Theater Drachengasse: nach Lulu

Dezember 13, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Verführerin ist in die Jahre gekommen

Michaela Hurdes-Galli und Lorenzo Tonello. Bild: © Barbara Pálffy

Ein Gedankenexperiment wagen Michaela Hurdes-Galli und Tochter Pippa Galli derzeit im Theater Drachengasse. Als Drachengasse-Koproduktion mit ihrer Truppe „Theaterblau“ zeigen sie die Versuchsanordnung „nach Lulu“. Eine Uraufführung nach Frank Wedekind. Dessen wilhelminisches Enfant terrible ist in die Jahre gekommen. Eine alternde Verführerin ist es, die Michaela Hurdes-Galli spielt, doch scheint sie sich im Laufe des Abends zu verjüngen.

Bis erneut ein Kind auf der Bühne steht. Ihr zur Seite Lorenzo Tonello, der letztverbliebene Mann und doch auch alle Männer in Lulus Leben. Goll, Schwarz, Schigolch und natürlich Dr. Schön. Als solcher, „Erdgeist“-Kenner wissen es, gleichsam auch ein Alter Ego des Autors. Klug gehen die beiden Projektentwicklerinnen nicht nur der Frage nach dem Mythos der Wedekind’schen Figur nach, sondern auch der, wieweit sich das Frauenbild seit 1898 verändert hat. Dazu gibt es spielshowartige Sequenzen, in denen Themen erörtert werden, wie „Wie unsicher muss man sein, um es nötig zu haben, sich überlegen zu fühlen?“ In diesen Momenten ist die Aufführung Satire.

Der Text ist eine Collage, umfasst neben eigenen Passagen unter anderem auch Marguerite Duras, Daphne du Maurier, Jean Cocteau, Marcel Proust, Else Lasker-Schüler, Paul Celan – und Christiane F. Diese Off-Texte kommen via Video von Anna Maria Eder, Pippa Galli, Manfred Baschiera, Thomas Kamper, Hans Wagner und Hendrik Winkler.

Michaela Hurdes-Galli und Lorenzo Tonello. Bild: © Barbara Pálffy

Michaela Hurdes-Galli und Lorenzo Tonello. Bild: © Barbara Pálffy

Da steht es nun also, das süße Wunderkind, mit Stock und schlechtem Bein, und abgeflogen sind die Männer, und philosophiert übers sich wild Ausleben und die ideale Verbindung. Michaela Hurdes-Galli bestimmt das Bühnengeschehen, wie wohl nur sie es kann. Im Spiel träumt sie mehr als sie wacht, versucht Antworten zu erträumen auf Fragen, die unbeantwortet geblieben sind aus ihrem Leben.

Sie kontert den Stimmen, sie rebelliert und stimmt manchmal zu, anerkennend, dass was war, Gültigkeit hat, unveränderbar ist. Zukunft sieht sie keine mehr. Was ihr bleibt, ist der geistige Raum, das Erkennen, soviel als möglich noch, wenn geht … „Diese Abstumpfung“, zitiert sie Schön immer wieder, „braucht keine endgültige zu sein“. Oder sie sagt: „Sexualität bedroht prinzipiell jede gesellschaftliche Ordnung“.

Wer war und wer wahr ist, wer hier wen imaginiert, das müssen die Zuschauer selbst entscheiden. Denn sowohl behauptet Sie, dass er nicht da sei, als auch Er, dass sie ein Gedanke sei, den er „loswerden“ wolle. Loslassen müsse.

„nach Lulu“ ist ein rätselhafter Abend, der sich nie ganz die Maske vom Gesicht nimmt, und darum umso faszinierender. Eine spannende, moderne Auseinandersetzung mit einer der bekanntesten literarischen Frauengestalten – und gewollt auch wie eine Büchse der Pandora auf der Bühne.

