Kammerspiele: Frühstück bei Tiffany

Dezember 5, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ruth Brauer-Kvam erfüllt Capotes Traum

Ruth Brauer-Kvam und Christian Nickel Bild: Sepp Gallauer

Ruth Brauer-Kvam und Christian Nickel
Bild: Sepp Gallauer

Nein, es gibt kein Happy End. Es gibt kein Kleines Schwarzes samt Perlenkette samt Riesensonnenbrille vorm Schaufenster des Nobeljuweliers. Es gibt den oscarprämierten Song „Moonriver“. Sonst hat Michael Gampes „Frühstück bei Tiffany“ an den Kammerspielen nichts mit Blake Edwards Filmfantasie zu tun, die Autor Truman Capote übrigens wörtlich „zum Kotzen“ fand. Gampe hät sich streng an den 1958 veröffentlichten Kurzroman. Beziehungweise an die Bühnenfassung von Richard Greenberg (Österreichische Erstaufführung). Und darin ist alles nicht sooo leicht und lustig – was einige Damen im Parkett zum Seufzen brachte. Buch (erschienen 1958) und Stück handeln vom Leben eines exzentrischen Partygirls, der künstlerbenamsten Hollyday Golightly (eigentlich: Lula Mae), erzählt aus der Perspektive ihres Nachbarn, der sie wegen ihrer ansteckenden Lebendigkeit liebt und bewundert, schließlich die Wahrheit über ihre sorgfältig versteckte Herkunft zutage fördert und als Einziger wirklich zu ihr steht.

Sie ist vollkommen mittellos, schlägt sich aber tapfer mit unverschämtem Charme und überraschendem Einfallsreichtum durchs New Yorker Leben, lässt ihre Verehrer am ausgestreckten Arm verhungern, dreht ihnen trotzdem die Taschen um, ist für jeden Unsinn zu haben, bis  sie das „rote Elend“ überkommt. Holly Golightly, ein von den Eltern wegen deren Tuberkulosetodes verlassenes Kind und bereits mit vierzehn Jahren verheiratet, plant New York zu verlassen und in Brasilien einen reichen Mann zu heiraten. Als sie einen Brief bekommt, in dem steht, dass ihr Bruder Fred beim Militär ums Leben kam, bricht alles zusammen Sie steht unter Verdacht, für den Mafia-Boss Sally Tomato gearbeitet zu haben (den sie gegen Bezahlung jeden Donnerstag in Sing Sing besuchte, um naiv den „Wetterbericht“ durchzugeben: Blitz und Donner in Palermo), und wird deshalb verhaftet. Da ist sie bereits vom Brasilianer schwanger, wird das Kind jedoch durch die brutale Behandlung im Gefängnis verlieren. Ihre geplante Heirat in Brasilien wird abgesagt, da ihr Verlobter ein wichtiges politisches Amt besetzt und keine Frau will, die derart öffentliches Interesse auf sich zieht. Holly will trotzdem ein neues Leben zu beginnen.Jahre später – hier setzt Gampe ein – sehen Barmann Joe Bell (Martin Zauner) und Nachbar „Fred“ (Christian Nickel, benannt nach Hollys Bruder) Fotografien aus Afrika. Holzschnitzereien eines Frauengesichts, das Holly ähnelt …

Die Inszeniernung macht  kein Geheimnis daraus: Holly, als Heranwachsende sexuell missbraucht, ist eine Edelprostitierte. Ruth Brauner-Kvam gibt der Figur Konturen, wie man sie vielleicht noch nie sah. Überdreht, verrückt französisch sprechend, eine Verdrängungsspezialistin, eine Überlebenslügnerin, der die Depression nach der Manie doch oft und oft nicht erspart bleibt. Ihre Anziehungskraft lässt Männer sie wie die Motten das Licht umflirren. Eine spätgeborene Cousine der „Kameliendame“, die bald an der Josefstadt Premiere hat. Die Herren der High Society kommen für ihre Gesellschaft für ihren Lebenswandel auf. Und da hat sie sich ein perverses Panoptikum zusammengestellt. Allen voran Siegfried Walther als großsprecherischen, aber ebenso großherzigen Filmproduzenten O. J. Berman, Nicolaus Hagg als faschistenfreundlichen Rusty Trawler … wunderbar, wie der nicht alle Tassen im Schrank hat. Christoph Zadra als brasilianischer Verlobter José … Fred. Christian Nickel, gleichzeitig auch Erzähler, ist im Versuch seriös zu sein, kein weniger verträumter Verehrer. Der Spießbürger wird in eine Welt gestoßen, in der im Großen der Wahnwitz regiert. In den intimen Szenen sind er und Holly ganz bei sich, ein schönes Paar, schön auch, wie Brauer-Kvam auf der Ukulele und Nickel mit der Trompete harmonieren. Wahrscheinlich erfüllt Brauer-Kvam mehr Capotes Traum von Holly, als er zu Lebzeiten erwarten durfte.

