Festspielhaus St. Pölten streamt: Cirque Éloize

April 10, 2021 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Cirkopolis – von wegen grauer Büroalltag!

Cirque Eloize: Cirkopolis. Bild: Fotocollage. © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Waghalsige Sprünge, versierter Seiltanz und verblüffende Reifenakrobatik … Seit gestern streamt das Festspielhaus St. Pölten eine Filmaufzeichnung des multimedialen Zirkus-Klassikers „Cirkopolis“. Bis 16. April ist die Produktion der renommierten kanadischen Compagnie Cirque Éloize auf www.festspielhaus.at kostenlos zu sehen. Für die Performances der Compagnie vereint deren künstlerischer Leiter Jeannot Painchaud die Welt des Zirkus stets

geschickt mit Kunstformen wie Film und Theater und schafft Raum für innovative Kreationen, die sich atmo- sphärisch zwischen Fantasie und Realität ansiedeln. Für „Cirkopolis“ engagierte Painchaud das Enfant Terrible des zeitgenössischen kanadischen Tanzes, Dave St-Pierre, der bereits 2008 die Choreografie für die Éloize-Show „iD“ erarbeitete. Nun zeichnet er erstmals bei einer Zirkusproduktion auch für die Inszenierung verantwortlich. Und so mischen sich in dieser 9. Show des Cirque Éloize einmal mehr Tanz, Körpertheater und Artistik.

Inspiriert von Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ entsteht mithilfe von Videoprojektionen und den Bühnenbildern von Robert Massicotte ein futuristisch anmutender Großstadtmoloch, eine außergewöhnliche Szenerie für die akrobatischen Höchstleistungen der Artistinnen und Artisten, die die Grenzen des Menschenmöglichen immer wieder aufs Neue ausloten. Die kalte, graue Stadt bildet die Bühne für zwölf multitalentierte Künstlerinnen und Künstler, die mit ihren Bällen, Reifen, Diabolos und ihrer Poesie diese drohende Kulisse zurückzudrängen versuchen.

Samuel Charlton, Reuben Hosler. Bild: © 2012 Prod. Neuvart/Valérie Remise

Angelica Bongiovonni. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Myriam Deraîche und Ensemble. Bild: © 2012 Prod. Neuvart/Valérie Remise

Bald entsteht eine Gegenwelt, die das Publikum aufs Hochseil der Hoffnung befördert. Doch bis es soweit ist, sieht man Clown und Teeterboarder Ashley Carr durch den Unterbauch einer Fabrik hetzen, hinein in ein Kontrollzimmer voller Schalttafeln – wo er von Müdigkeit übermannt einschläft. Das Leben ein Traum. Unschwer lassen sich gewisse Lang’sche Charaktere ausmachen, Carr albträumt sich ins Halbdunkel, er sitzt an einem mit Aktenbergen überfüllten Schreibtisch, hinter ihm fällt der Blick auf die Fassaden der Maschinenstadt. Schon scheint er der „Mittler“ zwischen den Gesellschaften, der Freder …

Cirque Éloize, das ist mehr als aneinandergereihte Zirkusnummern, das ist eine erzählte Geschichte, und mutmaßlich seit Charly Chaplins „Modern Times“ wurde der Begriff Tretmühle nicht mehr so anschaulich dargestellt. Carr ist ganz klar das schwarze Schaf, der Minderleister, während rund um ihn die martialische Männlichkeit tobt. Samuel Charlton und Reuben Hosler, deren Hand-auf-Hand-Akrobatik im Heben und Schleudern des kleineren Hosler etwas Gewaltsames, Grausames, doch auch für Charlton einen Master-Blaster-Moment des sich gegenseitig Ausgeliefertseins hat.

Aerialist Ugo Laffolay, der an den Strapaten dem Wärter der Herzmaschine Grot gleicht, der von schwindelnder Hochhaushöhe Richtung Katakomben saust, und sich erst kurz vor Aufprall fängt. Schließlich Frédéric Lemieux-Cormier, ein Éloize-Urgestein, seit Geburt ein Zirkuskind, weil seine Mutter Kostümdesignerin beim Cirque du Soleil war, hier die personifizierte Industrialisierung, der Eisenfresser mit dem Rhönrad, sein Auftritt quasi ein Sinnbild dafür, dass der Mensch längst für die Maschine arbeitet, nicht umgekehrt – doch bei der kraftvollen Darbietung und bei dem Bizeps sind die Schreibfräuleins hin und weg, und freilich will jede mal anfassen.

