Sommerspiele Perchtoldsdorf: Das Käthchen von Heilbronn
Juli 5, 2014 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Mach‘ mir den Hengst, Liebster!
Das erste von einigen Komplimenten, die man Regisseurin Maria Happel und ihren Schauspielern machen muss, ist, wie sie die Sprachgewalt Kleists wortmächtig und dennoch ungekünstelt umgesetzt haben. Chapeau! bei einem Text, wo’s beispielsweise heißt: Und wo der Zeisig sich das Nest gebaut, der zwitschernde, in dem Hollunderstrauch, soll sich ein Sommersitz dir auferbaun … Da verlangt Natur nach Natürlichkeit. Die Sommerspiele Perchtoldsdorf haben sich für das erste Jahr der Intendanz Michael Sturminger was „Leichtes“ ausgesucht: Heinrich von Kleists „Das Käthchen von Heilbronn“. Und unter Happel wird dieses Schauermärchen, die Ritterromanze tatsächlich leicht. Wie dem darin auftretenden Cherub wachsen dem Abend in der Dämmerung Flügel. Happel inszeniert nicht unkomisch, trotzdem ohne an Kleist Verrat zu begehen. Der hat nämlich sein ganzes Sein in diesen Stoff verwoben. Den steten Kampf von Instinkt gegen Intellekt. Seinen verlorenen gegen die Depression. Kleist ist hier Teil all seiner Figuren.
Der Inhalt: Der Heilbronner Waffenschmied Theobald Friedeborn klagt vor einem heimlichen Femegericht den Grafen Wetter vom Strahl an, seine Tochter Käthchen durch Teufelskünste entführt zu haben. Käthchen, vom ersten Anblick des Ritters wie gebannt, ist ihm überallhin gefolgt. Der Graf, von jeglichem Verdacht im Femegericht frei gesprochen, befiehlt dem Mädchen, mit seinem Vater nachhause zurückzukehren. Seine Zuneigung zu dem nicht adeligen Käthchen unterdrückt er. Kurz darauf befreit der Graf in einer einsamen Hütte die gefesselte Kunigunde von Thurneck aus einem Kidnapping-Versuch ihres früheren Verlobten und bringt sie auf sein Schloss. Der Graf glaubt, in ihr die Kaisertochter zu erkennen, die ihm in einem prophetischen Fiebertraum zu Silvester angekündigt wurde und verlobt sich mit ihr. Käthchen, auf dem Weg ins Kloster, erfährt durch Zufall von einem Anschlag, den der Rheingraf, ein weiterer verflossener Liebhaber der Kunigunde, auf die Burg Thurneck und das mittlerweile verlobte Paar plant. Käthchen eilt zur Burg, um ihren geliebten Grafen zu warnen. Aus Angst vor den eigenen Gefühlen will der Graf sie davonjagen, aber der Angriff beginnt. In kurzer Zeit steht die Burg in Flammen. Kunigunde, die das seltsame Verhältnis ihres Verlobten mit dem jungen Mädchen misstrauisch beargwöhnt, schickt Käthchen mitten ins Feuer, um aus ihrem Zimmer ein wertvolles Futteral zu holen. Auf wundersame Weise von einem lichtumflossenen Engel gerettet, gelingt es Käthchen samt Futteral aus dem einstürzenden Schloss zu entkommen. Von diesem Moment an sind die Gefühle des Grafen für das Mädchen nicht mehr zu unterdrücken. Unter dem Holunderbusch spricht Käthchen im Schlaf und bekennt dabei dem Grafen, dass auch sie einer geheimnisvollen Traumweissagung folgt, die nun Schlag auf Schlag in Erfüllung geht. Käthchen entpuppt sich als die verheißene Kaisertochter und somit steht einem Happy End nichts mehr im Wege.
