2022 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Dienstbotenkrieg von gnadenloser Grausamkeit

Christine Dorner, Tonia Fechter und Katharina Schumacher. Bild: © Marcel Köhler

Im Halbdunkel raunt es: „Existiert das Land noch, aus dem sie kommt?“, dann: „Wo ist die Waffe?“ Seit Tschechow weiß man, gibt’s im ersten Akt eine Waffe, wird im dritten damit geschossen. Man wird sehen … Im Theater Nestroyhof Hamakom wurde nach mehrmaliger Cov19-Verschiebung endlich die österreichische Erstaufführung von „Herbst der Untertanen“ der georgischen Autorin Nino Haratischwili über die Bühne gebracht.

Doch einer fehlte – Regisseur Michael Gruner, der am 20. Oktober 2021 verstarb. Und so legt beim Schlussapplaus Ingrid Lang, die Leiterin des Hamakom, eine rote Rose auf seinen Platz und verbeugt sich vor ihr. Ein bewegendes Bild. Davor war’s weniger seelenvoll zur Sache gegangen. „Herbst der Untertanen“ erzählt von den letzten drei Bewohnerinnen einer palastähnlichen Villa (wofür sich das angekratzte Jugendstil-Ambiente des Hamakom wunderbar eignet), in einem Land, offensichtlich einer Diktatur, in der zum wiederholten Male ein Bürgerkrieg tobt. Eine Revolution gegen das Regime, die Partisanen rücken auf die Stadt zu, draußen vor der Tür fallen Schüsse, detonieren Granaten.

Der Hausherr, General und erster, gleichzeitig meistgehasster Mann im Staat, hat sich nebst Gattin abgesetzt. Auch haben sämtliche Hausangestellte das Weite gesucht. Einzig Rina, die alte Köchin, Kaela, die Haushälterin, und eine junge Dienstmagd, ein Flüchtlingsmädchen aus dem in den Bürgerkrieg hineingezogenen Nachbarland, vom General lustvoll sabbernd „Lucy“ genannt, sind geblieben. Christine Dorner gestaltet die Rina zum Gruseln gut, den Kadavergehorsam der Patriotin um jeden Preis, die im festen Glauben, ihr General werde zurückkehren, der Herrschaft allabendlich ein Festmahl zubereitet.

Christine Dorner, Tonia Fechter und Katharina Schumacher. Bild: © M. Köhler

Tonia Fechter und Katharina Schumacher. Bild: © Marcel Köhler

Kaela bricht zusammen: Katharina Schumacher. Bild: © Marcel Köhler

„Eine ausgemergelte Sadistin, die die Moral der Welt für sich gepachtet hat“, nennt Kaela sie, Katharina Schumacher als angriffslustige, spöttische Rebellin im Adlerhorst, die endlich den Luxus genießen will, Madames Kleider tragen, in deren Bett schlafen, deren Essen essen – Cordon Bleu und teurer Wein statt des Angestellteneintopfs. Gruner, Experte für psychologische Tiefenbohrung, entfaltet ein Machtspiel um Befehlsgewalt, Erniedrigung und Menschenwürde. Die zwei von Kriegen gezeichneten Frauen (Lucy steigt erst später in den Irrwitz ein, noch ist sie Opfer, nicht Täterin) begegnen einander mit gnadenloser Grausamkeit – so wie sie’s wohl von der Herrschaft gelernt haben, so wie jene wohl mit ihnen umgegangen ist. Nichts anderes kennend erhalten, replizieren, ahmen die Frauen die Strukturen des „Führer“-Staates nach.

Irrwitz, das Wort war hier nicht zufällig gewählt. „Herbst der Untertanen“ ist auch eine Farce, ein brutaler Spaß, in der es Kaela ist, die das Leben meistens als Groteske nimmt. Katharina Schumacher bringt mit ihrer Spielenergie das Setting von Alina Amman zum Leuchten. Bald schlüpft sie in die Generalsuniform, imitiert diesen zu Lucys Amüsement, dann probieren die beiden Champagnertrunken die Abendkleider der Gnädigen auf dem Balkon (wie schön, dass der auch mal bespielt wird!), was Rina naturgemäß erzürnt. Und während Gruner mit Tonia Fechters Lucy die Ambivalenz von Abscheu und Empathie auslotet, gehen die Gegnerinnen Rina und Kaela wie Kampfhündinnen aufeinander los. Frauensolidarität? Fehlanzeige!

