Theater zum Fürchten: Revanche / Sleuth

Juni 16, 2022 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Großes Tennis beim Schauspieler-Serve-and-Volley

Otto Beckmann als Lover Milo Tindle und Johannes Terne als gehörnter Gatte Andrew Wyke im detailverliebten Bühnenbild von Regisseur Sam Madwar. Bild: © Bettina Frenzel

Als letzte Saison-Premiere in der Wiener Scala zeigt das Theater zum Fürchten Anthony Shaffers „Revanche. Mord mit kleinen Fehlern“, mit dem der Zwillingsbruder des berühmteren Dramatikers Peter Shaffer 1970 bei der Uraufführung in London einen Welthit landete – ansonsten blieben Anthonys Ausflüge ins Fach des Theaterautoren eher unbemerkt, er machte sich stattdessen als Drehbuchautor der Agatha-Christie-

Verfilmungen „Das Böse unter der Sonne“, „Tod auf dem Nil“, „Mord im Orientexpress“ und von Alfred Hitchcocks Thriller „Frenzy“ einen Namen. Unter dem Originaltitel „Sleuth“, umgangssprachlich für „Schnüffler“ im Sinne von Detektiv, wurde die Kriminalkomödie zwei Mal verfilmt: 1972 von Joseph Mankiewicz mit Sir Laurence Olivier als Andrew Wyke und Michael Caine als Milo Tindle und 2007 von Kenneth Branagh nach einem Drehbuch von Harold Pinter mit Michael Caine nun in der Olivier-Rolle und Jude Law als Milo Tindle.

Die Handlung dürfte also als bekannt vorausgesetzt werden: In seinem englischen Landhaus, das mit teuren Kuriositäten und witzigen Maschinchen vollgestellt ist, die die Vorliebe ihres Besitzers für Spielchen aller Art widerspiegeln, empfängt der Bestsellerautor von Kriminalromanen Andrew Wyke einen besonderen Gast: Er lädt den Liebhaber seiner Frau, den Friseur Milo Tindle, zu einem „Spiel“ ein: Wenn der mittellose Milo zwecks Versicherungsbetrugs einen fingierten Juwelendiebstahl hier im Haus begeht, überlässt Wyke ihm nicht nur seine Frau, sondern auch den Schmuck zur Finanzierung eines standesgemäßen Lebens.

Klar, dass der Vorschlag eine Reihe von Ereignissen auslöst, die die Grenzen zwischen Wettkampf und Kampf, blutigem Ernst und Mordsspaß auf das Durchtriebenste verwischen. Als Tindle von der Bildfläche verschwindet, erscheint ein mysteriöser „Inspector Doppler“ auf der Jagd nach einem Killer …

Fürs TzF hat Sam Madwar inszeniert und auch den Raum – mehr als dustere Ritterburg denn als Chalet – gestaltet, und so ist auch das Prunkstück zwischen den bezeichnenden Spielbrettern für Schach, „Fuchs und Henne“ oder „Mensch ärgere dich nicht“ eine Ritterrüstung, die per Knopfdruck in hämisches Gelächter ausbricht. In diesem Setting bestreiten Johannes Terne als Wyke und Otto Beckmann als Tindle das fintenreiche, verbal-intellektuelle Duell der beiden Antagonisten – das mit einer kuriosen Pointe ein überraschendes Ende findet.

Bild: © Bettina Frenzel

Bild: © Bettina Frenzel

Bild: © Bettina Frenzel

Terne füllt die Szenerie mit seiner Bühnenpräsenz, mit giftsprühender Intensität und im Laufe der Begebenheit mit zunehmend verzweifelter Wut. Er gibt den exzentrischen Schriftsteller, der sich an seinem Werk grandios zu delektieren weiß, süffisant, sarkastisch, spleenig, versnobt, sein Narzissmus maximal von seinem Ennui übertroffen – und logisch, dass dieses von sich so überzeugte „Genie“ das italienische Gastarbeiterkind „Figaro“ Tindle was Upper Class und geistreiche Art betrifft für deutlich unterlegen hält. Welch ein Irrtum. Aus seinem jüngsten literarischen Hit „Die Leiche auf dem Tennisplatz“ liest Wyke der Gattin Lover nicht einfach vor, vielmehr schlüpft er in die Rollen aller seiner Romanfiguren, und so hat’s Sam Madwar – mit feiner Hand für die Charaktere, viel Hinter-/Sinn für die spitzzüngigen Dialoge und um spooky Effekte nicht verlegen – inszeniert:

Seine „Revanche“ ist ganz großes Tennis mit schauspielerischem Serve-and-Volley-Spiel, mit Otto Beckmann als Milo Tindle als Ternes kongenialem Pendant, denn Tindle erweist sich bald als ebenbürtiger Partner in Wykes „Spiel“, auch er enttarnt sich als Master of Gamesmanship *.