www.drachengasse.at

www.muni.at/nach_lulu/start.html

  1. 12. 2017

Ö1-Hörspiel – Adalbert Stifter: Der Hochwald

Mai 2, 2016 in Buch

VON MICHAELA MOTTINGER

Sophie Rois erzählt eine zeitlose Geschichte vom Krieg

Bild: mottingers-meinung.at

Bild: mottingers-meinung.at

Es fängt an mit Geschützdonner. Stimmengewirr. Verzerrten Geräuschen. Der Krieg geht ins wievielte Jahr? „Die Jungen, die Kräftigen und jene mit Geld machen sich auf den Weg, gehen in sichere Gebiete. Die anderen bleiben zurück“, sagt Sophie Rois. „Sie werden Haus und Hof und Familie zu schützen versuchen. Viele werden sterben. Jene, die der Krieg nicht tötet, werden ihre letzten Sicherheiten verloren haben.“ Es war einmal. Es ist noch immer.

Erschreckend aktuell, so beginnt das Hörspiel „Der Hochwald“ nach der 1842 erschienenen Erzählung von Adalbert Stifter, nun von Andreas Jungwirth zum Hörspiel bearbeitet. Zu hören am 7. Mai um 14 Uhr auf Ö1. Ein Vater versucht seine Töchter vor dem – im Original: Dreißigjährigen – Krieg in Sicherheit zu bringen und richtet ihnen in der unberührten Tiefe des Waldes eine Hütte ein. Gut bewacht sollen Clarissa und Johanna dort das Vorbeiziehen des Feindes abwarten. Es ist, als würde hier die Zeit stillstehen, während ringsum der Tod tobt. Doch der Geliebte eines der beiden Mädchen dringt auf der Suche nach ihr bis zum Refugium vor; er wird naturgemäß für einen Feind gehalten – und das Schicksal nimmt seinen verhängnisvollen Lauf.

Bei Stifter erinnert sich ein Wanderer beim Anblick einer Burgruine an die Geschichte, die das Gebäude zu berichten wüsste, so es denn könnte. Jungwirth hat daraus eine Erzählerin gemacht, die großartige Sophie Rois. Die zukünftige Allwissende und die gewesenen Töchter des Edelmanns begegnen einander in einer Zeitlosigkeit. „Es gibt Freuden auf der Welt, die uns zerstören können, und es gibt Leiden, die kann man überstehen“, lässt die ältere Jetzige die jüngeren Vergangenen wissen. Stefanie Reinsperger und Pippa Galli leihen den Schwestern Clarissa und Johanna ihre Stimmen. Und konsequent aus der Perspektive dieser Mädchen lässt Jungwirth die unheilvollen Begebenheiten beschreiben. Er konzentriert sich, mit der Musik von Miki Liebermann und in der akustischen Umsetzung von Anna Kuncio und Manuel Radinger, ganz auf das Ausharren und Verstummen der Menschen in einer ihnen fremden Umgebung.

Bild: mottingers-meinung.at

Bild: mottingers-meinung.at

Der Reiz des „Hochwald“ liegt weniger in seiner Handlung, er findet sich in der Schilderung einer Landschaft im Süden Böhmens, rund um den Blockenstein. Hierin erst werden die Figuren beleuchtet und mit Facetten versehen; sie werden, nach anfänglichem Grauen vor der Wildnis, als Teilhabe am Wald in die Erzählung eingebettet. Er erscheint ihnen bald als eine von den Tagesschrecknissen abgehobene Welt.

Der Krieg ist ein Werk der Menschen, er zerstört sie. Der Wald aber wuchert über das alles hinweg. Rois macht mit ihrer unvergleichlichen Stimme den mystischen Wunderort, die Bäume, Gräser, Moose ohnedies ein lebender Organismus, zum Protagonisten des Hörspiels. Aber wie sie ihn gestaltet, so schwingt gleichsam auch das atemlose Erstaunen der Mädchen oder die abwartende Ruhe der Männer in ihrer Erzählweise mit.