Imitiert den General in seiner Uniform: Katharina Schumacher als Kaela, hi.: Tonia Fechter. Bild: © Marcel Köhler

Jedes Mittel ist den beiden recht, um den Schmutz der Vergangenheit freizulegen, Sätze werden wie Streubomben abgeworfen, um möglichst viel emotionalen Schaden anzurichten. Rina schildert explizit und en detail die Massenvergewaltigung Kaelas durch Soldaten, und Christine Dorner spielt das mit diebischer Freude und großer Genugtuung. Diese rächt sich mit einem Auftritt im militärischen Tarnanzug. „Zieh‘ das aus“, kreischt Rina. Man erfährt, die „Mutter aller Tugenden“ hat ihren Sohn, als der vom Staatsheer zum Widerstand wechselte, an seine Folterer und Mörder ausgeliefert.

Prägnant, präzise und böse wird dieses genüssliches Stochern in offenen Wunden in den Spielraum gestellt, noch wird Lucy wie ein Pingpong-Ball, weinend, verzweifelt, zwischen den Älteren hin und her geworfen. Auf Geheiß Rinas muss sie Kaela mit einem nassen Putztuch prügeln. Ein Haus des Wahnsinns. „Ihr seid ja krank“, stellt die zwischen Hoffnungslosigkeit und Zweckoptimismus changierende Lucy immer öfter fest. Sie selbst will nun endlich raus aus der klaustrophobischen Situation, will die Eltern und die Schwester wiederfinden, da eröffnen ihr Rina und Kaela, welche Informationen der General bei der Flüchtlingshilfe über sein neues Hausmädchen eingeholt hat … (worauf Tonia Fechter mit ein bissl viel hysterischer Theatralik reagiert).

Gruner dreht permanent stärker an der Schraube. Anfangs noch subtile Nebenbemerkungen werden bald offen auf dem Schlachtfeld ausgetragen. Er treibt seine Schauspielerinnen Christine Dorner, Katharina Schumacher und Tonia Fechter zum Äußersten, hetzt Rina, Kaela und Lucy wieder und wieder aufeinander los. In extremen Zeiten, sagt Gruner, ist gegenseitige Zerfleischung wahrscheinlich „menschlicher“ als Zusammenhalt. Das Ende naht, die Apokalypse. Es gibt keine Vorräte mehr, kein Wasser. „Wo ist die Waffe?“, raunt es wieder im Halbdunkeln. Da hört man ein Geräusch von Lucy aus der Küche. „Ach, du Scheiße!“

Zu sehen bis 11. Februar.

www.hamakom.at           Trailer: www.facebook.com/theaternestroyhofhamakom/videos/609756156778637

  1. 1. 2022

Hamakom: Roland Schimmelpfennigs „100 Songs“

September 28, 2021 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Das Happy End ist eine aufgefangene Kaffeetasse

Gottfried Neuner, Sofia Falzberger, Sören Kneidl, Ana Grigalashvili, Katharina von Harsdorf und Tobias Voigt mit der Toten-Statisterie. Bild: © Marcel Köhler

„Songs Of Love and Death“ hieß vor Jahren das Debütalbum der bombastischen Symphonic-Metal-Band Beyond the Black, und auch wenn deren Dämonentanz im Theater Nestroyhof Hamakom nicht vorkommt, so ist dieser Danse macabre doch exakt Form und Inhalt von Roland Schimmelpfennigs „100 Songs“. Nach dem gesundheitsbedingten Rückzug von Frederic Lion hat die nunmehrige künstlerische Gesamtleiterin des Hauses,