*Die Legende besagt, Anthony Shaffer hätte die Idee zu „Sleuth“ nach einer der berüchtigten Spielenächte bei Musicalkomponist und -texter Stephen Sondheim gehabt, der für seine Rätselleidenschaft gefürchtet war, und regelmäßig Gäste in sein bis zur Decke mit alten Brett- und Ratespielen angefülltes New Yorker Appartement zu „The Murder Game“ lud, bei dem die Anwesenden gleich Cluedo-Detektiven einen Mord aufklären mussten.

Bild: © Bettina Frenzel

Bild: © Bettina Frenzel

Bild: © Bettina Frenzel

„Karl Steinsch“ als mysteriöser Inspector Doppler. Bild: © Bettina Frenzel

Die Partie beginnt. Zwecks Einbrecher-Verkleidung zwingt Wyke Tindle in allerlei lächerliche Gewänder: in die Mönchskutte von Pater Langfinger, eine Ku-Klux-Klan-Kapuze, ein Marie-Antoinette-Kleid, die Kostüme sind von Anna Pollack, bis er endlich ein Dummer-August-Outfit als passend befindet – in dem sich der scheint’s gutmütige und schwer gedemütigte Tropf Tindle anfangs tatsächlich zum Clown macht. Terne unterstreicht Wykes Verachtung für den „Papagallo“ mit zunächst subtilen Gesten, doch je weiter dessen perfider Plan gedeiht, umso brutaler reißt man sich gegenseitig die Masken vom Gesicht in diesem „nie enden wollenden Reigen verhüllter Identitäten“, wie Wyke sagt.

Die kleinen Bösartigkeiten wachsen sich zu größeren aus. Terne und Beckmann performen ihre Rollen als Cracks aus jenem Holz, aus dem die Gambler geschnitzt sind. Bei der Verwüstung des Hauses, der Raub soll ja echt aussehen, zerreißt Tindle genussvoll die Hoflieferanten-Hemden seines Gastgebers oder zerfleddert dessen neuestes Manuskript, der wiederum hat flugs einen Revolver zur Hand, mit dem er vorerst das Antlitz seiner Angetrauten aus dem Hochzeitsfoto schießt. Milo Tindle macht auf ängstlich und irritiert, der eiskalt sein Mütchen kühlende Wyke zunehmend auf irrsinnig, aber schon bald, heißt: nach der Pause, wird ihm die Arroganz aus dem Gesicht fallen und die Contenance flöten gehen.

Auftritt nämlich ein gewisser „Inspector Doppler“, dargeboten vom – wie seine zwei Kollegen TzF-Debütanten – „Karl Steinsch“, über den im Programmheft zu erfahren ist: Geboren in der Theaterhauptstadt St. Pölten, Schauspielausbildung an der Autodidaktica in Castrop-Rauxel, und nein: hier wird nicht gespoilert. „Steinsch“ spielt den adipösen Schnüffler bärbeißig und unnachgiebig; Doppler ist schließlich auf der Suche nach dem wie vom Erdboden verschluckten Coiffeur Tindle beziehungsweise dessen Leiche und damit dessen Mörder. Und während Ternes Wyke ein Alibi haarscharf entlang der Wahrheit hervorstottert, baut das ermittelnde Schwergewicht Indiz um Indiz seine Falle auf …

Bild: © Bettina Frenzel

Bild: © Bettina Frenzel

Bild: © Bettina Frenzel

Dass Johannes Terne und Otto Beckmann in der Schlussrunde das komödiantische Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten, wurde vom höchst amüsierten Premierenpublikum mit viel Gelächter und Applaus goutiert; der leichtfüßig tänzelnde, sich very british gebende, vor Verve sprühende Johannes Terne; Otto Beckmann als Gamechanger Tindle ein Fall für Frauen, die auf den Typ Teddybär fliegen, und großartig ist, wie Beckmann seinen Hairstylisten zur Hochform auflaufen lässt.

„Revanche“ ist der quintessentielle Krimi über einen Schuss, der im Wortsinn nach hinten losgeht; das Suspense-Stück veralbert das Genre und bedient es gleichzeitig virtuos. Sam Madwar hat daraus ein Fest für Schauspieler gemacht, die einander im rhetorischen Schlagabtausch und bei ständig wechselnden Machtverhältnissen nichts, und den Zuschauerinnen und Zuschauern alles schenken. „Darauf einen Gin!“ – „Zum Wohle von Queen Mum!“

Zu sehen bis 25. Juni.

TIPP: Am 14. August hat das Theater zum Fürchten als Theater im Bunker mit „Aventura. Von den Abenteuern im Kopf und anderswo“ Premiere. Ein extravagantes Stationentheater im kilometerlangen System des ehemaligen Mödlinger Luftschutzstollens. Alle fünfzehn Minuten startet eine Gruppe ZuschauerInnen und begegnet auf der Wanderung durch den Bunker SchauspielerInnen, Bildern, Installationen und Szenen, aus denen sich im Kopf der Betrachtenden ein Stück zusammenpuzzelt. Konzept und Buch: Bruno Max, Raum: Marcus Ganser.

