Volksoper: Der Zigeunerbaron

März 1, 2020 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Strudelteig aus Temesvár

Eine Wandertruppe spielt die Moritat vom Zigeunerbaron: Kristiane Kaiser, Lucian Krasznec, Boris Eder, Martina Mikelić und Kurt Rydl. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Tatsächlich, Regisseur Peter Lund hat alle vorab getätigten Ansagen eingehalten. „Der Zigeunerbaron“, den er gestern an der Volksoper zur Premiere brachte, ist eine bis ins Detail durchdachte Auseinander- setzung mit rassistischem Klischeekitsch, martialischem Hurrapatriotismus und sogar dem k.k. Kolonialismus. Sein Studium der Novelle „Sáffi“ von Mór Jókai sowie Lunds historisches Interesse an den Johann-Strauß’schen Bezugspunkten sind deutlich miterleb- und nachvollziehbar.

Zeitgeschichte und Zeitgeist sind ebenfalls berücksichtigt, subtile Korrekturen an der einen oder anderen Stelle machen vieles drastischer, dramatischer, dramaturgisch ausgefeilter. Dem Zsupán wird, wie’s bei Jókai mit Sáffis „Hexen“-Mutter ja geschieht und wie es die Völkermordstrategie der NS-Vernichtungsmaschinerie war, der Halbsatz in den Mund gelegt, man solle alle Zigeuner verbrennen. Czipra und Saffi sprechen miteinander auf Romani, was ob des männlichen Nichtverstehens Absprachen zwischen den beiden Frauen möglich macht. Mirabella ist nicht die lang verschollene Carnero-Gattin, sondern Zsupáns Langzeitpantscherl.

Ottokar folglich der in höchst dubioser Situation gezeugte Sohn eines türkischen Paschas, dies wiederum eine Ohrfeige für die xenophobe Arsena. Im Wilde-Ehe-Duett wird der Dompfaff zur Spottdrossel. Die fliegt anfangs Laterna-magica-animiert durch die Ouvertüre, ein sinister dreinblickender Sinti-und-Roma-Chor singt mittendrein sein „Habet acht vor den Kindern der Nacht!“, über die abbruchreife Apsis/Schlossruine von Bühnenbildnerin Ulrike Reinhard ziehen Schattenspiel-Türken und Prinz-Eugen-Silhouette, Belagerung, Befreiung von Wien.

Der Doppeladler verformt sich zu zwei Todeskrähen, das fahrende Volk wird zur Wandertheatertruppe. Als deren Impresario kündet Boris Eder an, ein Stück über eines gewissen Zigeunerbarons Schicksal aufführen zu wollen, bevor er seine Tragöden samt ihren Rollen vorstellt. Einen „Kniff“ nennt Lund im Programmheftinterview diesen Thespiskarren, der „das Moritatenhafte der Handlung“ transportieren soll, und apropos: geleierte Melodie, moralische Belehrung, Lund ist letztlich so sehr mit P.C.-Sein beschäftigt, dass er auf die Operette vergisst.

Liebespaar I: Rydl und Regula Rosin. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Liebespaar II: Krasznec und Kaiser. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Liebespaar III: Anita Götz,  David Sitka. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Er hat das Rot-Gelb-Grün des Banat zu Grauschattierungen entfärbt, buchstäblich und sinnbildlich, die heitere Melancholie des Schnitzer-Librettos in ein bleiern schweres Melodram verwandelt, und wirklich schlimm ist: Alfred Eschwé, sonst steter Garant für schwungvolles Operettendirigat, wirkt wie von der Temesvárer Elegie entmutigt. Statt beschwingtem Walzer und feurigem Csárdás klingt’s, als wäre das Orchester picken geblieben, nein, pardon, falscher Strudelteig, besser passt das Wienerische Bonmot vom sich ziehenden zur Aufführung.