Regisseurin Ingrid Lang, den Text als österreichische Erstaufführung inszeniert. Also sprach Schimmelpfennig über Nietzsches Apokatastasis. Denn des Philosophen zyklisches Geschichtsbild vom verlorenen hin zu einem Zustand der „Allaussöhnung“ und Einheit aller Wesen, wird die kommenden zwei Stunden bestimmend sein – die Gottesfrage sowieso. Auftreten in Schimmelpfennigs szenischer Versuchsanordnung Sofia Falzberger, Ana Grigalashvili, Katharina von Harsdorf, Sören Kneidl, Gottfried Neuner und Tobias Voigt als vom Autor sogenannte „Gruppe von Frauen und Männern“. Beobachter, Boten, Betroffene, Passanten, Passagiere, gar Erzähler aus dem Totenreich? Ratlos sind sie, da alles „zu kompliziert“, „erschreckend einfach“, „erschreckend kompliziert“ scheint. „Zu weit weg von allem, was man denken kann.“

Schimmelpfennig hat sein Stück im Gedenken an die Madrider Zuganschläge verfasst, Ingrid Lang holt es nach dem Attentat vom 2. November 2020 nach Wien. Das Thema dieser Jukebox der kollektiven Erinnerung ist: der Terror. Die Sprachlosigkeit im Angesicht des Unsagbaren, das betretene Schweigen, die Fantasie des Theaters, über den Tod mit der prallen Wucht des Lebens zu berichten. Zug fährt ein, Trillerpfeife schrillt, im Radio läuft „Bette Davis Eyes“ von Kim Carnes, Sally, der Serviererin im Bahnhofscafé, fällt eine Kaffeetasse zu Boden – und dann: noch mehr Songs, von Iggy Pops „The Passenger“ über „Upside down“ von Diana Ross zur „Road to Nowhere“ der Talking Heads.

„Es war, als ob hunderte Songs gleichzeitig liefen, Tausende von Songs, Millionen, Milliarden“, sagt Tobias Voigt, er und das Ensemble der vielstimmige Chor eines Requiems, eine Pop-Kakophonie aus Liedern, in denen ein paar Minuten ein ganzes Leben besingen. Im zerrissenen Bühnenbild von Vincent Mesnaritsch entwerfen Schimmelpfennigs Figuren Biografien, Beziehungsprobleme, beiläufige tragikomische Tragödien in Endlosschleife, und dies so banal, dass es besonders ist. Immer wieder von Neuem rekapitulieren sie ihre Sehnsüchte und Schwächen während der Vor-Katastrophen-Frist von 8.51 und 8.55 Uhr. Vier Minuten, und die sogenannte Zivilisation in Flammen, und die Zeit ihre Protagonistin.

Eben noch war Gottfried Neuner der Mann am Fenster gegenüber den Gleisen, schon ist er ein Verletzter auf dem Bahnsteig. Sofia Falzberger singt im Wortsinn den Sirenen-Gesang. Zwischen der zutiefst gläubigen Stripperin/ Ana Grigalashvili, dem Mann aus Kabul/ Sören Kneidl, der Fremdgeherin/ Katharina von Harsdorf, dem Verwaltungsbeamten in den besten Jahren/ Sofia Falzberger und Tobias Voigt als 16-jähriger Friseur-Azubi mit Katie Melua in den Kopfhörern sind die Gendergrenzen gesprengt wie die Waggons. Die Atmosphäre ist: Gefangen im Bardo.

Bild: © Marcel Köhler

Bild: © Marcel Köhler

Bild: © Marcel Köhler

Bild: © Marcel Köhler

Schön die getanzt-gefightete Szene, in der das studentische Liebespaar mit dem in Trennung befindlichen Ehepaar korrespondiert. Eine Frau verpasst die Abfahrt um Sekunden. Was rettet einem das Leben? Der Zufall, die Suche nach den Allergietabletten, Zuspätkommen, die Schicksalsmelodie? Und wieder ist es 8.55 Uhr. Zerfetzte Kopfdialoge, Gedanken-Gänge, Spiegelungen und Selbstgespräche, Trillerpfeifen-Alarm, das Leben, weiß der empathische Soziologe Schimmelpfennig, ist stets nur ein Vielleicht. Gottfried Neuner als Pfarrer, der zum Begräbnis eines 6-Jährigen unterwegs ist, wird in den Raum stellen, ob Gottes An- oder Abwesenheit für den Menschen günstiger ist.

