Kammerspiele: Was ihr wollt

April 28, 2022 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Weil ich ein Mädchen bin …

Helden in Strumpfhosen: Markus Kofler, Matthias Franz Stein, Alexander Strömer, Dominic Oley, Tamim Fatal, Ljubiša Lupo Grujčić. Bild: © M. Schell

Wer hätte gedacht, dass sich im Josefstädter Ensemble derart viele herrliche Dragqueens verstecken? Auf die man noch dazu nur neidisch sein kann, weil – nackte Männerbrust hin oder her – wow, gibt es da sexy Beine zu sehen … In den Kammerspielen der Josefstadt zeigt Regisseur Torsten Fischer Shakespeares „Was ihr wollt“ in (bis auf Maria Bill als melan- cholischem Clown) männlicher Besetzung. Der Kniff passt zum britischen Barden, durfte doch zu dessen Lebzeiten keine Frau auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stehen. Fischers gemeinsam mit Herbert Schäfer erstellte modernisierte Textfassung sprüht nur so vor Bonmots und Pointen.

Ist an den passenden Stellen derb, an den richtigen elegisch. Die Darsteller scheuen mitunter auch vor tief aus der Klamottenkiste geholtem Klamauk nicht zurück, und sind in ihrem Spiel in dieser irrwitzig wortwitzigen Romantic Comedy dergestalt stark, dass selbst ein gutgetrimmter Dreitagebart der Illusion keinen Schaden zufügen kann. Und wenn’s die Helden in Strumpfhosen gar zu bunt treiben, unterbricht die Bill als Botin aus einem weniger leichten Leben in den hochemotionalsten Momenten und singt Astor Piazzola.

„Rinascerò“ nach dem mit Tamim Fattal und Ljubiša Lupo Grujčić mehrsprachig erlittenem Schiffbruch, „Los Pájaros Perdidos“ wenn Herzen brechen, „Oblivion“ hat sie selbst übersetzt. Tango Argentino, Tango Nuevo, Musik vom Rio de la Plata, die hier Krzysztof Dobrek am Akkordeon und der Geiger Aliosha Biz alternierend mit Nikolai Tunkowitsch interpretieren. Allein diese Augenblicke sind den Besuch der Vorstellung wert und wurden vom gestrigen Publikum auch mit Szenenapplaus bedankt.

Die Handlung ist tatsächlich sehr geschlechterfixiert: In Illyrien schmachtet Herzog Orsino nach der Hand der Gräfin Olivia, die sich jedoch in der Trauer um den hingeschiedenen Vater und Bruder ergeht. Da stranden die Zwillinge Viola und Sebastian an der Küste, allerdings im jeweiligen Glauben das andere Geschwister sei ertrunken. Viola verkleidet sich als Jüngling „Cesario“ und tritt in die Dienste Orsinos. Beauftragt mit dessen Liebeswerben entbrennt Olivia für den „jungen Mann“.

Rehrl, Niedermair und von Stolzmann. Bild: © Moritz Schell

Ach, armer Rehrl! – Ich kannte ihn: Mit Clownin Maria Bill. Bild: © Moritz Schell

Dick und Doof: Robert Joseph Bartl und Matthias Franz Stein. Bild: © M. Schell

Alldieweil versuchen Olivias Onkel und Trunkenbold Sir Toby und Kammerkätzchen Maria den um Olivia werbenden, reichen, aber dümmlichen Sir Andrew auszusackeln; der Olivia besitzen und die Schluckspechte ausmerzen wollende Haushofmeister Malvolio wird per Intrige zum Narren gemacht, Stichwort: Komm‘ im gelben Höschen, dann zeig ich dir mein Möschen. Sebastian erscheint. Orsino und Olivia fighten um den schönen Knaben, der sich zum Glück als zwei vom jeweils angemessenen Sexus entpuppt. Ende gut, Torsten Fischer, denn der Regisseur demontiert die altväterische Ordnung. Immerhin Sir Toby heiratet Maria. Das alles ereignet sich auf der reinweißen Bühne der Ausstatter Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos. Vorne gibt es einen Spalt für freiwillige und unfreiwillige Abgänge.

Julian Valerio Rehrl spielt niemals travestiehaft, sondern subtil Viola/“Cesario“ und Sebastian, als zweiterer ein burschikoser Haudrauf, als erstere von einer Delikatheit und Zartheit, die nicht nur den Herzog verwirrt. Als solcher bleibt Claudius von Stolzmann hinter seinen Möglichkeiten, die blass geschminkten Gesichter müssen ja nicht in ebensolches Agieren ausarten, mag aber auch sein, dass man von seinem fulminanten Mackie Messer immer noch in der Weise eingenommen ist, dass jede andere Rolle dagegen bis auf Weiteres …

Claudius von Stolzmann, Julian Valerio Rehrl. Bild: © M. Schell

Die Schiffbrüchigen, Mi.: Rehrl als Viola. Bild: © Moritz Schell

Martin Niedermair als liebestrunkene Olivia. Bild: © Moritz Schell

Dominic Oley als verhöhnter Malvolio. Bild: © Moritz Schell

Martin Niedermair ist ganz großartig als beständig am Rande der Hysterie wankende Olivia, die Lady ein Fashion Victim im schwarzen Reifrock und mit extravaganten Hüten – und in Strapsen hinreißend! Alexander Strömer gibt lustvoll die rachsüchtige Kammerzofe Maria (im Rockabilly-Kleid), die mit Sir Toby, Sir Andrew und Ljubiša Lupo Grujčić als Diener Fabian jenen sinistren Plan gegen Malvolio schmiedet. Wobei Robert Joseph Bartl als nie nüchterner Sir Toby und Matthias Franz Stein als „Ich will nach Hause“ wimmernder Sir Andrew als Doubles von Laurel und Hardy – inklusive Saloontänzchen zu „Jerusalema“ – auftreten: Zwei Herren dick und doof. „Er liebt Verkleidungen und Rollenspiele“, sagt Sir Toby über Sir Andrew. Na dann.

Fischer versteht es, Shakespeare zu aktualisieren, ohne sich zu weit von ihm zu entfernen und doch überkommene Geschlechterrollen aufzuzeigen. Bisexualität auszuleben ist in dieser Welt kaum mehr kontroversiell, dagegen kann man als Mann immer noch misogyne Frauenbilder propagieren. Ein Beispiel: Nicht einmal die frauenfeindliche Tirade des Herzogs  – „Frauen haben kleinere Herzen als Männer“ – kann Violas Gefühle trüben. Allein für Orsino dauert es etwas länger, sich diese einzugestehen, muss er sich doch damit abfinden, sich vermeintlich in einen Mann verliebt zu haben.

