Theater an der Wien: Porgy and Bess

Oktober 21, 2020 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Catfish Row als Flüchtlingslager an Europas Küste

Das Container-Bühnenbild von Katrin Lea Tag, vorne mit Fussball Eric Greene als Porgy und Jeanine de Bique als Bess. Bild: © Monika Rittershaus

Deutlicher kann man #BlackLivesMatter nicht singen. Der beinortheste Held, eben von der Missachtung des Gesetzes zurück, ergeht sich in Liebe zur Anti-Heldin, während sich rundum die Gesichter verdüstern. Ist doch die untreue Drogensüchtige mit ihrem Dealer nach New York abgehauen. Macht nichts, meint Porgy, weder Wegstrecke noch Gehbehinderung können ihn aufhalten, seine Bess zu retten.

Die „Summertime“ ist zwar vorüber, aber im Gelobten Land für alle Platz. Also auf, never give up, never give in – das bessere Leben muss einfach ums nächste Eck liegen … Wohl jeder kennt „Porgy and Bess“ und die wunderschönen Melodien, nur aufgeführt wird George Gershwins Meisterwerk in Europa selten. Das liegt zum einen an der strikt vorgeschriebenen Besetzung, zum anderen an der Genregrenzen sprengenden Komposition, diese mit Blue Notes, Spirituals und Swing ein Opera meets Popculture, an das sich die wenigsten heranwagen.

Das Theater an der Wien hat den Grenzgang nun gewagt, nach mehr als 50 Jahren die erste szenische Premiere in der Stadt – und alles gewonnen. Ein beglücktes Publikum bedankte mit Jubel und Applaus nicht nur die Aufführung, sondern auch den Mut, diese – in #Corona-Zeiten – zu planen und auszuführen. Ging doch die vereinbarte Kooperation mit der Cape Town Opera in Kapstadt Pandemie-bedingt in die Binsen; die Anreise der Choristen aus Südafrika wurde unmöglich, weshalb das Theater an der Wien in Windeseile einen internationalen Cast aus vier Kontinenten zusammenstellen musste.

Norman Garrett und Zwakele Tshabalala. Bild: © Monika Rittershaus

Jeanine de Bique und Eric Greene. Bild: © Monika Rittershaus

Zwakele Tshabalala und Tichina Vaughn. Bild: © Monika Rittershaus

Dies durchaus nicht gegen das Ansinnen des südafrikanischen Regisseurs Matthew Wild. Der im Programmheft-Interview seine Intentionen, in seiner Inszenierung die globale Migrationsdebatte zu thematisieren, so formuliert: „Unsere Produktion ist in unserer Gegenwart angesiedelt, an der Peripherie einer nicht genauer bezeichneten europäischen Küstenstadt, wo wir die Catfish Row neu erfinden als eine multi-kulturelle Gemeinschaft von Flüchtlingen und Asylwerbern, die gezwungen waren, ihre Heimatländer zu verlassen …“ – das bessere Leben, es muss einfach ums nächste Eck liegen …

Die Überführung von Gershwins Opernpersonal in die Problemzone der Gegenwart erweist sich als stimmig. Als Schauplatz hat Ausstatterin Katrin Lea Tag eine Containersiedlung entworfen, 32 Stück verteilt auf drei drehbare Stockwerke, ideal für Massenszenen, Parallelerzählungen und als Versteck für intime Arien und Duette. Den Gedanken, dass die Menschen in Moria froh wären, wenn …, darf man dabei nicht zu Ende führen, ebenso wenig wie den an die eine Hijab tragende Frau als klischeehafte Kostümierung von – Zitat Wild – multikulturell, ebenso wenig wie jenen, ob statt des Hurricans eine Altkleidersammlung über dem Ganzen niedergegangen sei. Denn die Solistinnen und Solisten, Ensemble wie Tänzerinnen und Tänzer überzeugen auf ganzer Linie.

Allen voran Norman Garrett als Crown. Als brutaler Ex-Lover von Bess verströmt sein Klang-/Körper die krude Erotik eines wilden Tiers. US-Bariton-Kollege Eric Greene als Porgy steht Garrett in beidem in nichts nach. Er ist trotz Krücke eine imposante Erscheinung und geht mit seiner samtig-souligen Stimme, man merkt’s, den Zuschauerinnen unter die Haut. Schön, wie sich dieser leichtgläubige Tropf zu einer ungeahnt empfindsamen Intensität steigert, Greene ein Quarterback-Goliath mit David’scher Seele. Schön auch, wie kristallklar und grazil die aus Trinidad stammende Jeanine De Bique ihren Sopran zu führen versteht, ihre Bess ein liebenswerter, aber in seiner Labilität verlorener Junkie.

