Das Stadtkino geht online: Neun neue Filme ab 1. Mai

April 30, 2020 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Mit dabei ist auch Lola-Preisträger „Born in Evin“

Symbolische Schönbilder kontrastieren Schmerz und Schrecken: Maryam Zaree träumt sich in „Born in Evin“ zurück in den Mutterleib. Bild: © Stadtkino Filmverleih

Das Stadtkino macht neue Filme online zugänglich. Ab 1. Mai gehen die ersten vier Titel ins Netz, gefolgt von weiteren fünf am 8. Mai. Mit dabei ist „Born in Evin“ von Maryam Zaree, der vergangene Woche beim Deutschen Filmpreis mit der Lola für den Besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Auch zu sehen ist – und zwar knapp nach dem Kinostart  – „The Royal Train“. Alle Filme sind auf Kino VOD CLUB und Flimmit abrufbar.

Die Filme ab 1. Mai:

The Royal Train von Johannes HolzhausenIn Rumänien fährt einmal im Jahr ein ganz besonderer Zug durchs Land: Von vielen tausend Menschen begeistert bejubelt befinden sich in dem Zug einige der Nachfahren des legendären Ex-Königs Mihai von Rumänien. Der Film zeigt die Hintergründe dieser nostalgisch anmutenden Fahrt und nimmt die Zugreise als Ausgangspunkt für eine filmische Expedition in die Geschichte und Gegenwart des osteuropäischen Staates. Trailer: www.youtube.com/watch?v=HIC9BqKFLXQ

Dieser Film ist ein Geschenk ist ein Film von Anja Salomonowitz über den Künstler Daniel Spoerri. Eigentlich ist es ein Film über einen Gedanken von Daniel Spoerri: ein Film fast ohne Daniel Spoerri, eigentlich wird er meistens von einem Kind nachgespielt – um nicht weniger zu sagen, als dass alles immer irgendwie weitergeht im Leben, auch wenn man dazwischen mal stirbt. Trailer: www.youtube.com/watch?v=BfCPKfn_I38

Chaos von Sara Fattahi ist die Geschichte von drei syrischen Frauen. Jede von ihnen lebt an einem anderen Ort. Was sie voneinander trennt ist gleichzeitig das, was sie vereint – der Verlust und das Trauma. Trailer: www.youtube.com/watch?v=PTvFcxEysBk

Abschied von den Eltern von Astrid Johanna Ofner nach Peter Weiss. „Ein Film über Flucht, Familie, Kunst, über Städte, Bilder, Sexualität, Einsamkeit, Geschichte, Gewalt und Freundschaft. Und auf eine eigenartige Weise ein Film über Häuser und über das alte und ein neues Europa“, so die Filmemacherin. Peter-Weiss-Lesung: www.youtube.com/watch?v=CCBLiPfgZxs

Dieser Film ist ein Geschenk. Bild: © Stadtkino Filmverleih

Chaos. Bild: © Stadtkino Filmverleih

Abschied von den Eltern. Bild: © Stadtkino Filmverleih

The Royal Train. Bild: © Stadtkino Filmverleih

Die Filme ab 8. Mai:

To The Night ist der dritte Langfilm des österreichischen Regisseurs und Musikers Peter Brunner, der mit seinem unverkennbaren Stil die internationale Festivallandschaft begeistert. In der Hauptrolle einer versehrten Künstlernatur glänzt das US-Talent Caleb Landry Jones. Trailer: www.youtube.com/watch?v=PWn8j2vHZH4&t=

Erde. Mehrere Milliarden Tonnen Erde werden durch Menschen jährlich bewegt – mit Schaufeln, Baggern oder Dynamit. Filmemacher Nikolaus Geyrhalter beobachtet in Minen, Steinbrüchen, Großbaustellen Menschen bei ihrem ständigen Kampf, sich den Planeten anzueignen. Trailer: www.youtube.com/watch?v=Dch-x56eJIs

Lillian als Emigrantin in New York gestrandet, will zu Fuß in ihre Heimat Russland zurückgehen. Entschlossen macht sie sich auf den langen Weg. Ein Road Movie, quer durch die USA, hinein in die Kälte Alaskas. Die Chronik eines langsamen Verschwindens. Der Film von Andreas Horvath hatte seine Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Cannes 2019. Trailer: www.youtube.com/watch?v=uUkWJOBX9hM

Der Stoff, aus dem Träume sind. Anhand von sechs Meilensteinen selbstorganisierten und selbstverwalteten Wohnbaus in Österreich nähert sich der Dokumentarfilm von Michael Rieper und Lotte Schreiber auf facettenreiche Art an die unterschiedlichen Themen kooperativer Wohnprozesse von 1975 bis heute an. Trailer: www.youtube.com/watch?v=q4nxqQr1UCU

Lillian: Bild: © Stadtkino Filmverleih

Regisseurin Sara Fattahi. Bild: © Michela di Savino / Stadtkino Filmverleih

To The Night von Peter Brunner. Bild: © Stadtkino Filmverleih

Filmkritik – Born in Evin: Das „Licht der Welt“ am dunkelsten Ort

Schließlich sprechen die Frauen doch mit ihr. Sahar Delijani über ihre ermordete Mutter: „Wenn sie zum Verhör gerufen wurde, sagte sie trotzig: ,Die wollen mit mir reden, ich habe alle Zeit der Welt‘, und richtete sich in aller Ruhe ihre Augenbinde. Sie erzählte das, als ob sie sich für eine Party schick gemacht hätte“, sagt Delijani über diese stolze Frau, die auch durch Angst und Gewalt nicht gebrochen werden konnte. Vor dem Iran-Tribunal in Den Haag verliest Chowra Makaremi das, man kann’s nicht anders bezeichnen, Folter-Protokoll, das ihr Großvater über den zu Tode geschundenen Körper seiner Tochter geführt hat. Gebrochene Wirbelsäule, Verbrennungen von Elektrodrähten, ausgeschlagene Zähne, nach Jahren endlich gehenkt.

