Jonathan Lethem: Der wilde Detektiv
Februar 21, 2019 in Buch
VON MICHAELA MOTTINGER
Donald Trump und die Blumenkinder des Bösen
Klassischer kann ein Kriminalroman nicht beginnen: Eine nervöse Schöne betritt das Büro des ihr anempfohlenen Privatschnüfflers, beide, Inventar wie investigator, haben sichtlich schon bessere Zeiten erlebt, und während sie ihr Anliegen stammelt, öffnet er deutlich desinteressiert die Schreibtischschublade, um – nein, nicht den obligaten Whiskey, sondern ein magenkrankes Opossum herauszuholen, das der Fütterung bedarf. Ein satirisches Spiel, das US-Starautor Jonathan Lethem da treibt, eine postmoderne Genredekonstruktion, und noch dazu eine hochpolitische.
Denn als Subtext hinterm wüsten Treiben in „Der wilde Detektiv“ steht die messerscharfe Analyse eines seit der Trump-Wahl gespaltenen Landes, erschütterte Linksliberale hie, erstarkende Ultrarechte da, das sich selbst nicht mehr versteht. Und apropos, wüst: In diese und in dieser geht’s ab. Lethem beschreibt den surrealsten Wüstentrip, seit Jim Morrison in der Mojave sein Bewusstsein erweitert hat, Schauplatz des Buches ist das südkalifornische Inland Empire, die Zeit eben November 2016, der nicht nur „das Monster im Turm hervorgebracht“, sondern auch den Tod von Leonard Cohen verschuldet hat.
Beides wirft die Ich-Erzählerin Phoebe Siegler, Medienprofi aus Manhattan und Lethems Hauptfigur, aus der Bahn. Als sich ihr Boss „mit dem designierten Trumpeltier hinter verschlossenen Türen“ zusammensetzt, kündigt sie ihren Job als Radiojournalisten, und folgt, um nicht völlig in Politdepression und Privatschwermut zu versinken, dem Hilferuf einer Freundin. Deren Tochter Arabella, die ihre Tage im Golden State eigentlich als Studentin zubringen sollte, ist spurlos verschwunden. Phoebe nimmt die Suche auf, das heißt: aufsucht sie zuerst den Privatdetektiv mit dem bezeichnenden Namen Charles Heist – heist bedeutet Raub, und Phoebes Herz wird er noch stehlen
Heist novel meint eine spezielle Form der Krimiliteratur, deren Großmeister Donald E. Westlake war, und die auch andere Genres, wie beispielsweise Science-Fiction, vor allem aber einen skurrilen Humor bedient. Phoebe wird Heist über die ersten hundert Seiten wie folgt beschreiben: als „menschliche Freakshow in roter Lederjacke“, mit „einem Gesicht, das an die Oberseite einer eingefallenen Pastete erinnerte“, verärgert darüber, dass der Mann „in fast schon autistischem Maße unprovozierbar war“, dieser „atmende Holzschnitt“, bevor sie seine „gemeißelten Gesichtszüge“ und die „Stahlwolle seiner Koteletten“ endlich zu schätzen weiß. Lethem lässt kein Klischee, weder sprachlich noch inhaltlich aus, als die stadtneurotische New Yorkerin auf den abgeklärten Ermittler trifft.
Nur ist es hier die Frau, die sich den lapidaren Sam-Spade-Jargon aneignen wird, wenn schwarzer Kaffee wie ein Scheibenwischer fürs Gehirn wirkt, ihr etwas bis Oberkante Unterlippe steht oder „in Großbuchstaben“ geflüstert wird. Selten zeigt sich die Protagonistin eines Romans so zynisch, obwohl Phoebe sich selbst und damit dem Leser eingesteht, dass ihre markigen Sprüche, ihre verlegene Schnoddrigkeit, aus ihrer Angst angesichts der Umstände geboren sind. Die nämlich führen Phoebe und Heist und dessen drei Hunde von einem Schwemmkegel auf den Mount Baldy und in ein Zen-Kloster, in dem Leonard Cohen einige Jahre verbrachte, führen sie allerlei abgedrehten Charakteren zu, der Spinnerin Sage, der durchgeknallten Lorrie, dem undurchsichtigen Laird, der toughen Anita – und bald auch zu zwei Teenager-Leichen mit aufgeschnittener Kehle.