Frédéric Lemieux-Cormier und Ensemble. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Clown Ashley Carr hat ein Rendezvous mit Marias Kleid. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Ashley Carr und Ensemble bei der Aktenjonglage. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Lauren Herley, Yann Leblanc und Angelica Bongiovonni. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Da vergessen die Kolleginnen und Kollegen sogar kurz auf die Bürobattle, das ganze Ensemble zum Chitterbug in einer Aktenjonglage, die den armen Ashley Carr aus der Fasson bringt, der Tanz so 1930er-Jahre wie die knappen Trikots à la Zwickelerlass der Damen – Cirque Éloize, das ist stets ein Gesamtkunstwerk, jede Show nach einem einmaligen Konzept, und in der Aufzeichnung der Applaus eines Live-Publikums zu hören.

Zu den grauen Herren gesellt sich eine Frau im purpurroten Kleid, nicht Momo, sondern wenn man’s so sehen will Maria, Angelica Bongiovonni, seit dem Alter von sieben Jahren, und damit war sie damals die jüngste, auf dem Trapez, nun eine Tänzerin mit dem Cyr-Rad, ihr Erscheinen ein verspielter Augenblick der Sehnsucht. Liebe liegt in der Luft, Romantik über den Werkshallen, und wieder eine lyrische Szene, Maria, diesmal Kontorsionistin und Trapeztänzerin Myriam Deraîche als Engel der Arbeiter.

Betörend schön, in jeder Bedeutung des Wortes fantastisch ist das alles. Von wegen langweiliger Büroalltag! Und nach kurzer Einkehr mit einem melancholischen Ashley Carr, der sich ein Rendezvous mit Maria, heißt: mit ihrem an einer Kleiderstange hängenden Kleid, imaginiert, wird’s wieder dynamisch und athletisch. Zwar verhilft das Diabolische, das Diabolo im Gegensatz zu Fritz Lang hier ausschließlich Dominique Bouchard zur Meisterschaft, doch wo die gute, da auch die Maschinen-Maria:

Lauren Herley, Maude Arseneault. Bild: © 2012 Prod. Neuvart/Valérie Remise

Lauren Herley. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Maude Arseneault und Mikaël Bruyère-L’Abbé. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Am Cord lisse, am „glatten Seil“ schlängelt sich Lauren Herley als Versuchung schlechthin im grauumwölkten Himmel, wem fiele da nicht der Tanz der sieben Todsünden ein; Maude Arseneault zeigt an der Mât chinois Mikaël Bruyère-L’Abbé sein Ende der Fahnenstange – samt feministischem Kick in die Kronjuwelen. Jahaha, Humor ist für den mitgenommenen Mikaël, wenn man trotzdem lacht, im ausgelassenen Spiel des Éloize-Ensembles kommt der Spaß keinesfalls zu kurz – nun aber kommt es zur Konfrontation der Marias, will die einzig wirkliche doch Joh Fredersens dunkles Herz mit ihrer unbändigen Lebenslust bezwingen.

Als Lohn materialisiert sich eine verwandte Seele, „Freder“ Yann Leblanc auf dem Cyr-Rad, und zu zweit, welch ein Kunststück, man kann sich nicht entsinnen schon einmal zwei Artisten auf dem Gerät gesehen zu haben, kreiseln sie glückselig in den Sonnenuntergang. Der Mensch emanzipiert sich und behauptet seinen Zauber und seine Freiheit … Zum Grande Finale erwacht Ashley Carr zwischen Aktenschrank und Stempel, ein böses Erwachen?, nein!, denn die Crew ist mit Champagner da, und endlich kann der Clown am Schleuderbrett beweisen, dass er kein Schreibstubenhocker mehr ist.