Alexander Strömer als Kammerzofe Maria, Bartl und Stein. Bild: © M.Schell

Szenenapplaus: Die Bill singt Astor Piazzolla. Bild: © Moritz Schell

Mit gefälschtem Brief getäuscht: Dominic Oley als Malvolio. Bild: © Moritz Schell

Wer darf wen wie berühren? Was darf wer zu wem sagen? „Ich glaub, du musst mal wieder flachgelegt werden“, meint Sir Toby zu Nichte Olivia – das klingt von einem an den anderen männlichen Schauspieler adressiert schon ganz anders. Zu all diesen Irrungen und Wirrungen gehört ebenso Markus Koflers Seemann Antonio, der Sebastian rettete und bei Fischer als Flüchtlingsschlepper auftritt. Anno 2022 haben Liebeschwüre, Umgarnungen und Küsse zwischen Männern einen anderen, Vienna-Pride-Subtext als vielleicht ums Jahr 1600.

„Ich konnt‘ Euch so nicht lassen: mein Verlangen, / Scharf wie geschliffner Stahl, hat mich gespornt, / Und nicht bloß Trieb zu Euch / Auch Kümmernis, wie Eure Reise ginge … / Bei diesen Gründen / Der Furcht ist meine will’ge Liebe Euch / So eher nachgeeilt!“, so Antonio. Bleibt als einziger Vertreter toxischer Männlichkeit Dominic Oley als moralinsaurer, alsbald um Contenance ringender Malvolio, als der sich Oley jede nur denkbare Blöße gibt. Und immer wieder fällt, von verschiedenen Figuren gesagt, ein: Macht doch, was ihr wollt. Fazit: Das Publikum, darunter zwei Reihen ukrainischer Schülerinnen und Schüler, lachte bis beinah das Zwerchfell barst. Empfehlung: Schauen Sie sich das an!

Trailer: www.youtube.com/watch?v=QI9FYFf0bQQ           www.josefstadt.org

28. 4. 2022

Kammerspiele: Die Dreigroschenoper

September 6, 2021 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Bill, der Pate und der Batman-Bad Man

Der Pate von Soho: Herbert Föttinger als Jonathan Jeremiah Peachum. Bild: © Moritz Schell

Über Laufstege eilt sie, die Gesellschaft, die „ehrenwerte“; 2004, als Herbert Föttinger der Mackie Messer war, hielt Hans Gratzer dem Josefstadt- publikum noch den weiland sehr en voguen Riesen- zerrspiegel vor, nun setzt Torsten Fischer auf Frack und Zylinder. Man versteht sein Die-sind-Wir, die Verhältnisse, sie sind schon so. „Geschäfts- leute“ stellen sich schließlich nach wie vor bei „Bettlers Freund“ zum Postenschacher um die besten Plätze an.

Bert Brechts zynische Kapitalismus-Satire trifft auch nach beinah 100 Jahren noch ins Schwarze … In den Kammerspielen der Josefstadt war nach der ORF III-Ausstrahlung im Frühjahr nun endlich die Bühnenpremiere seiner „Dreigroschenoper“, und man sollt’s nicht glauben, dass etwas das bereits via Bildschirm perfekt war, noch perfekter gearbeitet werden konnte. Endlich hautnah am Ensemble dran, agiert dieses, dass es einem unter die Haut fährt, bis sich die Haare aufstellen. Wer sich zurzeit für eine Theaterkarte entscheiden muss, sollte es unbedingt eine für diese Aufführung sein lassen.

Auftritt aus dem Nebel ein finsterer Föttinger, Jonathan Jeremiah Peachum, angetan als der Pate von Soho, in Nadelstreif samt roter Nelke, ausgestattet mit der Verschmitztheit des ewigen Siegers und einer süffisanten Überheblichkeit, doch lässt er erst der Dame den Vortritt. Der Brecht’schen Grande Dame Maria Bill, die „Die Moritat von Mackie Messer“ anstimmt, mit dunklem Timbre und eindrücklicher Performance, einem bestechenden Balanceakt zwischen Gassenhauer und dissonanten Tönen. Bis sich der Song zum Chorstück steigert, des Hauses hochmusikalisches Ensemble packt einen in der Minute am Schlafittchen, und klar wird, wie sich die folgenden fast drei Stunden gestalten werden: schaustellerisch, kakophonisch, expressiv, mit einem Wort: angemessen schiach.

Punkto Besetzung weiß der Bühnenhit zu brillieren. Nicht nur Herrn Direktors Big Boss Peachum möchte man eine Paraderolle nennen; die Bill hat als Celia so viel Feuer wie deren glutrote Perücke, Bill verleiht Frau Peachum eine schlampig-anlassige Eleganz, wenn sie vom neuen Schwiegersohn schwärmt oder die Bettlerkolonne an die Kandare nimmt. Der Anstatt-dass-Song ist das erste von etlichen Highlights. Bill und Föttinger sind ein Traum-Gauner-Paar, er kann zu ihrer Tonlage wunderbar terzeln, sie hat unter der giftgrünen Kunstpelzstola mutmaßlich jene gleichfarbige Peitschennatter versteckt, deren Zähne sie ausfährt, falls die „Gentlemen“ des Gatten oder die Turnbridge-Huren nicht spuren. Die Bill zeigt sich als die großartige Komödiantin, die sie ist. Darauf hat Torsten Fischer nicht vergessen, dass der alte Zigarrenraucher auch Humor hatte.

Claudius von Stolzmann und Swintha Gersthofer. Bild: © Moritz Schell

Claudius von Stolzmann als „Joker“ Macheath. Bild: © Moritz Schell

Familie Peachum: Maria Bill, Föttinger und Gersthofer. Bild: © Moritz Schell

Mit exakter Personenführung und seiner Feinziselierung aller Figuren unterfüttert Fischer die Original-Urtypen, bis in die kleinsten Rollen, die es, man sieht’s an diesem Beispiel, bekanntlich nicht gibt. An der Josefstadt mag man sich diesen Luxus leisten, Ljubiša Lupo Grujčić als Hakenfingerjakob, Markus Kofler als Sägerobert, und von Hollywood zurück im achten Hieb, wo auf ihn hoffentlich bald größere Aufgaben warten: Publikumsliebling Marcello De Nardo hinreißend als affektiert schwuler, Lachs futternder Hochwürden Kimball, De Nardo, dessen Part über den Sommer deutlich aufgewertet wurde. Mit dabei, und das freut besonders, auch wieder Tamim Fattal, der 2015 von Syrien nach Österreich geflüchtete junge Schauspieler, als Jimmy.