An dieser Stelle nun den satirischen Text einer 1885-Karikatur über des Komponisten Opernhaushoffnungen für sein Werk wiederzugeben, ist selbstverständlich ein schlechter Scherz – Strauß und eine Waage in einem Fesselballon über Wien, unten Schnitzer und Jókai vor der Staatsoper, sagt er eine zu anderen: „Vor lauter Hin- und Her-Balancieren ist der Waag‘ schon ganz schlecht. Jetzt bin ich nur neugierig, auf welcher Seite wir durchfallen werden …“

Aber leicht macht es einem Kostümbildnerin Daria Kornysheva mit ihrem Stilblütenstrauß aus Modern Gipsy, Lumpenfashion und schwarzem Leder nicht, dazu – Achtung: Uraufführungsdatum – Spätbiedermeierfolklore und das Buffo-Paar mummenverschanzt als verschmockte gagerlgelbe Knallchargen. Nicht nur muss Anita Götz als Arsena dazu in Schweinsklauen-Schuhe mündende ferkelrosa Strümpfe tragen, und der Chor in der Zsupán’schen Fleischfabrik Rüssel, selbst eine Ansonsten-Auskenner-Befragung konnte das Geheimnis nicht lüften, warum die Saffi in ein Herrennachthemd verdammt wurde.

Unter all den Schweineschnauzen gibt Kurt Rydl als blutig geschürzter Borstentierzüchter ein spätes Operettendebüt, sein Kálmán Zsupán dabei weniger Bauer als Wurst- und Speckerzeuger, ein landräuberischer Gutsherr, dessen gierigen Opportunismus Rydl routiniert herausarbeitet. Doch bleibt auch sein Charakter, was das Komödiantische betrifft und trotz Rydls Rampensau-Bemühungen zu Zsupáns Gesülze, ein getragen vortragender Spätzünder.

Die unfreiwillige Braut: Lucian Krasznec, Anita Götz, Kurt Rydl, Boris Eder und Chor. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Begeisterung für den Krieg: Marco Di Sapia als Graf Homonay und Kurt Rydl (re.). Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Die Schrecken des Krieges: Lucian Krasznec, Marco Di Sapia und David Sitka (M.). Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Wer zuletzt lacht …  das ist die famose Martina Mikelić als Czipra. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Lucian Krasznec, übrigens im rumänischen Banat geboren, ist ein sympathischer Sándor Bárinkay mit angenehmem Tenor. Als seine Saffi ist Kristiane Kaiser mit dessen sicheren Höhen mitunter überfordert, Kaiser kann auch – verständlicherweise, siehe Kostüm – kaum berühren. Immerhin, so sagte der Sitznachbar, muss sie sich weder vor noch nach der Hochzeitsnacht umziehen. Regula Rosins Mirabella hat im Böse-Gouvernanten-Look ihre Momente, wenn sie den säumigen Zsupán zum Ringetauschen zwingen will. Und da’s bereits um schrill geht: Anita Götz‘ Arsena toppt diesbezüglich alles.

Marco Di Sapia holt aus seinem Kurzauftritt als Graf Homonay, hier ein sehr stimmiger Husaren-Haudrauf mit Skelettpferd, was geht. Und um beim Erfreulichen zu bleiben, da ist David Sitka als in ständiger Angst vor der eigenen Courage lebender Ottokar zu nennen, Boris Eder, der als verklemmter, sexbefreiter, korrupter Sittenkommissär die ihm laut Regie verbleibenden Register zieht, sein Conte Carnero fast eine Nestroy-Figur – und vor allem Martina Mikelić als Czipra. Ihr ominös okkultes Erscheinen macht sie – pah, Baron! – zur Zigeunerkönigin, zur Spielmacherin, die beim sichtlichen Handlese-Schwindel einzig ihre Sache verfolgt und den feschen und mit ihrer Hilfe bald reichen Bárinkay von Saffi bis zum Schatz manipuliert. Dieser samt einer Art Stephanskrone einer, der den der Nibelungen zu Tand degradiert.

Doppelt passt hier, dass Czipra dem Conte nichts wahrsagt, weil sie’s erstens nicht kann und der zweitens mit einem Eheweib nichts anzufangen wüsste. Es kommen die Soldatenwerber, in einem großartigen Bild der Krieg und dessen Untote-kriechen-aus-einem-unterirdischen-Mordskarussell-Ende. Womit man wieder am Anfang landet, nämlich bei den Brettln, die Theaterkarren bedeuten, wo Impresario Eder Ottokar und Bárinkay unter die vielen gefallenen Helden zählt. Die Bühnenzuschauer buhen, nur Feigling Zsupán hat es „Von des Tajo Strand“ nach Hause geschafft, so etwas will das Publikum nicht sehen.

Also zieht Eder den Vorhang auf zum Happy End. Es fügt sich, was zusammengehört, die als Paschatochter enttarnte Saffi schwebt in Maria-Theresia-Aufmachung unters jubelnde Volk. „Heiraten! Vivat!“ Zu einer derart ausbremsten Operette war der Schlussapplaus dennoch entsprechend schaumgebremst.

