Buch und DVD: Maria Lassnig. Das filmische Werk
VON MICHAELA MOTTINGER
Die „Films in progress“ in ihrer Gesamtheit publiziert
Maria Lassnig gilt international als eine der wichtigsten Malerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts. Das Leitmotiv ihrer Malerei, das Sichtbarmachen ihres Körperbewusstseins / „Body Awareness“, fand in den 1970er-Jahren in New York auch filmischen Ausdruck. Und welch einen! Beeinflusst von Malerei, aber auch dem US-amerikanischen Experimentalfilm, der feministischen Bewegung, dem Animationsfilm sowie ihrer neuen Heimatstadt New York schuf Lassnig in einigen wenigen Jahren einen beachtlichen Korpus an radikal eigenständigen Kurzfilmen.
Während einige dieser Arbeiten zum Lassnig-Kanon zählen, blieben viele Filmwerke dieser Schaffensphase unvollendet und unveröffentlicht. Ihre „Films in Progress“, zugleich autobiografische Notiz und gestalterisches Experiment, in denen sich viele Sujets und Techniken aus ihrem Werk wiederfinden, wurden von zwei engen Vertrauten – Mara Mattuschka und Hans Werner Poschauko – aufgearbeitet und im Sinne ihres ursprünglichen Konzeptes sowie Lassnigs Aufzeichnungen folgend fertiggestellt.
Der neue Band in der Reihe FilmmuseumSynemaPublikationen stellt Maria Lassnigs filmisches Werk in den Mittelpunkt und bietet anhand von Essays, dem ersten umfassenden Verzeichnis von Lassnigs filmischer Arbeit und einer großen Auswahl ihrer eigenen, bisher unveröffentlichten Notizen Einblick in die Ideenwelt der Filmemacherin. „Im Mai 1979 zeigte das Österreichische Filmmuseum – zum ersten und für vier Jahrzehnte auch zum letzten Mal – ein Programm mit Maria Lassnigs ,Zeichentrickfilmen'“, so das Herausgeber-Quartett Eszter Kondor, Michael Loebenstein, Peter Pakesch und Hans Werner Poschauko.
„Ins ,Unsichtbare Kino‘ hatte sie es über einen Umweg geschafft: Das internationale Forum des jungen Films zeigte während der Berlinale diese sieben Filme, damals gehörten insgesamt neun zum bekannten filmischen Gesamtwerk, und danach eben auch in Wien. Dieser Umstand ist bezeichnend für die geringe Aufmerksamkeit, die Lassnigs in den 1970ern in New York entstandenem filmischen Œuvre zu Lebzeiten über weite Strecken zukam – selbst nachdem sie sich als Malerin ab den 1980ern weltweit etablieren konnte.“
Woran das gelegen sein konnte, ließe sich vielleicht dahingehend interpretieren, dass Lassnig die Neigunghatte, sich selbst regelmäßig radikal neu zu positionieren und damit zugleich eine Auseinandersetzung mit spezifischen Formen, Farben oder Ausdrucksmitteln für sich als erledigt zu betrachten. Mit Ende ihrer New Yorker Werkphase vollzieht sie nicht nur einen Schwenk weg vom Animations-/Film als wichtigem Ausdrucks-und Gestaltungsmedium, sie lässt auch die mannigfaltigen Lebens-und Arbeitskontexte dieser Zeit, von der Kulturarbeit im Kollektiv bis zum politischen Feminismus, hinter sich.

Nitsch,1972, Maria Lassnig. © Maria Lassnig Stiftung

Bärbl. 1974/79, Maria Lassnig. © Maria Lassnig Stiftung

Maria Lassnig in Stone Lifting. A Self Portrait in Progress. 1971–75, Maria Lassnig. © Maria Lassnig Stiftung

Maria Lassnig in Stone Lifting. A Self Portrait in Progress. 1971–75, Maria Lassnig. © Maria Lassnig Stiftung
So landeten die Filme, bis auf eine Rolle der „kanonischen“, das heißt zu Lebzeiten regulär vertriebenen und seit den 2000ern auch wieder vermehrt rezipierten Werke, buchstäblich auf dem Dachboden. Wie es nun zur Publikation kam, und was diese für Lassnigs Neubewertung als Filmkünstlerin bedeutet, wird in „Maria Lassnig. Das filmische Werk“ erstmals umfassend dokumentiert.
„Nebst biografischen Aspekten führten auch andere Faktoren dazu, dass Lassnigs Filmschaffen vor allem in Österreich wenig beachtet blieb“, so die Herausgeber. „Als Emigrantin und Remigrantin war sie beinahe zwei Jahrzehnte lang nicht Teil der Wiener Kulturszene. Als Filmemacherin war sie beinahe ausschließlich in den USA tätig. Und auch dort fand ihre Arbeit abseits der in Österreich stark rezipierten Bewegung des ,New American Cinema‘ und des ,structural film‘ statt; hinzu kommen eine systematische Geringschätzung weiblicher Filmschaffender und die noch bis in die 1990er-Jahre stiefmütterliche Behandlung des Animationsfilms.“
Lassnigs Arbeit ist, wie die hier nachzulesenden Essays von James Boaden und Stefanie Proksch-Weilguni, die Film- und Projektbeschreibungen von Beatrice von Bormann, Jocelyn Miller und Isabella Reicher erklären, nicht bloße „Malerei in der Zeit“. „Sie arrangiert komplexe Doppelbelichtungen in der Kamera, benutzt die optische Bank, und reichert ihre Bilderwelten mit Tonspuren an, die von Voiceover-Erzählung über elektronische Klangerzeugung bis zu Tonbandexperimenten reichen. Damit durchbricht sie als Frau, als eine Fremde sowohl in der Filmszene als auch im Amerika der 1970er-Jahre bestehende Kategorien und Zuordnungen.“

Maria Lassnig, New York, ca. 1969. Bild: Archiv Maria Lassnig Stiftung. © Österreichisches Filmmuseum

Women/Artist/Filmmakers, Inc., Maria Lassnig v. li., 1976. © Bob Parent. Bild: Archiv Maria Lassnig Stiftung

Maria Lassnig, 1974. Bild: Archiv Maria Lassnig Stiftung. © Österreichisches Filmmuseum
Ihr Werk reflektiert ihre Auseinandersetzung mit dem Medium, seiner Geschichte und seinen Erzähltechniken, vom Hollywoodkino über den unabhängigen US-Film zum Animationsfilm und bis hin zum Fernsehen. Und auch ästhetisch verweigert Lassnig jedwede Orthodoxie. Ähnlich wie in Zeichnung und Malerei, macht sie sich eine Vielzahl an gestalterischen Techniken zu eigen und exerziert sie durch: vom „handpainted film“ zum Legetrick, von der Studioaufnahme zur dokumentarischen Handkameraführung. Die Kooperation mit der Maria Lassnig Stiftung ermöglichte es dem Österreichischen Filmmuseum, erstmals das bildnerische Werk Lassnigs, ihre Skizzen und Notizen zum Film und die filmische Arbeit einander gegenüberzustellen.
FilmmuseumSynemaPublikationen, Eszter Kondor, Michael Loebenstein, Peter Pakesch, Hans Werner Poschauko (Hg.): „Maria Lassnig. Das filmische Werk“, mit kommentiertem Bildteil und einer DVD, einer Auswahl der „Films in progress“, in Zusammenarbeit mit INDEX-Edition, 192 Seiten. Dieser Band erscheint auch in englischer Sprache.
www.filmmuseum.at www.marialassnig.org
26. 1. 2021