Paul Wolff-Plottegg spricht den Vater, ganz „wunderschöner, ehrwürdiger Greis“, der den Töchtern doch fremd bleibt, Raphael von Bargen den in seiner Werbung zurückgewiesenen Ritter. Michael König ist als Jäger Gregor, der Beschützer der Mädchen, ein Waldwesen, zu dem im Tann „alles spricht, alles erzählt“. Entgegen seiner sanftmütig weichen Stimme steht Laurence Rupp als Ronald. Clarissas Verehrer ist ein unglücklich Liebender, trotzig-verletzt fordert die beiden von einander Erklärungen, die die Liebe kaum zu geben mag. Diese Passagen mit Stefanie Reinsperger sind die schönsten, und Rupp lässt wie vorgeschrieben die „wilde Hoheit“, dieses „etwas das fleht und etwas das herrscht“ seiner Figur anklingen.

Wie der Krieg näher rückt und um Botschaft ausgesandte Knechte nicht wiederkommen, wie durchs Fernrohr nur noch verkohlte Trümmer und andere Schlachtenreste zu erkennen sind, so stattet Jungwirth den Sound mit einem Schellack-Gekratze und Radio-Knistern aus. Wenn der Empfang schlecht ist, ist der Mensch nicht mehr Menschenfreund. Daran vermag auch der Wald nichts zu retten. „Darum haben wir ja den Staat, daß wir in ihm Menschen seien. Denn was den allergrößten Schaden bringt, sind die unreifen Politiker, die in Träumen, Deklamationen und Fantasien herumirren und doch so drängen, dass nur das Ihrige geschehe“, formulierte einst Adalbert Stifter. „Der Hochwald“ – unbedingt hörenswert!

oe1.orf.at

www.andreasjungwirth.at

Wien, 2. 5. 2016

Theater Drachengasse: Thomas Kampers „Anfangen“

Dezember 8, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Das virtuos gespielte Kabinettstückchen

Julia Schranz und Pippa Galli Bild: Daniel Wolf

Julia Schranz und Pippa Galli
Bild: Daniel Wolf

Es muss natürlich mit einem Vorspiel auf dem Theater beginnen. Im Halbdunkel. Als Hör-Spiel. Drei Stimmen. Ein Vorsprechen. Und die Frage: Vorbereitet sein oder im Augenblick sein? Oder ist man im Augenblick, wenn man sich vorbereitet? Anmut oder Armut – das ist hier die Frage.

Thomas Kamper hat ein Theaterstück geschrieben, „Anfangen“, und hat es im Theater Drachengasse selbst inszeniert. Damit ist Wien um einen wunderbaren Autor und Regisseur reicher. Eine grindige Wohnküche steht auf der Bühne, ein mit Kaffeemaschine und Abwasch voll funktionsfähiges Endzeitkabinett, und darin läuft ein virtuos gespieltes Kabinettstückchen. „Anfangen“ erzählt von drei Frauen, die genau das nicht können. Also geht es um Abbruch und Wiederbeginn, um Alkohol und Zigaretten. Man befindet sich mitten in dem, was man eine Stückentwicklung nennt, nur, dass sich nichts entwickelt. Also wird philosophiert über Rausch und Nüchternheit.

Die drei Frauen, lässt sich mutmaßen, sind Schauspielerinnen. Sie haben sich der Welt und den von ihr auferlegten unentwegten  Probenprozessen entzogen, um eine bessere zu suchen, eigentlich zu schaffen. Zwischen Mager-, Trunk- und der Sucht, Feuer zu legen. „Wir haben abgesagt, wir haben entschieden uns abzukapseln, um von drinnen zu sehen, was draußen ist“, sagen sie sich vor. Ein Absurdes Theater, das da abläuft. Denn die Welt lässt sich freilich nicht ausschließen – siehe Straßenlärm in den leisesten Momenten. Wie die Kunst in das Leben sickert, so auch umgekehrt … Das Projekt, das die drei Schauspielerinnen in der Wohnküche zusammengeführt hat, holt sie jedenfalls ebenso wieder ein, wie der ihm zugrunde liegende Text von ihnen eingeholt wird. Ins Textbuch schreiben sie während ihres Divenkriegs – die „Irina“ in Wien gewesen zu sein, schlägt selbstverständlich die Gestaltung der Rolle in St. Gallen – wie Klassenbucheinträge. Nicht, um eine Klischeeschublade zu, sondern um eine Gedankentür auf zu machen, könnte man’s etwa so erklären: Drei Schwestern warten auf Godot.

