Werk X-Petersplatz am Judenplatz: Asyl Tribunal – Klage gegen die Republik. Der Eintritt ist frei.

Juni 18, 2022 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein öffentlicher theatraler Gerichtsprozess samt Urteil

Die Protagonistinnen des „Asyl Tribunal“ am Judenplatz (v.l.n.r.): Ingrid Pozner, Denise Teipel, Noomi Anyanwu, Ines Rössl, Amani Abuzahra, May Garzon, Mahsa Ghafari und Alice Schneider. Bild: © Rezzarte

„Ein Rechtsstaat bleibt ein Rechtsstaat“, sagt Karl Nehammer, der österreichische Bundeskanzler. Das Theater- kollektiv Hybrid stellt infrage, ob dies auch für den Asylbereich gilt – in „Asyl Tribunal – Klage gegen die Republik“, einem öffentlichem Gerichtsprozess in Kooperation mit dem Werk X-Petersplatz. Premiere der von Alireza Daryanavard inszenierten Uraufführung ist am 20. Juni.

Weitere Termine von 22. bis 25. Juni, jeweils 19.30 Uhr am Judenplatz, 1010 Wien, sowie live auf www.okto.tv. Der Eintritt ist frei. Jede Vorstellung wird aus dem Deutschen synchronübersetzt in Arabisch und Dari/Farsi, bitte für die Übersetzung Smartphone und eigene Kopfhörer mitbringen.

Der Gerichtsprozess

In Asyl Tribunal wird, basierend auf realen Sachverhalten, in einem symbolischen Tribunal verhandelt, wie wirksam Asylsuchende in Österreich zu ihrem Recht auf Asyl kommen. Die Klage und die Verteidigung werden in einem mehrtägigen Verfahren im öffentlichen Raum vorgetragen. Gemeinsam mit Richterinnen und Richtern, Expertinnen und Experten sowie der Republik Österreich findet ein Gerichtsprozess statt, der sich mit aktuellen Problemlagen auseinandersetzt. Die österreichische Gesetzgebung erschwert die Zusammenführung von Asylsuchenden mit Angehörigen zunehmend. Aus vielen Krisen und Kriegsgebieten gibt es derzeit keine Möglichkeit, auf legalem Weg nach Österreich zu gelangen. Es finden illegale Pushbacks an Österreichs Außengrenzen statt.

Zwar ist Österreich zur Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechts- konvention (EMRK) verpflichtet, doch die Republik Österreich steht aktuell unter dringendem Verdacht, wesentliche Grundrechte von Asylberechtigten zu missachten. Maßgebliche sterreichische Asylrechts- bestimmungen scheinen die Europäische Grundrechtecharta und die EMRK umgehen zu wollen, indem sie Vorgänge rechtskonform erscheinen lassen, die eigentlich einen Rechtsbruch darstellen. Asyl Tribunal ist ein ffentliches theatrales Verfahren, an dessen Ende ein Urteil gefällt und gegenüber der Republik verkündet wird.

Mit May Garzon, Ines Rössl , Denise Teipel, Amani Abuzahra, Noomi Anyanwu, Victoria Kremer, Marie Noel, Ingrid Porzner, Alice Schneider und Hicran Taptik. Recherche und Dramaturgie: Mahsa Ghafari, Menschenrechtsaktivistin, Autorin, Schauspielerin und Moderatorin, Mitbegründerin des Vereins Flucht nach Vor, der 2015 mit dem Ute-Bock-Preis für Zivilcourage gewürdigt wurde, seit 2012 Vorstandsmitglied von  SOS Mitmensch. Rechtsberatung und Text: Ronald Frühwirth, früher Rechtsanwalt in Graz für Asylrecht und Menschenrechtsfragen, heute Vollzeitvater, Vortragender und Autor zum Thema Asylrecht. In Zusammenarbeit mit SOS Balkanroute, SOS Mitmensch, Okto, Venga! und #aufstehn.