Der Spielmacher, tatsächlich der „Joker“, ist Claudius von Stolzmann als Macheath, dem zu kreideweißer Fratze, totem Auge und blutrotem Mund nur der violette Schwalbenschwanz fehlt. Spazierstock trägt er, Peachums Erzkonkurrent um die entrischen Gründe – und von Stolzmann spielt ihn gefährlich lauernd, leise seine Kreise ziehend und blitzschnell zuschnappend als den eingangs besungenen Killer und Kinderschänder. Sein – nicht nur per Bruderkuss auf eine homoerotische Leibeigenschaft verweisender – Dreamteam-Partner ist Dominic Oley als Polizeichef Tiger Brown. Dieser wahrlich kein Raubtier in der Höhle des Löwen, sondern ganz Orden-behangene Noblesse oblige, die Männerfreundschaft verpflichtet sowieso, und derweil die Kameraden Mackie und Jackie den Kanonensong singen, kriegt man Otto Dix nicht aus dem Kopf.

Für die fünfzehn auf der Kammerspiel-Fläche agierenden Künstlerinnen und Künstler haben die Ausstatter Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos eine gewitzte Raumlösung gefunden: die schon erwähnten schrägen Stege, die eine Vielzahl von Auftritts-, Abgangs-, Möglichkeiten zum „Untertauchen“ und Gelegenheiten für die durchchoreografierten Massenszenen bieten. Darunter, dazwischen, im Souterrain, aus dem mitunter die Unterwelt ans Zwielicht quillt, spielt unter der musikalischen Leitung von Christian Frank die Kapelle auf – die Jazzelite Herb Berger, Alois Eberl, Rens Newland, Martin Fuss, Andy Mayerl, Christina-Stürmer-Schlagzeuger Klaus Pérez-Salado, Florian Reithner am Harmonium und last, but not least Trompeter Simon Plötzeneder.

Die Brecht’sche Grande Dame in Frack und Zylinder: Maria Bill als Moritatensängerin. Bild: © Moritz Schell

Marcello De Nardo (li.) endlich wieder in Wien, Claudius von Stolzmann und Swintha Gersthofer. Bild: @ Moritz Schell

Ménage à Tr-ohlala: Swintha Gersthofer, Claudius von Stolzmann und Paula Nocker als Lucy, Bild: @ Moritz Schell

Dominic Oley als Tiger Brown, Queen Bill in Blassrosa und „Aerialist“ von Stolzmanns Füße. Bild: © Moritz Schell

Warum die frischangetraute Mrs. Macheath, Peachum-Tochter Polly, noch nicht erwähnt wurde? Jetzt kommt’s: Weil einem Swintha Gersthofer wahnsinnig auf die Nerven geht. Mit diesem mädchenhaften „Achtung: Klosterschülerin!“-Appeal, mit diesem Sauberfrau-Style im Hochkeitskleid, die höchsten Töne spitz-kierend, als wolle sie hier mit Operette Staat machen – alldieweil Hochwürden De Nardo die Comedian-Harmonists-Ganoven hold lächelnd anhimmelt.

Doch der Schein trügt. Swintha Gersthofer vermag es, die ihr anvertraute Polly zu verwandeln, wie’s keine andere Figur aus dem Brecht-Personal tut. Sie wird vom Gänschen zur gestrengen, geschäftstüchtigen „gnädigen Frau“ im Hosenanzug, und Gersthofer agiert dabei in einer Art, dass man sich fragt, ob die ganze Mackie-Verhaftung und Firmenübernahme nicht von vornherein ihr Eheplan war. Das Strippenziehen jedenfalls hat sie von Mama gelernt. Und gleich der Polly geht’s immer raffinierter voran, grotesker, grausamer, ein grausiges Grand Guignol. Die gutbürgerliche Fassade bröckelt, zu fadenscheinig war die bourgeoise Verkleidung, die Häfn-Tattoos und die Messerstecher-Narben werden bei nacktem Oberkörper buchstäblich entblößt.

Eben noch die Macheath-Gang nähern sich die Herren als nächstes als die weitherzigen Trans-Damen der Nacht, fulminant-fies Bill mit der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“. Es schlägt die Stunde der Susa Meyer im „Bordell, das unser Haushalt war“. Hier ein schummrig-schäbiger Nightclub à la Kit-Kat, Spelunkenjenny Susa Meyer ein sündiges Prachtweib, eine Venus im Straps. Wie sie mit von Stolzmann die Zuhälterballade interpretiert, macht deutlich, dass Macheath weder Polly noch Lucy, sondern immer nur sie wollte, doch dass es in die Binsen gehen sollte.

Damencatchen: Swintha Gersthofer und Paula Nocker. Bild: @ Moritz Schell

Eine Venus im Straps: Susa Meyer als Spelunkenjenny. Bild: @ Moritz Schell

Salomonsong: Herbert Föttinger und Susa Meyer. Bild: @ Moritz Schell

Die „Seeräuber-Jenny“ gerät Susa Meyer zur nachtmahrischen Gesangsnummer, wie die Klabauterfrau singt sie: „Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich Hoppla!“ Den Salomonsong hat sie sich mittlerweile ebenfalls zu eigen gemacht, bedeckt mit Peachums pelzverbrämtem Mantel wird sie von der Hure zur Heiligen, die Kurt Weills Song als von allen verhöhnte Schmerzensfrau und als Schauerlied darbringt. Die Geächteten, die Entrechteten von London, hier wird die Burlesque zum Seelen-Strip-Tease, der Lack ist ab, wie zuvor schon bei Peachums Bettlerbande. Nur der feine Herr Bandenführer im feinen Zwirn glaubt sich wieder mal fein raus …

Torsten Fischer hat die „Dreigroschenoper“ als starkes Frauenstück in Szene gesetzt. Während von Stolzmanns Macheath allen Stolz verloren hat, und – mit den Füßen zuoberst an den Galgen gebracht – die Vorbeidefilierenden um Hilfe anwinselt, Stolzmann dabei artistisch wie ein Aerialist, während Tiger Brown zum Witwenschleier (!) greift, erscheint eine letzte Kontrahentin um Gunst und Liebeskunst des teuflischen Verführers: Paula Nocker, Tochter von Maria Happel und Dirk Nocker bei ihrem Josefstadt-Debüt, als Lucy Brown, Tigers scheinbar hochschwangerer Sprössling – und wie sie mit Swintha Gersthofers Polly in den Infight geht, spöttelnd, irrwitzig, Mackie in der Mitte in Panik um sein „bestes Stück“, Paula Nockers Lucy hochdramatisch wie die di Lammermoor, das ist große Oper. Hinter den dicken Vorzugsschülerin-Brillengläsern ist diese Lucy zum Fürchten verrückt, und sagt Macheath: „Dir möchte ich mein Leben verdanken“, bangt man durchaus um ihn.