BONUSTRACK: Johann Nestroys „Umsonst“, inszeniert von Bruno Max, als kostenloser Stream: www.youtube.com/watch?v=jsoPuvu-3uY&t=3s

www.theaterzumfuerchten.at

16. 6. 2022

Theater zum Fürchten: Glorious!

November 13, 2021 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Tania Golden triumphiert als Florence Foster Jenkins

Die Königin der Dissonanzen: Tania Golden und Rafael Wagner. Bild: © Bettina Frenzel

Es ist, man muss es sagen, die ganz große Kunst der Tania Golden, so! famos falsch zu singen, wo sie’s doch so brillant richtig kann. Die Schauspielerin und Sängerin tut Ersteres derzeit in der Scala, der Wiener Zweigstelle des Theaters zum Fürchten, als Florence Foster Jenkins – und wem die Dame irgend bekannt vorkommt, ja, es gibt einen grandiosen Film mit Meryl Streep, Hugh Grant und „The Big Bang Theory-Howard“ Simon Helberg.

Fürs TzF hat nun Rüdiger Hentzschel die Komödie des britischen Autors Peter Quilter, „Glorious!, inszeniert, Boulevard at it’s best, mit dem einzigen Fehler, dass der Abend nicht lange genug dauert, wollte man dem entfesselten Ensemble doch noch ewig zuschauen – nicht umsonst erklang aus dem Publikum am Ende der Ruf nach einer „Zugabe!“, allen voran der Tania Golden, die von der Glöckchenarie aus „Lakmé“ über einen neckischen „Mein Herr Marquis“ bis zur hochdramatisch dargebotenen Rachearie der Königin der Nacht nichts auslässt. Und wie sie quietscht, gurrt, jault, der Stimme zuliebe mit Sherry gurgelt, da wegen der Passform der Kostüme enthaltsam, einem Kuchen hinterherschmachtet, sich bis zum „dreifach gestrichenen F“ emporkiekst, das ist einfach fabelhaft. Jeder Ton kein Treffer.

Die Story selbst ist eine wahre. Florence Foster Jenkins, 1868 bis 1944, begüterte Tochter des Anwalts und Bankiers Charles Foster, vom ersten Ehemann Frank Jenkins mit Syphilis angesteckt – und geschieden, konnte es sich leisten, ihrer Leidenschaft zu frönen: dem Singen. Nur dass, während sich die Mäzenatin und Verdi-Club-Gründerin als engelsgleiche Koloratursopranistin wahrnahm, ihre Intonation, ihr Rhythmusgefühl und ihr Tempo tatsächlich schwankte und krängte wie die Titanic.

Tania Golden. Bild: © Bettina Frenzel

Tania Golden. Bild: © Bettina Frenzel

Rafael Wagner und Tania Golden. Bild: © Bettina Frenzel

Doch ihr exzentrischer Freudinnen- und Freundeskreis aus der New Yorker High Society liebte die exaltierte Madame Florence, ihre Auftritte wurden zum Geheimtipp, wodurch sich die Künstlerin in ihrem Tun zusätzlich bestärkt fühlte – bis sie sich am 25. Oktober 1944 im Alter von 76 Jahren dem Druck der Fans alias der Spötter beugte, und ein öffentliches Konzert in der ausverkauften Carnegie Hall gab. „Die Leute können vielleicht behaupten, dass ich nicht singen kann, aber niemand kann behaupten, dass ich nicht gesungen hätte“, ist ein berühmtes Zitat, das auch Tania Golden über die Lippen perlt.

Bei Peter Quilter erzählt das Rafael Wagner als Pianist Cosmee McMoon, der Musiker und Medienkomponist die Entdeckung der Aufführung, charmant am um nichts weniger schräg als seine Besitzerin gestimmten Flügel, er zögert, er zaudert, sein Cosmee versucht ob Madame Florence „exzessivem Stimmvolumen“ die Contenance zu wahren, wo sich die Zuschauerinnen und Zuschauer auf ihrer vollgefüllten Tribüne längst vor Lachen biegen. Er changiert zwischen fatalistischem In-die-Tasten-Hauen und Erklärungsbedarf, warum er das tat. Supersympathisch ist das alles, der Zyniker mit seinen doppeldeutigen, heißt: nie die Wahrheit verschweigenden Komplimenten, der an Florence Gabe, nur das Positive zu hören, zerschellt, Cosmee dessen Aggregatzustände sich von Entsetzen, Faszination, Zuneigung zur ergebenen Liebe steigern.

Madame Florence und Bettina Soriat als mürrisches, mexikanisches Hausmädchen Maria. Bild: © Bettina Frenzel

Madame Florence mit bester und ergebenster Freundin Dorothy: Claudia Marold. Bild: © Bettina Frenzel

Das kommt dem Publikum spanisch vor: Rafael Wagner und Tania Golden. Bild: © Bettina Frenzel

Alexandra-Maria Timmel als Kritikerin Mrs. Verindah-Gedge, re.: Hendrik Winkler als St. Clair Bayfield. Bild: © Bettina Frenzel

Um nichts weniger treu dienend sind Hendrik Winkler als verkrachter Schauspieler und Florence Common-Law-Ehemann St. Clair Bayfield und Claudia Marold als beste Freundin Dorothy. Bettina Soriat liefert die Kabinettstückchen als mürrisches, mexikanisches Hausmädchen Maria. Alexandra-Maria Timmel stört als harsche Kritikerin Mrs. Verindah-Gedge die (Dis-)Harmonie nur für Minuten, nimmt doch Madame Florence jede Bemängelung nur als von Claqueuren rivalisierender Diven verbreitete Missgunst zur Kenntnis.