Dennoch klar: Das Stück ist vulgärer, roher, politischer als der allseits bekannte Filmkitsch. Das Lachen ist hier als Capotes Lebenszynismus angelegt. Kaum ein Stoff kommt ihm näher. „Fred“, der erfolglose Autor, der schließlich (kurzzeitig) Journalist wird, ist Capote. Seine Mutter, Lillie Mae, ließ ihn als Kind allein zurück, um Männer in Motels zu treffen. Sie beging später Selbstmord. Adoptivvater Joseph Capote landete wegen Urkundenfälschung in Sing Sing. Kaum wagt man es zu schreiben, dass Hagg eine Art Andy-Warhol-Perücke trägt. Mit dem unvollendeten Roman „Erhörte Gebete“ (1975) löste Capote einen Skandal aus, der ihn für immer von der High Society abschnitt. Und wie Holly wollte das Kind aus Alabama nirgends dringender hin.

Taucht noch Alexander Strobele als „Doc“ auf. Ein Bruch in Gampes Arbeit. Ein „guter Mensch“, der zwei verlassene Kinder bei sich aufgenommen hat und sich nichts dabei dachte, das Mädchen von 14 Jahren zu heiraten und zu beschlafen? Der Teenagerschänder kommt allzu lieb daher. Auch, wenn’s nur eine Empfindung unserer Zeit ist und weiland in den US-Südstaaten möglicherweise durchaus üblich Da wäre anno 2014 mehr Schärfe angebracht gewesen.

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www.mottingers-meinung.at/michael-gampe-im-gespraech/

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=PnA3hoYoJK8#t=16

Wien, 5. 12. 2014

Michael Gampe im Gespräch

November 27, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Kammerspiele: Frühstück bei Tiffany

Michael Gampe

Michael Gampe

Die Kammerspiele bringen ab 4. Dezember Truman Capotes „Frühstück bei Tiffany“ als Österreichische Erstaufführung. Die Verfilmung des Romans mit Audrey Hepburn in der Rolle der bezaubernden Holly Golightly, dem zuerst gefeierten und dann fallengelassenen Darling der New Yorker Society, zählt längst zu einem Klassiker der Filmgeschichte. Legendär wurde der von Hepburn interpretierte und mit einem Oscar ausgezeichnete Song Moon River. Holly Golightly ist der Darling der New Yorker Society. Sie fehlt auf keiner der angesagten Partys der Stadt und schmückt die Titelseiten der Klatschpresse. Ihre Freunde, vorwiegend vermögende Herren aus besseren Kreisen, spendieren ihrer charmanten Begleitung gerne ein großzügiges „Toilettengeld“. Auch Hollys Nachbar, ein mittelloser Schriftsteller, fühlt sich von der anmutigen Frau unwiderstehlich angezogen – aus der anfänglichen Faszination wird rasch Liebe. Und auch Holly empfindet auf ihre Art Zuneigung zu ihm, allerdings ohne ihren Lebensstil zu ändern.