Sahar Delijani lebt in Kanada, sie ist die Autorin des Buches „Kinder des Jacarandabaums“ (www.youtube.com/watch?v=ffwVNvmQ_GI). Die französische Filmemacherin Chowra Makaremi veröffentlichte 2019 ihre Dokumentation „Hitch, une histoire iranienne“. In London spricht die Psychologin Nina Zandkarimi über die Albträume, die sie als Teenager verfolgten. Blut auf der Brust der Mutter, Schreie, Maschinengewehre, ein Kleinkind, das die Misshandlungen mitansehen muss. Solch nächtliche Heimsuchungen kennt auch Maryam Zaree. Lange hat sie nicht verstanden, woher diese Bilder kamen, dann hat sie begriffen, sie sind früheste Erinnerungen. Zaree ist, gleich ihren Gesprächspartnerinnen, in einem iranischen Foltergefängnis geboren, sie 1983 in Evin am nördlichen Stadtrand von Teheran, wo ihre Eltern als politische Gefangene inhaftiert waren.

Der Mutter gelang mit der zweijährigen Maryam die Flucht nach Deutschland, der Vater musste sieben Jahre in dieser Hölle aushalten. Obwohl täglich mit dem Vollzug der über ihn verhängten Todesstrafe bedroht, überlebte er sogar die Massenhinrichtungen im Jahr 1988. Geredet wurde in der Familie über Evin nie. Bis sich die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin, bekannt aus dem mit zehn Auszeichnungen Lola-Großabräumer „Systemsprenger“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=34792) und als Gerichtsmedizinerin Nasrin Reza im Berliner „Tatort“, entschloss, den jahrzehntelangen Schleier des Schweigens zu lüften.

„Born in Evin“ heißt ihr Debüt als Dokumentaristin. Wer könne von sich schon sagen, er hätte „das Licht der Welt“ an einem deren dunkelster Orte erblickt, ist ihr flapsiger Einstieg in die eigene Lebensgeschichte, in der sie mittels Fallschirmsprung landet. Später wird sie sich in einem sonnendurchfluteten Swimmingpool zurück in den Mutterleib imaginieren. Symbolische Schönbilder, die die erfahrene Realität durchkreuzen. Die Filmemacherin schont sich nicht, starrköpfig stellt sie ihre Fragen, zeigt Emotionen, die bisher ungeweinten Tränen ihres Kindheitstraumas. Zeigt sich entmutigt, erschüttert, von Kamerafrau Siri Klug nüchtern-schlicht festgehalten, auf Konferenzen von Exil-Iranern, Arm in Arm.

Mit Mutter Nargess. Bild: © Stadtkino Filmverleih

Beim Iran-Tribunal in Den Haag. Bild: © Stadtkino Filmverleih

Mit Exil-Iranern in Florenz. Bild: © Real Fiction Filmverleih

Mit Vater Kasra Zareh. Bild: © Stadtkino Filmverleih

Mit all den Facetten ihres Seins lässt Zaree ihren Film beginnen. Im Gang vor einer Studiogarderobe schimpft sie über das „beschissen recherchierte deutsche Fernsehen“, weil ihr für eine Rolle ein Hidschāb verpasst wurde, ein schwarzes Körperverhüllungsklischee: „So sieht keine Geflüchtete aus, wenn sie in Deutschland ankommt.“ Gleich darauf zeigen private Aufnahmen Maryam als neugierig plappernde Schülerin, die mit ihren Deutschkenntnissen prahlt und dabei genüsslich Eis isst.

Als nächstes verstörende Buntstiftzeichnungen, zu viel Rot und Schwarz, dann Mutter Nargess Eskandari-Grünberg und wie die Grünpolitikerin für das Amt der Oberbürgermeisterin in Frankfurt kandidiert. Wer „Born in Evin“ sieht, lernt eine viel tiefergehende Bedeutung des Wortes Herkunft kennen, als die so gern populistisch etikettierte. Doch für Zaree gestaltet es sich schwierig, Menschen zu finden, die aussagen wollen. Sprechen ist Schmerz. Weder Mütter noch Väter noch die Häftlingsbabys wollen die alten Wunden aufreißen.

Eine der berührenden Sequenzen ist eine Videobotschaft, die Zarees Vater aus Evin schickte, aus dem „Hotel“, wie er der kleinen Maryam sagt, während er ihr Foto küsst. Heute, auf seinem Wohnzimmersofa, nennt Kasra Zareh die Dinge beim Namen – „Gefängnis“. Und weil die Tochter nicht lockerlässt, kramt er aus dem Bettkasten sein buchstäblich „letztes Hemd“ vor seiner erwarteten Hinrichtung hervor. Kasra Zareh flüchtet sich in Anekdoten, wenn er erzählt. Das kennt man vom eigenen Vater und dessen Schwejkiaden aus der russischen Kriegsgefangenschaft.