Und über allen: Tania Golden. Die ihre Florence nie verrät. So laut, so überkandidelt, so ein wenig vulgär, so auch herzensgut. Ohne eine Darstellerin dieses Formats ist “Glorious!“ undenkbar. Wie ihre Florence vor Entschlossenheit und Wissen ums eigene Talent strahlt, wie sie siegessicher unter ihren Löckchen hervorblickt, während sie Mozart und Strauss musikalisch ermordet, wie sie keine Tragödie an ihre Triumphe ranlässt, das muss man gesehen haben. Das Publikum jedenfalls war gutgelaunt und begeistert – und spielt in dem Sinne mit, als sowohl Tania Golden als auch Florence Foster Jenkins sich diesen überbordenden Applaus verdient haben.

Vorstellungen bis 20. November.

www.theaterzumfuerchten.at           www.taniagolden.com

TIPP: Am 18. November hat Tania Golden im KiP-Kunst im Prückel mit der Komödie „Oh mein Gott“ von Anat Gov Premiere – mit Hubsi Kramar und Anna Starzinger am Cello.

www.kip.co.at

  1. 11. 2021

Theater zum Fürchten: Betrogen

Oktober 22, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Affären sind auch nur eine Art Ehe

Ein starkes Bild mit Teddybär: Sophie Prusa und Boris A. Popovic, hinten: Leopold Selinger. Bild: Bettina Frenzel

„Wie geht´s?“ „Danke, und dir?“ „Alles bestens!“ „Bei mir auch.“ Diese Sorte verkniffenen Small Talks bekommt man in den kommenden neun Szenen des Öfteren zu hören. Das Theater zum Fürchten zeigt an seiner Wiener Spielstätte, der Scala, Harold Pinters „Betrogen“. Dies Stück, wenn richtig gerechnet, zuletzt 1978 am Akademietheater zu sehen, und wer die Werke des Literaturnobelpreisträgers gedanklich längst zum alten Eisen gelegt hat, den wird diese Inszenierung von Isabella Gregor eines Besseren belehren.

Pinters hinterlistiger Blick auf die Doppelmoral der europäischen Mittelschicht ist nach wie vor in vielen Belangen gültig, des Autors Ansinnen, den Biedermann und Wohlstandsbürger zu demontieren, in Gregors erster Arbeit für das TzF mit dem Ensembletrio Sophie Prusa, Leopold Selinger und Hausdebütant Boris A. Popovic vom Feinsten umgesetzt.

Mit einem kleinen Einwand betreffs Frauenbild, Szene 6/1973 – Wer trifft sich schon mit seinem Geliebtem in der gemeinsamen geheimen Wohnung, um einen Eintopf aufzusetzen? Darum geht es also. Pinter erzählt eine Dreiecksgeschichte.

Zwischen Lover Jerry, Emma und deren Ehemann Robert, doch tut er dies im Rückwärtsgang von 1977 nach 1968, man begegnet Emma und Jerry eingangs in der Schlussszene, als ihr pendant l’amour seit zwei Jahren vorbei ist. Da nun Robert seitenspringt, und erfahren hat sie’s vergangene Nacht, soll Jerry Emma seelisch zur Seite stehen. Was diesen zur sofortigen Aussprache mit seinem besten Freund veranlasst, in Panik seine alte Geschichte könnte aufgeflogen sein.

Was sie auch ist. Doch lautet Roberts trockener Kommentar dazu: „Sie hat mir gestern Nacht nichts von euch beiden erzählt. Sie hat mir vor vier Jahren von euch beiden erzählt …“ Nach Isabella Gregors Idee hat Marcus Ganser zur zerstörten ménage à trois einen zerschmetterten Zauberwürfel auf die Bühne gestellt (das Publikum übrigens gesichert durch seitliches Plexiglas). Mit jeder Drehung öffnen sich neue, ungeahnte Räume, bis am Ende, als Jerry Emma auf deren Party seine Verliebtheit gesteht, Rubik’s Cubes Seiten zum Ganzen gefügt sind. Eine exzellente, eine raffinierte Idee. Wie auch die, stets alle drei Schauspieler anwesend sein zu lassen, der am Dialog gerade nicht beteiligte, hinter einer Gazewand kaum zu sehen, aber sichtbar da.