Capote feierte im Alter von nur vierundzwanzig Jahren mit seinem Roman „Andere Stimmen, andere Räume“ einen Sensationserfolg. 1958 veröffentlichte er den Kurzroman Frühstück bei Tiffany, in dem er treffend die schillernde New Yorker Schickeria porträtierte. In die Figur der glamourösen Holly Golightly flossen viele Wesenszüge von Capote ein, wie sein Biograf Gerald Clarke beschreibt: „Von all seinen Charakteren, sagte Truman später, sei ihm Holly am liebsten, und es ist leicht einzusehen, warum. Ihr ganzes Leben ist Ausdruck von Freiheit und Toleranz gegenüber menschlichen Verfehlungen, ihren eigenen wie auch denen aller anderen. Sie ist eine Frau, die aus dem Leben eine Ferienzeit (holiday) macht, durch die sie leichten Schrittes geht (go lightly).“ Aber auch Hollys Ruhelosigkeit und ihr beständiges Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg entsprechen Capotes Biografie.

In den Kammerspielen spielen Ruth Brauer-Kvam (Holly Golightly) und Christian Nickel (Fred) sowie Sarah Jung, Nicolaus Hagg, Oliver Huether, Alexander Strobele, Siegfried Walther, Christoph Zadra und Martin Zauner. Ein Gespräch mit Regisseur Michael Gampe:

MM: Sie ziehen ins Felde gegen Audrey Hepburn, das Kleine Schwarze samt Sonnenbrille, die Perlenkette, die Hochsteckfrisur … alles, woran sich der Zuschauer bei „Frühstück bei Tiffany“ erinnern kann. Warum wollten Sie das Stück auf die Bühne bringen?

Michael Gampe: Ich trete nicht gegen einen Film an, ich spiele den Roman von Truman Capote in der Bühnenfassung von Richard Greenberg. Der Film war die den 60er-Jahren ein großer Erfolg. Capote fand ihn wörtlich „zum Kotzen“ – und ich bin auch kein Fan. Man muss das so verstehen, dass in der Zeit nach dem Krieg die Sehnsucht nach einer heilen, feinen Welt da war. Capote bietet das gar nicht an. Tatsache ist, meine Inszenierung wird nicht sentimental-kitschig sein. Und sie geht auch anders aus, als der Film: Holly Golightly und Fred kriegen einander nicht. Sie geht weg. Sie sind wie die beiden Königskinder, die nicht zueinander kommen konnten.

MM: Weil?

Gampe: Das die Geschichte einer jungen, missbrauchten Frau ist, die schon im Alter von 13 von „Doc“, einem Tierarzt aus Texas geheiratet wurde. Sie stammt aus einer ganz miesen Familie. Daraus stehen all ihre Probleme, und sie beschreitet Ihren Lebensweg mit Grandezza, Leichtigkeit und Charme. Diesen Weg, auf dem sie versucht, von ihren traumatisierenden Erlebnissen wegzukommen. Doch in Wahrheit arbeitet sie sich ihr ganzes Leben daran ab. Das ist Holly Golightly: Eine Edelprostitiuierte, die betrügt, verrät, Menschen verlässt – und die sich einfach nicht fremd bestimmen lässt. Wenn ihr jemand zu nah kommt, wie Fred, muss sie weggehen. Das ist das Hauptthema dieses Abends, das wir mit hervorragenden Schauspielern umzusetzen versuchen: Ein Leidensweg, auf dem sie mehrere andere in den Abgrund reißt. Sartre sagt: Die Hölle sind die anderen. Ich glaube, die Hölle sind die anderen, wenn man aus seinem eigenen Käfig nicht herauskommt. Holly versucht verzweifelt, den Käfig, in den sie gesperrt wurde, zu verlassen, es gelingt ihr nur nicht. Auch das ein universales Thema: Leben wir nicht alle in einem Käfig? Merken wir noch in welchen Konventionen wir gefangen sind? Wer bin ich? Wo bin ich? Und wie bin ich da hineingeraten?

MM: Capotes Text ist viel zynischer, als das, was Hollywood daraus gemacht hat. Wer kam jemals auf die Idee, das eine Komödie zu nennen?

