Streaming: American Gods, Staffel drei

Januar 13, 2021 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Grotesk-komisch, grausam und nach wie vor großartig

Shadow und Mr Wednesday unterwegs mit Betty the Barbarian: Ricky Whittle, Ian McShane und ein zum Wohnmobil mutierter Cadillac. Bild: © 2020 Starz Entertainment, LLC

Seit 11. Jänner streamt Amazon die dritte Staffel der Starz-Television-Serie „American Gods“ nach der Vorlage von Neil Gaiman, jeden Montag eine neue der zehn Folgen, deren Anfang nun „A Winter’s Tale“ machte. Lange genug musste man drauf warten, hinter den Kulissen gab es Streit, bis „Dexter“- und „Dark Angel“-Mastermind Charles H. Eglee Jesse

Alexander als Showrunner ersetzte und Season 3 nach seinen Vorstellungen adaptierte. Die Story folgt Shadow, Ricky Whittle vor der Rache der Neuen Götter nun mit Haupthaar und Vollbart getarnt, der versucht, sich von den Machenschaften Mr Wednesdays loszureißen. Als Mike Ainsley verdingt er sich in Milwaukee als Stahlarbeiter, doch trotz seines trotzigen „Ich folge deinen Geboten nicht mehr“, erscheint der Allvater vor Ort, um ihn – im Wortsinn: Gott weiß warum – nach Lakeside, einem Kaff in the Middle of Nowhere von Wisconsin zu verfrachten.

[Spoiler – Im Weiteren wird sich der Odinssohn dort mit seiner eigenen Göttlichkeit auseinandersetzen müssen, viele Fans halten ihn ja für Balder, man weiß es nicht – eine spirituelle Reise, auf der ihn die Orishas aus der Heimat seiner Mutter begleiten … – Spoiler Ende]

Bis dahin chauffiert ihn Mr Wednesday mit der vom schnittigen Cadillac zum schäbigen Wohnmobil mutierten, da reinkarnierten Betty the Barbarian rund um den nomen-est-omen Spirit Lake. In der ersten Szene sieht man Ian McShane mit irritierend strahlenden Dritten, heißt: neuem Gebiss, angetan mit Wotans Walleumhang, beim Stagediving während eines Konzerts der Viking-Metal-Band „Blood Death“ – deren Leadsänger Johan Wengren kein Geringerer als Marilyn Manson ist. Ein nordischer Musikberserker mit der AC/DC-Parole „Let There Be Blood“, der bei Gaiman nicht vorkommt, und aus dessen Shows Mr Wednesday Kraft schöpft.

Die Welt wird weiblich …: Dominique Jackson als Ms World. Bild: © 2020 Starz Entertainment, LLC

… kann bei Bedarf aber auch als Mann inkarnieren: Danny Trejo. Bild: © 2020 Starz Entertainment, LLC

Blythe Danner als Göttin Demeter mit „Shadow“ Ricky Whittle. Bild: © 2020 Starz Entertainment, LLC

Für die immer noch ausstehende Schlacht mit den „Parasiten der menschlichen Selbstzerstörung“, mit deren Vollzug es auch für Odin und Konsorten mit der Verehrung Essig wäre, den Neuen Göttern also, deren Reihen um so illustre Namen wie „Viral“ und „Trending“ erweitert wurden. Die globalisierte Welt ist höchst zeitgemäß eine weibliche Person of Color, Dominique Jackson als Ms World noch mächtiger, noch gefährlicher, noch gewalttätiger, die sich in Gestalt von Danny Tejo aber auch als Mann zeigen kann.

„American Gods 3“ ist unverändert grotesk-komisch, grausam und nach wie vor großartig. Das verschmitzte Schlitzohr und der mürrische Sohnemann sind, alldieweil Ms World mit „Technical Boy“ Bruce Langley und der ihm verpflichteten Königin von Saba, Yetide Badaki als Bilquis, an ihren sinistren Plänen zur Unterwerfung der Menschheit werkt, unterwegs zu Whiskey Jack – ideal besetzt mit All-Time-Indianer und Kind der irokesischen Oneida Graham Greene. Er natürlich in Wahrheit der Gott Wisakedjak, der Kranich Manitu, und wie alle Götter auf Wednesday nicht gut zu sprechen. Haben doch dessen Gläubige, siehe Leif Eriksson, weiland die seinen abgeschlachtet.