Einführung: www.youtube.com/watch?v=E2jQKhn4PMs           www.youtube.com/watch?v=A6IrtLPpXvI             Kurt Rydl und Lucian Krasznec im Gespräch: www.youtube.com/watch?v=hsE7kmqnSyc                                Peter Lund und Alfred Eschwé im Gespräch: www.youtube.com/watch?v=H6tUNKAACjM             Probeneinblicke: www.youtube.com/watch?v=A75D7yD6Hmw             www.volksoper.at

1. 3. 2020

Volksoper: Die Csárdásfürstin

September 23, 2018 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Erste Weltkrieg bricht übers Varieté herein

Applaus für die Csárdásfürstin: Lucian Krasznec als Edwin, Elissa Huber als Sylva Varescu, Chor und Wiener Staatsballett. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Das Bild zu Beginn beweist bereits, dass hier nichts Patina angesetzt haben wird. Da sitzen Edwin und seine Verlobte in spe, Stasi, in der Bibliothek derer von und zu Lippert-Weylersheim, sie orgelt schon einmal elegisch ein paar „Schwalben“ heim, er langweilt sich über seiner Zeitungslektüre. Da bricht aus dem Hintergrund und das Bühnenbild entzwei Edwins Erinnerung an die Revuewelt der Sylva Varescu.

Das Budapester Sodom tanzt zwischen den Bücherwänden der Blaublüter. Heia, Heia, so beschwingt geht es her, wenn Regisseur Peter Lund an der Volksoper Emmerich Kálmáns „Die Csárdásfürstin“ inszeniert. Lund hat sich jedmöglichem Ungarn-Kitsch entzogen, die Optik seiner Arbeit ist von eher Klimt’scher Anmutung, dazu ein Hauch Dada – sogar eine Hugo-Ball-Figur in kubistischem Kostüm ist auf der Bühne.

Nicht einen Moment verliert Lund die Entstehungszeit dieses Schlageralbums der silbernen Operettenära aus den Augen, uraufgeführt 1915, ein Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Er kann, das hat er schon bei „Axel an der Himmelstür“ fulminant vorgeführt, den Staub wegblasen und trotzdem werktreu bleiben.

Jakob Semotan brilliert als Boni, mit ihm das Wiener Staatsballett. Bild: © Alfred Eschwé

Von bigott zu flott: Sigrid Hauser als Anhilte von und zu Lippert-Weylersheim. Bild: © Alfred Eschwé

Und so zeigt er – und wieder arbeitet er mit dem Stilmittel Film – Wochenschauaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg, Soldaten im Schützengraben, alte Zeitungsartikel über Siege und öfter noch Verluste, Flanieren über den Ringstraßenkorso und Fallen im Feld. Am Ende werden Kampfflieger übers „Habt euch lieb“ donnern, und man wird wissen, das Glück der frisch vereinten Paare hat ein Ablaufdatum. Wie’s der Feri Bácsi singt: „Weißt du, wie lange noch der Globus sich dreht / Ob es morgen nicht schon zu spät …“

Die spritzig-charmante Inszenierung ist unter der diesbezüglichen Leitung von Alfred Eschwé auch musikalisch in Höchstform. Das Volksopern-Orchester kann Walzer, Swing und Charleston vom Feinsten, der Chor des Hauses und das Wiener Staatsballett sind sowieso stets eine Freude.

Ein wahrer Glücksgriff ist Elissa Huber, die als Sylva ihr Volksoperndebüt gibt, die virtuos zwischen lyrischen Höhen und erdigen Tiefen changieren kann, und die darstellerisch Paprika im Blut hat. Lucian Krasznec steht ihr als klassischer Operettenkavalier Edwin – seine Rolle nach einem veritablen „Schwalben“-Streit mit Stasi um „Heut Nacht hab ich geträumt von dir“ aus Kálmáns „Veilchen vom Montmartre“ aufgewertet – sängerisch und schauspielerisch in nichts nach.

Sylva zerreißt Edwins Eheversprechen: Elissa Huber und Lucian Krasznec. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Aus den insgesamt hervorragenden Solistinnen und Solisten – etwa Wolfgang Gratschmaier als grummelig-gutmütiger Fürst von und zu Lippert-Weylersheim, Johanna Arrouas als Komtesse Stasi in Verwandlung vom grauen Entlein zum quicksteppenden Schwan, Axel Herrig als so skurriler wie altersweiser Feri Bácsi, der aus seinem Part immer wieder ein Kabinettstück macht – sticht Jakob Semotan als Graf Boni heraus.