Vor der Perchtoldsdorfer Burg spielt sich das Geschehen in terrassenförmigen, halb durchsichtigen, steilen Spielfächen aus schwarzem Plexiglas ab (Bühne: Andreas Donhauser, Sebastian Eckl, Paul Sturminger). Die Darsteller agieren sozusagen immer am Abgrund, immer absturzgefährdet. Die Kostüme (Renate Martin, Marie Sturminger) sind angedacht historisch. An Special effects wurde nicht gespart: Die Burg brennt tatsächlich! Einen Wasserfall gibt es auch. Ansonsten kommt Happel weitestgehend ohne Requisiten aus. Keine Schwerter (außer in der Schlussszene), keine Briefe, Dokumente, Depeschen, nicht Pfeil und Bogen noch Pferde. Alles muss man sich imaginieren. Wobei Imagination klarerweise eines der Schlagwörter des Kleist’schen Werks ist. Aber das Publikum bringt’s schon zum Lachen, wenn die edlen Herren wiehernd und schnaubend über die Bühne traben. Die Ritter ohne Kokosnuss. Mach‘ mir den Hengst, Liebster! Selten hat Kleist so viel Spaß gemacht – ein Umstand, an dem sich in den Pausengesprächen die Geister scheiden …
Das Ensemble wird exzellent angeführt von Dirk Nocker als Theobald Friedeborn, Käthchens Vater. Er spielt alle Facetten seines Könnens aus, vom Berserker zum Besorgten zum Betroffenen, der erkennen muss, dass sein Kind des Kaisers (Seine Majestät Wolfgang Hübsch) ist, weil die Gattin sich einst seitenspringend in den Garten verführte, äh, verfügte. Eigentlich die darstellerische Leistung des Abends. Doch stehen die anderen nicht nach. Anna Unterberger gibt das Käthchen mit der Hingabe eines Groupies, so flehendlich selbstlos, dass man dem Grafen zurufen möchte: Jetzt nimm’s endlich! Hollunderblütentrunken ist sie – Baum ist entsprechend aufgestellt. Und bis fast 23 Uhr muss sie warten, bis ihr Graf auch den „Joint des Mittelalters“ inhaliert hat. Im damaligen Volksglauben wurde ein Kranker schon dadurch geheilt, dass er unter einem Hollunder ein Schläfchen machte. Und Heilung braucht der von Nikolaus Barton gespielte Friedrich Wetter Graf vom Strahl dringend. Edel ist er, doch gerade erst von einer unerklärlichen Schwermut geheilt (?), ein Zer- und Vergrübler. Allerdings viel weniger Elegiebürscherl als der „Prinz von Homburg“ in der einen oder anderen Regiearbeit. Bleibt als weitere Hauptrolle Kunigunde von Thurneck, von Veronika Glatzner einwandfrei großartig als berechnendes Kunstgeschöpf verkörpert – wenn man da noch von Körper reden kann. Ein Geist, der, würde man heute sagen, über eine Schönheits-OP-Katastrophe regiert. Kleist wollte Kunigunde ursprünglich als Nixe haben. Happel nimmt in einer Badeszene, in der die äußere Hülle wieder Form annehmen soll, Bezug darauf. Ein Moment für Connaisseurs. Dennoch, und damit ist die Nadel im Heuhaufen gefunden, wäre in der Kunigunde mehr drin gewesen. Mehr Buhu, mehr Spuk, mehr Argh!
Die übrigen teilen ihre Talente auf mehrere Rollen auf. So ist Maria Happel, wie so gern gesehen, das komische Element – von der Köhlersfrau bis zu Kunigundes Tante. Die Frau schont sich wirklich nicht, wenn es darum geht, sich in hautenge Catsuits zu zwängen. Wunderbar (tragi-)komisch ist auch Sebastian Edtbauer als Gottschalk, des Grafen ergebener, ständig Äpfel essender Knecht. Cornelia Köndgen überzeugt sowohl als des Grafen herrische Mutter wie als schrullige Haushälterin im Schloss. Michael Masula verleiht Grafen, Rittern, Nachtwächtern und einem Erzbischof Würde. Paula Nocker wechselt von Köhlerjunge zur Nichte der Gräfin, und Annemarie Nocker hat die überhaupt wichtigste Rolle: den Cherub, der alles zum Guten wendet.
www.sommerspiele-perchtoldsdorf.at
www.mottingers-meinung.at/maria-happel-und-michael-sturminger-im-gespraech/