Tanz auf dem Altkleiderberg. Bild: © Monika Rittershaus

Jeanine de Bique als Bess (Mi.). Bild: © Monika Rittershaus

Eric Greene als Porgy. Bild: © Monika Rittershaus

Norman Garrett als Crown. Bild: © Monika Rittershaus

Als Milieustudien fügten sich die von Louisa Ann Talbot choreographierten Tanzszenen organisch in die Handlung ein. Der von der Metropolitan Opera ausgezeichneten und von der New York Times für ihr „distinctive earthy coloring“ gefeierten Brandie Sutton kommt als bekopftuchter Muslima Clara die Aufgabe zu, mit einer „Summertime“ im strömenden Regen den größten Hit der Oper zu präsentieren. Ryan Speedo Green als christlicher Ehemann und mit seinem Boot untergehender Jake verleiht seiner Figur ein starkes gesangliches wie darstellerisches Profil. Und apropos: Der südafrikanische „Sportin’ Life“ Zwakele Thabalala stattet den Rauschgifthändler in Baseball-Kappe und Zuhälter-Anzug mit einem aufreizenden Machismo aus.

Großartig sein Prügelbeziehen von Tichina Vaughn als blondgefärbter Maria, sein angekratztes Angebergehabe ist für den einen oder anderen Lacher gut und sängerisch wie von Speed befeuert. Selbiges gilt auch für das um Jazzmusiker erweiterte Wiener KammerOrchester – special extended unter der Laid-Back-Leitung des afrobritischen Gershwin-Spezialisten Wayne Marshall, das mal mit Big Band Sound die Dezibel-Skala sprengt, wenn’s auf der Bühne heftig, mal butterweiche, leise Jazztöne erklingen lässt, wenn’s romantisch wird. Marshall verzichtete auf allzu viel Schmelz & Schmalz bei Standards wie „I Loves You, Porgy“, „I Got Plenty o’ Nuttin’“ oder „It Ain’t Necessarily So“ und dirigiert einen für CD-Aufnahmen umschmeichelte Ohren ungewohnt harten, aber zum Geschehen oberhalb des Grabens passenden Gershwin.

Die Vorstellungen bis inklusive Samstag sind restlos ausverkauft. Bleibt zu hoffen, dass jemand daran gedacht hat, diesen fulminanten Abend auf Film zu verewigen. Special thanks to Intendant Roland Geyer und seinem Team. Mit seiner Beherztheit, das „Porgy and Bess“-Projekt trotz aller Widrigkeiten nicht aufzugeben, beweist er einmal mehr, dass das Überwinden von Zäunen und Verzagtheit stets ein Türöffner zur Vielfalt anderer Welten ist.

www.theater-wien.at

  1. 10. 2020

George Gershwin für Kinder

Juni 18, 2013 in Klassik

Die Jeunesse musiziert mit dem RSO

Concertino Rhapsody in Blue Illustration Bild: (c) Lampenschirm

Concertino Rhapsody in Blue Illustration
Bild: (c) Lampenschirm

Am 23. Juni, 11 Uhr, kann man im Wiener Konzerthaus ein audio-visuelles Stadtabenteuer mit dem RSO Wien unter Cornelius Meister zum Saisonfinale der Jeunesse-Kinderkonzertreihe »Concertino« (9+): »Rhapsody in Blue« oder: Gershwin in Wien erleben.
Zum Finale des Jeunesse »Concertino«-Zyklus (9+) musiziert das ORF Radio-Symphonieorchester Wien im Großen Saal des Wiener Konzerthauses George Gershwins »Rhapsody in Blue« (Paul Gulda, Klavier | Cornelius Meister, Dirigent) und geht zugleich hinaus in die Stadt. Konzipiert wurde diese musikalisch-visuelle Stadterkundung mit rhapsodischen Spots auf George Gershwin, Donaukanal und das Konzerthaus von Annemarie Mitterbäck (Jeunesse Österreich) und Leonard Eröd (RSO Wien).
Das junge Publikum und seine erwachsenen Begleiter blicken auf Lebenssituationen der Orchestermusiker und erfahren auf sinnlich-ästhetische Weise Gershwins »Rhapsody in Blue«. Inspiriert von inhaltlichen Aspekten des Werks, biographischen Splittern aus Gershwins Leben und der Vielfalt des Großstadtlebens wird eine Geschichte mit Animationen und Visuals quer durch die Stadt erzählt – die Diversität im urbanen Raum im Mikrokosmos Orchester gespiegelt. Ein Streifenhörnchen folgt dabei den musikalischen Spuren und begleitet die Musiker (in Form von animierten Figuren) zwischen Rushhour, Würstelstand oder Donaukanal und schlägt sich (wie einst die Migrantenfamilie Gershwin in New York) letztendlich bis ins Konzerthaus durch. Ein musikalisches Abenteuer als Großstadt-Blues!

www.jeunesse.at

Von Michaela Mottinger

Wien, 18. 6. 2013