Semotan erweist sich als einwandfreier Komödiant, der mit den Mädis vom Chantant um die Wette über die Bühne wirbeln, singen, tanzen, spielen, und alles gleichzeitig kann. Kein Wunder, dass ihm die Herzen des Publikums zufliegen. Ein weiterer komischer Genuss ist naturgemäß Sigrid Hauser als Fürstin Anhilte, auch diese Rolle für ihre großartige Verkörperin vergrößert und ums Lied der „Hajmasi Hilda und Paul“ erweitert, eine bigotte Bissgurn, die sich als flotte Brettldiva entpuppen wird. Keine Frage, mit dieser „Csárdásfürstin“ fügt die Volksoper ihrem Spielplan ein weiteres Highlight hinzu.

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23. 9. 2018

Volksoper: Der Opernball

Februar 18, 2018 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Charmelos statt schamlos

Kristiane Kaiser als Angelika, Sieglinde Feldhofer als Helene, Ursula Pfitzner als Margarete, Helga Papouschek als Palmyra, Kurt Schreibmayer als Theophil, Marco Di Sapia als Paul, Almira Elmadfa als Henri und Carsten Süß als Georg. Bild: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Gleich zu Beginn wird der running gag via Bühnenansage verkündet: Weil die Staatsoper heuer auslässt, findet „Der Opernball“ in der Volksoper statt. Nun, gar so stolz braucht man auf die Neuerwerbung nicht zu sein. Axel Köhlers Inszenierung, die die ursprünglich in Paris stattfindende Handlung nach Wien verlegt, wirkt eher wie ein ziemlich ordinäres Gschnas.

Vor allem im zweiten Akt nahmen Köhler und seine Ausstatter Timo Dentler und Okarina Peter die Übersiedlung vom Haus am Ring an den Gürtel allzu wörtlich, und zollten der ehemals sündigen Meile mit einem seltsamen Etablissement Tribut. Doch selbst hier geht’s statt schamlos nur charmelos zu. Es ist erstaunlich, das sonst so elegant frivol agierende Volksopern-Ensemble darstellerisch so hilflos zu sehen.

Aber der Reihe nach. Hebt sich der Vorhang, sieht man etwas, dass ein elegantes Wiener Loft sein soll, tatsächlich aber wie die Innenausstattung eines Luxusdampfers anmutet. Durch ein Bullauge ist das Riesenrad – und damit Wien – zu erkennen. In dieser Pappenstiel’schen Wohnung treffen nun neben dem Besitzerehepaar die Wimmers, die Schachtelhubers, deren Neffe Henri und Haushaltshilfe Helene aufeinander. Die Herren haben Amouren im Kopf, die Frauen stellen Fallen in Form von rosa Dominos. Billetten laden zum Ball, das Verwirr- und Verwechslungsspiel beginnt: „Gehen wir ins Chambre séparée“ …

Die musikalische Nummer vom One-Hit-Wonder Richard Heuberger. Mehr als diesmal wär‘ aber allemal drin gewesen, doch mangelt es der Regie völlig an Ideen (außer, dass man E-Mails auf Laptop und Handy liest), sei’s Ironie oder auch die Möglichkeit für Parodie. So holpern man hölzern durch den ersten Akt, der gefühlt viel länger ist, als die Uhr hergibt. Danach Nachtclub mit Pinups und Kojen fürs Tête-à-Tête, die wie weibliche Rundungen aussehen. Aus einem „Erlebniskeller“ strömen SM- und Crossgenderpärchen. Das hat mit Opernball so viel zu tun, wie Schnellimbiss mit Haubenrestaurant. Für den dritten Akt geht es zurück auf den Dampfer. Der nimmt nun zwar etwas Fahrt auf, als sich die Verwicklungen entwirren, doch insgesamt ist kaum mehr was zu retten.