Der Schluss ist kurz, aber nicht scherzlos. Mit sinnbildlicher Schlinge um die Beine rezitiert von Stolzmann den Banken-Monolog, nur dass die, die heutzutag‘ eine Bank gründen, auch tief in deren Kasse greifen. Der reitende Bote bleibt einem optisch erspart, die Bill kommt als Queen in Blassrosa. „Und so kommt zum guten Ende /Alles unter einen Hut /Ist das nötige Geld vorhanden, /Ist das Ende meistens gut …“ Einige spitzzüngige Randbemerkungen über den Geld-/Wert von Kultur und deren diesbezüglichen Nöte treffen den Geschmack des enthusiasmierten Publikums, das den grandiosen Abend mit Standing Ovations bedankt. In diesem Sinne: Schaut euch das an! Könnt‘ ihr was lernen …

Erstveröffentlichung zur TV-Ausstrahlung: www.mottingers-meinung.at/?p=46602

Trailer: www.youtube.com/watch?v=IsbuVtCFo2U           www.josefstadt.org

6. 9. 2021

Kammerspiele im ORF III-Stream: Die Dreigroschenoper

April 27, 2021 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Bill, der Pate und der Batman-Bad Man

Der Pate von Soho: Herbert Föttinger als Jonathan Jeremiah Peachum. Bild: © Moritz Schell

Über Laufstege eilt sie, die Gesellschaft, die „ehrenwerte“; 2004, als Herbert Föttinger der Mackie Messer war, hielt Hans Gratzer dem Josefstadt- publikum noch den weiland sehr en voguen Riesen- zerrspiegel vor, nun setzt Torsten Fischer auf Frack und Zylinder. Man versteht sein Die-sind-Wir, die Verhältnisse, sie sind schon so. „Geschäfts- leute“ stellen sich schließlich nach wie vor bei „Bettlers Freund“ zum Postenschacher um die besten Plätze an.

Bert Brechts zynische Kapitalismus-Satire trifft auch nach beinah 100 Jahren noch ins Schwarze … Aus den Kammerspielen der Josefstadt zeigte ORF III im Rahmen der Romy-nominierten Reihe „Wir spielen für Österreich“ die Fernsehpremiere der „Dreigroschenoper“; Torsten Fischers Inszenierung ist bis Samstag in der ORF-TVthek: tvthek.orf.at zu sehen.

Auftritt aus dem Nebel ein finsterer Föttinger, Jonathan Jeremiah Peachum, angetan als der Pate von Soho, in Nadelstreif samt roter Nelke, ausgestattet mit der Verschmitztheit des ewigen Siegers und einer süffisanten Überheblichkeit, doch lässt er erst der Dame den Vortritt. Der Brecht’schen Grande Dame Maria Bill, die „Die Moritat von Mackie Messer“ anstimmt, mit dunklem Timbre und eindrücklicher Performance, einem bestechenden Balanceakt zwischen Gassenhauer und dissonanten Tönen. Bis sich der Song zum Chorstück steigert, des Hauses hochmusikalisches Ensemble packt einen in der Minute am Schlafittchen, und klar wird, wie sich die folgenden zweieinhalb Stunden gestalten werden: schaustellerisch, kakophonisch, expressiv, mit einem Wort: angemessen schiach.

Punkto Besetzung weiß der Bühnenhit zu brillieren. Nicht nur Herrn Direktors Big Boss Peachum möchte man eine Paraderolle nennen; die Bill hat als Celia so viel Feuer wie deren glutrote Perücke, Bill verleiht Frau Peachum eine schlampig-anlassige Eleganz, wenn sie vom neuen Schwiegersohn schwärmt oder die Bettlerkolonne an die Kandare nimmt. Der Anstatt-dass-Song ist das erste von etlichen Highlights. Bill und Föttinger sind ein Traum-Gauner-Paar, er kann zu ihrer Tonlage wunderbar terzeln, sie hat unter der giftgrünen Kunstpelzstola mutmaßlich jene gleichfarbige Peitschennatter versteckt, deren Zähne sie ausfährt, falls die „Gentlemen“ des Gatten oder die Turnbridge-Huren nicht spuren. In Großaufnahme zeigt sich die Bill als die großartige Komödiantin, die sie ist. Darauf hat Torsten Fischer nicht vergessen, dass der alte Zigarrenraucher auch Humor hatte.

Claudius von Stolzmann und Swintha Gersthofer. Bild: © Moritz Schell

Claudius von Stolzmann als „Joker“ Macheath. Bild: © Moritz Schell

Familie Peachum: Maria Bill, Föttinger und Gersthofer. Bild: © Moritz Schell

Mit exakter Personenführung und seiner Feinziselierung aller Figuren unterfüttert Fischer die Original-Urtypen, bis in die kleinsten Rollen, die es, man sieht’s an diesem Beispiel, bekanntlich nicht gibt. An der Josefstadt mag man sich diesen Luxus leisten, Ljubiša Lupo Grujčić als Hakenfingerjakob, Markus Kofler als Sägerobert, und von Hollywood zurück im achten Hieb, wo auf ihn hoffentlich bald größere Aufgaben warten: Publikumsliebling Marcello De Nardo als Hochwürden Kimball.

