Orpheum Wien: Hader On Ice
September 9, 2021 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Der mit dem Wolf trinkt

Spritzpistole im Anschlag. Bild: © www.lukasbeck.com
„Sie san a bissl aufgeregt, stimmt’s?“ fragt Josef Hader das Publikum im Orpheum Wien. Keine Sorge der Künstler hat alles im Griff. „Bei meiner Bühnenroutine.“ Ein erster Lacher, hat der Godfather des deutschsprachigen Kabaretts doch erst nach 17 Jahren endlich wieder ein neues Programm. Hader muss weg, „Hader On Ice“ muss raus, wobei Hader wieder Hader spielt. Einen runderneuerten, dies nicht wegen ein paar Kilo mehr, sondern – der Temperaturwechsel deutet sich schon im Titel an – die coole Sau, den Playboy in Schwarz mit tiefaufgeknöpftem Hemd und ebensolchem Selbstbewusstsein.
Vorbei die Zeiten des herumdrucksenden Kleinkünstlers, der die Zuschauerinnen und Zuschauer an seinem Wohl und Wehe teilhaben lässt, nun wird das große Wort geführt, den Tumbler voll nachhaltigem Rum On The Rocks wie an die rechte Hand getackert. Den Wiener-Konsumwahn-Flüchtling hat’s in Weinviertel verschlagen, der „Toskana Österreichs, genauso
überschätzt“, dort ist Saufen Freizeitsport, schiach die Leut‘, zersiedelt die Gegend, da fällt ein seelisch zerfledderter mehr nicht auf. Hader Josef spielt Hader, die Kunstfigur, mit einem Wolfslächeln. Damit hat’s was auf sich. Doch zuerst streut der zunehmend illuminierte seine gehässigen Fake News und Verschwörungstheorien. Ein zynischer Unsympath hat sich da im Orpheum Wien eingenistet, bewaffnet mit einer Spritzpistole als Schutz gegens heraufdämmernde Neo-Mittelalter. Boten, von Hader mittels Plastikcolt verscheucht, Seuchen, Enthauptungen gibt’s ja schon wieder, nur der Scheiterhaufen ist noch eine Mehlspeise.
Bestens gelaunt berichtet Hader von seinem Lifestyle als Endfünfziger, die junge Freundin hat ihn zwar wegen unvereinbaren Sexbiorhythmen verlassen, aber, hey, der Sportwagen ist noch da. Hader persifliert sein gutsituiertes Promi-Sein und hält seine absurde Ich-Erzählung insofern politisch, als er dem ungesunden Volksempfinden wieder mal mit Argusaugen ins Herz und aufs Maul geschaut hat. Angina Pectoris, die Enge in der Brust, ortet er denn auch als Haupttodesursache, sich selbst nicht ausgenommen. Doch als kindheits- traumatisierter Katholik – großartig die Nikolo-Anekdote, ist man schließlich selber auch aus Angst vor diesem unterm Festtagstisch gekauert – als Katholik also versteht sich Hader auf den Ablasshandel.
Den treibt er mit einem Euro für Asylwerber-Bettler Jimmy, der vorm Billa steht, und als heiterer Nigerianer ausreichend Gute-Laune-Faktor fürs Elend mitbringt. Nicht so wie die knieenden, flehenden, betenden Rumänen, die einem den ganzen Tag vergällen. Jimmy wird später zu Haders Diener avancieren, Stichwort: moderne Sklaverei: womit er die Flüchtlingsfrage geklärt wähnt: „Menschen als Eigentum – nichts ist in Österreich so gut geschützt wie Eigentum.“ Jetzt ist er aber selber erschüttert über das Niveau der Veranstaltung, der Hader.

Bild: © www.lukasbeck.com

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Also zurück zum alkoholgeschwängerten Anfang, die Droge, die neben ein paar anderen den Quarantäne-Tag strukturiert hat. „Weizenbier ist ja nur ein verkleidetes Müsli“, feixt der laut Eigendefinion Gesellschaftstrinker, um sofort festzuhalten: „Menschen, I brauch’s ned so.“ Mit Seitenstich auf die Millennials und ihre Latte-Macchiato-Geschwätzigkeit, mit Blick auf Klimawandel und Alterseinsamkeit, mit einer Watschn für den Zeitungeist, mit Biss in gängige Erschlagworte: „Bevölkerungsaustausch, die Bevölkerung tauscht sich eh alle 100 Jahre aus“, pendelt der bekennende Boomer von Pontius zu Pilatus.
Ach ja, der Wolf, der hat Hader irgendwann im Wald überfallen und ist nach fünf Kilo feinstem Rindercarpaccio und einer Rum-Degustation zum steten Hausgast geworden. Gleich Jimmy Stewart stellt ihn Hader dem Publikum vor: Mein Freund Rudl! Auf den Hinterbeinen mehr als zwei Meter groß. Oder wird hier doch sowas wie Jekyll und Hyde gegeben? Hader, der Wolf im Kabarettistenpelz? Zum Ende jedenfalls setzen sich die beiden ans Klavier und singen, Hader in allerlei Höhen sentimental heulend, der Wolf mit Tom-Waits-Stimme, virtuos den Jazz-Standard „Over The Rainbow“. Irgendwo muss es sein, das Land, in dem die Himmel blau, die Menschen gut und die Träume war sind …
„Hader on Ice“ – gekonnt minimalistisch inszeniert von Regisseurin Petra Dobetsberger – ist zum richtigen Zeitpunkt aufgetaut. Sein Parforceritt durch die österreichische Seele, sein Horrortrip durch Sigmund-Freud-Gefilde, seine Reise in die geistige Provinz ist einmal mehr grandioses Theater. Mit ausladender Geste, überbordender Fantasie und den typischen Schlechter-Witz-Widerhaken mimt Hader den Las-Vegas-Entertainer (in der Pause swingt Dean Martin), dessen Show zur Schau in persönliche und politische Abgründe wird.
So sehr die Bühnenfigur Hader ein Schönreder und Doppelmoralist, so wenig ist der Josef ein Weltversteher und Zusammenhangserklärer. Was er liefert ist eine Bestandsaufnahme sozialgesellschaftlicher Scheußlichkeiten, und zwar mit heiterer Beiläufigkeit. Dass man manches bereits aus Videos, die er zu Lockdownzeiten auf Facebook gepostet hat, kennt, tut dem Live-Vergnügen keinen Abbruch. Im Gegenteil, sie sind nun im Kontext eines kompletten Programms sogar lustiger. Und ein neues, grantiges Lebensviech hat der Hader auch gefunden. Wie sagt’s der Lateiner, der Dings, der Plautus? lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit.
- 9. 2021