Die Verhandlungstage

TAG 1 Montag, 20. 6 – Weltflüchtlingstag, Thema: Westbalkonroute
Nach dem Eintreffen des Demozuges anlässlich des Weltflüchtlingstags beginnt die Klage gegen die Republik mit den Plädoyers der klagenden und der beklagten Seite sowie dem Abstecken des rechtlichen und inhaltlichen Rahmens des Verfahrens. Im Mittelpunkt steht die Missachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und des Rechts auf Asyl, das die Grundrechtecharta der Europäischen Union gewährleistet. Die Verhandlungsgegenstände und die Beweggründe für die Klage werden dargelegt. Die Kommission berichtet, welche Bedeutung das Schließen der „Westbalkanroute“ für die Einleitung dieses Verfahrens hatte.

TAG 2 Mittwoch, 22. 6., Themen: Familienzusammenführung, Push-Backs
Am zweiten Tag geht es um das Aussetzen von Resettlementprogrammen, die Menschen die einzige sichere Fluchtmöglichkeit nach Österreich ermöglichen würden; außerdem um das Erschweren von Familienzusammen- führung als letzte verbleibende Möglichkeit für Schutzsuchende, auf legalem Weg zur Asylantragstellung nach Österreich zu gelangen. Zudem kommt es nachweislich zu illegalen PushBacks an den Grenzen, die bisher seitens der Republik ignoriert werden zu diesem Punkt werden zwei Zeuginnen aus Bosnien, Zemira Gorinjak und Salena Klepić, ihre Beobachtungen dem Gericht und den Zuhörerinnen und Zuhörern mitteilen.

TAG 3 Donnerstag, 23. 6., Themen: Ungleichbehandlung von Ukraine-Flüchtlingen, rassistische Gewalt
Am dritten Tag folgt die Auseinandersetzung mit der ungleichen Behandlung von Schutzsuchenden aus der Ukraine sowie den zahlreichen Erfahrungen von rassistischer Gewalt, die Black and People of Color im Zuge ihrer Flucht aus der Ukraine widerfuhr. Als Zeugin spricht an diesem Tag Mariama Nzinga Diallo, die zu ihren Erfahrungen und Beobachtungen im Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Polen befragt wird.

TAG 4 Freitag, 24. 6., Themen: Behörden-Verstöße, Abschiebung von Kindern und nach Afghanistan
Am vierten Tag werden Missstände und Verstöße der Behörden gegen gesetzliche Bestimmungen in Asylverfahren aufgezeigt. Dazu zählen etwa sehr umstrittene Methoden zur Altersfeststellung bei Minderjährigen oder die unzulässige, aber dennoch gängige Praxis der ersten Befragung zu Fluchtgründen durch Polizeibeamtinnen und -beamte. Durch solche Vorgangsweisen werden zahlreiche Schutzsuchende daran gehindert, zu ihrem Recht auf Asyl zu kommen denn über einen großen Teil der Fälle wird auf Grundlage dieser Vorgänge negativ entschieden. Schließlich geht es um die Missachtung des Kindeswohls, die schwache Position von unbegleiteten Kindern im Asylverfahren und um kritikwürdige Abschiebungen nach Afghanistan.

Danach: InstaWalk zur Produktion Asyl Tribunal von und mit Patrizia Reidl in Kooperation mit Igersvienna, der sich inhaltlich der „Menschenrechtsstadt Wien“ widmet, 17 Uhr, Treffpunkt: WERK XPetersplatz.

TAG 5 Sammstag, 25. 6., Schlussplädoyers und Urteilsverkündung
Am letzten Tag präsentieren die Parteienvertreterinnen und -vertreter ihre Schlussplädoyers. Danach folgt die Urteilsverkündung durch die Richterinnen.
Im Anschluss an die letzte Vorstellung findet ein Expertinnen-/Experten und Künstlerinnen-/Künstlergespräch im WERK XPetersplatz mit Ronald Frühwirth, Rechtsexperte für Asyl und Migrationsrecht, und Ines Rössl, Schauspielerin und Rechtswissenschafterin, rund um das Thema Asyl und Migrationsrecht in sterreich statt. Auch Beweggründe und Herausforderungen bei der Erarbeitung des Stücks werden durchleuchtet; Moderation: Mahsa Ghafari, Menschenrechtsaktivistin, Theaterschaffende und Dramaturgin von „Asyl Tribunal Klage gegen die Republik“.