Marily Manson als Johan Wengren, Sänger der Viking-Metal-Band „Blood Death“. Bild: © 2020 Starz Entertainment, LLC

Laura und Mad Sweeney teilen sich ein Leben: Emily Browning und Pablo Schreiber. Bild: © 2020 Starz Entertainment, LLC

Salim muss ohne seinen Dschinn auskommen: Omid Abtahi (re.) mit Mousa Kraish. Bild: © 2020 Starz Entertainment, LLC

Graham Greene (li.) als Whiskey Jack aka Wisakedjak, der Kranich Manitou. Bild: © 2020 Starz Entertainment, LLC

Whiskey Jack hat ergo kein Interesse am Kampf, umso mehr an Wednesdays bestem Kämpfer Shadow, in den surreal-schönen Bildern eines Zauberwalds fordert er ihn auf (erster Hinweis!) sein Schicksal zu erforschen und seine Mission anzunehmen, dazu der bewährte Country-Soundtrack von Nelson, Strait, Cash & Young. Und apropos, Wednesday: In Zeiten von „Fridays for Future“ wird es Zeit für den Auftritt von Demeter, Blythe Danner als griechische Göttin der Fruchtbarkeit der Erde, des Getreides, der Saat und der Jahreszeiten, die Hüterin von Wald und Flur und – welche Schönheit denn nicht? – eine ehemalige Odin-Geliebte.

An Menschen neu ist Ashley Reyes als Wednesdays „Verlobte“ Cordelia, Eric Johnson als Lakeside-Sheriff Mulligan und Julia Sweeney ebendort als Gemischtwarenladenbesitzerin. Die untote Laura Moon, Emily Browning, muss sich mit dem mausetoten Mad Sweeney, Pablo Schreiber, herumschlagen, der ja Odins Speer Gungnir, mit dem sie diesen niederstrecken will, kurz vorm Sterben in seinem geheimen Hort versteckt hat; Salim, Omid Abtahi, sich ohne seinen Lover-Dschinn durchschlagen, da Mousa Kraish ebenso seinen Job verlor, wie „Mr. Nancy aka Gott Anansi“ Orlando Jones.

Darüber gab’s in den Social Media allerhand böse Posts, die Fans entsetzt, dass zwei ihrer liebsten Stars aus dem Cast gestrichen wurden, Starz erklärend, dass diese Charaktere abgespielt seien – für Jones „die eindeutig falsche Botschaft ans afroamerikanische Publikum“, hinsichtlich Kraish in diesem Sinne keine frohe fürs nahöstliche und die LGBTQ-Community. Mit Rapper Wale als Orisha Chango und Herizen Guardiola als Yoruba-Göttin Oshun geht es nun weiter. Nächste Folge am 18. Jänner, Titel frei nach David Bowie: „Serious Moonlight“. Staffel eins und zwei sind ebenfalls via Amazon abrufbar.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=7Vb8QUqvhWk           www.starz.com/us/en/series/31151          www.amazon.de          Leitfaden für Einsteiger: www.youtube.com/watch?v=-d0XXPkm9Ts

BUCHTIPPS: Neil Gaiman, „Nordische Mythen und Sagen“, Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=35531, Neil Gaiman: „Zerbrechliche Dinge. Geschichten und Wunder“, Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=32704, Neil Gaiman: „Der Ozean am Ende der Straße“, Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=32704

  1. 1. 2021

Theater an der Wien: Porgy and Bess

Oktober 21, 2020 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Catfish Row als Flüchtlingslager an Europas Küste

Das Container-Bühnenbild von Katrin Lea Tag, vorne mit Fussball Eric Greene als Porgy und Jeanine de Bique als Bess. Bild: © Monika Rittershaus

Deutlicher kann man #BlackLivesMatter nicht singen. Der beinortheste Held, eben von der Missachtung des Gesetzes zurück, ergeht sich in Liebe zur Anti-Heldin, während sich rundum die Gesichter verdüstern. Ist doch die untreue Drogensüchtige mit ihrem Dealer nach New York abgehauen. Macht nichts, meint Porgy, weder Wegstrecke noch Gehbehinderung können ihn aufhalten, seine Bess zu retten.

Die „Summertime“ ist zwar vorüber, aber im Gelobten Land für alle Platz. Also auf, never give up, never give in – das bessere Leben muss einfach ums nächste Eck liegen … Wohl jeder kennt „Porgy and Bess“ und die wunderschönen Melodien, nur aufgeführt wird George Gershwins Meisterwerk in Europa selten. Das liegt zum einen an der strikt vorgeschriebenen Besetzung, zum anderen an der Genregrenzen sprengenden Komposition, diese mit Blue Notes, Spirituals und Swing ein Opera meets Popculture, an das sich die wenigsten heranwagen.

Das Theater an der Wien hat den Grenzgang nun gewagt, nach mehr als 50 Jahren die erste szenische Premiere in der Stadt – und alles gewonnen. Ein beglücktes Publikum bedankte mit Jubel und Applaus nicht nur die Aufführung, sondern auch den Mut, diese – in #Corona-Zeiten – zu planen und auszuführen. Ging doch die vereinbarte Kooperation mit der Cape Town Opera in Kapstadt Pandemie-bedingt in die Binsen; die Anreise der Choristen aus Südafrika wurde unmöglich, weshalb das Theater an der Wien in Windeseile einen internationalen Cast aus vier Kontinenten zusammenstellen musste.