In Evin hat der unter Schah Reza Pahlavi begonnene und von Ajatollah Chomeini fortgesetzte Schrecken kein Ende. Die Fotografin Zahra Kazemi wurde 2003 wegen Aufnahmen vor dem Gefängnis zu Tode gefoltert. Die Schriftstellerin Marina Nemat saß mehr als zwei Jahre in Evin, in Zelle 246 – wie Nargess Eskandari-Grünberg. Gegenwärtig befindet sich dort die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh in Haft, die am 6. März 2019 wegen ihres Einsatzes für die Rechte von Frauen zu 33 Jahren Gefängnis und 148 Peitschenhieben verurteilt wurde … mehr: www.mottingers-meinung.at/?p=38221

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30. 4. 2020

Theater Nestroyhof Hamakom: Zu ebener Erde und im tiefen Keller

Dezember 12, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine Freizeitgesellschaft für alle Workaholics

Der französische Sozialist Paul Lafargue mit seiner Ehefrau und Karl-Marx-Tochter Laura beim Tango de la mort: Hubsi Kramar und Jaschka Lämmert. Bild: © Marcel Koehler, 2019

Während das Publikum noch zwischen vorweihnachtlichem Negroni oder doch dem klassischen Glas Rotwein schwankt, sich vielleicht auch über den ausgesprochen zuvorkommenden Service freut, laufen auf den Videowänden schon erste Filme schwer schuftender Menschen. Traditionell im Dezember hat sich das Theater Nestroyhof Hamakom wieder in Sam’s Bar verwandelt, und einer deren freundlicher Keeper ist selbstverständlich Schauspieler Florian Haslinger.

Der einem beginnend mit Zitaten von Oscar Wilde über Sully Prudhomme, seines Zeichens französischer Lyriker und Philosoph und erster Literaturnobelpreisträger, bis Boris Becker Sinn und Zweck des Abends beibringt. „Zu ebener Erde und im tiefen Keller“ heißt die von Hausherr Frederic Lion erdachte Inszenierung, eine Gegenüberstellung des Prinzips Arbeit mit der Abscheu vor ebendieser, ein buchstäbliches Gegeneinander-Ausspielen von Adam Smiths Schrift „Wohlstand der Nationen“ aus dem Jahr 1776 versus Paul Lafargues Spottpamphlet „Das Recht auf Faulheit“ von 1880. Zwei visionäre Texte – und auch zwei fantastisch verstaubte Sackgassen, deren Abschreiten einen durch die gesamte Architektur des Hamakom führt.

Wobei bei dieser performativen Bildbeschreibung dem Kapitalismus nur das Parterresein, dem Kommunismus hingegen nur noch die Katakomben bestimmt sind. Und so erklimmt Haslinger als sozusagen Adam Smith die Bühne, und versucht als deklarierter „Vater der Nationalökonomie“ wie ein Evangelist des Liberalismus und per Balken- und anderen Grafiken seine Theorien zu erklären. Die da wären, den Ursprung allen Wohlstands in der menschlichen Arbeit zu sehen, weshalb durch Anheizen der Produktivität auch dieser ansteigen werde. Heiß und kalt überläuft es einen, wenn der schottische Aufklärer vorrechnet, wie ein Hackler kaum mehr als eine Nadel pro Tag fertigen könne, aber bei Arbeitsteilung … und ruckzuck ist der Wettbewerbler bei schwindelerregenden 48.000 Stück und schnell steigen einem nicht nur die Grausbirn‘ auf, sondern auch Fließbandbilder, die eintönig vorbeirasenden „Modern Times“.

Das Schlagwort von der „unsichtbaren Hand“ hat Smith postuliert, und während Darsteller Haslinger gerade ausführt, der Mensch sei seinem Wesen nach träge, denn „der Mensch trödelt gewöhnlich ein wenig“, versagt der freien Marktwirtschaft die Technik, stockfinster wird’s im Saal, bis eine Handvoll mit Stirnlampen ausgerüstete Performerinnen und Performer die Zuschauer aus der misslichen Lage erlöst. Sie sind aus dem Augustin-Team, sind über dessen 11% K.Theater zur Kultur gekommen und schreiben wie das Ehepaar Traude und Rudi Lehner für die Rubrik „KulturPASSage“, oder wie Christian Sturm im „Dichter Innenteil“. Es ist tatsächlich der schönste Teil der Aufführung, nach dieser mit den Augustin-Akteuren ins Gespräch zu kommen, ein Gedankenaustausch über Lebenspläne und Werdegänge und die Umleitungen, auf die man geschickt wird.

Geld regiert die Welt: Florian Haslinger erklärt Adam Smiths ökonomische Theorien. Bild: © Peter Katlein

Die Lafargues vor dem gemeinsamen Selbstmord: Jaschka Lämmert und Hubsi Kramar. Bild: © Peter Katlein

Laura Lafargue mit der Grammophonstimme ihres Mannes: Jaschka Lämmert. Bild: © Marcel Koehler, 2019

Der Kommunist im Keller: Hubsi Kramar als Paul Lafague auf der Publikums-Borschtsch-Tafel. Bild: © Peter Katlein