Neuner ist es auch, der die Pferdemetapher aufbringt, mit Sleipnir, Odins achtbeinigem Kampfross; Kneidl, „dunkelhäutig“ und mit Vollbart, liest über Buraq, ein Reittier mit Frauenantlitz, das der Erzengel Gabriel dem Propheten Mohammed für seine Himmelfahrt überbrachte; der Pfarrer sieht in den Wolken die apokalyptischen Reiter. Ist das rote Pferd der Krieg oder die Liebe, das schwarze mit der Waage die Teuerung oder die Gerechtigkeit? Das weiße jedenfalls Jesus Christus und das fahle der Tod … Schimmelpfennigs zwischen Traum und Traumata schwebende Auslassungen sind so surreal wie die Sinnfrage, wie das Sterben an sich.

Und immer noch ist in all den ans Publikum gerichteten Paradoxien nicht klar, wer aus dem Figurenreigen der/die SelbstmordattentäterIn sein mag. In Schimmelpfennigs brutaler, vom Ensemble mit Verve auf die Spielfläche gebrachter, galgenhumorig-poetischer Playlist, ist eine oder einer die Vorstellung des und der anderen. Macht. Erregung. Angst? Erregung. Macht. Angst! Diese Topografie des Allzu-Unmenschlichen, dazu die von den Österreich-Touristen Voigt und von Harsdorf brennend ausgebreitete Landkarte, könnte auch nur der Polt einer Profiler-Fernsehserie sein. Eine Totenreich-Statisterie stellt jene St.-Jakobs-Lichter auf, die vor zwei Jahren den Desider-Friedmann-Platz zum Mahnmal machten.

Im vollbesetzten Hamakom singen Sofia Falzberger, Ana Grigalashvili, Katharina von Harsdorf, Sören Kneidl, Gottfried Neuner und Tobias Voigt „Don’t Dream It’s Over“ von Crowded House, hey now, hey now, eine Polonaise wär‘ ein Superschluss, beschließt man: Und Erwin fasst der Heidi von hinten an die  … Schulter … Im letzten Moment fängt Gottfried Neuner als „Mann mit der Sporttasche“ die Katharina von Harsdorfs Sally entglittene Kaffeetasse – „gerade nochmal gutgegangen“ und Happy End! Oder? Sie werden einander nur durch zwei Glasscheiben begegnen. Splitter, Scherben, der tolldreiste Gesellschafts- ein grausiger Totentanz, die „100 Songs“, Schimmelpfennigs Wunschkonzert zum Weltuntergang, jedenfalls ein Sog auf diesem Verschiebebahnhof von Gestern, Heute und Morgen. Bis 29. Oktober. Eine Empfehlung.

www.hamakom.at

  1. 9. 2021

Theater Nestroyhof Hamakom online: Alles ist. Hin?

Dezember 12, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Per Patschenkino in die Pestgruam

Gustav Ernst, Alicia Edelweiss, Peter Ahorner und Karl Stirner, Voodoo Jürgens und Miroslava Svolikova. Film-Still „Alles ist. Hin?“, Theater Nestroyhof Hamakom, 2020 © Marianne Andrea Borowiec

„Jeder Tag war ein Fest / Und was jetzt? Pest, die Pest!“ Die Ballade vom lieben Augustin ist so stadtbekannt wie ihr Musikant. Derart reimt Voodoo Jürgens als sichtlich illuminierter Gast- geber, der das geschätzte (nun statt Theater- eben) Filmpublikum ins Hamakom geleitet. Durchs verhängte Foyer in Sam’s Bar, wo die Stimmung nicht grad auf dem Siedepunkt ist.