Der Spielmacher, tatsächlich der „Joker“, ist Claudius von Stolzmann als Macheath, dem zu kreideweißer Fratze, totem Auge und blutrotem Mund nur der violette Schwalbenschwanz fehlt. Spazierstock trägt er, Peachums Erzkonkurrent um die entrischen Gründe – und von Stolzmann spielt ihn gefährlich lauernd, leise seine Kreise ziehend und blitzschnell zuschnappend als den eingangs besungenen Killer und Kinderschänder. Sein – nicht nur per Bruderkuss auf eine homoerotische Leibeigenschaft verweisender – Dreamteam-Partner ist Dominic Oley als Polizeichef Tiger Brown. Dieser wahrlich kein Raubtier in der Höhle des Löwen, sondern ganz Orden-behangene Noblesse oblige, die Männerfreundschaft verpflichtet sowieso, und derweil die Kameraden Mackie und Jackie den Kanonensong singen, kriegt man Otto Dix nicht aus dem Kopf.

Für die mehr als zwanzig auf der Kammerspiel-Fläche agierenden Künstlerinnen und Künstler haben die Ausstatter Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos eine gewitzte Raumlösung gefunden: die schon erwähnten schrägen Stege, die eine Vielzahl von Auftritts-, Abgangs-, Möglichkeiten zum „Untertauchen“ und Gelegenheiten für die durchchoreografierten Massenszenen bieten. Darunter, dazwischen, im Souterrain, aus dem mitunter die Unterwelt ans Zwielicht quillt, spielt unter der musikalischen Leitung von Christian Frank die Kapelle auf – die Jazzelite Herb Berger, Rens Newland, Martin Fuss und Andy Mayerl, Christina-Stürmer-Schlagzeuger Klaus Pérez-Salado und last, but not least Trompeter Simon Plötzeneder.

Die Brecht’sche Grande Dame in Frack und Zylinder: Maria Bill als Moritatensängerin. Bild: © Moritz Schell

Marcello De Nardo (li.) endlich wieder in Wien, Claudius von Stolzmann und Swintha Gersthofer. Bild: @ Moritz Schell

Ménage à Tr-ohlala: Swintha Gersthofer, Claudius von Stolzmann und Paula Nocker als Lucy, Bild: @ Moritz Schell

Dominic Oley als Tiger Brown, Queen Bill in Blassrosa und „Aerialist“ von Stolzmanns Füße. Bild: © Moritz Schell

Warum die frischangetraute Mrs. Macheath, Peachum-Tochter Polly, noch nicht erwähnt wurde? Jetzt kommt’s: Weil einem Swintha Gersthofer wahnsinnig auf die Nerven geht. Mit diesem mädchenhaften „Achtung: Klosterschülerin!“-Appeal, mit diesem Sauberfrau-Style im Hochkeitskleid, die höchsten Töne spitz-kierend, als wolle sie hier mit Operette Staat machen – alldieweil Hochwürden De Nardo die Comedian-Harmonists-Ganoven hold lächelnd anhimmelt.

Doch der Schein trügt. Swintha Gersthofer vermag es, die ihr anvertraute Polly zu verwandeln, wie’s keine andere Figur aus dem Brecht-Personal tut. Sie wird vom Gänschen zur gestrengen, geschäftstüchtigen „gnädigen Frau“ im Hosenanzug, und Gersthofer agiert dabei in einer Art, dass man sich fragt, ob die ganze Mackie-Verhaftung und Firmenübernahme nicht von vornherein ihr Eheplan war. Das Strippenziehen jedenfalls hat sie von Mama gelernt. Und gleich der Polly geht’s immer raffinierter voran, grotesker, grausamer, ein grausiges Grand Guignol. Die gutbürgerliche Fassade bröckelt, zu fadenscheinig war die bourgeoise Verkleidung, die Häfn-Tattoos und die Messerstecher-Narben werden bei nacktem Oberkörper buchstäblich entblößt.

Die weitherzigen (auch Trans-)Damen der Nacht nähern sich, fulminant-fies Bill mit der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“. Es schlägt die Stunde der Susa Meyer im „Bordell, das unser Haushalt war“. Hier ein schummrig-schäbiger Nightclub à la Kit-Kat, Spelunkenjenny Susa Meyer ein sündiges Prachtweib, eine Venus im Straps. Wie sie mit von Stolzmann die Zuhälterballade interpretiert, macht deutlich, dass Macheath weder Polly noch Lucy, sondern immer nur sie wollte, doch dass es in die Binsen gehen sollte.

Damencatchen: Swintha Gersthofer und Paula Nocker. Bild: @ Moritz Schell

Eine Venus im Straps: Susa Meyer als Spelunkenjenny. Bild: @ Moritz Schell

Salomonsong: Herbert Föttinger und Susa Meyer. Bild: @ Moritz Schell

Die „Seeräuber-Jenny“ gerät Susa Meyer zur nachtmahrischen Gesangsnummer, wie die Klabauterfrau singt sie: „Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich Hoppla!“ Der Salomonsong ist nicht in jedem Ton ihrs, in Unterkleid und Unterziehhaube wird sie von der Hure zur Heiligen, die Kurt Weills Song als von Peachum verhöhnte Schmerzensfrau und als Schauerlied darbringt. Die Geächteten, die Entrechteten von London, hier wird die Burlesque zum Seelen-Strip-Tease, der Lack ist ab, wie zuvor schon bei Peachums Bettlerbande. Nur der feine Herr Bandenführer im feinen Zwirn glaubt sich wieder mal fein raus …

Torsten Fischer hat die „Dreigroschenoper“ als starkes Frauenstück in Szene gesetzt. Während von Stolzmanns Macheath allen Stolz verloren hat, und – mit den Füßen zuoberst an den Galgen gebracht – die Vorbeidefilierenden um Hilfe anwinselt, Stolzmann dabei artistisch wie ein Aerialist, während Tiger Brown zum Witwenschleier (!) greift, erscheint eine letzte Kontrahentin um Gunst und Liebeskunst des teuflischen Verführers: Paula Nocker, Tochter von Maria Happel und Dirk Nocker bei ihrem Josefstadt-Debüt, als Lucy Brown, Tigers hochschwangerer Sprössling – und wie sie mit Swintha Gersthofers Polly in den Infight geht, spöttelnd, irrwitzig, Mackie in der Mitte in Panik um sein „bestes Stück“, Paula Nockers Lucy hochdramatisch wie die di Lammermoor, das ist große Oper. Hinter den dicken Vorzugsschülerin-Brillengläsern ist diese Lucy zum Fürchten verrückt, und sagt Macheath: „Dir möchte ich mein Leben verdanken“, bangt man durchaus um ihn.