Mit „Cirkopolis“ stellt Cirque Éloize einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis, dass sich Zirkus zu einer wahrhaftigen Kunstform entwickelt hat. Unter den zahlreichen Online- und Streaming-Angeboten, die dieser Tage erhältlich sind, ist „Cirkopolis“ auf der Wunschliste der Produktionen, die man noch einmal live sehen möchte ganz oben. Bis das möglich ist: Schalten Sie den Bildschirm ein, sehen und staunen Sie!

Trailer: www.youtube.com/watch?v=mfvFgab5oPA&t=9s        www.cirque-eloize.com      www.festspielhaus.at        Zur Filmaufzeichnung: www.festspielhaus.at/de/stories/stream_cirque-eloize-cirkopolis           www.youtube.com/watch?v=Sll-EzzNc7g

  1. 4. 2021

Festspielhaus St. Pölten: Die Saison 2020/2021

April 16, 2020 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Musik & Tanz. Von Dee Dee Bridgewater bis Bob Wilson

Sylvain Émard: Le Grand Continental. Bild: Robert Torres

Mit fünf internationalen Koproduktionen leistet das Festspielhaus St. Pölten auch in der Saison 2020/2021 einen wertvollen Beitrag für das internationale Tanzschaffen – als europäisches Tanzhaus“ und als weltweit gefragtes Koproduktionshaus, das in der kommenden Spielzeit, so Leiterin Brigitte Fürle, „außergewöhnliche Produktionen von Robert Wilson, Germaine Acogny, Angelin Preljocaj, Eun-Me Ahn und Damien Jalet aus der Taufe heben wird. Eröffnet wird von 26. bis 28. September mit Theaterdirektor, Choreograf, Lichtdesigner und Videokünstler Robert Wilson.

Das künstlerische Multitalent aus Texas erzählt gemeinsam mit dem exzentrischen US-amerikanischen Folk-Duo Coco Rosie vom Coming of Age des wohl berühmtesten Findelkindes der Literaturgeschichte: Basierend auf Erzählungen und Gedichten des britischen Autors Rudyard Kipling präsentiert Wilson seinen neuesten Coup, das Musiktheater „Jungle Book/Das Dschungelbuch“ als Österreich-Premiere. Am 10. Oktober folgt mit der Österreich-Premiere von „Das Frühlingsopfer/common ground[s]“ ein weiteres Highlight im Spielplan.

Germaine Acogny, die „Mutter des zeitgenössischen Tanzes in Afrika“ und Malou Airaudo präsentieren Pina Bauschs legendäre Choreografie „Das Frühlingsopfer“ mit 28 Tänzerinnen und Tänzern verschiedener afrikanischer Länder. Am 18. Oktober 2020 gastiert die französische Compagnie Art Move Concept rund um Soria Rem und Mehdi Ouachek mit der Österreich-Premiere „FLI“. Am 21. und 22. November steht mit „Schwanensee“ ein absoluter Ballett-Klassiker auf dem Programm. Der französische Choreograf Angelin Preljocaj kleidet Tschaikowskis schaurig-schönen Welterfolg in zeitgenössisches Gewand.

Seine Compagnie Ballet Preljocaj tanzt in der Österreich-Premiere zur Livemusik des Tonkünstler-Orchesters unter der Leitung von Yannis Pouspourikas. Mit der tänzerischen Weltreise „D‘Est en Ouest, de Melbourne à Vancouver“, ebenfalls eine Österreich-Premiere, kommt die französische Choreografin Josette Baïz am 5. Dezember ans Festspielhaus. Die Gründerin der Groupe Grenade bringt dreißig Tanzende im Alter von sieben bis 18 Jahren mit Werken sechs ikonischer zeitgenössischer Choreografinnen und Choreografen zusammen.

Malandain Ballet Biarritz. Bild: Olivier Houeix

Art Move Concept: FLI. Bild: Art Move Concept

Groupe Grenade. Bild: Cécile Martini.