Gampe:Ich nicht. Man muss ein paar Mal schmunzeln, weil es sehr ironisch ist, wie er die „High Society“, die Gesellschaft beschreibt. Aber letztlich sage ich meinen Schauspielern, wir loten die Charaktere aus und versuchen eine Geschichte zu erzählen. Mehr ist nicht. Als dass wir das Publikum berühren wollen. Das ist ein urtrauriges Stück, aber ich glaube, dass Lachen und Weinen auf einem sehr schmalen Grat dahinwandeln. Capote stammt aus Alabama, aus einer Unterschichtsfamilie, ein hochsensibles Kind, ein sehr ambivalenter Mensch. Er wollte unbedingt aufsteigen in die New Yorker Gesellschaft. Seine Figuren Holly und Fred haben viel mit seinem eigenen Leben zu tun. Auch der „perverse“ Rusty Trawler ist ein Teil Capotes, der seine Homosexualität sehr offen gelebt hat, aber nicht annahm, sondern der Tatsache in die Schuhe schob, dass seine Mutter mit Männern in Motelzimmern verschwand und ihn allein ließ.

MM: Wie wirkt Holly auf Sie?

Gampe: Wenn Sie mich ganz persönlich fragen: Vor vielen Jahren wäre ich ihr total verfallen gewesen. Aber ich habe meine eigenen neurotischen Landebahnen zerstört, damit solche Menschen nicht mehr einfliegen können. Sie hat etwas Faszinierendes, ist eine Grenzgängerin, spaziert am Abgrund entlang, kann sich kurz hingeben, kurz Türen in den Himmel öffnen – und ist in der nächsten Sekunde weg. Holly Golightly ist immer auf Reisen. Sind wir das nicht alle irgendwie? Letztlich ist das eine Metapher für unser eigenes Leben. Truman Capote schreibt über Sehnsucht, über Liebe, über den Tod, über die Einsamkeit. Das schlummert hinter den Zeilen, und das spürbar zu machen, ist eine spannende Aufgabe. Holly trägt eine Maske, dahinter steckt ein reines Menschenwesen, aber sie lässt niemanden hinter ihren Schutzschild blicken.

MM: Ruth Brauer-Kvam spielt die Holly. Ihr Qualität?

Gampe: Dass sie in dem Moment, in dem es drauf ankommt, die Maske fallen lassen kann und „nackt“ vor dem Zuschauer steht. Sie hat den Mut entwickelt, immer weniger Schutzmechanismen auf der Bühne zu verwenden. Und sie singt: „Moonriver“, ein Fado mit Ukulele – Musik ist auch im Roman ein Überlebenselexier von Holly. Sie muss den sexuellen Missbrauch, den sie erfahren hat, mit allen Mitteln unterdrücken, sonst könnte sie nicht überleben. Und da hilft ihr auch die Musik. 1958 war der Roman unglaublich provokant. Über Sex (!) zu schreiben, in diesem „freien“ und doch so bigotten Land. Auch Capote hat sich eine Realitätsblase gebaut, um überleben zu können. Nach außen hin war er der Zyniker, gab das „Arschloch“, nach innen ein feinfühliger Freund, ein guter Zuhörer. Er hat sich mit den „Erhörten Gebeten“ aus der High Society heraus katapultiert, weil sie die Kritik, die er übte nicht verstanden oder nicht verstanden haben.

MM: Gibt es von ihm einen sachdienlichen Hinweis, wohin Holly verschwindet?

Gampe: Fred sagt, entweder ist sie tot, im Irrenhaus oder prüde geworden und verheiratet. Wir wissen es nicht – und ich möchte es auch offen lassen. Weil ich es auch nicht weiß.

MM: Wie wird das Publikum auf diese andere (als die Lieblingsfilm-)Interpretation reagieren?

Gampe: Ich glaube, dass sie’s mögen werden, weil die Leute sich gerne berühren lassen.

MM: Waren Sie schon einmal bei Tiffany?

Gampe: In New York nein. Einmal in der Wiener Dependance.

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Wien, 27. 11. 2014

Theater in der Josefstadt: Der Zerrissene

Oktober 3, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Lange nicht mehr so gelacht

Marianne Nentwich, Michael Dangl Bild: Sepp Gallauer

Marianne Nentwich, Michael Dangl
Bild: Sepp Gallauer

Es ist einfach großartig! Gehen Sie hin! Schauen Sie sich das an! Damit könnte man Michael Gampes Inszenierung von Nestroys „Der Zerrissene“ am Theater in der Josefstadt hinlänglich beschreiben. Und aus.