Der iranischstämmige Theatermacher und Schauspieler Alireza Daryanavard. Bild: © Isa Heliz

Wiederaufnahme im November: „Blutiger Sommer“ mit Simonida Selimović. Bild: © Alexander Gotter

Alireza Daryanavard in „Ein Staatenloser“, Wiederaufnahme 2020. Bild: © Alexander Gotter

Regie & Konzept: Alireza Daryanavard

Der Performancekünstler und Regisseur wurde im Iran geboren und begann im Alter von 12 Jahren als Schauspieler zu arbeiten. Neben Hauptrollen in Kino und TV war er auch als Fernseh und Radiomoderator tätig. Als es ihm offiziell nicht mehr erlaubt war, künstlerisch tätig zu sein, gründete er ein Untergrundtheater in seiner Herkunftsstadt Buschehr, bis die Situation lebensgefährlich wurde und er schließlich fliehen musste. Seine Flucht führte ihn 2014 nach Österreich, wo er seitdem in Wien als Schauspieler, Musiker und Regisseur lebt. 2017 wurde ihm das Startstipendium des Bundeskanzleramts Österreich für Darstellende Kunst verliehen, 2019 war er Stipendiat beim Heidelberger Stückemarkt sowie bei „In the Field“ der Wiener Festwochen.

Am WERK XPetersplatz begeisterte er Presse wie Publikum sowohl in der Spielzeit 2018/19 mit der Uraufführung von Ein Staatenloser (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=30184) als auch in der Spielzeit 2020/21 mit seinem Stück Blutiger Sommer”, für das er in der Kritikerinnen- und Kritikerumfrage von Theater heute bei den Höhepunkten der Saison in der Sparte Beste/r NachwuchskünstlerIn geführt ist, und das auch für den NestroyPreis 2020 in der Kategorie Bester Nachwuchs männlich nominiert wurde. Das Stück wird im November 2022 im WERK XPetersplatz wiederaufgenommen. www.alireza-daryanavard.com

werk-x.at

18. 6. 2022

TheaterArche: „Gedichte gegen den Krieg“ und die „Tagebücher des Maidan“

März 16, 2022 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Zwei besondere Abende für die Ukrainehilfe

Bild: © TheaterArche

Die TheaterArche erweitert die geplante Lesung von Ferdinand Schmatz am 20. März, ab 19.30 Uhr, zum Abend „Gedichte gegen den Krieg“: Österreichische Autorinnen und Autoren lesen russische, ukrainische und eigene Lyrik – Natascha Gangl, Sonja Harter, Lydia Mischkulnigg, Rosa Pock- Artmann, Judith Pfeifer via Zoom und Ferdinand Schmatz, unter Mitwirkung von Theaterleiter Jakub Kavin. Mit einem Gastbeitrag von Elfriede Jelinek „Brüder, Schwestern, es brennt.“

Am Akkordeon Lukas Goldschmidt, der sich von russischen und ukrainischen Volksweisen wird anregen lassen. Kuratiert von Karl Baratta, wie die gesamte ArcheLiteratur-Reihe. „Gedichte zu lesen, trifft unseren gegenwärtigen Zustand der Hilflosigkeit, als würde ein Mensch einem Panzer ein Gedicht vorlesen“, so Jakub Kavin. Die russische Autorin Olga Martynova , die dem Team der TheaterArche beisteht, hat dazu bemerkt: „Beim Versuch, Texte auszuwählen, habe ich festgestellt, dass mir Gedichte in dieser Zeit am ,echtesten‘ scheinen (was nur im ersten Augenblick verwundert, eigentlich ist klar, dass das so ist). Gedichte werden nicht den Panzern entgegen gelesen. Und sie werden auch nicht die Menschen erreichen, die gerade beschossen werden. Sie sollen ,uns hier‘ erreichen, auch für Denkpausen, denn natürlich steigt der Aggressionspegel jetzt bei allen.“

Eintritt: Freie Spende – der gesamte Erlös geht an die Ukrainehilfe (entwicklungshilfeklub.at/projekte/nothilfe-fuer-gefluechtete).