Boris A. Popovic und Leopold Selinger. Bild: Bettina Frenzel

Boris A. Popovic und Sophie Prusa. Bild: Bettina Frenzel

Leopold Selinger, hinten: Sophie Prusa. Bild: Bettina Frenzel

Boris A. Popovic und Leopold Selinger. Bild: Bettina Frenzel

Das berührt besonders in einer Episode in Emmas und Jerrys Liebesnest, vorne heiße Küsse, während hinten Robert nachdenklich den Teddybären seines Sohnes in Händen hält. Den Reiz, dass man bereits weiß, wie es weitergegangen sein wird, reizt Gregor voll aus. Dies schmerzliche Wissen teilen die Zuschauer mit den Akteuren, deren Gesichter und Gesten ihre Kenntnis von dem, was in Zukunft passiert sein wird, offenkundig machen. Meister dieser Disziplin ist TzF-Associated-Artist Selinger.

Doch auch Sophie Prusa und Boris A. Popovic verstehen es, dieses Gefühlswechselbad zwischen Vertrautheit und Befangenheit zu spielen, nuancenreich bauen sie die Veränderung ihrer Emotionen auf, eine theatralische Eifersucht zwischen den Männern, im Glauben der andere hätte, was man selbst vermisst, die Vergesslichkeit der Männer gegen das Erinnerungstalent von Frauen in Beziehungsangelegenheiten.

Mit großem Gespür für Text wie Darsteller lotet Gregor die Situationen aus. Diese insgesamt mehr heikle Diskussionen als Liebesschwüre und Sex-Stimmung, ein selbstschützendes all die Jahre die Zwischentöne Überhören, die Verunsicherung, die gespielte Gleichgültigkeit. Pinters formale Komödie entpuppt sich bei Gregor als veritable Tragödie – Pinter soll sie mit Ehefrau Vivien Merchant und Langzeit-Geliebter Antonia Fraser am eigenen Leib erlebt haben. Und über allem schwebt wie ein Gespenst der Schriftsteller Casey Spinks, Emmas aktuelles Gspusi, dessen Bücher sie früher verabscheut, dann verteidigt haben wird.

Sophie Prusa und Boris A. Popovic. Bild: Bettina Frenzel

Leopold Selinger und Sophie Prusa. Bild: Bettina Frenzel

Boris A. Popovic und Leopold Selinger. Bild: Bettina Frenzel

Dies zur Frage, wie’s überhaupt so weit kommen konnte. Nicht nur, dass auf Robert punkto Jerry der Spruch „Bruder vor Luder“ zutrifft, die beiden sind auch beruflich verbandelt, ersterer Verleger für die vom Agenten und Talentsucher entdeckten literarischen Hoffnungen. Und so sind sie weit über die Freundschaft hinaus auch beruflich miteinander verbandelt. Der im Wortsinn zerknitterte Jerry von Boris A. Popovic, von dem er nie aus den Augen lässt, dass der zweifache Familienvater trotz seiner ehelichen Untreue ein lieber Mensch und treuer Kumpel ist. Der seine Verletztheit mit Süffisanz tarnende Robert des Leopold Selinger, nach außen ein Macher mit markigen Sprüchen, innen ein gebrochenes Herz.

Wie Selinger das gestaltet, sein angsteinflößender Furor in Venedig, Szene 5/1973, da offenbart sich ihm Emma, seine in jeder Körperfaser abzulesende Erschütterung nach ihrem Eingeständnis, das ist verdammt gut. Wie ihre Mitstreiter hat auch Sophie Prusa alle Schattierungen von Glück, Zweifel und Groll drauf, schön, wie sie’s schafft, zwischendurch mädchenhaft rot zu werden, von der letztendlichen Ernüchterung zur Enttäuschung zur wilden Leidenschaft am abschließenden Beginn. Ein sich abkühlender Jerry, der sich zur Erregung aufschwingt, ein still leidender Robert, dessen Vernachlässigung Emmas ihm zum Verhängnis geworden sein wird.

Die Frau zwischen zwei Männern, die man beide nicht geschenkt haben möchte, und unterwegs zum dritten. Ein vom Regen in die Traufe Kommen, gegen das bis heute kein Kraut gewachsen zu sein scheint. Die bittere Pille, die Pinter verabreicht, heißt, dass auch Affären nur eine Art Ehe sind. Sich einschleifen und einschlafen und eines Tages nicht mehr aufstehen. Vielleicht, sagt Isabella Gregor, war’s nur eine b‘soffene G’schicht‘. Und einer solchen ist nicht zu trauen. Man weiß es.