Vor dem „Chambre séparée“: Ursula Pfitzner als Margarete, Sieglinde Feldhofer als Helene und Carsten Süß als Georg: Bild: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Das gilt auf fürs Musikalische. Dirigent Alfred Eschwé beginnt zwar fröhlich-schmissig, doch irgendwann hat er beschlossen, es nur noch krachen zu lassen. Lyrische Momente gehen ihm komplett unter. Unter den Solistinnen und Solisten erfreuen Amira Elmadfa als Henri mit ihrem schönen Mezzo und ihrer Spielfreude, Sieglinde Feldhofers silbrig glänzender Sopran als quicksilbrige Helene und Marco Di Sapia, der als Paul Wimmer auch für Komödiantik sorgt.

Der übrige Cast (Kristiane Kaiser, Carsten Süss, Ursula Pfitzner, Martina Dorak) bleibt blass, Boris Eder, als Oberkellner Philipp ein aufgelegtes Gustostückerl, lässt man erst gar nicht ins Spiel kommen. Erfreulich ist ein Wiedersehen mit den Volksopern-Urgesteinen Helga Papouschek und Kurt Schreibmayer als Palmyra und Theophil Schachtelhuber. Am Ende gab es freundlichen Applaus ohne große Bravo-Rufe, für die Regie ein paar kräftige Buhs.

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  1. 2. 2018

Volksoper: Fürst Igor

März 20, 2016 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Seltsames Werk mit Sonnenblumen

Sebastian Holecek als Fürst Igor, Chor der Volksoper Wien Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper

Sebastian Holecek als Fürst Igor und der Chor der Volksoper Wien
Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper

An der Volksoper kann eine Wiederentdeckung nur teilweise gefeiert werden. „Fürst Igor“ von Alexander Borodin wurde unter der musikalischen Leitung von Alfred Eschwé und in der Regie von Thomas Schulte-Michels zumindest zum Triumph für Sebastian Holecek in der titeltragenden Rolle und für den Volksopern-Chor. Beide wurden mit Bravorufen bedankt, Eschwé und Schulte-Michels hingegen mussten sich mit einigen Buhs abfinden.

Das mag beim traditionsbewussten Opernpublikum auch daran gelegen haben, dass das Leading Duo etliche, durchaus sinnhafte Änderungen und damit eigentlich Restaurierungen vorgenommen hatte. So aber war das Werk in Wien, wo es an der Staatsoper ohnedies erst zwei Mal als Neuinszenierung, zwei Mal als Gastspiel aufgeführt worden war, noch nie zu hören. 18 Jahre lang arbeitete Borodin an dieser Oper, bis er sie, weil 1887 verstorben, unvollendet zurückließ. Es kam seinem Kollegen und Freund Rimski-Korsakow und dessen Schüler Glasunow zu, sie zu Ende zu schreiben.

Eschwé nun strich diesen Zugriff wieder großzügig aus der Partitur, er kürzte das Ganze auf zweimal 70 Minuten, die Ouvertüre um ihrer „Ausstattung“ beraubt gar auf dreieinhalb, und erlaubte sich den klugen, als publikumswirksam gedachten Schachzug, die Polowetzer Tänze, das einzige, das an „Fürst Igor“ irgend bekannt und berühmt ist, weil ein von Bing Crosby und Tony Bennett unter dem Titel „Stranger in Paradise“ interpretierter Welthit, vor die Pause zu stellen. Das wurde ihm dadurch möglich, dass auch Schulte-Michels kräftig umstellte, abwechselnd Szenen in Russland und bei den Polowetzern zeigte, also die von Rimski-Korsakow vorgenommene Vertauschung der Akte eins und zwei rückgängig machte. An den Schluss, und dies die größte Erregung bei den After-Show-Gesprächen, stellte er nicht die große Rede Igors, sondern eine komische Nummer der beiden Bänkelsänger Skula und Eroschka.