Die Tagebücher des Maidan

Am 19. April, ab 18 Uhr, zeigt die TheaterArche in Koproduktion mit dem Ersten Wiener Lesetheater „Die Tagebücher des Maidan“. Natalia Vorozhbyt hat die „Tagebücher des Maidan“ geschrieben. Es geht in dem Stück um Menschen in Kiew während des Protestwinters 2013/2014. Die Autorin und Regisseur Andrej Mai führten auf dem Maidan zahlreiche Interviews, die die Grundlage für das Stück bilden. In der szenischen Einrichtung von Jakub Kavin werden 10 Wiener Schauspielerinnen und Schauspieler und eine ukrainische Musikerin das Theaterstück von Natalia Vorozhbyt im Rahmen einer szenischen Lesung auf die Bühne bringen.

Nun findet man auf Wikipedia folgenden aktuellen Eintrag zur Autorin: „In February 2022, Vorozhbyt was working on her latest film ‘Demons’ in Myrhorod and had only four days of production to complete; it is about a relationship between a Russian and Ukrainian, reflecting what she called the ‘uneasy’ international relations between these nations, when the city she was in came under bombardment during the Russian invasion. She was interviewed in a bomb shelter on 25 February 2022, saying that it was ‘very important for me to be here’ but admitting she may have to leave the country if Russia took over. Her interpretation of these events is that it began thirty years ago when Ukraine was being established as an independent country and allowed the Russian influence in Donbas to grow. She appealed for international community support for Ukraine.“

Der Majdan Nesaleschnosti, deutsch: „Platz der Unabhängigkeit“, ist der zentrale Platz der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Er wird meist kurz Majdan genannt. Der Majdan wurde 2013 weltbekannt, als er das Zentrum des politischen Protestes gegen den Wahlbetrug bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen war. Auslöser dieses Euromaidan, deutsch: Revolution der Würde, war die überraschende Erklärung der ukrainischen Regierung (Kabinett Asarow II), das Assoziierungsabkommen mit der EU vorerst nicht unterzeichnen zu wollen. Die Proteste flammten am 29. November 2013 nach dessen Nichtunterzeichnung auf. Ihren Massencharakter nahmen die Proteste am 1. Dezember 2013 an, nachdem einen Tag zuvor friedliche  Studentenproteste durch die Polizei mit exzessiver Gewalt auseinandergetrieben worden waren.

Eintritt: Freie Spende – die Spenden gehen zur Gänze an die Ukrainehilfe (entwicklungshilfeklub.at/projekte/nothilfe-fuer-gefluechtete).

www.theaterarche.at

  1. 3. 2022

aktionstheater ensemble – Streamen gegen die Einsamkeit: Staffel 4

Februar 1, 2021 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Von „Pension Europa“ zum „Bürgerlichen Trauerspiel“

Bild: © Gerhard Breitwieser

Nach den erfolgreichen digitalen Aufführungsreihen „Streamen gegen die Einsamkeit: Staffel 1 + 2 + 3“ bieten Martin Gruber und sein preisgekröntes aktionstheater ensemble ab heute bis 28. März wieder acht ausgewählte Uraufführungen unter www.aktionstheater.at zum Stream an. Das Motto der 4. Staffel lautet „Fernbeziehung“ und beinhaltet, zusätzlich zu den Streams, wöchentliche Publikums-Gespräche – live via Zoom:

Da das aktionstheater ensemble die Kommunikation mit seinem Publikum nach den Aufführungen als wesentlich erachtet, gibt es jeden Donnerstag um 20 Uhr ein virtuelles Zoom-Treffen von Schauspielerinnen und Schauspielern, mit den Musikerinnen und Musikern der jeweiligen Streaming-Produktion. Anmeldung für diese kostenlosen virtuellen Treffen unter: karten@aktionstheater.at. Die Aufführungen werden wöchentlich geändert, jeweils um10 Uhr.