Der Schluss ist kurz, aber nicht scherzlos. Mit sinnbildlicher Schlinge um den Hals rezitiert von Stolzmann den Banken-Monolog, nur dass die, die heutzutag‘ eine Bank gründen, auch tief in deren Kasse greifen. Der reitende Bote bleibt einem optisch erspart, die Bill kommt als Queen in Blassrosa. „Und so kommt zum guten Ende /Alles unter einen Hut /Ist das nötige Geld vorhanden, /Ist das Ende meistens gut …“ Und gibt es etwas anzumerken, dann dass die von Filmregisseur André Turnheim gewählte Kameraperspektive nicht immer die optimalste war. Umso mehr freut man sich nun auf Live-Premiere.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=IsbuVtCFo2U           www.josefstadt.org

Bis Samstag zu sehen in der ORF-TVthek: tvthek.orf.at/profile/So-ein-Theater/13892206/So-ein-Theater-Wir-spielen-fuer-Oesterreich-Die-Dreigroschenoper/14090112

  1. 4. 2021

Kammerspiele: Die Migrantigen

September 8, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Kebap mit polit-scharf

Aus dem Schauspieler Benny und Start-up-Bobo Marko werden Omar Sharif und Tito: Luka Vlatković und Jakob Elsenwenger. Bild: Jan Frankl

Der Lieblingszweizeiler ereignet sich immer noch an Oktay Oncels Kebapbude, „Mit scharf?“ – „Nein, mit Lamm …“ Für die gestern in den Kammerspielen uraufgeführte Bühnenfassung des Erfolgsfilms „Die Migrantigen“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=25292) haben Regisseur Arman T. Riahi und seine beiden Hauptdarsteller Aleksandar Petrović und Faris Rahoma, die drei schon die Drehbuchautoren, den Spieß allerdings weitergedreht und mit einer Prise Politwitz gewürzt.

Die Welt rotierte in den zwei Jahren seit dem Kinostart bekanntlich nicht nur astronomisch nach rechts, und so kreisen die Sticheleien nun rund um Ibiza und doppelte Buchführung, „Zack, zack, zack“ Jobverlust für Journalisten – und Özaydin Akbaba, der dieselbe Figur auch im Film verkörperte, wettert als stolzer Marktstandler Oncel über den Mangel an gutem Personal, seit die Regierung Asylwerber mitten in der Lehre abschiebt.

Darüber regt er sich auf der Suche nach sozialen Hängemattlern beim AMS auf, wo die Handlung diesmal einsetzt. Mit der großartigen Susanna Wiegand als exjugoslawischer Putzfrau Romana. „Links, rechts, Mitte“ werde sie bis 29. September noch feudeln, verspricht sie, und ein Publikum, das Sarantos Georgios Zervoulakos‘ Inszenierung mit 90 Minuten Dauerlachen bedankt, schenkt ihr zustimmend den ersten Applaus. Riahi hat die Tour de Farce, auf die er seine Protagonisten Benny und Marko schickt, geschickt gestrafft und die Charaktere kompakter gemacht, ohne dass die genüsslich bedienten Klischees und Vorurteile, Schubladendenken und Stereotype Schaden nehmen, bevor er selbst sie in ihre Bestandteile zerlegt.

Zervoulakos‘ Regie steht der Vorlage in Tempo und Timing und auch Liebenswürdigkeit in nichts nach; Ausstatterin Ece Anisoglu hat dazu eine schnell wandelbare Sichtbeton-Optik erdacht, und Kostüme vom ordinär Feinsten. Im solcherart kenntlich gemachten Problemviertel tummelt sich wie gehabt ORG-〈gesprochen: oarg〉-Redakteurin Marlene Weizenhuber, wie im Film spielt sie Doris Schretzmayer, die dringend „jemand Authentisches“ für ihren angedachten TV-Dokutrash sucht, mit dem sie zwecks Quote ein möglichst katastrophales Bild des „Rudolfsgrund“ auf die Fernsehschirme werfen will. Ihr im Nacken sitzt nämlich der Sendungsverantwortliche Wolfgang Grün, Martin Niedermair als Nach-oben-buckeln-nach-unten-treten-Typ, der von ihr nicht weniger als eine Sensation erwartet, sonst – siehe „Zack“.

Der Sendungsverantwortliche Wolfgang Grün erwartet von Redakteurin Marlene Weizenhuber eine Sensation: Doris Schretzmayer und Martin Niedermair. Bild: Philine Hofmann

Beim AMS spricht aus Frau Weber „das goldene Wienerherz“: Martina Spitzer mit Doris Schretzmayer und Tamim Fattal als Kameramann Andrea. Bild: Philine Hofmann

Als Benny und Marko laufen ihr in den Kammerspielen Luka Vlatković und Jakob Elsenwenger in die Arme, ersterer immer noch bei Mutti wohnender Schauspieler, der es satt hat, auf Ausländerrollen festgelegt zu werden, zweiterer gerade mit einem Energydrink pleitegegangener Startup-Bobo, dessen schwangere Freundin Sophie, Gioia Osthoff, nichtsahnend um tausende Euro Babyartikel shoppt. Die Bedingungen des Nullbegriffs „Migrationshintergrund“ erfüllen sie mit ägyptischen beziehungsweise serbischen Wurzeln jedoch beide.

Und so wittert der eine Ruhm, der andere hofft auf Geld, als sie das Angebot der Weizenhuber annehmen, die Stars ihrer Serie zu werden. Auf absurd-aberwitzige Art zeigt Riahi nun, wie allzu leicht man Meinung macht, vor allem, wenn es die ist, an die ohnedies geglaubt werden will. Die Fehlerhaftigkeit dieses Ansatzes wird mit allen Mitteln der Satire durchdekliniert, das textende Trio verschont auch am Theater niemanden. Weder die Zuwanderer, die in ihrer mitgebrachten Mentalität steckenbleiben, noch die Einheimischen, die nicht über den Tellerrand hinaus sehen wollen. Und schon gar nicht die Medien, die sich auf der Suche nach Berichtenswertem aus sozialen Brennpunkten, nach dem Culture-Clash, wie die Trüffelschweine durch Blut und Boden wühlen.