Bausch, Acogny & Airaudo. Bild: Abdoul Mujyambere

Die südkoreanische Ausnahmechoreografin Eun-Me Ahn, einstige Vertraute von Pina Bausch, schafft mit „Dragons“ ein zeitgenössisches Portrait ihres Heimatkontinents im Spannungsfeld zwischen Avantgarde und Tradition. Die Eun-Me Ahn Company läutet mit der Österreich-Premiere am 29. Jänner das neue Tanzjahr ein. Die letzte Königin Frankreichs ist titelgebend für Thierry Malandains Gastspiel am 13. Februar. Das Malandain Ballet Biarritz tanzt in der Österreich-Premiere von „Marie Antoinette“ zur Musik von Joseph Haydn und Christoph Willibald Gluck – live gespielt vom Tonkünstler-Orchester unter der Leitung von Igor Dronov. Vom vorrevolutionären Frankreich zum ältesten japanischen Buch über die Entstehung der Welt: Der Choreograf Damien Jalet kooperiert für seine neue Kreation „Planet [wanderer]“ mit dem bildenden Künstler Kohei Nawa und zeigt eine eindringliche Performance über die tragische Liebesgeschichte von Mensch und Erde.

Gravity & Other Myths. Bild: J. Fisher

Robert Wilson. Bild: Lucie Jansch

Eun-Me Ahn Company. Bild: Sukmu Yun

Er gilt als Erneuerer des neoklassizistischen Balletts: Der 2007 verstorbene Maurice Béjart hinterließ mit dem Béjart Ballet Lausanne eine erstklassige Compagnie, die das Erbe der Tanzikone um die Welt trägt. Am 6. Mai zeigt die Schweizer Truppe den dreiteiligen Abend „Syncope/Béjart fête Maurice/Boléro“ als Österreich-Premiere. Das südafrikanische Vuyani Dance Theatre unter Gregory Maqoma bringt „Cion: Requiem of Ravel‘s Bolero“ am 28. Mai zur Österreich-Premiere ins Festspielhaus. Ravels Musik erklingt zu dieser politisch aufrüttelnden Performance live als A-cappella-Version. Für die Corona-bedingte Absage von Sylvain Émards großangelegtem Community-Tanzprojekt „Le Grand Continental: alle tanzen“ wurde ein Ersatztermin am 28. Mai 2021 gefunden.

Der fünfte Kontinent beeindruckt in der Saison 2020/2021 mit drei hochkarätigen zeitgenössischen Circus-Performances im Festspielhaus St. Pölten. Gravity & Other Myths aus Adelaide zeigt am 30. Oktober „A Simple Space“ und am 12. und 13. Dezember „Out of Chaos …“ Der in Brisbane beheimatete Circa Contemporary Circus gibt am 13. und 14. März Leviathan“ zum Besten. Auch große Stimmen aus Jazz und Weltmusik sind angesagt, am 16. Oktober Hubert von Goisern, am 7. November Dee Dee Bridgewater und am 8. Dezember Helge Schneider,  außerdem das Quinteto Astor Piazzolla am 23. Jänner, Cameron Carpenter am 26. Februar, Etta Scollo am 12. März sowie Philipp Hochmair am 1. Mai und Chilly Gonzales am 2. Juni.

Philipp Hochmair. Bild: Erika Mayer

Ray Chen & Alice Sara Ott. Bild: Esther Haase Dt. Grammophon

Dee Dee Bridgewater. Bild: Tulani Bridgewater

Vuyani Dance Theatre. Bild: Vuyani Dance Theatre

Das Tonkünstler-Orchester startet am 5. Oktober mit Carl Orffs „Carmina Burana“ in die symphonische Konzertsaison. Am Pult steht Chefdirigent Yutaka Sado, der in der Saison 2020/2021 noch drei weitere Montagskonzerte leitet: Brahms und Rachmaninow am 22. Februar, Mahler I am 22. März sowie Richard Strauss‘ „Alpensinfonie“ am 7. Juni. Insgesamt stehen zwölf symphonische Konzerte sowie drei Plugged-In Abende mit den Gastkünstlerinnen und -künstlern Vocal Sampling, Camané und Ankathie Koi auf dem Programm. Sechs hochkarätig besetzte Kammermusik-Abende bringen kommende Saison Raphaela Gromes und Julian Riem, das Kreisler Trio Wien und Tobias Artner, Cornelius Obonya und das Ensemble Wild, Alice Sara Ott und Ray Chen, die Academia Allegro Vivo sowie Nobuyuki Tsujii ans Festspielhaus.