Zuvor freilich geht’s vom Jugendstilsaal in den Backsteinkeller, an hoher, langer Tafel wird Borschtsch serviert, der Alkohol braucht schließlich eine Unterlage, also Eintopf schlürfen und aufmerksam lauschen. Wenn Hubsi Kramar und Jaschka Lämmert als Paul Lafargue und dessen Ehefrau und Karl-Marx-Tochter Laura seine Ideen exemplifizieren, die mitwirkenden Augustinerinnen und Augustiner in diesen Szenen das Salz in der Suppe. Wunderbar, wie sie zu Lukas Goldschmidts Akkordeonklängen den Tango als Totentanz schwofen, Kramar und Lämmert ohnedies auf Leiche geschminkt, denn die Lafargues werden sich mittels Selbstmords von dieser Welt verabschieden. In einer hinterlassenen Notiz steht zu lesen: „Gesund an Körper und Geist, töte ich mich selbst, bevor das unerbittliche Alter mir eine nach der anderen alle Vergnügungen und Freuden des Daseins genommen und mich meiner körperlichen und geistigen Kräfte beraubt hat …“

Auf dem Höhepunkt derselben allerdings ist Kramars Lafargue kämpferisch, der französische Sozialist und Konsumkritiker, der Schwiegervaters Marxismus in seiner Heimat zur Parteigründung verhalf, der auf Kuba geborene, „Mulatte“ geschimpfte Manifesthalter, der die kapitalistische Ideologisierung des Begriffs Arbeitsmoral ablehnte, als dessen Grundübel er die Überproduktion sah. Es hat etwas Bemerkenswertes, wenn der Mitstreiter der Ersten Internationalen vor dem aufgepinseltem Antlitz des „bärtigen und sauertöpfischen Gottes“ – meint er den Allmächtigen oder den Arbeiterbewegten? – die Bergpredigt Christi zitiert: Sehet die Lilien auf dem Felde … Es wirkt absonderlich, wenn Laura/Lämmert am Grammophon Frauenrollen runterkurbelt, die Qualwahl zwischen entweder naturverbunden-gesunde Gebärmaschine oder hohlwangig-ausgelaugte Fabrikarbeiterin.

„O jämmerliche Fehlgeburt der revolutionären Prinzipien der Bourgeoisie!“, so Lafargue in seinem „Recht auf Faulheit“, und ist der philosophischen Auseinandersetzung im Hamakom eins vorzuhalten, dann dass einem Frederic Lion die weibliche Perspektive vorenthält. Ob nun Laura Lafarge tatsächlich keine eigenständige Meinung hatte oder ihr keine zugebilligt wurde, auch Marxisten sind Machos, so ist Wien doch die Stadt des Erdarbeiterinnenaufstands, der ersten Frauendemonstration in Österreich, der am 23. August 1848 in der sogenannten „Praterschlacht“ blutig endete.

Traditionell im Dezember wird der Jugendstil-Theatersaal umfunktioniert zu Sam’s Bar, wo’s außer Programm auch Cocktails und Snacks gibt. Bild: © Nick Mangafas

Sagt Lion darauf angesprochen, politische Theaterabende können nicht jede rundum glücklich machen, so fordert alldieweil Kramar als grau gepuderter Untoter Lafargue den Drei-Stunden-Tag und Zeit für flotten Müßiggang für des Tages Rest, und weil Smith davor die Leistungsstärke der Maschine gelobt hat, fällt einem zum Computerzeitalter ein, dass vor allem wichtig, dass die Workstation werktätig ist, der Mensch an der Tastatur hastet schon irgendwie hinterher.

„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, sagen die Bibel und August Bebel, sagen Adolf Hitler und die Stalin-Verfassung, wer’s aber tut, belohnt sich mit von eben jener Wirtschaft, die er mit seiner Arbeitskraft befeuert, künstlich erzeugten Konsumbedürfnissen. Hinauf und zurück in Sam’s Bar, wo zwischenzeitlich die Titanic wie der Teufel an die Wand gemalt worden ist, ein Symbol für den gemeinsamen Schiffbruch aller Klassen, und man fragt sich, wie eine Lafargue’sche Freizeitgesellschaft der Smith’schen Workaholics funktionieren kann, prognostizieren Zukunftsforscher doch erstere, bei gleichzeitiger unternehmerischer Erwartung, der Arbeitnehmer möge via Neuer Medien twentyfourseven erreichbar und einsatzbereit sein.

Derart gibt einem „Zu ebener Erde und im tiefen Keller“ zu denken, die Nestroy-Paraphrase im Nestroyhof, die Localposse, in der auch der Volksdichter zeigt, wie schnell ein Schiff sinken und man von der Beletage im Souterrain landen kann.

www.hamakom.at           augustin.or.at

  1. 12. 2019

Akademietheater: Rosa oder Die barmherzige Erde

März 11, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Tobias Moretti beeindruckt als Romeo in Alterswindeln

Susanna Ernst, Waltraud Hackinger, Tobias Moretti und Marta Kizyma. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Es kann am Theater einen eigenen Zauber entfalten, wenn Rätsel offen bleiben, wenn nicht jede Leerstelle besetzt wird und Texte nicht bis zu ihrem Ende durchdekliniert werden. Auf diesen Zauber setzt Luk Perceval bei seiner Inszenierung von „Rosa oder Die barmherzige Erde“. Eine Uraufführung am Akademietheater, für die der 60 Jahre alte Burgdebütant Shakespeares „Romeo und Julia“ und Dimitri Verhulsts Roman „Der Bibliothekar, der lieber dement war, als zu Hause bei seiner Frau“ ineinander verschränkt hat. Das Resultat dieser Bemühungen ist ein ungemein spannender und unheimlich anstrengender Abend mit einem herausragenden Tobias Moretti als Bibliothekar Désiré/Romeo.