Dass die beflissene „Weizi“ ob der neu angenommenen Namen der frisch erfundenen Kleinkriminellen „Omar Sharif“ und „Tito“ nicht stutzt, kommentiert die übliche Scheuklappensicht aufs vermeintlich Fremde. Dass die Bühnenfassung der „Migrantigen“ sich im Gegensatz zum Film keine Zeit nimmt, etwas über Bennys und Markos Zivilleben zwischen Castings und Geschäftsterminen zu erzählen, um so das von ihnen angenommene Anderssein als nicht gegeben zu entlarven, ist denn auch die einzige Schwachstelle der Aufführung. Schließlich haben Benny und Marko keine Ahnung, wie Gangsta geht, es gilt unter den „Brüdern“ im Ghetto zu recherchieren, und so engagieren sie den „echten“ Ganoven Juwel, um es ihnen beizubringen.

Der selbsternannte King im Grätzel ist eigentlich Oncels Gemüselieferant, aber Attitude und Machogehabe stimmen, Wilhelm Iben spielt das mit ausladender „Oida, wos geht?“-Geste, während er Vlatković mit glitzerndem Prolohemd und Elsenwenger mit Trainingsanzug einkleidet. Doch da er sich über die Möchtegerns, die sich in sein Revier vorwagten, ärgert, tischt er ihnen jeden nur erdenklichen Schwachsinn über Drogen-Sex-Geldwäschedeals und illegale Boxkämpfe im Wettbüro auf, der in Juwels Wortlaut an die Weizi weitergegeben wird, die von Flunkerei zu Flunkerei karrieretechnisch mehr aufblüht.

Benny „betreut“ Markos Sliwowitz-seligen Papa Herrn Bilic: Ljubiša Lupo Grujčić und Luka Vlatković. Bild: Philine Hofmann

Juwel zeigt den „Migrantigen“ wie Ausländer wirklich sind: Wilhelm Iben mit Jakob Elsenwenger und Luka Vlatković. Bild: Philine Hofmann

Die Stimme des Volkes, im Film spricht in einer sehr schönen Szene Prekariatsösterreich in die Kamera, wird auf der Bühne Martina Spitzer überantwortet. Als ehemalige Standlerin Frau Weber, die ihren in Konkurs gegangen Betrieb an Oktay Oncel abtreten musste, geht ihr erst im AMS „das goldene Wienerherz“ über, wenn sie über ein Leben ohne Leberkäs lamentiert, weil den verkaufen „die“ ja nicht und darüber will sie das von Weizi versprochene Millionenpublikum dringend informieren, bevor sie als nunmehrige Mitarbeiterin des Marktamts ihrem Erzfeind Oncel auf den Leib rückt.

Die Spitzer macht das sehr spaßig, naserümpfend-borniert, wie sie ihr verdächtige Lebensmittelproben in Plastiksackerln tütet und die Buchhaltung nach illegalen Einnahmen durchforstet. Alldieweil tanzen Vlatković und Elsenwenger urkomisch ihren verzweifelten Tanz auf Messers Schneide, um mit ihrem Schwindel nicht aufzufliegen. Was ihnen bei Sophie natürlich nicht gelingt, weshalb Gioia Osthoff einen Glanzauftritt als zu Hilfe eilende „Ostblocknutte Olga“ hat, der es immerhin gelingt, mit dem grauslichen Energydrink und werbewirksamem Twerking-Popo vor Tamim Fattals Kamera zu posieren.

Herzstück des Abends ist Ljubiša Lupo Grujčić als Markos Vater Herr Bilic, ein vom Sliwo-Witz angeregter Philosoph im Rollstuhl, ein unbeirrbarer Verehrer seines Marschalls, einer, der seinem Sohn unentwegt und ungebeten ununterbrochen Weisheiten mit auf den Weg gibt. Grujčić gehört auch der Highlight-Moment des Abends, sein Kabinettstück, als es der Weizi gelingt, in seine Wohnung vorzudringen, und er sich im elegant-dunklem Anzug als grimmig-gefährlicher Consigliere über dem Geschehen erhebt, um zu verhindern, dass Bennys und Markos übertriebenes Gehabe auf seinem Rudolfsgrund ernsthaft Unheil anrichten …

Und so bleiben „Die Migrantigen“ jene herrlich hundsgemeine Chaos-Komödie wie gehabt, die sich scharfsinnig und mutig mit Identitätsangelegenheiten befasst, darunter der, ob Herkunft und Nationalität zum bestimmenden Charakteristikum eines Menschen zu erklären sind. Riahis Stoff, so das Premiere-Fazit, ist in jeder Spielart von einer wilden Wahrhaftigkeit. Mit Vlatković, Elsenwenger, Schretzmayer, Grujčić und den anderen spielt eine tolle Truppe. Von der inklusive Regisseur Sarantos Georgios Zervoulakos etliche wissen, wie es ist, mit Erschlagworten wie Vaterland und Muttersprache konfrontiert zu werden. Herr Bilic bringt die Antworten auf diese Fragen auf den Punkt: „Weißt du was diese Stadt wäre, wenn sie keine Menschen wie uns hätte? Was dieser Bezirk ohne uns wäre? Diese Stadt würde nicht funktionieren. Keine Stadt der Welt würde funktionieren.“

www.josefstadt.org

  1. 9. 2019

Theater in der Josefstadt: Glaube und Heimat

Februar 15, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Im Sonntagsstaat unterm Herrgottswinkel

Die Heimatvertriebenen machen sich auf den Weg: Trommler Kyrre Kvam mit Ensemble, re.: Claudius von Stolzmann als Reiter des Kaisers. Bild: Moritz Schell

Spätestens, wenn Hausherr Herbert Föttinger im Anschluss an die gestrige Premiere Karl Schönherrs Stück „Glaube und Heimat“ als Teil des Flüchtlings- und Vertriebenenzyklus ausstellt, der diese Saison das Theater in der Josefstadt prägt, ist klar, warum er’s auf den Spielplan gesetzt hat. In ideologisch aufgeheizten Zeiten ist es eine der Erwägung werte Wahl, um einen Riss zu zeigen, der auch gegenwärtig durch die Gesellschaft geht, politische Bigotterie und einen religiösen Fanatismus.