Punkto Schnapsleichen hat’s schon zwei auf der Bühne hingestreckt, Peter Ahorner und Karl Stirner, Alicia Edelweiss dreht sich mit ihrem Akkordeon leise im Kreise, Miroslava Svolikova sinnt vor sich hin und Gustav Ernst versucht sich Einen umzuhängen. Die Bänkelsänger-Batterien sind so leer wie die Flaschen ringsumher. Aber das ändert sich in der Minute.

Weil: Hochverehrte Anwesende!, liebe Festversammlung! das Spiel nun beginnen kann. Im Theater Nestroyhof Hamakom hat man aus der Not eine – angesichts des Protagonisten muss man wohl sagen – Untugend gemacht, und die Premiere von „Alles ist. Hin?“ im Rahmen des Dezembertraditions-

Programms „Sam’s Bar“ zum Patschenkino rund um den lieben Augustin umgestaltet. Marx Augustin, so ein sich hartnäckig haltender Wiener Mythos, schlief während der letzten großen Pestepidemie im 17. Jahrhundert in der Gosse ein, nachdem er sich in einem Lokal betrunken hatte. In der Nacht wurde Augustin von den Siech-Knechten der Stadt für tot befunden und in eine Pestgrube geworfen. Oder stolperte er selbst hinein?

Die Erzählungen variieren. In jedem Fall erwachte der Dudelsackspieler und Stegreifdichter am nächsten Tag und krakeelte so lange, bis man ihn aus seiner misslichen Lage befreite. Und verkatert, aber sonst guter Dinge schrieb er seinen Hit darüber, auch in Zeiten der allergrößten Not nicht den Humor zu verlieren. In mannigfaltigen Gestalten und in der Regie von Hannes Starz, Marianne Andrea Borowiec und Patrick Rothkegel lassen die Singer-Songwriter, Autorinnen und Autoren, Musikerinnen und Musiker den Augustin nun hochleben.

Alicia Edelweiss. Filmstill: © Marianne Andrea Borowiec

Gustav Ernst. Filmstill: © Marianne Andrea Borowiec

Voodoo Jürgens. Filmstill: © Marianne Andrea Borowiec

Miroslava Svolikova. Filmstill: © Marianne Andrea Borowiec

Das heißt, es wär‘ nicht das gute alte Wiener Leid im Wienerlied, müsste man nicht auch ein bisschen „sudern und sempern beim Pudern und Pempern“. Der Tod ist zweifelsfrei ein Wiener, aber die gepflegte Tristesse allemal eine Wienerin – und so erzählt Gustav Ernst vom Todesübungstheater des Franz‘, ein „Tollhaus“ ist das übrigens, in dem der scharfzüngige Nachfahre der Wiener Volkskomödienschreiber seinen einen von „Zwei Herren“ sagen lässt: „Wissen Sie, was Kultur ist? Wenn einer allein im Keller sitzt, im Finstern, und sich trotzdem die Hand vorhält beim Gähnen.“

Noch mag zwar nicht „Midnight“ sein, doch der Franz stirbt bereits den Unterhaltungstod. Die Slimfitten und die Mentalsheriffs mit ihren #Corona-Spürhunden, kein Scherz, den ersten bildet das Bundesheer dieser Tage aus, sind an allem schuld, befindet ernst Ernsts Augustin: „Man darf den Tod nicht zur Ruhe kommen lassen, damit er nicht nachkommt und keine Kraft mehr zum Umbringen hat“, ist seine Volksweisheit, denn erst: „Wenn ollas hin ist, lauf‘ ich zu vollem Leben auf!“

Voodoo Jürgens und Gustav Ernst. Filmstill: © Marianne Andrea Borowiec

So entpuppt sich der Abend als Perpetuum mobile des Morbiden, gottvoll möchte man ihn nennen, während die Edelweiss einen Valse macabre intoniert. Doch darf man das nicht, weil Ernst eben erläutert: Gott = Herr, gegendert: Herrin, also Domina. Da erwacht aufs Stichwort die unscheene Alk-Leich’ Peter Ahorner und Karl Stirner zum untoten Leben. Der Satiriker und der Zitherspieler bekanntlich „ein Herz und eine Kehle“, zwei ausgschamte Diener, die in den Endzeitgewölben des Hamakom Hochgeistiges servieren.