Norman Garrett und Zwakele Tshabalala. Bild: © Monika Rittershaus

Jeanine de Bique und Eric Greene. Bild: © Monika Rittershaus

Zwakele Tshabalala und Tichina Vaughn. Bild: © Monika Rittershaus

Dies durchaus nicht gegen das Ansinnen des südafrikanischen Regisseurs Matthew Wild. Der im Programmheft-Interview seine Intentionen, in seiner Inszenierung die globale Migrationsdebatte zu thematisieren, so formuliert: „Unsere Produktion ist in unserer Gegenwart angesiedelt, an der Peripherie einer nicht genauer bezeichneten europäischen Küstenstadt, wo wir die Catfish Row neu erfinden als eine multi-kulturelle Gemeinschaft von Flüchtlingen und Asylwerbern, die gezwungen waren, ihre Heimatländer zu verlassen …“ – das bessere Leben, es muss einfach ums nächste Eck liegen …

Die Überführung von Gershwins Opernpersonal in die Problemzone der Gegenwart erweist sich als stimmig. Als Schauplatz hat Ausstatterin Katrin Lea Tag eine Containersiedlung entworfen, 32 Stück verteilt auf drei drehbare Stockwerke, ideal für Massenszenen, Parallelerzählungen und als Versteck für intime Arien und Duette. Den Gedanken, dass die Menschen in Moria froh wären, wenn …, darf man dabei nicht zu Ende führen, ebenso wenig wie den an die eine Hijab tragende Frau als klischeehafte Kostümierung von – Zitat Wild – multikulturell, ebenso wenig wie jenen, ob statt des Hurricans eine Altkleidersammlung über dem Ganzen niedergegangen sei. Denn die Solistinnen und Solisten, Ensemble wie Tänzerinnen und Tänzer überzeugen auf ganzer Linie.

Allen voran Norman Garrett als Crown. Als brutaler Ex-Lover von Bess verströmt sein Klang-/Körper die krude Erotik eines wilden Tiers. US-Bariton-Kollege Eric Greene als Porgy steht Garrett in beidem in nichts nach. Er ist trotz Krücke eine imposante Erscheinung und geht mit seiner samtig-souligen Stimme, man merkt’s, den Zuschauerinnen unter die Haut. Schön, wie sich dieser leichtgläubige Tropf zu einer ungeahnt empfindsamen Intensität steigert, Greene ein Quarterback-Goliath mit David’scher Seele. Schön auch, wie kristallklar und grazil die aus Trinidad stammende Jeanine De Bique ihren Sopran zu führen versteht, ihre Bess ein liebenswerter, aber in seiner Labilität verlorener Junkie.

Tanz auf dem Altkleiderberg. Bild: © Monika Rittershaus

Jeanine de Bique als Bess (Mi.). Bild: © Monika Rittershaus

Eric Greene als Porgy. Bild: © Monika Rittershaus

Norman Garrett als Crown. Bild: © Monika Rittershaus

Als Milieustudien fügten sich die von Louisa Ann Talbot choreographierten Tanzszenen organisch in die Handlung ein. Der von der Metropolitan Opera ausgezeichneten und von der New York Times für ihr „distinctive earthy coloring“ gefeierten Brandie Sutton kommt als bekopftuchter Muslima Clara die Aufgabe zu, mit einer „Summertime“ im strömenden Regen den größten Hit der Oper zu präsentieren. Ryan Speedo Green als christlicher Ehemann und mit seinem Boot untergehender Jake verleiht seiner Figur ein starkes gesangliches wie darstellerisches Profil. Und apropos: Der südafrikanische „Sportin’ Life“ Zwakele Thabalala stattet den Rauschgifthändler in Baseball-Kappe und Zuhälter-Anzug mit einem aufreizenden Machismo aus.

Großartig sein Prügelbeziehen von Tichina Vaughn als blondgefärbter Maria, sein angekratztes Angebergehabe ist für den einen oder anderen Lacher gut und sängerisch wie von Speed befeuert. Selbiges gilt auch für das um Jazzmusiker erweiterte Wiener KammerOrchester – special extended unter der Laid-Back-Leitung des afrobritischen Gershwin-Spezialisten Wayne Marshall, das mal mit Big Band Sound die Dezibel-Skala sprengt, wenn’s auf der Bühne heftig, mal butterweiche, leise Jazztöne erklingen lässt, wenn’s romantisch wird. Marshall verzichtete auf allzu viel Schmelz & Schmalz bei Standards wie „I Loves You, Porgy“, „I Got Plenty o’ Nuttin’“ oder „It Ain’t Necessarily So“ und dirigiert einen für CD-Aufnahmen umschmeichelte Ohren ungewohnt harten, aber zum Geschehen oberhalb des Grabens passenden Gershwin.

Die Vorstellungen bis inklusive Samstag sind restlos ausverkauft. Bleibt zu hoffen, dass jemand daran gedacht hat, diesen fulminanten Abend auf Film zu verewigen. Special thanks to Intendant Roland Geyer und seinem Team. Mit seiner Beherztheit, das „Porgy and Bess“-Projekt trotz aller Widrigkeiten nicht aufzugeben, beweist er einmal mehr, dass das Überwinden von Zäunen und Verzagtheit stets ein Türöffner zur Vielfalt anderer Welten ist.

www.theater-wien.at

  1. 10. 2020