Das Programm:

Pension Europa. 1. bis 7. Februar, 10 bis 22 Uhr: Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=31384 Sechs Frauen auf die verzweifelt-aberwitzige Suche nach einer Vision. Wahrhaftige Bekenntnisse und verdichtete Geständnisse, skurill-witzig, tragisch und mitten aus dem Leben. Manchmal gnadenlos, manchmal versöhnlich. Alles eine Frage der Perspektive. Die Produktion war nominiert für den Nestroypreis 2015. Publikumsgespräch live via Zoom am 4. Februar ab 20 Uhr.

Die wunderbare Zerstörung des Mannes. 8. bis 14. Februar, 10 bis 22 Uhr. Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=31384 Martin Gruber inszeniert mit seinem mehrfach ausgezeichneten aktionstheater ensemble die Suche nach einem neuen Männerbild und das gleichzeitige Scheitern daran. Sechs Männer, sechs Sichtweisen. Trotz einer offensichtlichen Regression, der Rückkehr von Uralt-Machos auf nationalem und internationalem politischen Parkett, scheint sich ein Zerfall alter Rollenbilder, soweit diese überhaupt festgemacht werden können, abzuzeichnen. Aus dem Jahr 2018. Publikumsgespräch live via Zoom am 11. Februar ab 20 Uhr.

Wie geht es weiter. 15. bis 21. Februar, 10 bis 22 Uhr. Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=33672 Neoliberale Politstrateginnen und -strategen und rechtspopulistische Demagoginnen und Demagogen haben sich als Heilsbringer in Stellung gebracht und die sogenannte Zivilgesellschaft scheint im Tiefschlaf zu versinken. So weit, so bekannt, so ermüdend, aber wie geht es weiter? Das aktionstheater ensemble wühlt genussvoll in der österreichischen Seele und entwirft ein aberwitziges Panoptikum. Aus dem Jahr 2019. Publikumsgespräch live via Zoom am 18. Februar ab 20 Uhr.

Wie geht es weiter. Bild: © Stefan Hauer

Immersion. Bild: © Gerhard Breitwieser

Ich glaube. Bild: © Gerhard Breitwieser

Die Zerstörung des Mannes. Bild: © Stefan Hauer

Heile mich. 22. bis 28. Februar, 10 bis 22 Uhr. Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=39260 In gewohnt schonungsloser Manier beginnen Martin Gruber und seine Compagnie in dieser Nabelschau bei sich selbst; aus dem Bedürfnis ganz und heil zu sein, suchen sie nach möglichst schnellen Patentrezepten. Rezepte, die freilich nicht verkürzt und einfältig genug sein können, als dass man sie nicht gerne glauben will. Die Suche nach dem Heil führt drei Schauspielerinnen und fünf Musiker, mit Karacho, zu einem tragikomischen Ritt in den Abgrund. Was dazwischen aufkeimen darf, sind stille Momente der Poesie, hinter welcher so etwas wie Heilung liegen mag. Aus dem Jahr 2019. Publikumsgespräch live via Zoom am 25. Februar ab 20 Uhr.

Ich glaube. 1. bis 7. März, 10 bis 22 Uhr. Geld, Gewalt, Freiheit, Katholiken, Yoga, Protestanten, Freunde, Muslime, Liebe, Veränderung, Wahrheit, Katharsis und die große Frage: woran glauben wir – noch? Regisseur Martin Gruber führt mit seinem aktionstheater ensemble durch die Ab-/Gründe von Glaubensätzen! Manchmal poetisch, manchmal traurig, manchmal lustig, manchmal nachdenklich. Aus dem Jahr 2017. Publikumsgespräch live via Zoom am 4. März ab 20 Uhr.