Somnambul ist das Wort, das einem zu dessen Darstellung einfällt. Wie geistesabwesend steht Moretti auf der Bühne, und ist doch ganz bei sich, stemmt den hundertminütigen Kraftakt quasi im Alleingang, denn die Mitschauspieler auf der Bühne sind kaum mehr als Staffage, um die Story über die Rampe zu bringen. Deren Inhalt nach Verhulst: Désiré ist ein Mann Mitte der 70, der sein Leben an der Seite seiner Frau so satt hat, dass er beschließt, den Demenzkranken zu geben und sich in eine

entsprechende Einrichtung einweisen zu lassen. Hier möchte er seine letzten Lebensjahre ohne Gezänk verbringen. Doch trifft er auf seine tatsächlich an Alzheimer erkrankte unerfüllt gebliebene Jugendliebe. Und hier nun Perceval – seine „Julia“, deren stilles Verlöschen ihn verzweifeln lässt. Aus Désiré wird Romeo, Pastor, Pfleger und Schwestern werden als Lorenzo, Benvolio oder Mercutio zu Stichwortgebern, und es ist nun Percevals Aufgabe, die viele Parallelen im Verhulst’schen Text zu Shakespeare zu ent- und aufzudecken. Von der Balkonszene bis zum Doppeltod. Denn Désiré wird nach dem Sterben Julias nicht mehr weiterleben wollen und sich in die Tiefe stürzen …

Für all das hat Katrin Brack ein Odeon erdacht, eine runde, sich drehende Spielstätte und eine Tribüne aus Sitzbänken, auf denen der Vergissmeinnicht-Chor, Damen zwischen 85 und 95, Platz genommen haben. Davor Moretti. Mal via Lautsprecher verstärkt, über den auch Geräusche wie ein beständig irres Frauenkichern eingespielt werden, mal ein Wispern von Liebe und Tod, die Stimmung seltsam bodenlos, mal resignativ, mal stockend-zögerlich, mal unflätig und wütend. Sein Désiré gibt die Demenz, scheint’s, nicht vor, er ist wirklich von ihr angekränkelt. Und dann wieder lichte Momente, wenn die Anverwandten, ob seiner Begriffstutzigkeit jede Hoffnung aufgebend, abtreten und er zu verstehen gibt, er hätte genau gewusst, was die wollten. Und genauso wie als Bibliothekar beeindruckt Moretti als Romeo in Alterswindeln.

Sabine Haupt und Tobias Moretti. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Sabine Haupt, Gertraud Jesserer und Tobias Moretti. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

In einer der eindrücklichsten Szenen wird er vom Chor gerufen. „Papa!“ Immer mehr Stimmen, immer lautere, da versteht man, dass da ein Mensch unter  jahrelanger Verantwortung zusammenbrach, versteht, dass nicht mehr ging, was andere von ihm erwarteten, und ergo der Rückzug erfolgen musste. Nicht zur Kenntnis nehmen wollen/können das Sabine Haupt als Tochter Charlotte – eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs – und Gertraud Jesserer mit Tremolostimme als Ehefrau Moniek. Sylvie Rohrer, Daniel Jesch, Marta Kizyma und Stefan Wieland fungieren als Hauptschwester, Pfleger und Pastor und als Shakespeare-Personal. Mariia Shulga ist eine anrührende Rosa.

Sie umrahmen das zähflüssige Spiel vom Sterben des alten Mannes, das sich mehr als Stimmung, denn in Klarheit erschließt. Zu denken gibt immerhin, dass hier einer am Ende den Prototyp jugendlicher Lebens- und Liebesgier gibt, das macht grübeln über verpasste Chancen und verflossene Gelegenheiten … Am Ende gab es Jubel für alle, allen voran Tobias Moretti, der einmal mehr bewies, dass man nicht nur beim Film, sondern auch auf der Bühne auf ihn zählen kann.

www.burgtheater.at

  1. 3. 2018

Volkstheater: Zu ebener Erde und erster Stock

November 22, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Who killed Johann Nestroy?

Sylvia Bra, Thomas Frank, Martin Zrost, Paul Skrepek, Sebastian Pass, Gilbert Handler Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Sylvia Bra, Thomas Frank, Martin Zrost, Paul Skrepek, Sebastian Pass, Gilbert Handler
Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Am Volkstheater ist derzeit alles g’schissen, weil überall Oarschlöcher sind, die einem sagen, man soll Gusch sein. Wappler. Da kann man gar ned so viel fressen, wie man speiben möcht‘ – und es ist auch wurscht, wer nachher slapstickig auf dieser Speibspur ausrutscht, weil am Ende steht eh der Brunzkübel zum Eineschiffen. Fäkaliendrama Werner Schwab? Geh‘ nein, „Zu ebener Erde und erster Stock“!

Die Posse als Punk. Und der Punk schlägt Purzelbaum. Und in diesem Sinne: Who killed Johann Nestroy? Susanne Lietzow inszenierte diese dramaturgische Autoerotik. Im Bühne-Interview schwärmte sie von Nestroys „Formulierwut“, seinem „mit einer unglaublichen Bildhaftigkeit gespickten Sprachwitz“. The king is gone, but not forgotten. Lietzow hat Nestroy den Nestroy runtergeräumt, und was bleibt, wenn man einen Sprachgewaltigen, einen Satzdrechsler, einen Witz-im-Magen-Umdreher seiner einzigen scharf geladenen, aber dennoch geschmeidigen Waffe beraubt? Nichts zu lachen. Wie aus dem Publikum zu hören.