Aber Sie wollen wahrscheinlich mehr wissen. Also. Michael Dangl hat als Herr von Lips seinem schauspielerischen Können eine weitere feine Nuance hinzugefügt. Bislang, bei „The King’s Speech“ http://kurier.at/kultur/the-king-s-speech-sprachlos-schoen/812.273 und „Ziemlich beste Freunde“ www.mottingers-meinung.at/kammerspiele-ziemlich-beste-freunde/, beides in den Kammerspielen, lag Dangls Komik – wie die vieler Großer – darin, eben NICHT komisch zu sein. Nun, zum Hattrick, ließ er sich ganz in die Hände von Regisseur Michael Gampe fallen – und entpuppt sich als Komödiant erster Güte. Zugegeben, man dachte bei seiner Besetzung an einen gerüttelten-geschüttelten Zyniker und Weltverzweifler wie weiland Helmuth Lohner. 1984, bei den Salzburger Festspielen. Auch das spielt Dangl gekonnt, aber eben alles ein bisschen anders. Lange nicht mehr so gelacht im Theater. Wobei die Schenkel vom Klopfen verschont bleiben. Gampe, dieser Meister der Komödie mit Köpfchen, erspart einem das Schnitzeldasein und zeigt einen modernen  Nestroy auf höchstem Niveau. Bravo.

Das beginnt beim „geschmacklos“-neureichen Bühnenbild (von Erich Uiberlacker): einer Säulenhalle in deren Mitte eine güldene Treppe protzt und endet nicht bei Lips‘ dekadenter Gesellschaft, die eine Fête Blanche feiert, in deren Champagnerströmen die Wäsche immer mehr zu Dessous schrumpft. Millionär Lips-Dangl, der überall Verrat und Feindschaft wittert – zu Recht allerdings -, ergeht sich derweil in Langeweile. Und deshalb beinah eine Ehe ein. Mit der wunderbaren Marianne Nentwich als Madame Schleyer. Eine Karikatur der Societyladies S. und S. in pastellrosa Pseudo-Chanel, die im Sekundentakt von der bijoubehängten Bissgurn zur beschwingten Blondine wird, die ihren letzten Rest Sexappeal ins Rennen wirft. La Nentwich, die im Anschluss an die Vorstellung von Direktor Herbert Föttinger zur Doyenne des Hauses ernannt wurde, die Grande Dame der Josefstadt, zeigte im Bravour, wie Schrulle geht. Und das ohne Rücksicht auf Verluste. Vielleicht mit etwas Rücksicht auf die Turmfrisur.

Auftritt Martin Zauner als Schlosser Gluthammer, als Schleyer-Ex, ein rührender Rasender, auch einer, der die Kunst von Tragi-Komisch im Blut hat, immer wieder eine Freude, ihn zu sehen. Nach dem Balkonsturz bildet er mit Siegfried Walther, der als Krautkopf die bauernschlaue Einfalt in Person mimt, ein kongeniales Duo. Beinah Laurel-und-Hardy-würdig; denkt man an den Selbstgebrannten, der flaschenweise fließt, denkt man an die Weinkellerszene aus „Fra Diavolo“ und den von Stan Laurel bestimmt nicht „gespielten“ Lachanfall. Da ist es mit ihm durchgegangen. Kniechen, Näschen, Öhrchen. So wie sich Dangl beim Anblick der Madame Schleyer einmal kurz wegdrehen muss – obwohl er ihn doch eigentlich von den Proben kennen sollte. Auch ein Verschlucken am trocken Brot steckt er locker weg. Der Reiche lernt bei Krautkopf den Wert einer „Milli“ zu schätzen. (Dangl im Dialekt ist übrigens auch nicht schlecht.)