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  1. 10. 2020

Theater zum Fürchten: Höllenangst

Januar 11, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Zeitlebens im Joch der Lohnarbeit

Dies großartige Vater-Sohn-Gespann landet auf dem Weg nach Rom natürlich im nächsten Wirtshaus: Philipp Stix und Bernie Feit als Wendelin und Schuster Pfrim. Bild: Bettina Frenzel

In der verpflichtend vorgeschriebenen Zeitstrophe geht es diesmal allerdings darum, was die an Anspielungen alles nicht beinhalten muss, Rattenlyrik, Liederbuch, Ibiza, andere Einzelfälle, damit ein Theater „Haltung“ beweist. Und dann lässt Bruno Max kurz vor Schluss Peter Fuchs als Staatssekretär auftreten. Ein Publikumslachkrampf, gleicht der Schauspieler doch konstitutionstypisch, von Augenglas bis arrogantem Grinsen, jenem Ex-

Innenminister und Polizeipferdefreund, der erst gestern wieder im Nationalrat eine seiner Attacken ritt, – und ordnet auch noch eine diskrete Hausdurchsuchung beim Oberrichter an. Gestern also ging’s nicht nur in der Politik um Metternich, totale Macht und faule Kompromissler, das Theater zum Fürchten zeigte zum 25-Jahr-Jubiläum seines Bespielens der Scala die Wien-Premiere von „Höllenangst“. Der Prinzipal höchstselbst hat die Nestroy-Posse inszeniert und gemeinsam mit Marcus Ganser den Raum geschaffen, in dem das bewährte TzF-Ensemble nun agiert. Klar, kann’s bei Bruno Max beim höllischen Spaß nicht bleiben. Er macht die Komödie zur First Class Farce über Proletariat, Prekariat, Neopauperismus, dies wohl ganz im Sinne des Autors.

Jedoch versteht er es auch, dessen Charakteren etwas Karikaturhaftes anzuhaften. Anno 2020 und angesichts der verschwurbelten Handlung ist die Persiflage ein überaus legitimer Ansatz, das von den Zeitgenossen wegen zu viel Spiegelvorhaltung verhasste Nachmärz-Stück, das nach 100-jährigem Dornröschenschlaf 1948 in der Scala Wien – anderer Ort, ähnliche Progressivität – von Karl Paryla zu neuem Leben erweckt wurde, dem Bruno Max nun zwischen tragikomischer Schicksalsergebenheit und vollmundigem „Meuterei!“-Geschrei einen aktuellen Rock anlegt. Im Sinne von modern, aber nicht modisch zeigt er, wie die Freiheit ein paar Freiheiterln geopfert wird, das Volk längst nicht mehr in der Verfassung, die Einhaltung derselben zu fordern.

Johanna Rehm und Philipp Stix. Bild: Bettina Frenzel

Matthias Tuzar und Magdalena Hammer. Bild: Bettina Frenzel

Peter Fuchs und Leopold Selinger. Bild: Bettina Frenzel

Dort, wo bei Nestroy ein vermeintlicher Satanspakt die gesellschaftlichen Ketten bricht, ist beim TzF ein rahmendes Bild zu sehen. Am Anfang wie Ende stecken die Menschen tief im schwarzen Loch der Fabrik, erst Arbeitssklaven der ausbeuterischen „Strombergs gute Schuhe“-Firma, schließlich vom nunmehr Kapitalisten Reichthal – mit zwar amikalem Schulterklopfen – zurück ins Fließband-Joch der Lohnarbeit gedrückt. Mehr Brechtisches braucht Bruno Max nicht, die Verhältnisse, sie sind schon so, die grundschlechten Leut‘ schikanieren die armen Teufel und armen Narren – zwei davon Vater und Sohn Pfrim, Bernie Feit als permanent ang’flaschelter Flickschuster und Philipp Stix als mit seinen Dämonen ringender, von sich selbst gestellten Wünschen und Forderungen getriebener Wendelin.

Die beiden Darsteller in dieser supersympathischen, sehr amüsanten Aufführung die komödiantischen primi inter pares, vor allem Feit macht aus der Rolle ein versoffen-philosophisches Kabinettstück, das muss erst einmal einer bringen, wieder und wieder durch die Tür zu torkeln, und immer noch ist es lustig. Die TzF-„Höllenangst“ fährt ein ebensolches Tempo, gespielt wird zwischen Sarkasmus, Stunt und Slapstick, Bernie Feit die Pointenschleuder, der seine Umgebung statt mit dem Schusterhammer mit seinen Wuchtln weichklopft, Philipp Stix mit einer Umverteilungsansprache seinen Wendelin als sozialistischen Revolutionär deklarierend. Das Motto heißt: „The Floss“ tanzen und Outrieren bis der Arzt kommt, alle balancieren hier ständig am Rande des Nervenkasperls, aber ehrlich, wie sonst sollte die gegenwärtige Politburleske auf einer Bühne zu toppen sein?

Ein fabelhafter Fürst der Finsternis aka Oberrichter von Thurming ist Matthias Tuzar, virtuos in der Körpersprache, wenn er bei seinem Böser-Geist-Spiel schamlos übertreibt, was dem in Furcht und Schrecken versetzten Wendelin als einzigem nicht zu denken gibt, oder er als fickriger Verliebter die juridische Respektsperson sofort ablegt, sobald sein frisch angetrautes Eheweib ihre Rechte anmeldet. Tuzar turnt mit Bravour durch die wilde Jagd, auf die Bruno Max ihn schickt, TzF-Debütantin Magdalena Hammer ist seine heißblütige Baronesse Adele, die sich nach renitenten Kräften gegen das ihr vom garstigen Vormund bestimmte Novizinnen-Los wehrt.