Thomas Kamper beschreibt das alles mit einem sehr eigenwilligen, feinsinnig-schwarzen Humor. Er lässt seine Figuren durch alle Tiefen und Untiefen des Künstlerdaseins waten. „Anfangen“ ist ein großartiger Beschluss über seinen Berufsstand und dessen Randerscheinungen. Dazu gehört auch, dass Michaela Hurdes-Galli in Selbstironie ihren angegrauten „Förderpreis zur Kainzmedaille“ küsst und kost. Sie bildet mit Pippa Galli und Julia Schranz das verteufelt verzweifelte Trio, das sich um ein paar Chipstüten schart, deren Inhalt geprüft und verkostet wird wie edler Wein. An einigen Merkmalen sind sie festgemacht, diese Clowninnen, allesamt auch fabelhaft als Artistinnen, wie eine Stuhlaufklapp- und eine Kaffekochzeremonie belegen. Galli ist die mit dem Putzfimmel, eine federleichte Fee, der die Welt bestenfalls kaleidoskopartig erscheint. Schranz die burschikosere, körperliche, die von Unruhe getrieben über die Bühne turnt. Hurdes-Galli hat sich ihrem Selbst in Selbstverliebtheit ergeben. Als Aggregatzustände wären sie fest, flüssig und flüchtig.

So entspinnt sich ein überspanntes Hin und Her, ein Auf und Ab der Emotionen, an dessen Höhepunkt der Handstaubsauger alleine laufen darf. Kamper versteht es, Komik punktgenau einzusetzen. Es macht ja immer surreal viel Spaß anderen dabei zuzusehen, wie sie sich abmühen. Das Publikum in der Drachengasse war hellauf begeistert ob der Entdeckung dieses neuen Dramatikers – wiewohl Thomas Kamper vor seinem Engagement im Volkstheater-Ensemble als solcher schon gewirkt hatte. „Wenn wir einen Anfang haben, geht es von selbst“, sind seine drei Frauenfiguren sich sicher. Dann laufen sie bei der Tür hinaus. Hoffentlich in die nächste Kamper-Arbeit hinein. Denn was ihn betrifft, lässt sich mit großer Freude sagen: Er ist gerade beim „Anfangen“.

Thomas Kamper im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=16238

www.drachengasse.at

Wien, 8. 12. 2015

Thomas Kamper im Gespräch

November 23, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Inszeniert sein Stück „Anfangen“ in der Drachengasse

Thomas Kamper Bild: GAMÜKL

Thomas Kamper
Bild: GAMÜKL

Unter Michael Schottenberg war er eine der Stützen des Volkstheater-Ensembles, glänzte als Seujanika im „Revisor“, als Hauptmann im „Woyzeck“ oder als Möbius in „Die Physiker“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=12231), spielte mehr als 150 Rollen. Doch da schlugen noch zwei Seelen in seiner Brust. Die eines Autors und die des Regisseurs. 2005 inszenierte er am dietheater künstlerhaus seinen eigenen Text „Jokebox“.

Nun ist Thomas Kamper bei „Anfangen“. Sein erstes neues Stück nach dem Volkstheater wird im Theater Drachengasse uraufgeführt, Kamper führt selbst Regie. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen, Schauspielerinnen, Pippa Galli, Michaela Hurdes-Galli und Julia Schranz. Sie entziehen sich der Welt, zurück in ihre Wohnung, in diese Wohnküche mit Klo am Gang. Dort wollen sie dem unwirtlich gewordenen Draußen etwas entgegensetzen, eine neue Form des Umgangs pflegen. Was vorhandene Konflikte umso gefährlicher schwelen lässt.  Denn die drei Diven sind keine unbeschriebenen Blätter, sondern die Seiten eines Stückes, das das Anfangen-Wollen komödiantisch auf die Probe stellt. Premiere ist am 7. Dezember. Thomas Kamper im Gespräch:

MM: Sie haben also vorgespult auf „Anfangen“?