Und die Kathi. Denn erst die Herzenslieb‘ kann den Übersättigten, Abgestumpften, von der Welt an sich und sich selbst im Besonderen Entnervten heilen, erst als er ein verlebter, verliebter Verlobter ist, geht’s ihm gut. Martina Ebm auf der Bühne zuzuschauen, ist die reine Freude. Endlich keine von diesen ätherischanorektischen Nymphen (wiewohl von tadelloser Figur), die Wiens große Häuser durchschweben, sondern eine aus Fleisch und Blut und – pardon! – Goschn und Pfeffer im A***, die sich ihrer Rolle hingibt, ohne „hingebungsvoll“ zu sein. Ebm ist am Theater ebenso zu Hause wie im Film. Und man wünscht ihr von Herzen, dass ihre diesbezüglichen Wünsche in Erfüllung gehen mögen.

Für die Couplet-Texte sorgte Nicolaus Hagg, der mit Oliver Huether und Friedrich Schwardtmann auch einen von Lips‘ Freunderln gibt, und lässt dabei von Austria’s Next Topmodel und Schönheits-OP-Wahn über ÖVP-Kellergeschichten im neuen Ulrich-Seidl-Film und die Betreten-Wegschauerei beim Nähern eines „Augustin“-Verkäufers bis zur Literaturunterrichtsvernichtung zwecks Einheitsmatura keine Narretei aus: Die Bücher verbannten, sind ärger als die, die sie verbrannten. Bleibt, um im Kontext zu bleiben, nur eines zu sagen: So einen grandiosen Abend zu stemmen: Na, da g’hört was dazu!

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Wien, 3. 10. 2014

Festspiele Reichenau: 1914 – Zwei Wege in den Untergang

August 5, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

G’schichtln über die Geschichte

Apis mit den drei Attentätern bei der Angelobung: De Nardo, Gorski, Hoffelner, Graf Bild: Festspiele Reichenau, Carlos de Mello

Apis mit den drei Attentätern bei der Angelobung: De Nardo, Gorski, Hoffelner, Graf
Bild: Festspiele Reichenau, Carlos de Mello

„Muss das denn sein?“, fragt Autor Nicolaus Hagg im Programmheft. Und hält dann ein Plädoyer über die Notwendigkeit des Theaters zur Spekulation, weil es eben mehr könne „als die Tonnen von Fachliteratur“ zum Jahr 1914. „Muss das denn sein?“ Nein, ehrlich, es muss nicht sein. „Legionen von Historikern“ mögen die Menschheitstragödie zwar schon analysiert haben, aber sich sein eigenes G’schichtl über die Geschichte zu erfinden, ist riskant. Und: Von einer „kanonisierten Wahrheit“, wie Hagg sie wahrnimmt, kann auch keine Rede sein. Siehe: www.mottingers-meinung.at/christopher-clark-die-schlafwandler/, ein Sachbuch mit ganz neuem Blick auf die Ereignisse in Sarajevo und den Ersten Weltkrieg. So schmiert die Uraufführung des Auftragswerks „1914 – Zwei Wege in den Untergang“ schon bald nach Beginn ab.

Schade, es war die Produktion auf die man in Reichenau diesen Sommer am meisten gespannt war.

Michael Gampe hat das Stück im Neuen Spielraum inszeniert. Zwei Handlungsstränge bestimmen den Verlauf: Einerseits die Vorbereitung des Attentats durch Apis, den „finsteren“ Chef der Schwarzen Hand – eigentlich „Ujedinjenje ili smrt“ (Vereinigung oder Tod) -, in Serbien, andererseits die Situation am Wiener Hof. Nationalitätenwahnsinn und Großreichssucht auf beiden Seiten. Es geht ums Prinzip. Und bald auch um Princip. Hagg beginnt mit der Hinrichtung von Dragutin T. Dimitrijević, genannt Apis, weil er eine Statur wie der heilige ägyptische Stier hatte, und seines Adjutanten. Für alle die’s interessiert: Dies geschah auf Anordnung des späteren serbischen Königs/Diktators Alexander Karadjordjević. Eine Pikanterie, hatte ihm Apis doch 1903 Vorgänger Aleksandar Obrenović nebst Gattin aus dem Weg geräumt. 1913 wurde er Chef des serbischen Militärgeheimdienstes. Nun heißt’s angesichts der Julikrise „Hochverrat!“ und weg mit ihm. Das alles erzählt Hagg nicht. Er legt den Fokus auf die Attentäter von Sarajevo, die die Hose so voll haben, wie sie den Mund nehmen. Mlada Bosna! Besonders skurril eine Szene, in der Apis die Verschwörer auf ein orthodoxes Kreuz schwören lässt. So stellt man sich Geheimbünde vor! Es wird viel geschrien. Heiliger Krieg und so – wahrscheinlich von wegen „Andocken am Heute“. Hagg setzt auf Fiktion und lässt Fakten links liegen. Sogar anhand von k.k.-Akten belegbare wie etwa den Attentatsverlauf.