Ein Jedermann’scher Herzgriff des vermeintlichen Teufels: Matthias Tuzar und Philipp Stix. Bild: Bettina Frenzel

Die vor Angst um ihr Leben bibbernden Pfrims: Sibylle Kos, Philipp Stix und Bernie Feit. Bild: Bettina Frenzel

Der flüchtige Freiherr von Reichthal bei den Pfrims: Sibylle Kos, Georg Kusztrich und Bernie Feit. Bild: Betina Frenzel

Fürs Schuhfabrikvolk bleibt sich’s unter jedem Regime gleich: Kusztrich, Rehm, Feit, Sibylle und Stix. Bild: Bettina Frenzel

Diesen Freiherr und Schuhfabrikanten von Stromberg gestaltet Leopold Selinger als sleeken, teflonbeschichteten Machthaber, sein Gehabe so gegelt wie sein Haar, und wie er da so im Führerbunker neben Peter Fuchs steht, ist jede Ähnlichkeit mit real existierenden Volksverdrehern, äh, -vertretern freilich rein zufällig. Mit Georg Kusztrich als flüchtigem Freiherr von Reichthal hat Selinger einen starken Widerpart. Sibylle Kos ist grandios als Pfrim-Ehefrau Eva, die dem Leibhaftigen im Herrgottswinkel zu entfliehen versucht. Johanna Rehm ist als Baronessen-Zofe Rosalie – in einem der wunderbaren Kostüme von Anna Pollack – ein hinreißend-sexy Kammerkätzchen, das in Windeseile vom Schnurren zum Krallen-Ausfahren wechseln kann.

Michael Werner, Leonhard Srajer, Philipp Schmidsberger und Valentin Ivanov runden als Fabriksmalocher, Gendarmen, Erscheinungen den Cast ab. Tuzars Thurming treibt Stixs Wendelin mit einem Jedermann’schen Herzgriff zum Äußersten, gemeinsam mit Feit-Pfrim begibt er sich auf Pilgerreise nach Rom, die mit dem was Wein betrifft pragmatischen Vater in der nächsten Wirtsstube endet. Alldieweil decken nicht Smartphone-Chats, sondern gute alte Briefe die Intrige Strombergs auf – Happy End einer tumultösen Geschichte! Den Teufel, der im Detail steckt, hat das Theater zum Fürchten mit dieser Arbeit spielfreudig bezwungen. Diese „Höllenangst“ ist mit ihrem gekonnten Mix aus Sozialkritik, Politsatire und Komödie ein Spektakel der Extraklasse.

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  1. 1. 2020

Theater zum Fürchten: Elektra

Dezember 7, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Im Gothic-Look wie Game of Thrones

Kim Bormann ist eine inbrünstige, blutrünstige Elektra. Bild: Bettina Frenzel

Die Wände des Bunkers sind blutverschmiert, Agamemnon steht auf einer wie ein Racheschrei, doch nur die Außenseiterin trauert um den abgeschlachteten König: „Elektra“. Der Hofmannsthal’- sche Text dient nun in der Scala, der Wiener Dependance des Theaters zum Fürchten, Regisseur Matti Melchinger als Spielvorlage. Dieser hat die Tragödie in einem Aufzuge zur Essenz verdichtet, schlanke 75 Minuten dauert seine Aufführung, und wiewohl er dem Dichter nichts nimmt, wird

der royale Massenmord in Melchingers rasanter, riskanter Radikalität zum modern anmutenden Mythos. Es scheint, als wolle TzF-Prinzipal Bruno Max den mit „Equus“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=35706) eingeschlagenen Weg mit dieser Arbeit richtungsweisend fortsetzen, und tatsächlich ist Sam Madwar, der für die Peter-Shaffer-Inszenierung verantwortlich zeichnete, nun als Ausstatter am Werk. Gemeinsam mit Kostümbildnerin Katharina Kappert hat er eine „Game of Thrones“-düstere Welt erschaffen, archaisch, eisenhart, Lederoptik und ein Goth-Punk-Look, der Robert Smith neidisch machen könnte. Nur, dass es für Kim Bormanns Elektra, man weiß es, Hofmannsthal schrieb die seine unter dem Eindruck der Seelenerkundungen Sigmund Freuds, keine „Cure“ mehr gibt. Als Soundtrack laufen also auch keine Songs der britischen Kultband, sondern Arcade Fire’s „My Body Is a Cage“.

Bormanns Performance allein lohnt schon den Besuch dieses Abends. Ihre mykenische Revanchistin erweist sich vom ersten Auftritt an als Fall für die Psychoanalyse, ihr pathologisches „Ich kann nicht vergessen“ ist der Satz, der einem schon zu Beginn des Stücks durch Mark und Bein fährt. Bormanns Elektra krankt definitiv am zum Namen gehörenden Komplex, wenn diese Schattenvisionen ihres Vaters imaginiert. Die TzF-Debütantin spielt die Figur inbrünstig blutrünstig, großartig, wie sich bei Begegnungen mit der Mutter der Ekel auf ihrem Gesicht spie- gelt, während sie ihrerseits versucht, Schwester Chrysothemis mit innigen Umarmungen auf ihre Seite zu ziehen.