„Fürst Igor“ ist ein seltsames Werk. Es hat einen klar ausgewiesenen Schurken, doch die meisten Figuren bleiben ambivalent, einen Helden sucht man vergebens. Borodins Sympathien mögen bei der Fürstin Jaroslawna, Igors Frau, gelegen haben, ihr widmet er nämlich einige der schönsten Melodien. Fürst Igor also bricht auf in den Krieg gegen die Polowetzer, die immer wieder sein Reich überfallen. Dieses und die Gattin übergibt er in die Obhut seines Schwagers Galitzky. Igor und sein Sohn Wladimir werden vom Khan vernichtend geschlagen und gefangen genommen, doch der Khan erweist sich als großmütig und bietet Igor gegen einen Nichtangriffspakt die Freiheit an. Der nimmt natürlich nicht an. „Ehre!“ ist das in dieser Oper am meisten geschmetterte Wort, und was wurde dieser Begriff nicht menschheitsgeschichtlich falsch verstanden, doch schließlich flieht er, weil Galitzky in der Heimat ein Schreckensregiment errichtet. Wladimir und die Tochter des Khans aber haben sich unsterblich ineinander verliebt, und der Herrscher gibt seinen Segen dazu, unter der Auflage, dass der Sohn am nächsten Tag an seiner Seite gegen den Vater in die Schlacht zieht. Der ahnt derweil noch nichts Böses und sorgt erst einmal daheim für Recht und Ordnung. Aus. In Russland ist die Oper eine Art Nationalheiligtum. Der „Einigkeit macht stark“-Gedanke passte zu jeder Zeit und unter jedem Regime ins Großreich.

Borodin aber hatte, so scheint’s, für die Polowetzer nicht weniger Sym- oder Antipathie wie für die Russen. Für die einen hat er opulente, heitere, orientalisch gefärbte Klänge komponiert, die anderen können mit bedeutungsschweren Melodien, wie russischen Volks- und Kirchenliedern entliehen, glänzen. Wohlklingende Chöre nehmen musikalisch den breitesten Raum der Oper ein. Das Orchester allerdings hatte am Premierenabend keine Sternstunde. Eschwé gelang es kaum die Feinheiten der Borodin’schen Kompositionen zu bedienen, weder wurden Folkloreklangfarben großzügig aufgetragen, noch lyrische Momente mit großer Zartheit entfaltet. Die meiste Zeit wurde plakativ und wenig differenziert musiziert.

Die gesanglichen Leistungen der Solistinnen und Solisten stehen allerdings außer Frage. Allen voran brillierte Sebastian Holecek, der als Fürst Igor seinen kraftvollen Bariton von Höhepunkt zu Höhepunkt führte. Seine große Arie war zweifellos der Moment des Abends. Auch Melba Ramos als Jaroslawna und Annely Peebo als Khan-Tochter Kontschakowna überzeugten stimmlich, wiewohl Peebo kleinste Probleme in der Tiefe hatte. Dies lässt sich auch über den Charakterbariton von Martin Winkler als Galitzky sagen, Winkler sah sich allerdings und offenbar als einziger im Stande, aus seiner Rolle einen spannenden, in seinem Fall sinistren Charakter zu formen. Ihm beim Spielen und Intrigieren und Grausamsein zuzusehen war eine Freude. Soran Coliban als Khan kämpfte ebenfalls ein wenig mit extremen Lagen, ließ seinen Bass aber dennoch kräftig klingen. So wie Vincent Schirrmacher seinen schönen, glockenhellen Tenor. Auch Stefan Cerny und Christian Drescher als Skula und Eroschka waren stimmlich deutlich mehr auf der Höhe als darstellerisch-komödiantisch. Da wäre viel mehr möglich gewesen.

Und dies der große Vorwurf an die Aufführung: An der Rampe wurde prächtig gesungen und mit den Händen gerungen, aber ansonsten? Lethargie. Es ist unverständlich, warum Schulte-Michels, der dem Volkstheater unter Michael Schottenberg etliche auch in ihrer Aussagekraft herausragende Abende schenkte, hier mit seiner Theaterpratzn nicht hinlangte. Eigentlich ist doch schauspielerischer Stillstand auch am Musiktheater und an der Volksoper unter Direktor Robert Meyer im Besonderen längst passé. Optisch entwirft Schulte-Michels für die Russen eine schwarz-düstere Hölle, während die Polowetzer zwischen riesigen Sonnenblumen lustwandeln dürfen. Die sind auch Sitzmöbel und Kerker für die Gefangenen und dies der Hinweis darauf, dass hier der Schein trügt, und weit und breit der einzige Regieeinfall.

Ausführlicheres hätte man zum Werk durchaus sagen dürfen. Über einen Ehrbegriff von vorgestern, der Völker in immer wieder neue, alte Kriege hetzt – und die Frage, ob sich das je ändern mag. Schließlich weist Borodin sogar musikalisch aus, dass der Heide auch ein kultivierter Herrscher sein kann, wenn er nur will, Coliban gibt ihn als bauchigen Gemütsmenschen, während sich die sogenannte zivilisierte Gesellschaft unter Galitzky in Windeseile von jeglicher Mitmenschlichkeit selbstbefreit. Die Jaroslawna hat hier die ganz große Szene, wenn die vom Bösewicht und seinen Mannen sexuell bedrängten Mädchen sie um Hilfe anflehen. Es genügt eben nicht ins Ballett ein paar Streetdanceelemente einzustreuseln und in den Logen Fanlichter erklimmen zu lassen, um für ein Publikum anno 2016 eine Botschaft zu formulieren. Warum spielt man heute ein Werk wie „Fürst Igor“ überhaupt noch? Und wenn ja, wie?