Folgerichtig, dass die Regisseurin Nestroys Zitatenschatzkästlein als ebensolches behandelt, und Sätze wie den von der Nation-Resignation als Sinnsprüche aufsagen lässt, Josef Bierbichler hat in diesem Tonfall schon einmal einen „Wilhelm Tell“ gespielt. Im Zusammenhang inkonsequent, dass Hans Rauscher – und dies der Höhepunkt des Abends – für Diener Johann ein tagesaktuell zu änderndes Couplet getextet hat, in dem der österreichischen Innenpolitik ihre Grenzwertigkeit aufgezeigt wird – großartig geistreich im Sinne des Erfinders. Wer inszeniert einen Nestroy, in dem Hans Rauscher, bei aller gebotenen Verbeugung vor seinem Werk, der bessere Nestroy ist? Die Musik ist überhaupt das beste. Gilbert Handler, Paul Skrepek und Martin Zrost schrammeln als Garagenband, was das Zeug aushält. Wiener Lied, Free Jazz, Electro. Sie spielen auf zum Pflanztanz.

Und Sebastian Pass. Er rockt das Haus. Er zeigt mit seinem Diener Johann die wahre Wesensart des Nestroy’schen Gemütsmenschen, er ist der rechte „kleine Mann“, dem der Ungeist der Zeit den Katzbuckel stärkt. Er hat sich mit allen außer sich selbst entsolidarisiert. Der Wind der Geschichte weht wieder für ihn und trägt seine verqueren Wertevorstellungen mitten in die Gesellschaft. Wenn dieser Abend gegen Krisengewinnler aller Art aufzeigen will, dann in dieser Figur. In die Pause entlässt er mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“. Eine starke, die stärkste Leistung. Stefan Suske ist ein dazu passender Herr von Goldfuchs, ein Spekulant und Lobbyist, auch optisch ein Graf Ali, der mit Vogelgrippemasken handelt. Dies ist zwar nicht mehr ganz neu, hat aber Ablaufdatum 2016 und ist wichtig, weil schließlich die Armen am Virus verrecken. Trotz unvermuteten Vermögens. Wer draufgeht, sind immer die unten: Lietzows Zweiklassengroteske ohne Happy End. Die Fortuna, Kaspar Locher, ist ein goldbarrenfarbener Schweizer, das Glück kein Vogerl, sondern ein Spinner, die Schweiz ist ja historisch das Schicksal vieler Menschen.

Suske ist außerdem erfreulich wortdeutlich, selbst, so paradox es klingt, bei seinem lautmalerischen Raunzchanson. Teile des Ensembles, wiewohl mit exzellent viel Spielfreude bei der Sache, artikulieren so unverständlich, dass kaum ein Wort zu verstehen ist. Auch eher ungünstig bei einem Nestroy, und keine Einzelmeinung, der Zustand wurde rundum bemurmelt. Es könnte ein Akustikproblem sein, weil es beim Reden im Kobel, der das Erdgeschoss darstellt, besonders auffällt. Je mehr Schauspieler auf diesem engsten Raum sind, desto schlechter die Hörbarkeit. Diese überprüft man von verschiedenen Standpunkten im Saal während der Durchläufe. Zum Anschauen ist das Bühnenbild von Aurel Lenfert freilich fein, ein Wunderwerk der Statik, das die Verhältnisse verdeutlicht. Oben ein Prunksalon, unten eine enge Kammer mit Garage – für die Band. Das heißt: Prunk ist relativ. In den Kostümen von Marie-Luise Lichtenthal bewegen sich grausliche Clowns in einem grindigen Kartenhaus. Lietzow hat unter den Figuren keine Sympathie für niemanden, die Reichen sind sowieso … gleichgültig gegenüber dem Elend anderer, die Armen auch nicht edel, sondern ein Lumpenproletariat, und wären sie nicht gestorben, sie hätten die „schöne“ Wohnung sicher auch versifft.

Schlussapplaus für die Schauspieler, Jubel über die Musiker. Für die Regie gab’s teilweise ziemlich heftige Buhrufer. Wer zählt die Grabinschriften meiner Hoffnungen? Das ist ein Nestroy-Zitat.

www.volkstheater.at

Wien, 22. 11. 2015

Neu am Volkstheater: Thomas Frank

November 18, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Es gemütlich haben, was trinken, was essen …

Thomas Frank Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Thomas Frank
Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Wer behauptet, die Gattung Volksschauspieler sterbe aus, der hat Thomas Frank noch nicht erlebt. Der kann nämlich mit beißendem Humor wahnwitzig witzig sein – obwohl ihm, wenn’s wichtig ist, natürlich kein Witz einfällt. Frank (mehr: www.volkstheater.at/person/thomas-frank/) blickt in seinen Rollen der untiefen österreichischen Seele bis auf den Grund, sei’s als Lois Lubits in „Fasching“ oder als Kleiner Mann im „Marienthaler Dachs“. Weil ihm dieser Art nichts Unmenschliches fremd ist, zeigt er sich passend zum Advent auch als „auxoffanar untan gristbam“ (15. 12., Rote Bar). Am Grazer Schauspielhaus wusste der Vielspieler die Herzen des Publikums auf seiner Seite, das wünscht man ihm nun auch von Herzen für Wien. In Susanne Lietzows Inszenierung von Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“ spielt er den Damian Stutzel. Premiere ist am 21. November. Thomas Frank im Gespräch:

MM: In Graz waren Sie Local Hero, ein Publikumsliebling, da hatten Sie oft schon Applaus, bevor Sie auf der Bühne das erste Wort gesagt haben. Mit welchen Erwartungen sind Sie nach Wien gekommen?