Angela Ahlheim, Kim Bormann, die Mägde Maja Sikanic, Regina Schebrak und Ivana Stojkovic. Bild: Bettina Frenzel

Klytämnestra und Aegisth verhöhnen Elektra: Kim Bormann, Bettina Soriat und Leonhard Srajer. Bild: Bettina Frenzel

Orest ermordet die Mutter, Elektra triumphiert: Felix Krasser und Kim Bormann. Bild: Bettina Frenzel

Mit dem Hof der Atriden ist bei Melchinger längst kein Staat mehr zu machen. Wie von der Zeit zerfledderte Zombies hangeln sich die Gestalten über die Repräsentationstreppe in den mit Mulch bedeckten, mit Gerümpel zugemüllten Hinterhof, die Kledage ein Abglanz besserer Tage, da und dort die Haut rot verschrammt. Klytämnestra trägt eine groteske barocke Herrenperücke, als wolle sie per Haartracht ausweisen, dass nach dem kriegerischen Haudrauf nun eine aufgeklärte Absolutistin das Zepter schwingt. Wobei Bettina Soriat die aufgesetzte Aufgeklärtheit sofort ab absurdum führt, wenn ihre Gattenmeuchlerin die wehklagende Tochter im Wortsinn, weil: Treppe, von oben herab verhöhnt.

Soriat lässt Klytämnestra zwischen Tyrannenmörderin und Totschlägerin changieren, da diese selbst nicht darüber zu richten vermag, ob sie dem Volk eine Wohl- oder der Familie eine Untat getan hat. Die stärksten Szenen der Produktion sind ergo das Aufeinanderprallen von Mutter und Tochter, auf das die Regie auch fokussiert. Im intellektuellen wie körpergewaltigen Infight schenken einander die beiden Schauspielerinnen nichts, und apropos: verbal brutal, beeindruckend ist, wie die Darsteller allesamt die Sprachgewalt des Fin de Siècle-Schriftstellers stemmen, jedenfalls machen die Konfrontationen Klytämnestras mit Elektra in Melchingers Interpretation klar, dass erstere um nichts weniger als zweitere an einem Agamemnon-Trauma leidet.

Leichter hat’s die Herrscherin da mit ihrem Lover, Leonhard Srajer als blondinnenblöder, proletoid-putzsüchtiger Aegisth, den die an Jahren Ältere zum Sextoy degradiert hat, auch dieser Aspekt der gruseläugigen Dauergeilen so kaltherzig erzählt, dass es einem unter die Haut geht. Auftritt, um alles zu Ende zu bringen, Felix Krasser als nach langer Flucht heimkehrender Orest, dessen einlenkendes „Lass‘ die Toten tot sein“, von Elektra alsbald zur Mordgier umgepolt wird. Selten noch war der manipulative Charakter der „Strahlenden“ so deutlich zu erkennen, Elektra, die sich zur höheren Instanz erhebt, die das „gerechte“ Gemetzel befiehlt, die sich in ihre Rechtsprechung hineinsteigert – ohne Rücksicht auf Verluste, siehe die maliziösen Mägde von Regina Schebrak, Maja Sikanic und Ivana Stojkovic.

Nur die Außenseiterin trauert um Agamemnon: Bormann, Sikanic, Stojkovic, Srajer und Schebrak. Bild: Bettina Frenzel

Die Schwester entdeckt dem Bruder ihren Racheplan: Kim Bormann und Felix Krasser. Bild: Bettina Frenzel

Chrysothemis verabscheut Orests grauenhafte Tat: Felix Krasser und Angela Ahlheim. Bild: Bettina Frenzel

Siegestanz vor vielen Toten: Kim Bormann, hinten die ebenfalls erschlagenen Mägde. Bild: Bettina Frenzel

Mit Hinweis auf sein gottgegebenes Heldentum treibt die Schwester dem Bruder das Zaudern aus, ihr hohlwangiger Hass begleitet von einem heulenden Wind, rote Lichtblitze beleuchten die Selbstjustiz, ein Apfel wird als sozusagen Reichsinsignie zertreten, Heil!-Rufe ertönen, Elektra tanzt vor Leichenhaufen, Orest wirft sich den Purpurmantel über. Bleibt bei diesem Drama, auf die bisher beinah unerwähnte der Dreierkonstellation zu kommen: Angela Ahlheim als Chrysothemis, angewidert von den Geschwistern, von Elektras inzestuösen Annäherungsversuchen, von Orests blutverschmierten Armen.

Für sie, für deren Ausgestaltung allerdings noch Raum wäre, obzwar die gezeigte Kurzfassung wenig Platz dafür bietet, hatte Melchinger eine schöne Idee. Bei ihm darf die jüngste des Hauses zum Schluss einen mit EU-Sternen beklebten Trolley nehmen und das antike Griechenland mutmaßlich für immer verlassen.

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  1. 12. 2019