www.festspielhaus.at           Video: www.youtube.com/watch?v=OCEuX85rK5w

16. 4. 2020

Festspielhaus St. Pölten: Die Saison 2019/2020

April 17, 2019 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Highlights aus dem Programm

Sylvain Émard: Le Grand Continental. Bild: Robert Torres

Neben Tanzperformances verschiedenster Genres präsentiert die 23. Festspielhaus-Saison Highlights aus Orchester-, Unterhaltungs- und Kammermusik. Zeitgenössische Circus-Produktionen sind ebenso zentraler Bestandteil des Programms wie ein vielfältiges Angebot für Familien und das mehrtägige Workshop-Festival „Jugendklub“ für Teilnehmerinnen und Teilnehmer von 15 bis 25 Jahren.

Martin Schläpfer, preisgekrönter Direktor und Chefchoreograf des Ballett am Rhein, bringt seine Version von Tschaikowskis „Schwanensee“ kurz vor seinem Amtsantritt als Wiener Staatsballettdirektor nach St. Pölten und präsentiert sie damit erstmals einem österreichischen Publikum. Das Tonkünstler-Orchester spielt dazu live unter der Leitung von Axel Kober. Ebenfalls im russisch-märchenhaften Klanguniversum beheimatet ist die zweite Kooperation mit dem Festspielhaus-Residenzorchester: Les Ballets de Monte-Carlo unter Jean-Christophe Maillot gastieren mit „Cinderella“ zur Musik von Sergej Prokofjew. Musikalische Leitung: Nicolas Brochot.

Compagnie Käfig: Vertikal. Bild: Laurent Philippe

Kirina. Bild: Philippe Magoni

In der Österreich-Premiere von „Vertikal“ lässt Choreograf Mourad Merzouki die Tänzerinnen und Tänzer seiner Compagnie Käfig gegen die Schwerkraft ankämpfen und zeigt ein Tanz-, Akrobatik- und Aerial-Spektakel in scheinbar gravitationslosem Raum. Nicht minder spektakulär verspricht „Circa‘s Peepshow“ des australischen Circus C!rca zu werden. Eine außergewöhnliche Performance feiert zu Saisonabschluss ihre Premiere im deutschsprachigen Raum: Kader Attou, Leiter der französischen Cie Accrorap, lässt in „Un break à Mozart 1.1“ zehn Breakdancer zu Versatzstücken aus Mozarts „Requiem“ sowie zu Motiven aus „Don Giovanni“ performen. Richard Siegal gastiert mit seiner 2016 gegründeten Compagnie Ballet of Difference in St. Pölten: Der ehemalige Festspielhaus-Artist in Residence zeigt sein brandneues „New Ocean“ als österreichische Erstaufführung.

Doris Uhlich wirkte ebenfalls bereits als Artist in Residence am Festspielhaus und bringt mit „Every Body Electric“ ihr viel getourtes inklusives Ensemblestück auf die Bühne. Drei starke, zukunftsweisende Positionen des zeitgenössischen Balletts stehen mit dem Ballet BC Vancouver auf dem Programm. Der britische Choreograf Akram Khan kehrt mit seiner Compagnie ans Festspielhaus zurück und zeigt „Outwitting the Devil“ als Österreich-Premiere. Eine poetische Erzählung über die Entstehung einer neuen Welt ist „Kirina“ des aus Burkina Faso stammenden Choreografen Serge Aimé Coulibaly. Mit Eduardo Guerrero ist der Shooting-Star einer neuen Flamenco-Generation zu Gast.

Eduardo Guerrero. Bild: Felix Vázquez

C!rca Contemporary Circus: Circa’s Peepshow. Bild: Andy Phillipson

In zwölf symphonischen Konzerten spannt das Tonkünstler-Orchester einen Bogen von der Wiener Klassik bis zur Romantik und deren Übergang zur Moderne des 20. Jahrhunderts, sowie von russischen und slawischen zu französischen Klangwelten. Musikkuratorin Constanze Eiselt bringt mit unter anderem John McLaughlin, Mayra Andrade, Yaron Herman, Eric Bibb und El Gusto internationale Top-Acts auf die Bühne.