Thomas Kamper: Das ist eine Rückkehr zu Dingen, die ich schon gemacht habe: Autor sein, Regisseur sein, vielfältiger sein. 2005 habe ich das zuletzt ausgelebt, dann war es nicht mehr möglich, weil ich im Volkstheater-Ensemble Dienst geleistet habe. Da war das Ensemble Familienersatz, weil so viel zu tun war, dass keine Zeit blieb für irgendetwas anderes. Jetzt, freigesetzt, kann ich tun, was mich noch mehr interessiert als spielen.

MM: Das heißt: Freisein ist Lebensqualität?

Kamper: Es ist für mich vitaler, weil ich mehr Verantwortung habe. Ich trage mehr Risiko, da fühle ich mich lebendiger, als wenn ich nur eine Teilverantwortung habe und mich mit Leuten herumschlagen muss, deren Vorstellungen ich nicht teile. Im Ensemble führt man eine Art Doppelleben, man denkt sich: Wenn das durchgestanden ist, dann werde ich die Möglichkeiten haben zu tun, was ich will, dann, dann … Das geht von Jahr zu Jahr weiter und nichts ereignet sich. Das heißt nicht, dass alle, mit denen ich gearbeitet habe Idioten waren, aber es gab nur ein paar, mit denen ich wirklich glücklich war.

MM: Geht Ihnen das Spielen nicht ab?

Kamper: Ich bin kein besessener Schauspieler, mich interessiert das Theater aus verschiedenen Aspekten. Ich glaube schon, dass es für einen Autor und Regisseur von Vorteil ist, wenn er mit dem Spielen Erfahrung hat. Ich weiß aber auch, wie ein Regisseur einen Prozess blockieren kann. Da muss ich mich sehr zurücknehmen, da sind bei unseren Proben schon Konflikte entstanden. Hier kann man das halt direkter austragen, als in einem Betrieb, wo alle darauf bedacht sind, dass alles seine Ordnung behält.

MM: Und die Kehrseite der Medaille? Sie müssen sich ums Geld selber kümmern, um Aufführungsorte …

Kamper: Ja, die Sicherheit, dass Ende des Monats ein Gehalt auf dem Konto ist, gibt es nicht. Ich bin aber ohne Angst in diese Freiheit gegangen. Ich hätte auch nichts dagegen, etwas anderes zu tun, das Leben von einer anderen Seite kennenzulernen. Damit meine ich, nicht unbedingt am Theater zu sein. Aber es ist einmal schön, nicht um fünf Uhr früh aufzustehen, um vor der Probe noch zu schreiben. Es ist schön, einmal selber über seine Zeit zu verfügen. Die Kehrseite der Medaille will ich mir jetzt noch nicht vor Augen führen.

MM: Jetzt möchte ich aber wissen, was Sie sich vorstellen könnten, anderes zu tun.

Kamper: Einen Sozialberuf ausüben, wo man etwas für die Menschen tut, ganz praktisch, nicht so abstrakt wie beim Theater.

MM: Freisein ist jetzt Ihre Chance, Ihr Theaterverständnis umzusetzen. Das da wäre?

Kamper: Die altmodische Laborsituation, in der das Ergebnis lange nicht feststeht. Ich als Regisseur lege Eckpunkte fest, aber dazwischen ist freier Entfaltungsspielraum. Das ist eine Balance, die schwer zu finden ist, darauf wird im normalen Theaterbetrieb wenig Rücksicht genommen, da muss man sich immer sehr konditionieren, dass man erfüllt, was gefordert wird. Dieser Erfüllzwang sollte total reduziert werden, damit Fantasie stattfindet. Das wäre das Wichtigste. Sonst habe ich ein total konventionelles Theaterverständnis. Mich interessieren die Grundfragen – Zeit und Raum.

MM: Wie kam’s nun zu „Anfangen“?