Als Politsatire, beispielsweise. Als Kommentar zu Europas neuem Nationalismus, seinem Chauvinismus, dem politischen Säbelrasseln allerorts. Schulte-Michels tut das immerhin in der Schlussszene mit Skula und Eroschka. Die beiden politischen Wendehälse schaffen es gerade noch rechtzeitig zurück ins nunmehr richtige Lager. Von Galitzky zu Fürst Igor. Sie haben verstanden, dass das Volk bald einem als Führer nachläuft, und lassen laut ihre Rufe nach dem aktuell starken Mann erschallen. Die Opportunisten und Manipulatoren obsiegen, sie schwimmen sicher durch jedes System, das ist das Schönste, das man über eine Oper, die deren mehrere gesehen hat, sagen kann. Zeitlos gültig und zurzeit gültig. Mehr davon wäre mehr gewesen.

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Wien, 20. 3. 2016

Volksoper: Onkel Präsident

Oktober 6, 2014 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Friedrich Cerhas nagelneue Farce nach Ferenc Molnár

Onkel Präsident Foto der UA_Renatus Mészár (c) Jochen Klenk„Die Gattung Komische Oper wird von Komponisten schon seit geraumer Weile vernachlässigt.“ Also sprach der große alte Herr der neuen Musik, Friedrich Cerha, und schuf Abhilfe: Gemeinsam mit dem Textdichter Peter Wolf machte sich Cerha an die „Musikalische Farce“, die unter dem Titel „Onkel Präsident“ im Vorjahr am Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz in der Regie von Josef Ernst Köpplinger uraufgeführt wurde und nun an der Volksoper am 11. Oktober zur Österreichischen Erstaufführung gelangt. Auf der Basis von Ferenc Molnárs Bühnenstück „Eins, zwei drei“, das 1961 von Billy Wilder verfilmt wurde, zeichnet Cerha die Wandlung des Fahrradboten Josef Powolny zum Spitzenmanager mit Adelsprädikat. Der „Onkel“ Präsident, allmächtiger Chef eines Stahlkonzerns, zieht die Fäden, um einen präsentablen Ehemann für die Millionenerbin Melody Moneymaker zu „erfinden“. Friedrich Cerha hat eine an Tempo und musikalischen Anspielungen reiche Komödie geschaffen, die immer wieder die Kunstform Oper durch witzige Extempores auf die Schaufel nimmt. Eingerahmt wird die turbulente Handlung von der Zwiesprache des Präsidenten mit einem bejahrten Komponisten über Sinn und Unsinn der Oper. „In Ihrem Alter hatte Verdi den ,Falstaff‘ schon fertig“, meint der Präsident zu Anfang vorwurfsvoll, um schließlich zu resümieren: „Der ,Falstaff‘ ist ja doch nicht zu übertreffen.“ Da mag was dran sein, doch mit „Onkel Präsident“ ist dem mittlerweile 88-jährigen Siemens-Musikpreisträger Cerha ein vitales Lebenszeichen nicht nur seiner Kunst, sondern der verblasst geglaubten „Komischen Oper“ überhaupt gelungen. „Wie in allen meinen Opern geht es grundsätzlich um den Umgang mit Macht, um die Mechanismen ihres Funktionierens und darum, wie das Einzelindividuum darauf regiert“, sagt der Doyen der neuen Musik über seine musikalische Farce.

Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Alfred Eschwé. Renatus Mészár, der bereits bei der Uraufführung die Titelrolle sang, zieht auch an der Volksoper alle Register, um einen präsentablen Ehemann für die Millionenerbin Melody Moneymaker (Julia Koci) zu kreiieren. Den Komponisten gibt Walter Fink.

Friedrich Cerhas wird bei der Österreichische Erstaufführung seiner neuen Oper „Onkel Präsident“ an der Volksoper anwesend sein.

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Wien, 6. 10. 2014