Ả la „Es geht ma guat, solang mei Fleischhauer und des Waffngschäft offen haben“ wird über die tiefe Bedeutung von Bradlfettn und Grundfettn diskutiert, werden die Cluster-Gfrasta ausstalliert, wird „Virologie im Dezember“, der große Hit der Bambis, oder war er von Vico Torriani und hieß ganz anders?, angestimmt. Dazu Voodoo Jürgens, der mit Rauschgeschwindigkeit zwischen dem Billardspiel mit Gustav Ernst und dem unwohltemperierten Klavier wechselt. Ein Glühbirnenballett – und Miroslava Svolikovas Ruf an die Freunde im Fegefeuer: „O du lieber Augustin / mir fehlt noch ein Reim da drin!“

„Mein Leben und ich“, sagt sie, „sind eine Amour fou, und die Fröhlichkeit ist unsere Impfung.“ Nach zwei, drei Gläsern im Verein mit den Künstlerinnen und Künstlern fühlt man sich vorm Bildschirm fast schon wie der/die Regierungsbeauftragte für Hygiene und Moral, zu Gustav Ernst zorniger Stimme mischen sich die Sätze der Svolikova, beschwörend wispernd, und Augustins Haberer Voodoo Jürgens lädt zum Ringelreihen. Zum Schluss der Coverboy von Ottakring: „Aufblattlt hot’s es, olle miatanaunda, von Peter Alexander bis Wanda, ans Glander hob I’s olle gspüt, I wor da Burner von Wien. Und heit nix, kane Gigs, Auftrittsverbot …“ Alles ist. Hin? – na, im Hamakom zum Glück nicht!

Zu sehen bis 18. Dezember. Das ganze Programm in Sam’s Bar: www.mottingers-meinung.at/?p=42703 www.hamakom.at

  1. 12. 2020

Theater Nestroyhof Hamakom: Sam’s Bar geht online

November 24, 2020 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Konzerte, Performances und „Alles ist. Hin?“ als Film

Sam’s Bar. Bild: © Nick Mangafas

Wegen der neuesten #Corona-Bestimmungen musste das Theater Nestroyhof Hamakom erneut schließen. Dennoch soll die besondere Tradition von Sam’s Bar bestehen bleiben. Seit Dezember 2013 zelebriert das Hamakom die Etablissement-Tradition des von Oskar Marmorek erbauten Nestroyhofs und verwandelt sich auch dieses Jahr von 5. bis 19. Dezember in die mittlerweile berühmte Lounge. Mit dem Unterschied, dass das Publikum das von Ingrid

Lang und Patrick Rothkegel kuratierte Geschehen heuer als Stream auf der Hamakom-Homepage sehen wird. Bei Kartenreservierung wird ein Link via Mail zugesandt, über den das gewünschte Programm zur regulären Beginnzeit abrufbar ist. Die Streams stehen kostenlos zur Verfügung, Spenden fürs Patschenkino sind allerdings sehr willkommen. Ebenso der Applaus, mit dem man den Künstlerinnen und Künstlern diesmal eben schriftlich danken kann.

Auf dem Spielplan stehen unter dem Titel „positiv“ Improvisationskunst von Otto Lechner am 5. Dezember, Chanukka mit Elias Meiri und den Yiddish Maidels am 10. Dezember – Meiri, Opernsängerin Shira Karmon und Jazz-Mezzosopranistin Clara Montocchio beleben mit „Songs in Yiddish“ die Wiener jüdische Tradition von Klezmer bis Jazz, die schönen und gescheiten Lieder von Anna Mabo am 12. Dezember, Stefan Sterzinger III mit „Leise im Kreise“, vertonten Gedichten der großartigen Elfriede Gerstl am 17. Dezember, sowie am 19. Dezember Peter Ponger am Piano.