Kamper: Wir haben uns schon früh getroffen, mit den drei Schauspielerinnen Pippa Galli, Michaela Hurdes-Galli und Julia Schranz, und das Stück gemeinsam entwickelt. Mit Assoziationen von den drei Nornen bis zu den drei Hexen. Das ist eine Zeit, die man am arrivierten Theater gar nicht mehr hat. Dann gab es einen Zeitpunkt, wo nichts mehr weiterging. Und über diesen Prozess des Probens habe ich einen Text geschrieben. Eine Vorlage, auf der wir nun aufbauen. Wir arbeiten sehr über Improvisation und ich versuche herauszufinden, was die Schauspielerin will. Als ich den Text im Kopf hatte, hatte ich einen ganz anderen Weg vor Augen, als er jetzt geht. Das ist für mich interessant. Ich will mir ja nicht ständig selber begegnen, ich will wissen, was andere Menschen mit mir machen. Ich gerate zwar gerade in den Konflikt, dass mich diese künstlerische Freiheit mitunter überfordert, aber das ist mir lieber, als ich gerate gar nicht dorthin.

MM: Drei Frauen ziehen sich aus der Welt in eine Wohnung zurück, um bei null wieder zu beginnen. Da hat’s ein Echo der „Drei Schwestern“.

Kamper: Mein Stück hat tatsächlich mit Tschechow zu tun, es gibt Anspielungen für Insider, ist aber hoffentlich auch sehr komödiantisch. Die Pointe ist, dass gerade aus dem Unvermögen anzufangen, etwas entstanden ist. Das ist wie bei den Menschen, die immer hoffen, dass ihr Leben beginnt, während sie es schon leben. Am Schluss, wenn man stirbt, bleibt einem nichts anderes über, als anzuerkennen, dass es das war.

MM: Warum ein Wiederanfang als Komödienautor?

Kamper: Es ist ein Kammerspiel mit einem sehr eigenen Humor, von dem ich hoffe, dass er aufgeht. Es ist kein Boulevardstück, wiewohl ich dieses Genre sehr respektiere, es ist eher Clownerie. Und wie jede Clownerie hat sie einen existenziellen Hintergrund. Es gab, als ich jung war, Regisseure wie den Rudolf Noelte, die einen unglaublichen Realismus auf die Bühne gebracht haben. So stelle ich mir das sprachlich und szenisch auch vor.

MM: Wenn wir schon bei tief und existenziell sind: Wie muss man leben, um am Ende nichts zu bereuen?

Kamper: Wenn man weiß, dass man alles so getan hat, weil man nicht anders konnte, und es war gut so. Das ist die einzige Möglichkeit, zu Frieden zu kommen.

MM: In Ihrem Text heißt es: „Wir hocken uns in eine Ecke der Welt und warten, bis man uns bemerkt“. Haben Sie da das Lebensmotto vieler Menschen aufgegriffen?

Kamper: Es hat mit den Verlorenen in der Gesellschaft zu tun, die das Gefühl haben, das sie nichts wert sind. Dieses Gefühl beantworten meine drei Schauspielerinnen mit Rückzug. Es gibt momentan gesellschaftlich nur diese zwei Möglichkeiten: Man zieht sich zurück ins Private oder man geht total hinaus. Dazwischen gibt es offenbar nichts mehr. Das Leben kommt aber auch in den hermetisch abgeschlossenen Raum – und es findet auch zwischen diesen dreien statt. Das Leben kennt keinen Anfang und kein Ende, damit müssen meine Figuren umgehen.

MM: Die Produktion ist ein Familienbetrieb.

Kamper: Ja, aber das spielt für mich keine Rolle. Ich behandle Pippa als meine Tochter nicht anders als andere Schauspieler. Mit Michaela habe ich oft zusammen gearbeitet, Julia kenne ich aus St. Pölten, vom Landestheater. Das sind alles Menschen, mit denen mich etwas verbindet, von denen ich denke, dass man mit ihnen etwas ausprobieren kann. Wo’s nicht so wahnsinnig viel Überredungskunst braucht, wo man sich nicht ständig rechtfertigen muss oder auf dem Prüfstand steht, weil man ohnedies eine gemeinsame künstlerische Sprache spricht. Wo man einen Grundkonsens hat und nicht ständig mit Reibung konfrontiert ist.

MM: Haben Sie schon über diese Arbeit hinausgedacht?