Pension Europa. Bild: © Felix Dietlinger

Heile mich. Bild: © Stefan Hauer

Bürgerliches Trauerspiel. Bild: © Gerhard Breitwieser

Bürgerliches Trauerspiel. 8. bis 14. März, 10 bis 22 Uhr. Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=41710 Ein einziges langanhaltendes bürgerliches Trauerspiel. Oder ein Trauerspiel des Bürgerlichen. Oder eine Kapitulation des Bürgerlichen vor der Realität. Vor der von ihm selbst erzeugten Realität. Die zusammengesetzt ist aus ein paar Gerechtigkeitsbehauptungen, ein bisschen Tapferkeitsgetue, jeder Menge Besonnenheitsblingbling und viel Klugheitsblongblong. „Bürgerliches Trauerspiel“ ist ein aberwitziger, lustvoller, anarchischer Abgesang und eine theatrale Trauerfeier auf ein Leben wie es einmal war. Aus dem Jahr 2020. Publikumsgespräch live via Zoom am 11. März ab 20 Uhr.

Immersion. Wir verschwinden. 15. bis 21. März, 10 bis 22 Uhr. Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=39693 Genug gearbeitet, genug gestritten, genug gekämpft, genug gehasst. Genug von den bestehenden wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen. Sie wollen weg. Weg aus dieser Realität. Sich verstecken hinter etwas anderem, eintauchen untertauchen, wegtauchen. Es bleibt nur noch the big escape, die große Flucht. Nur wohin! Und dann weicht der Sehnsucht nach dem Verschwinden die Angst vor dem Verschwinden. Aus dem Jahr 2016. Publikumsgespräch live via Zoom am 18. März ab 20 Uhr.

Salz Burg. 22. bis 28. März, 10 bis 22 Uhr. Das aktionstheater ensemble veranstaltet eine Sponsorenparty. Alles ist „vorbereitet aufs allerbest´ für Sponsoren und andere Gäst´“. Doch dann ist der potentielle Hauptsponsor weg, hat sich am stillen Örtchen versteckt, will nicht raus. Ab jetzt gerät alles ins Wanken. Und das Ensemble unternimmt alles um den Abend doch noch zu einem guten Ende zu bringen. Aus dem Jahr 2012. Publikumsgespräche live via Zoom am 25. März, ab 20 Uhr.

aktionstheater.at

  1. 2. 2021

Luigi Toscano: Gegen das Vergessen

Mai 11, 2019 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Fotoinstallation macht Station in Wien

Bild: Peter Lechner/HBF

Luigi Toscanos Ausstellung „Gegen das Vergessen“ macht derzeit Station entlang des Burgrings in Wien. Die Installation des deutsch-italienischen Fotografen und Filmemachers umfasst knapp hundert großformatige, etwa zwei Meter hohe Porträtfotos von Überlebenden der NS-Verfolgung, die heute in Österreich, den USA, Deutschland, der Ukraine, Israel, Russland und Weißrussland leben. Die Bilder sind vor dem Heldenplatz zu sehen.

Mehr als 300 NS-Überlebende hat Luigi Toscano in den vergangenen fünf Jahren für sein Projekt getroffen und fotografiert: „Sie sind die Gesichter und Stimmen der Erinnerungskultur. Die Menschen, die ich abbilden durfte, haben mich dazu ermutigt, ihre Porträts mit ihren Geschichten in die Welt zu tragen. ,Gegen das Vergessen‘ fordert jede einzelne und jeden einzelnen auf, alles dafür zu tun, dass Menschen nie wieder solche Verbrechen an anderen Menschen begehen.“ Die mittlerweile 96-jährige US-Amerikanerin und Auschwitz-Überlebende Susan Cernyak-Spatz, die in Wien geboren wurde, gab Luigi Toscano 2014 ein Zitat mit auf den Weg, das ,Gegen das Vergessen‘ bis heute prägt: „Wenn wir die Vergangenheit vergessen, sind wir verdammt, sie zu wiederholen.“