Elias Meiri und die Yiddish Maidels. Bild: © Jonathan Meiri

Otto Lechner. Bild: © Klaus Tauber

Von der Theater- zur Filmpremiere wurde „Alles ist. Hin?“ am 9. Dezember verändert. Darin dreht sich alles um die Figur des Augustin. Marx Augustin, so ein sich hartnäckig haltender Wiener Mythos, schlief während der letzten großen Pestepidemie im 17. Jahrhundert in der Gosse seinen Rausch aus – frustriert darüber, dass er wegen der geltenden Verordnungen nirgends mehr musizieren durfte. In der Nacht wurde Augustin von Pestknechten der Stadt für tot befunden und in eine Pestgrube geworfen. Am nächsten Tag wachte er zwar verkatert, aber ansonsten guter Dinge auf und schrieb seinen Gassenhauer vom lieben Augustin, darüber, auch in Zeiten der allergrößten Not nicht den Humor zu verlieren.

In diversen und mannigfaltigen Gestalten lässt das Theater Nestroyhof Hamakom den Augustin wieder auferstehen. Miroslava Svolikova, Gustav Ernst und Peter Ahorner werden eigens Texte für diesen Film schreiben. Für Musik sorgen der Musiker Karl Stirner mit seiner Zither, die vielseitige Singer-Songwriterin und Akkordeonistin Alicia Edelweiss und Special Guest Voodoo Jürgens. Gemeinsam mit dem Regisseur Hannes Starz und der Kamerafrau Marianne Borowiec wird nun kurzerhand jener Film produziert, der bis 18. Dezember an den jeweiligen Spieltagen auf der Webseite des Theaters abrufbar sein wird. Beginn ist jeweils um 20 Uhr.

www.hamakom.at/online           www.hamakom.at

  1. 11. 2020

Theater Nestroyhof Hamakom: Ich bin der Wind

Oktober 14, 2020 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Anne Bennent in Jon Fosses Mystikdrama

Anne Bennent und Jakob Schneider. Bild: © Marcel Köhler

Das Theater Nestroyhof Hamakom startet mit der Eigenproduktion „Ich bin der Wind“ in die Saison 2020/21 und bringt das Stück des norwegischen Ausnahmeautors Jon Fosse, einer der großen Mystiker der europäischen Gegenwarts- literatur, ab 14. Oktober zur österreichischen Erstaufführung. In der Regie von Ingrid Lang spielen Anne Bennent und Jakob Schneider. „Ich bin der Wind“ ist ein Stück Überleben. Eine zärtliche Auseinandersetzung mit Leben

und Tod, Depression und Alkoholismus, mit den tiefsten Ängsten und der größten Lust. Ein mutiger liebender Blick ins eigene Gesicht, gespiegelt in einer unruhigen Wasseroberfläche. Eine Meditation über das Menschsein, über Beziehungen und Nähe, über die Angst vor dem Alleinsein, die Lust des Verschwindens und die Unaussprechlichkeit dessen, was den Menschen eigentlich ausmacht.

Das Ganze spielt auf einem von zwei namenlosen Gestalten imaginierten Segelboot. Der Eine ist lange schon fort, er ist leicht wie der Wind und schwer wie ein Stein, allein kann er nicht sein, aber auch nicht unter den anderen, eine Betonwand ist er, die krachend zerfällt und so ist das passiert, wovor er Angst hatte, es zu tun … Der Andere versucht zu verstehen, versucht ihn in der Gegenwart zu halten. Aber das sind nur Worte, nur was man so sagt. Und so schweigen sie und segeln. Nebel hängt über dem Wasser, grau schimmern die Inseln und Schären. Schön und hässlich. In einer Bucht genehmigen sie sich einen Ankerschnaps. Sie essen, sie reden, einer trinkt. Er steuert auch das Boot, fährt weiter und weiter aufs offene Meer hinaus, wo er dem Anderen das Ruder übergibt und in die Wellen stürzt …

Vorstellungen bis 4. November.

www.hamakom.at           Trailer: www.facebook.com/theaternestroyhofhamakom/videos/338670324028835

14 10. 2020