Auch schauspielerisch teilt sich die Truppe in zwei Lager. In „Serbien“ ist Marcello de Nardo als Apis der überragende Mann. Was ihm an Bulligkeit fehlt, macht er durch Bühnenpräsenz wett. De Nardo ist immer auf der Höhe, egal was er spielt. Hier ist er ganz Militär, ganz Mission, ein Teufel, der Kinder (Gavrilo Princip und Nedeljko Čabrinović waren 19, Danilo Ilić war 23 Jahre alt) für die politische Idee verheizt, ein Ver- und Reinhetzer. Neben dieser Orkangewalt kann kaum ein Mitspieler bestehen, umso mehr, als Gampe und Hagg ihnen kein Profil geben. Stefan Gorski als Princip darf sich ein bisschen vom Träumer zum Täter entwickeln; die politische Bildung, die Tatsache, dass er für Revolutionsblätter schrieb, bleibt bei „Illic“ Alexander Hoffelner aber außen vor. Dafür herrscht überemotionalisierte Konfusion. Am Wiener Hof dagegen ist der Tonfall schön näselnd überheblich. Hier treffen sich in Rudolf Melichar als Obersthofmeister Montenuovo und Gertrud Roll als Erzherzogin Marie Therese zwei Ebenbürtige. Genauso auf Augenhöhe: Peter Moucka als Hötzendorf und Alexander Lhotzky als serbischer Gesandter, der das Schlimmste verhindern will, aber nicht gehört wird.

Der Schluss stellt sich so dar, dass Montenuovo dem Thronfolgerpaar wegen der Nichtstandesgemäßheit von Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg, Militärschutz verweigerte. Potiorek kommt gar nicht vor. Sachliteratur kann auch ein Segen sein.

Wien, 16. 7. 2014

www.festspiele-reichenau.com

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Kammerspiele: Ziemlich beste Freunde

März 21, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Rollstuhl kann so cool sein wie ein Maserati

Nikolaus Okonkwo (Driss), Michael Dangl (Philippe), Silvia Meisterle (Magalie) Bild: © Sepp Gallauer

Nikolaus Okonkwo (Driss), Michael Dangl (Philippe), Silvia Meisterle (Magalie)
Bild: © Sepp Gallauer

Es ist eine dieser Situationen. Wenn einem ein Freund sagt, dass er schwer-, gar sterbenskrank ist, wenn er erzählt, dass einer seiner Lieben gegangen ist. Was sagt man? Das tut mir leid? Herzliches Beileid? Kann ich etwas für dich tun, du weißt, du kannst jederzeit … Nie sind Worte eindeutiger als Hülsen entlarvt.

Im Jahr 1993 verunglückte ich mit dem Gleitschirm und zerbrach gleichsam in tausend Teile. Mit 42 Jahren war ich auf einmal querschnittgelähmt, vom Hals abwärts. Ich kann mich weder bewegen noch die Menschen, die ich liebe, berühren. Alles, was vorher selbstverständlich war, wurde mir genommen. Durch die jahrelange Erfahrung der Verletzlichkeit und durch die Begegnung mit Abdel habe ich die Zuversicht entdeckt. Damit meine ich nicht die Hoffnung auf ein besseres Leben in der Zukunft, sondern einen zweiten Atem. Es ist ein längerer Atem, vergleichbar mit dem, den die Marathonläufer kennen. Er baut einen wieder auf, verhilft zu mehr Sicherheit und erlaubt es einem, das Leben als Behinderter voll und ganz zu leben. – Philippe Pozzo di Borgo