Thomas Frank: Danke, aber so stimmt’s auch wieder nicht … ich bin ohne Erwartungen gekommen, zu viele Erwartungen sollte man nicht haben, die lösen sich manchmal nicht ein, und dann verzagt man. Ich freue mich einfach, dass es weitergeht, dass neue Herausforderungen kommen. Ich will machen, was ich in Graz gemacht habe, und das auch in Wien erreichen … (er denkt nach, Anm. Frank: „er tut zumindest so als ob“) … es wär‘ schon schön … als quasi wieder … na, schauen wir einmal (er lacht).

MM: Sie waren seit 2007 am Schauspielhaus Graz. Wie leicht fällt einem nach dieser Zeit eine Übersiedelung? Was brauchen Sie, um sich wohlzufühlen?

Frank: Ein Miteinander. Dass man Freunde und Kollegen hat, mit denen man gut auskommt und eine gute Zeit verbringen kann. Das finde ich ganz wichtig.

MM: Das ist nach einer Produktion am Schauspielhaus Graz und einer im Theater im Bahnhof Ihr dritter Nestroy. Nun spielen Sie den Damian Stutzel. Im Schauspielführer steht, die Figur sei entbehrlich für die Handlung und ein einfältiger Pechvogel. Rechtfertigen Sie Ihre Figur!

Frank: Wenn’s doch da steht! Man braucht in einem Stück halt auch unnötige Figuren, um das Ganze aufzulockern. Der Damian ist insofern wichtig, weil er mit einem Brief für ein Durcheinander sorgt. Er treibt die Handlung damit voran, aber er tut das nicht bewusst.

MM: Wie sympathisch ist er Ihnen?

Frank: Sehr. In seiner Grundeinstellung zum Leben. Er will nicht viel, er will’s gemütlich haben, was trinken, was essen. Das genügt ihm schon. Da bin ich ihm ähnlich. Er wird unsympathisch, wenn er einen Hauch von Macht in die Hände bekommt, oder glaubt zu bekommen. Da schlägt sein Temperament sofort um und er wird eigentlich ein ziemlicher Arsch, wenn ich das so sagen darf. Das ist sehr menschlich und das ist vor allem symptomatisch für alle Figuren im Stück. Kaum oben, tritt man nach unten. Aber der Damian kommt zum Glück wieder zu Sinnen …

MM: Susanne Lietzow inszeniert. Kannten Sie einander schon?

Frank: Ich kannte sie von der Kantine in Graz, aber mehr ned. Ich muss gestehen, ich hatte von ihr noch keine Arbeit gesehen. Sie macht das Stück nicht extrem „pointig“, sondern versucht sehr sanft sprachlich an die Sache heranzugehen. Ich mag nichts verraten, aber die Rauch-Kallat und ihr MensdorffPouilly und ihre Vogelgrippeschutzmasken werden zum Beispiel vorkommen. Ohne Holzhammer und schon so, dass man sich auskennt, nur quasi, damit’s im Hinterkopf klingelt. Und der Schluss wird anders sein als im Nestroy-Original.

MM: Im Sinne von gesellschaftskritisch-„heutig“?

Frank: Es ist einfach so, dass die Reichen reich und die Armen ärmer werden. Interessant ist die Frage: Wie würde ich reagieren, wenn ich reich würde oder Macht bekäme? Darüber sollte man nachdenken.

MM: Und haben Sie? Wie würden Sie reagieren, wenn Sie zu Geld kämen?

Frank: Ausgeben, auf den Schädel hauen. So mache ich es immer, wenn’s da ist, ist es auch schon wieder weg. So viel zum Thema gemütlich essen und trinken.

MM: Wie sind Sie eigentlich zum Theater gekommen – und nicht jetzt sagen: mit dem Auto -, Sie haben ursprünglich Anlagenmonteur gelernt?

Frank: Heute mit der U-Bahn, nein, ernsthaft, ich bin aus Heidenreichstein und meine Mutter ist dort seit 1981 in einer Laienspieltruppe, das heißt, mittlerweile lassen sie das „Laien“ weg, die „Bühne Heidenreichstein“. Ich war als Bub immer mit, bei den Proben und so, und bin reingewachsen. Andere würden über mich vielleicht sagen, ich war der Klassenclown, ich sage das nicht. Ich hab’s halt gern lustig, und wenn die anderen nichts machen, muss man eben selber. Mit acht Jahren habe ich dann mein Debüt als Flamme im „Trollkind“ gegeben. Das war ein großer Erfolg – und  ich habe Anlagenmonteur gelernt. Ich bin ein Schrauber und Tüftler, und deswegen hat’s mich dann nimmer g’freut, weil immer mehr Computer dazugekommen ist, also bin ich ans Reinhardt-Seminar.

MM: Mit Umweg übers Bundesheer. Wer, Herr Lehmann, dient heute noch mit der Waffe?