Die Ausstellung am Burgring zeigt zahlreiche Porträts von Menschen mit österreichischen Wurzeln. So wurde etwa Viktor Klein im Februar 2018 von Luigi Toscano in Israel porträtiert, nun war er als Ehrengast bei der Eröffnung anwesend. ,Gegen das Vergessen‘ ist als Ausstellung im öffentlichen Raum konzipiert. Ob Parks, öffentliche Plätze oder Häuserfassaden – Luigi Toscano möchte eine offen zugängliche Präsentation der Bilder für alle. Informationstafeln, ein Katalog, eine App und ein Dokumentarfilm ergänzen die Schau.

Bundespräsident Alexander van der Bellen bei der Ausstellungseröffnung. Bild: Peter Lechner/HBF

Viktor Klein kam am Arm von VdB-Ehefrau Doris Schmidauer als Ehrengast nach Wien, re.: Luigi Toscano. Bild: Peter Lechner/HBF

Erstmals wurde „Gegen das Vergessen“ im Herbst 2015 in Mannheim gezeigt. Im September 2016 war die Ausstellung zum Staatsakt des Gedenkens an die Massaker von Babyn Jar in Kiew eingeladen. Es folgten vier weitere Stationen in der Ukraine und zwei in Berlin. 2018 kam die Installation in die USA. Im Januar war sie zum Internationalen Holocaust-Gedenktag bei den Vereinten Nationen in New York zu Gast. Im April wurde sie in Washington D.C. am Lincoln Memorial Reflecting Pool gezeigt, im Oktober in Boston. Derzeit ist „Gegen das Vergessen“ zeitgleich in Wien und in San Francisco zu sehen. Und Luigi Toscano plant mit seinem Team weitere Stationen weltweit, unter anderem in Mainz, Chicago, Seattle und Pittsburgh. Die Schau in Wien ist eine gemeinsame Initiative mit dem Psychosozialen Zentrum ESRA, das Menschen, die durch Verfolgung, Folter, Migration, Misshandlung, Katastrophen oder andere schwerwiegende Ereignisse traumatisiert wurden, umfassende professionelle Hilfe bietet.

gegen-das-vergessen.gdv-2015.de           luigi-toscano.de           www.esra.at

11. 5. 2019

Michael Köhlmeier: Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle

Dezember 10, 2018 in Buch

VON MICHAELA MOTTINGER

Die politischen Reden des großen Erzählers

„Mir wäre lieber gewesen, man hätte mich nicht gefragt, ob ich hier sprechen will“, sagte Michael Köhlmeier am 4. Mai 2018 in der Wiener Hofburg. Nur etwas mehr als sechs Minuten sprach er, doch seine Rede hallte durchs ganze Land. Eindringlich wandte sich der große Erzähler gegen eine nicht nur in Österreich, sondern weltweit immer salonfähiger werdende Staatsführung der Ablehnung und der Ausgrenzung.

Im bei dtv erschienenen Band „Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle“ sind nun erstmals Köhlmeiers gesammelte Reden nachzulesen. Unerschrockene Kommentare zur Politik dieser Tage, in der Sinnverdrehungen durch „alternative Fakten“ hoffähig geworden sind, wortmächtige Appelle, sich der so entstehenden Wortverzerrungen bewusst zu bleiben und sich zu empören – über den schleichenden Verfall jeglicher Debattenkultur. Neben dem vor gerechtem Zorn glühenden Hofburg-Auftritt sind im Buch unter anderem eine Rede zur Einweihung eines Mahnmals zur Erinnerung an die Bücherverbrennung 1938, die ORF-Rede 2017, an jenem Neujahrstag, als es keinen Bundespräsidenten gab, und eine zur zehnjährigen EU-Mitgliedschaft Österreichs enthalten.