Kamper: Ich würde am liebsten mit einem Kreis von Schauspielern arbeiten, die mir nicht so nah sind, die ich aber kenne – ich habe schon Namen im Kopf, die ich fragen möchte, ob sie sich mit mir zusammentun -, und wieder auf diese Art ein Stück entwickeln, einen Text vorantreiben. Also quasi zuschauen und dann darüber schreiben. Ich bin ein Praktiker. Ich denke immer so mit: Wenn ein Requisit da steht, aber dort gebraucht wird, wie bringe ich es hin …? Das macht ein anderer Autor vielleicht nicht. Ich denke immer szenisch. Außerdem arbeite ich gerade an einer Prosa. Nix Dramatisches, nur eine Geschichte.

www.drachengasse.at

Wien, 23. 11. 2015

High Performance

April 8, 2014 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Mandarinen lügen nicht

Bild: FreibeuterFilm

Bild: FreibeuterFilm

Rudi ist ein Manager im Höhenflug, selbstbewusst und strahlend wird er akklamiert bei einer Wirtschaftspreisverleihung. Er hat eine Karriere gemacht auf die seine Eltern, seine Frau und seine beiden kleinen Töchter stolz sind. Sein Bruder Daniel ist ein strauchelnder Künstler. Er kommt zu Rudis Fest, um zu gratulieren. Aber er wird von den Türstehern erst einmal gar nicht reingelassen, er passt so gar nicht in die Welt des Erfolgs. Hilfsbereit und jovial bietet Rudi seinem Bruder Daniel einen Job an: ein Sprechcoaching, schnell verdiente 2.000 Euro, um Nora Windisch, der vielversprechendsten IT-Mitarbeiterin seines Softwarekonzerns für eine wichtige Präsentation Nachhilfe in Rhetorik und Selbstbewusstsein zu geben. Es ist zwar ein Auftrag, den Daniel leicht erledigen könnte, es ist aber keiner, der ihn sonderlich interessiert: Geld ist nicht die Währung des ambitionierten Künstlers. Doch das hindert ihn nicht, seinen Vater in finanziellen Nöten um Unterstützung anzupumpen, soweit gehen die Prinzipien dann ja doch wieder nicht. Rudi aber weiß, welche Hebel er bedienen muss, um das Nein des Bruders in ein pflichtbewusstes, wenn auch zögerliches Ja und einen immer weiter greifenden Gefallen umzumodeln. Aber das Coaching entpuppt sich sehr rasch als ganz andere Aufgabe: Rudi, verheiratet mit Barbara und Vater einer Tochter, möchte dass Daniel die Kollegin Nora unter falschem Namen näher inspiziert. Rudi, der Chef, interessiert sich für sie, kann sich aber in seiner Situation nicht frei bewegen, also schickt er seinen kleinen Bruder inkognito vor. Die potentielle Herzdame erweist sich als lustig, als schlau und charmant. – Nur driftet das „Abtesten“ in die falsche Richtung: Noras Sympathie gehört Daniel und bestimmt nicht dem glatten Chef, wie spätestens der Kuss nach dem Theaterabend zeigt, der der Verkupplung von Nora und Rudi hätte dienen sollen. Und irritierenderweise scheint sich Daniel auch weit mehr für Nora zu interessieren als der Auftraggeber – der angeblich verliebte Rudi. Was wird hier gespielt? Was will Rudi wirklich? – Peu à peu erhascht Daniel einen Blick in Rudis Karten, was Daniels Gewissen nicht eben erleichtert. Er hat schon viel zu lange als Marionette in diesem Stück agiert. Als Rudi ein generöses Sponsoring für Daniels finanziell unterdotiertes Theaterkollektiv auf den Tisch legt, sieht es mit der Moral für Daniel noch schlimmer aus. Kann es einen Helden geben in einer Situation wie dieser? Von wem kann man hier behaupten, er würde eine „High Performance“ abliefern?

In der Regie von Johanna Moder spielen Marcel Mohab, Manuel Rubey, Helmut Berger, Lisa Weidenmüller, Jaschka Lämmert, Pippa Galli, Pia Hierzegger, Elfriede Schüsseleder; Special Appearance – Ulli Bäer.

http://highperformance-film.at

Trailer: www.youtube.com/watch?v=FFx0LmhEA5E

Wien, 8. 4. 2014