Frank: Ich hab’ mir das gar nicht so groß überlegt, weil meine beiden Brüder auch Präsenzdiener waren, mir war gar nicht klar, dass man was anderes machen könnte. Ich war Kraftfahrer in Allensteig, Betriebsversorgungsstelle, privilegiert als Heimschläfer, sehr viel essen, sehr viel trinken, gemütlich haben. Ich habe während dieser Zeit fünfzehn Kilos zugenommen, also quasi allzeit bereit. Ich habe dann in Wien bei Leasingfirmen gearbeitet, bis ich mir dachte: „Veränderung!“ Ein Freund von mir hat eine Theatergruppe und hat bei einer Premierenfeier zu mir gesagt: „Probier’s doch auch“. Natürlich bin ich erst einmal kläglich gescheitert, aber einmal ist ja kein Mal. Mein Vater fragt mich übrigens erst seit Kurzem nicht mehr, ob es das ist, was ich „wirklich“ will, ob das „was Längerfristiges“ ist.

MM: Sie sind bei weitem nicht nur Komödiant, aber das doch intensiv. Die Elegiebürscherln waren nie Ihr Fach?

Frank: Hehe. Ich hab’ einmal den Ferdinand gespielt in „Kabale und Liebe“, das hätte mir schon auch getaugt, aber meinem Umfeld nicht so. Die Darstellung ist nicht aufgegangen, sagen wir’s so. Vielleicht war ich noch nicht soweit … Ich habe aber kein Problem damit, Komödiant zu sein. Mir fällt es manchmal auch schwer, keinen Blödsinn zu machen. Vielleicht sollte ich das auch einmal ausprobieren.

MM: Aber ist Komödiant nicht das härtere Brot? Dem Tragöden sitzt das Publikum in Leidenshaltung gegenüber, da ist keine Reaktion normal, aber, wenn man auf die Lacher wartet und sie kommen nicht?

Frank: Das ist hart, stimmt. Früher habe ich in den Zuschauerraum hineingehorcht, mittlerweile geht’s. Ich bin entgegen dem beliebten Bild von Komödianten jetzt privat nicht der große Depressive, also halte ich was aus. Es heißt noch lange nicht, nur weil ein Publikum einmal an einer Stelle nicht lacht, und man sich denkt „das gibt’s nicht“, dass eine Vorstellung nicht ankommt. Da darf man sich nicht verunsichern lassen. Die Susanne ist zum Glück eine Regisseurin, die einem genügend Bestätigung gibt. Das ist viel angenehmer, als wenn von der Regie gar nichts kommt und man sich denkt „war das jetzt …?“ Sie ist super. Sie lacht viel.

MM: Können Sie gut Witze erzählen?

Frank: Ja, wenn mir einer einfällt. Früher habe ich viele Witze gewusst, heute bin ich froh, wenn ich mir den Text merke. Ich mag absurden Humor, schräge Sachen, darüber kann ich lachen. Ich sehe gern Kollegen, große Schauspieler, die man aus ernsten Rollen kennt, wenn sie einmal Komödie machen. Das imponiert mir sehr.

MM: Was kann Komödie in den Köpfen, was das Drama nicht kann?

Frank: Befreien. Den Alltag vergessen machen, von den eigenen Sorgen ablenken. Das kann Drama, glaube ich, nicht so leicht. Da kommen zu den eigenen Problemen noch die der Bühnenfiguren dazu (er lacht).

MM: Komödie kann uns alle befreien. Das gefällt mir, das nehmen wir gleich als Titel, das ist so pamphletisch. Und was kann Nestroy im Speziellen?

Frank: Er ist – in Österreich – den Leuten noch näher. Ich glaube, er war auch so ein Wirtshausgeher wie ich, ein ganz normaler Typ. Er versteht die Leut’ und die Leut’ verstehen ihn. Deswegen erreicht er das Publikum schneller, leichter.

MM: Sie drehen derzeit auch „Vorstadtweiber“?

Frank: Zweite Staffel, Ausstrahlung 2016. Der Frank spielt aber nicht den Gefängnisdirektor, sondern einen Gefängniswärter. Eine oder einer der anderen wird eingekastelt, weil ein Schas passiert ist, und ich passe auf sie oder ihn auf.

MM: Der „Frosch“ bei den Vorstadtweibern.

Frank: Die Kaulquappe. Die Rolle ist so viel, wie es sich anhört: Immer, wenn was im Gefängnis spielt, renn’ ich auch einmal durchs Bild.

MM: Was mir schon die ganze Zeit ins Auge sticht: Sie tragen heute ein raffiniertes Teil – vorne Holzfällerhemd, das sich durch eine geschickte Körperdrehung in einen Hoodie verwandelt (siehe Bild, Anm.). Fashion Victim oder Geschenk?

Frank (empört): Selber gekauft. Ich bin unbewusst modebewusst. Ich stehe nicht stundenlang vor dem Spiegel, aber ich schaue schon gern was gleich. Ich hätte gerne einen Kostümbildner für mein Leben. Und noch lieber hab’ ich’s, wenn man Kostüme vom Theater abkaufen kann, wenn eine Produktion abgespielt ist. Daher kommen viele meiner Sachen. In Graz hat sich da im Laufe der Jahre einiges angesammelt.

MM: Da war am Volkstheater aber noch nicht viel los: einmal Trachtenanzug, einmal Windelhose.

Frank: Ja, mein Kleiderkasten raunzt schon.

www.volkstheater.at

Wien, 18. 11. 2015