Als keinen besonders wachen Bürger, „wankelmütig, urteilsunsicher, voller Zweifel, allerorts mit der eigenen Uninformiertheit und Ungebildetheit konfrontiert, schwankend zwischen schmachtender Mediengläubigkeit und anarchistischer Garnichtsgläubigkeit“, bezeichnet sich Köhlmeier. Eine Aussage, die sich spätestens dann ad absurdum fühlt, wenn dem Bürger Köhlmeier, wieder einmal der Geduldsfaden reißt. Wenn Politiker ihre „Sorge“ um den Antisemitismus dazu missbrauchen, Rassismus gegen Muslime zu schüren, wenn der Europagedanke zum Witz degradiert, wenn Demokratie zum Recht der Mehrheit über Minderheiten pervertiert wird.

Fordert jemand Köhlmeier auf, eine politische Rede zu halten, so Hanno Loewy in seinem fabelhaften Nachwort, erzählt er von seinen Begegnungen mit Menschen, oder vom Schmerz darüber, dass ihm solche nicht gelungen sind, erzählt von seiner Großmutter, die ihn in die Welt der Märchen eingeführt hat, von seiner Mutter, dieser unermüdlichen Krankheitsbekämpferin im Rollstuhl. Doch dann kann es ihm passieren, dass seine Trauer über jene, die ihre Geschichte nicht leben konnten, weil sie von der Politik ausgelöscht oder zum Spielball zynischer Ressentiments gemacht wurden, in Wut umschlägt. In eine Wut, der es gilt, die Würde des Menschen zu verteidigen. Das ist mehr politisches Programm, als manche Parteien sich ausdenken können.

Köhlmeier schärft die Sinne seiner Zuhörer, nun Leser, für den Missbrauch von Sprache durch politische Parolen, und für die Aufmüpfigkeit, sich dem Populismus zu widersetzen. Er zitiert Roberto Benigni und Leonard Cohen und Giorgio Agamben und Bertolt Brecht. Er sagt: „Ich nehme unseren Innenminister ernst. Er hat alle Tassen im Schrank; sie sind nur anders angeordnet als meine Tassen, aber geordnet sind sie.“ Er denkt laut darüber nach, was es bedeutet, Flüchtlinge „konzentriert an einem Ort zu halten“, über den Hochmut gegen jene, die sich gefälligst hintanstellen sollen, wenn vor ihnen die Schalter geschlossen, die Mittelmeergrenzen abgeschottet werden, es ihnen „ungemütlich gemacht“ wird.

Er philosophiert beinah prophetisch über die, die „den Namen George Soros als Klick verwenden zu Verschwörungstheorien in der unseligen Tradition der Protokolle der Weisen von Zion“. „Sichthaltige Gerüchte“, sagt Köhlmeier, dieser Terminus werde schon bald seinen Weg in die Wörterbücher finden. Und er kommt zu dem Schluss: „Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem großen Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung.“ Unbedingt nachlesenswert!

Über den Autor: Michael Köhlmeier wurde 1949 in Hard am Bodensee geboren und lebt heute in Hohenems in Vorarlberg. Er studierte Germanistik und Politologie in Marburg sowie Mathematik und Philosophie in Gießen und Frankfurt. Michael Köhlmeier schreibt Romane, Erzählungen, Hörspiele und Lieder und trat sehr erfolgreich als Erzähler antiker und heimischer Sagenstoffe und biblischer Geschichten auf. Er erhielt für seine Bücher zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Rauriser Literaturpreis, den Johann-Peter-Hebel-Preis, den Manès-Sperber-Preis, den Anton-Wildgans-Preis und den Österreichischen Würdigungspreis für Literatur. Im Herbst 2018 erschien sein neuer großer Roman „Bruder und Schwester Lenobel“.

dtv Literatur, Michael Köhlmeier: „Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle. Reden gegen das Vergessen“, politische Reden, 96 Seiten. Mit einem Nachwort von Hanno Loewy.

www.dtv.de

  1. 12. 2018