Das Festspielhaus bietet im Rahmen einer Arbeitsresidenz auch in der Saison 2019/2020 Raum und Zeit für international angesehene Künstlerinnen und Künstler. Der australische Choreograf Lloyd Newson und das Londoner Ballet Rambert werden in einer mehrwöchigen Residenz im Februar 2020 eine Neubearbeitung von „Enter Achilles“ zur Premiere bringen, einer sozialkritischen Performance über Männlichkeit, die 1995 bei den Wiener Festwochen für Furore sorgte und zum Welterfolg wurde.

Doris Uhlich: Every Body Electric. Bild: Theresa Rauter

Cie Philippe Saire: Hocus Pocus. Bild: Philippe Pache

Nach Montréal, Mexico City, Seoul, Santiago de Chile und Wellington lässt Sylvain Émards partizipatives Open-Air-Spektakel „Le Grand Continental: alle tanzen“ auch das Herz des Kulturbezirk St. Pölten zu einer riesigen Bühne werden. Bei freiem Eintritt performen im Juni 2020 etwa 150 lokal gecastete Laientänzerinnen und -tänzer Émards charakteristische Liaison aus traditionellen Elementen des Line Dance und zeitgenössischem Tanz. Die Castings zur Teilnahme am Projekt finden im Jänner 2020 statt, ab März 2020 wird die Choreografie in regelmäßigen Proben erarbeitet.

Video: www.youtube.com/watch?v=jLGwTOPpMKk&feature=youtu.be

www.festspielhaus.at

17. 4. 2019

Festspielhaus St. Pölten – Yang Liping Contemporary Dance: Under Siege

November 14, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Im Rausch der Bilder

König Xiang Yu und seine Konkubine Yu Ji: He Shang und Hu Shenyuan. Bild: Li Yi Jian

Es war Premiere im deutschsprachigen Raum: „Under Siege“, eine spektakuläre Performance aus Tanz und Martial Arts, ein Mix aus chinesischer Tradition und zeitgenössischen Ausdrucksmittel wurde am 12. November im Festspielhaus St. Pölten gezeigt. Chinas Star-Choreografin Yang Liping präsentierte mit den für seine Ausstattung von „Tiger and Dragons“ Oscar-prämierten Visual Director Tim Yip eine atemberaubende Performance in bildgewaltigen Bühnenwelten. Die am Ende mit Standing Ovations bejubelt wurde.

Die Geschichte hinter „Under Siege“ ist die Auseinandersetzung von König Xiang Yu und dem jungen Krieger Liu Bang, der Krieg der Qin- gegen die spätere Han-Dynastie, der sich rund um 206 bis 202 vor Christus zutrug. Wer jemals „Lebwohl meine Konkubine“ sah, weiß worum sich’s handelt: die Schlacht von Gaixia, den Freitod einer Frau, eines Herrschers, das Heraufdämmern eines neuen Geschlechts. Wesentlichen Anteil an dieser Spannung hat zweifellos die ans Akrobatische reichende, dramaturgisch ausgeklügelte Choreografie mit den effektvollen Kampfszenen, die an Kung Fu erinnern, aber ebenso die in farbige Opulenz getauchte Ausstattung.

On i soit … aber man kann angesichts 400 ausverkauften Vorstellungen in der Volksrepublik China nicht umhin zu bemerken, dass Madame Yang den Verlierer der großen Schlacht viel sympathischer als den Gewinner gestaltet. Chinas erste Tänzer stehen in St. Pölten auf der Bühne. Unter einem kalt-klirrenden Himmel aus Metallscheren lässt Pina-Bausch-Schüleri Yang ihre Protagonisten auftreten. Als da sind Guo Yi als Erzähler Xiao He oder He Shenyuan als liebliche Konkubine Yu Li.

Liu Bang und sein als böser Einflüsterer sein General Han Xin: Gong Zhonghui und Gao Chen. Bild: Ding Yi Jie

Das Schlachtfeld: Ein Blutbad aus roten Hühnerfedern. Bild: Ding Yi Jie

Liu Bang krönt sich zum Kaiser: Gong Zhonghui. Bild: Ding Yi Jie

Wie in der traditionellen Pekingoper üblich, verkörpert er als Mann eine Frauenfigut. Traditionell sind auch die Live-Musik von Du Yichen an Pipa und Gu Zheng und Feng Xiaofan, der zusätzlich das Zhongruan spielt, und die Papierschnitkunst von Wang Yan, mit der gleichsam die Überschriften über die Kapitel gestaltet werden. He Shang ist als Xiang Yu ein von seinen Feinden umringter kraftvoller Tänzer. Gong Zhonghui ein listiger, spöttischer Charakter.

