Die Agentin
September 3, 2019 in Film
VON MICHAELA MOTTINGER
Mehr Psycho- als Spionagethriller

Spionin Rachel Currin und ihr Mossad-Kontaktmann Thomas Hirsch: Diane Kruger und Martin Freeman. © Luna Filmverleih. Bild: Kolja Brandt
„Mein Vater ist gestorben“, sagt die Stimme einer Frau ins Handy des Geheimagenten Thomas Hirsch, und sie fügt ein „zum zweiten Mal“ hinzu. Das kryptische Telefonat alarmiert den britischen Juden, der als Kontaktmann für den israelischen Mossad arbeitet. War er es doch, der die Anruferin als Spionin in den Iran entsandt hatte und ihr immer neue, gefährlichere Aufträge gab.
Bis Rachel Currin vor einem Jahr samt ihrem brisanten Wissen untertauchte. Sie hatte sich in die Zielperson ihrer Operationen, den iranischen Geschäftsmann Farhad Razavi, verliebt. Und den will der Mossad des Schmuggels von Computerchips aus Europa und der Zusammenarbeit mit dem iranischen Militär in Sachen geheimes Atomprogramm überführen …
Diane Kruger ist als „Die Agentin“ die Titelantiheldin im Film des israelischen Regisseurs Yuval Adler, der ab 30. August in den österreichischen Kinos läuft. Da dessen Drehbuch auf dem in Israel stark zensierten, überall sonst allerdings zum Bestseller avancierten Roman „The English Teacher“ – der Lehrberuf ist Rachels Tarnung – des ehemaligen Mossad-Mitarbeiters Yiftach Reicher Atir basiert, sollte man der Story eigentlich ausreichend Authentizität zutrauen.

Rachel arbeitet mit allen erdenklichen Verkleidungen: Diane Kruger … © Luna Filmverleih. Bild: Kolja Brandt

… um iranische Militärgeheimnisse auszuspionieren: Diane Kruger © Luna Filmverleih. Bild: Kolja Brandt
Dass der Film vom Feuilleton derart kontroversiell aufgenommen wird, mag zwei Ursachen haben: „Die Agentin“ lernt die Teheranerinnen und Teheraner als fröhlich-freundliche Gastgeber kennen, während die Mossad-Agenten, scheint’s, von Unterschlupf zu Unterschlupf skrupelloser und sinistrer werden. Zur Erfüllung ihrer Mission ist ihnen ein Menschenleben nicht so viel wert, das wird auch Rachel erfahren müssen – und es mag sein, dass mancher Probleme mit diesem Weltbild und mit dieser Figur hat. Einer Frau ohne Wurzeln, zunächst ohne Bindung, frei durch die zahlreichen Masken, die sie trägt und die ihr toughes Vorgehen, letztlich ihr Sich-Wehren gegen die weibliche Opferrolle in einer Männergesellschaft, erst möglich machen.
In mehrfach gebrochenen Rückblenden und aus der Perspektive vom von Martin Freeman gespielten Thomas Hirsch wird Rachels Geschichte erzählt. Dass diese von den Darstellern, der Kanadier Cas Anvar, hierzulande bekannt geworden als Oliver Hirschbiegels Dodi Al-Fayed, nun als Farhad Razavi der Dritte im Bunde, und deren Ausdrucksstärke lebt, versteht sich. Regisseur Adler gelingt es darüber hinaus aber auch Genrekonventionen und Erwartungen zu unterlaufen. Statt auf Action, Schießereien und Verfolgungsjagden, fokussiert er auf die „private“ Seite der Spionagearbeit.
Er zeigt, was mit Menschen passiert, die ihre Identität aufgeben, um sich in immer wieder falschen zu verlieren, Entwurzelte, Lügner, Getriebene, die sich ständig in Gefahr wähnen, der Wahrheit überführt zu werden. Ein Sog, in dem Rachel zur Mörderin wider Willen, sexbesessenen Liebenden, überlebensentschlossenen Einzelkämpferin wird. Und nie weiß der Zuschauer, ob, was sie sagt, im Moment brutale Ehrlichkeit oder doch die Unwahrheit ist.

Rachel mit ihrem Geliebten, dem iranischen Geschäftsmann Farhad Razavi: Diane Kruger und Cas Anvar © Luna Filmverleih. Bild: Kolja Brandt
Solcherart ist „Die Agentin“ nicht nur mehr Psycho- als Spionagethriller, sondern eine beinah klassische Dreiecksgeschichte zwischen einer Frau und zwei Männern, und deren kompliziertes Verhältnis von Ver- und Misstrauen, von Emotion und Manipulation. Neben diesen Charakterstudien malt „Die Agentin“ auch ein Sittenbild des Iran und dem täglichen Austarieren von Tradition und Moderne.
Am eindrücklichsten sind daher die Szenen auf den Straßen Teherans, die von einem zweiten Filmteam mit einem Diane-Kruger-Double und versteckter Kamera gedreht wurden. Für Kruger ist die im Wortsinn ungeschminkte Rolle der Rachel ein weiterer Schritt, sich mit ihrer zurückgenommenen Darstellung im Meisterfach der komplexen, widersprüchlichen Charaktere zu etablieren.
Eine Disziplin, in der Martin Freeman längst angekommen ist, und in der er als verrätselter Thomas, dessen Motive bis zum Schluss im Verborgenen bleiben, und der seine Treffen mit Rachel mal als Flirt, mal als Verhör gestaltet, einmal mehr brilliert. Wie Kruger ihre Aufgabe, Rachels emotionale Intensität bei gleichzeitiger professioneller Kälte zu zeigen, glaubhaft macht, wie sie die Einsamkeit ihrer Figur mit der kargen Eleganz ihres Spiels verbindet, so weiß auch Cas Anvar den Farhad zu führen, den undurchsichtigen Playboy, der vom Objekt der Observation zu dem der Begierde mutiert, womit er sich einer nie geahnten Hilflosigkeit ausliefert und am Ende der Betrogene sein wird.
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- 8. 2018