Die hier, im 1910 uraufgeführten Werk, das von der Vertreibung der Zillertaler Protestanten im Jahr 1837 unter Ferdinand dem Gütigen angeregt war, ihre blutigen Schwerter übers Christentum schwingen. Allein, der Krieg um Glaubenssätze wird seit jeher für verschiedenste „Götter“ geführt. Schönherr selbst fiel jenen anheim, die Österreich „heim ins Reich“ holten, er ließ sich von ihnen für sein „blutechtes, bodenständiges Schaffen“ preisen und dichtete im April 1938 darob „Nun sind wir wieder ein gewaltiges Land …“ Vom Rechtgläubigen zum Rechtsgläubigen, was eine Nachfrage nach dem Anteil von Blut und Boden in Schönherrs Schaffen zumindest möglich machen würde. Regisseurin Stephanie Mohr hat indes gar keine gestellt, hat sozusagen interpretationsfrei und vom Blatt inszeniert, hat die Krone der Deutungshoheit von sich gewiesen und lässt somit sowohl ihr 18-köpfiges Ensemble als auch das Publikum auf der Suche nach Bedeutung allein. Derart versucht der Streit Scholle gegen Seele anno 2019 verzweifelt zu zünden.

Noch herrscht Übermut im Hause Rott: Raphael von Bargen, Swintha Gersthofer und Silvia Meisterle. Bild: Moritz Schell

Die Sandperger unterm Herrgottswinkel: Roman Schmelzer und Alexandra Krismer. Bild: Moritz Schell

Mohrs Arbeit ist wie ein Egger-Lienz, expressiv, kantig, wie beim Volksmaler monumentale Szenen und reduzierte Bilder nicht im Widerspruch zueinander – und doch letztlich gestrig. Das Bühnenbild von Miriam Busch und die Kostüme von Alfred Mayerhofer tragen wesentlich zu diesem Eindruck bei: Wände, die die Bühne per Drehkreuz in vier Räume teilen, Bauernstuben mit Herrgottswinkel, Kruzifix, gestickter Heilsspruch und Madonnenbild, einmal sonnenhell tapeziert, einmal schwarz wie die Hölle, jeweils zwei Treppen, die ins Nirgendwo führen. Dazu sind die Darsteller in eine Art großbäuerlichen Sonntagsstaat gekleidet, enteignet werden kann nur, wer was hat, will das wohl sagen, wenn über aussteuervolle Truhen und besten Milchkühe verhandelt wird.

Was die Schauspieler allesamt ausdrucksstark und kraftvoll tun – allerdings mehr als Allegorien denn als wahrhafte Menschen: Raphael von Bargen, dem man den aufrechten, unbeirrbaren Christen Christoph Rott in jeder Sekunde glaubt, Silvia Meisterle, als hartleibige und doch herzensgute Rottin, so brillant wie nie, Michael König als moribunder Alt-Rott, der zwischen Katholizismus und Protestantismus schwankt, weil er im Grunde nur wünscht, in der Heimaterde und nicht auf dem Schindanger begraben zu werden, Swintha Gersthofer als unbändiger Spatz, der lieber in den Tod geht, als sich biegen und brechen zu lassen. Dies vor hat Claudius von Stolzmann als apokalyptischer Reiter des Kaisers, die in ihrer Ambivalenz wohl beste Rolle, hin und her gerissen zwischen blindwütiger Ausführung seiner Aufgabe und doch so etwas wie Anteilnahme für die Ausgestoßenen.

Nur mit einer Figur, einer von ihr dazu erfundenen, bricht Mohr ihre schwarzweiße Welt. Musiker Kyrre Kvam zeigt als Trommler eine clownsgesichtige Spukgestalt, die den Auszug der Landbewohner mit von ihm vertonten Texten von Andreas Gryphius und Rainer Maria Rilke begleitet. Es ist genau diese surreale Verfremdung, es kommt noch eine, in der die Bäuerinnen und Bauern wie im Totentanz reihum „Es kommt kein Trost“ ins finstere Zimmer schreiben, deren Häufung der Aufführung gutgetan hätte, um den Schönherr-Ton abzumildern und das in einen Kunstdialekt übertragene Tirolerisch zu konterkarieren. Stattdessen lässt Mohr, als der Bader, Oliver Huether, dem wassersüchtigen Alt-Rott Erleichterung verschafft, hörbar die Flüssigkeit aus dessen Bauch gluckern.

Rott schwört auf den neuen Glauben: Raphael von Bargen mit Claudius von Stolzmann, Michael König, Roman Schmelzer, Silvia Meisterle und Alexandra Krismer. Bild: Moritz Schell

Eine letzte Auseinandersetzung mit dem Reiter des Kaisers: Raphael von Bargen, Claudius von Stolzmann und Silvia Meisterle. Bild: Moritz Schell

Aus der Vielzahl der Charaktere stechen außerdem hervor: Gerhard Kasal als heimgekehrter Bruder Peter Rott, Roman Schmelzer als Sandperger zu Leithen ganz großartig vom Wahnsinn umzingelt und Nikolaus Barton als gieriger Englbauer in der Au, der die Höfe der Entrechteten für einen Spott aufkauft – auch dies geeignet gewesen für zeitgeschichtliche Gleichnisse. Elfriede Schüsseleder und Alexandra Krismer gestalten mit der Mutter der Rottin und der Sandpergerin zwei starke Frauenfiguren, wobei zweitere auch nach ihrer Ermordung durch den Reiter auf der Szene bleiben darf, während erste retten will, was nicht mehr zu retten ist. Lukas Spisser gibt einen zynischen Gerichtsschreiber, Michael Schönborn den mitfühlenden Schuster.

Ljubiša Lupo Grujčić und Susanna Wiegand sind als Kesselflicker-Wolf und Straßentrapperl die Synonyme dafür, wie unsolidarisch sich Mensch sogar dann verhalten, wenn’s ihnen selber zwar an den Kragen geht, sie einen anderen aber als noch „minderwertiger“ betrachten können, zumal der Wolf und das Trapperl die Katastrophe der anderen als ihr Glück verbuchen, nämlich durch die Wanderpapiere des Gerichtsschreibers endlich „richtige Leut‘“ zu werden. Eine Hackordnung unter Verfolgten, der mehr Aufmerksamkeit zu gönnen gewesen wäre. Dass die beiden ein Plastiksackerl und eine Zwei-Liter-Cola-Flasche mit sich tragen, ist allein noch kein Aktualitätsbezug. Zu den Konfliklinien der Gegenwart merke: Ein „Toleranzpatent“ ist kein Garantieschein für Aufgeschlossenheit, vor allem nicht für jene, die ständig wissen lassen, dass ihre Grenzen der Duldsamkeit des „Fremden“ ohnedies längst überschritten sind.

Video: www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=sLApWOnB3xY

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