Besonders gefällt die Szene „Die Geduld des jungen Han Xin“, denn die Figur des Taktikers und General wurde auf zwei Tänzer aufgeteilt, Xiao Fuchun und Gao Chen, die beiden Gesichter, die dunkle und die helle Seite, des Charakters zeigen. Das atemberaubend schöne Gesamtkunstwerk endet mit Tod im roten Hühnerfedernmeer. Laut Madame Yang sind die in China Symbol für Tod und Neuanfang.

Die mit ihren 59 Jahren immer noch mädchenhaft wirkende Yang Liping war selbst bei der Aufführung zugegen und erläuterte im Einführungsgespräch ihre Intentionen. „Ich wünsche mir, dass die Botschaft von der Grausamkeit des Krieges und von der Sinnlosigkeit der Machtkämpfe zwischen Individuen, denen Tausende zum Opfer fallen, das Publikum erreicht“, so die Choreografin.

Der Krieg endet mit dem Sieg der Han-Streitkräfte und Liu Bang ruft sich selbst Kaiser aus. Die Han-Dynastie war eine der größten Regentschaften der chinesischen Geschichte, doch auch sie ist gefallen …

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  1. 11. 2017

Festspielhaus St. Pölten: Under Siege

November 6, 2017 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Gastspiel von Yang Liping Contemporary Dance

Under Siege: Yang Liping Contemporary Dance. Bild: Ding Yi Jie

Am 12. November ist im Festspielhaus St. Pölten ein einzigartiger Mix aus Tanz und Martial Arts zu sehen: Yang Liping Contemporary Dance gastiert mit „Under Siege“. Und spätestens wenn Tausende Federn durch die Luft schweben und den Raum in ein tiefes Blutmeer verwandeln, machen Tod und Brutalität einer schier unerträglichen Anmut Platz, die diesem Meisterwerk der chinesischen Choreografin Yang Liping auf unterschiedlichen Ebenen innewohnt.

Sie selbst begeisterte 1986 mit ihrem überwältigenden „Pfauentanz“ aus „Spirit of the Peacock“ ein weltweites Publikum und zählt heute zu den bekanntesten Tänzerinnen Chinas. Für „Under Siege“/„Im Belagerungszustand“ hat sich Yang Liping nun tief in die chinesische Geschichte vorgewagt und eine der wichtigsten Schlachten Chinas ausgewählt: die Schlacht von Gaixia, die 202 vor Christus den Aufstieg der Han-Dynastie besiegelte.

Under Siege: Yang Liping Contemporary Dance. Bild: Li Yi Jian

Under Siege: Yang Liping Contemporary Dance. Bild: Li Yi Jian

Eingebettet in die Erzählung „Farewell My Concubine“ ging dieser Kampf zwischen Xiang Yu und seinem Gegner Liu Bang in die Literatur-, Film-, Opern- und Musikgeschichte ein. Yang Liping bringt die Geschehnisse nun mit zeitgenössischen Tänzerinnen und Tänzern, Kung-Fu- und Tai-Chi-Kämpfern sowie Live-Musikern auf die Bühne.

Damit, dass sie die Rolle der Suizid begehenden Konkubine Yuji einem Tänzer und keiner Tänzerin zuschreibt, möchte sie zeigen, dass jeder Mensch gegensätzliche Charaktere in sich vereint. Alle diese Charaktere überzeugen in einer groß angelegten Inszenierung nicht zuletzt auch aufgrund der Kostüme und des Bühnenbilds.

2001 mit dem Oscar für die „Beste Ausstattung“ im Martial-Arts-Film „Tiger and Dragon“ ausgezeichnet, beschwört Tim Yip magische Szenerien herauf und kreiert Bilder von halluzinatorischer Schönheit, die unvergessen bleiben werden.

www.festspielhaus.at

6. 11. 2017