Philippe, Sproß eines alten korsischen Adelsgeschlecht und Chef des Champagnerhauses Pommery, schrieb einen bewegenden autobiografischen Bericht, „Der zweite Abend“, den die französischen Filmemacher Olivier Nakache und Éric Toledano zum Kinoüberraschungserfolg des Jahres 2011/2012 machten. Nun besorgte Michael Gampe an den Kammerspielen nach der Bühnenfassung von Gunnar Dreßler die Österreichische Erstaufführung. Und Gampe beweist sich wieder einmal als Experte für Komödien mit Tiefgang. Mit Verve umgeht er sowohl die Klamauk- als auch die Betretenheitsfalle. Weil: Lustig haben’s die ziemlich besten Freunde allemal. Philippe stellt Driss (Original: Abdel) als Pfleger ein. Warum? Weil der kein Mitleid mit ihm hat. Er sagt sogar: Heb‘ das Handy ab, weil er einfach vergisst, dass Philippe es nicht kann. Zwei Welten prallen aufeinander: Berlioz und Earth, Wind & Fire. Ein Geistesmensch gegen einen frechen Sozialhilfeempfänger. Ein Ex-Häfnbruder mit einem, dem sein Körper das Gefängnis ist. Die Verwandtschaft  ist schockiert! Weil Driss mit dem Maserati rumdüst, weil Philippe seinen Rollstuhl auf  12 km/h aufrüstet lässt. Um beim Jogging zu gewinnen. Ein Rollstuhl kann so cool sein, wie ein Masarati. Die „sprechende Leiche“ (Driss über Philippe) lernt nämlich wieder leben. Wird jovial auf Joints. Zwei Prostituierte zum Ohrenkraulen – eine herrliche Szene – bringt ihm Driss, der das Luxusleben (Bühnenbild: Erich Uiberlacker) gar nicht packt, auch ins Haus. Philippe lernt über Driss‘ Familie kennen, wie Menschen in schwierigen Verhältnissen überleben. Er ist nicht der einzige, den das Schicksal gepackt hat.

Michael Dangl, der schon in The King’s Speech fantastisch war, schlägt mit der Rolle des Philippe alle seine bisherigen. Im Programmheft bedankt er sich bei dem Herrn, der ihm Einblick in sein Leben als Tetraplegikers gewährt hat. Dangl spielt straight, Verletzungen, körperliche, hatte er genug, er will keine mehr, seelische, und entzieht sich jedem Mitgefühl durch strengen Blick und harsche Worte. Abgesehen von dieser schauspielerischen Leistung ist der Umgang mit dem Rollstuhl eine Erwähnung wert. Wie lange muss Dangl geübt haben, um dieses komplizierte, mit dem Mund gesteuerte Gerät zu beherrschen? Nikolaus Okonkwo bringt das ein, was er selbst „schwarzen“ Humor nennt. Er findet diesen Danse Macabre einfach nur makaber. Und sagt das auch, wenn’s Philippe wieder mal auf die Spitze treibt. An Zynismus bleiben einander Dangl und Okonkwo nichts schuldig. Doch Driss unkonventionell unverkrampfer Umgang mit den Situationen macht vieles erträglicher. Es gibt eben demütigende Rituale, über denen sie beide stehen müssen. Gampe inszeniert das leicht, nie seicht. Nie alles bis zum Ende deklamierend; erfassen muss nicht enthüllen heißen. Gampes Contenance ist mindestens so groß wie Philippes.

Silvia Meisterle gibt die Sekretärin Magalie, weiße Bluse, schwarzer Bleistiftrock, eine gute Seele, besorgt, durch Driss plötzlich auch beschwingt, trotzdem mit einem amourösen Geheimnis ausgestattet. Eine schöne Leistung. Und dann gibt’s da noch Philippes Brieffreundin. Mehr soll nicht verraten werden. Nur so viel: Philippe Pozzo di Borgo, dessen erste Frau an Krebs starb, ist wieder verheiratet, er lebt mit seiner Frau Khadija und den beiden gemeinsamen Töchtern abwechselnd im Familienschloss in der Normandie und in Marokko. Und: Die Kammerspiele haben wieder ein Stück auf dem Spielplan, das man gesehen haben MUSS.

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Trailer: www.youtube.com/watch?v=Q_5FXu6b_pc

Wien, 21. 3. 2014