Bild: pixabay.com

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Phoebe muss erfahren, dass die Ödnis von einem Zweiparteiensystem beherrscht wird, menschlichen Überbleibseln einer Hippie-Kommune, aus der wie Blumenkinder des Bösen die atavistischen Stämme der „Kaninchen“, friedliche, aber bei Angriffen durchaus wehrhafte Frauen, und der brutal-männlichen „Bären“ hervorgegangen sind. In zweiteren, der einem blutigen Königskult frönt, wurde Heist dereinst als hoffnungsvoller Anführer-Spross hineingeboren, doch hat er beschlossen, stattdessen lieber verwirrt-verirrte Jugendliche aus dessen Klauen zu retten. Nun, sozusagen heimgekehrt, muss er sich, um Arabella, die der archaischen Anziehungskraft des aktuellen Machthabers Solitary Love erlegen ist, zu befreien, einem Zweikampf auf Leben und Tod stellen …
Seit Lethem in „Motherless Brooklyn“ einen Ermittler mit Tourette-Syndrom losgeschickt hat, jongliert er in seinen Romanen gekonnt mit Motiven und Macharten von Popkultur. Er versteht sich auf amerikanische Gegenwartswahrnehmung durch die Filter von Film, Fernsehen, Musik. Auch diesmal verhandelt er U und E, von Game of Thrones bis Joyce Carol Oates, von Nancy Drew bis mansplaining. „In der Mojave weiß niemand, dass du kein Hund bist“, sagt Phoebe einmal zu sich selbst. Im Original-The New Yorker-Cartoon sagt das ein vorm Computer sitzender Hund über das Internet … Phoebe bleibt in der Blase, der sie eigentlich zu entrinnen hoffte, Grapscher, Faktenfälscher und Politstricher, mittels Gebrauch von Smartphone, Apps und Twitter geistig verhaftet.
Wohin immer sie schaut, werden ihre Eindrücke durch Medien wie Social Media krankhaft verstärkt. Auch das kennzeichnet Lethem als jenen Riss, der durch die Gesellschaft geht. Vom Norden nach Süden, im aus der Mode gekommenen Macho-Mannsbild vs #MeToo, in den Politfarben Rot gegen Blau. Im wilden Westen trifft Ostküstenkind Phoebe auf Landsleute, die ihre Ausdrucksweise, ihre Anspielungen gar nicht dechiffrieren können, weil ihnen die Codes dafür fehlen. Phoebe reist mit einem Koffer, der „noch in der Obama-Ära gepackt worden war“, hat den ersten Geschlechtsverkehr „seit der Wahl“. Dies die neue Zeitrechnung der Vereinigten Staaten, in der einer unsägliche Dekrete erlässt, während andere, in Felle gehüllt, deren Existenz negieren.
Dem Rolling Stone sagte Jonathan Lethem, er hätte „Der wilde Detektiv“ geplant, in der Annahme, einige Jahre unter Hillary Clintons Administration zu leben, nun hätte ihn die Amtsübernahme durch Trump aus der Bahn geworfen, er frage sich, wozu das Buch, wozu überhaupt noch ein Buch schreiben. Und so, wie der Autor in seinem Roman das Scheitern aller gesellschaftspolitischen Utopien zwar mit Witz, aber noch mehr Melancholie durchdekliniert, ist ihm dieser Zwiespalt anzumerken. Am Ende fährt Phoebe über die Road to Nowhere. Der derzeit einzig gangbare Weg? Die diesen besingenden Talking Heads sind jedenfalls Lethems Lieblingsband.
Über den Autor: Jonathan Lethem, geboren 1964 in New York, ist Autor zahlreicher Romane, darunter „Motherless Brooklyn“, „Die Festung der Einsamkeit“ oder „Der Garten der Dissidenten“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=11281). Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, unter anderem den „National Book Critics Award“, den „Gold Dagger“ und das „MacArthur Fellowship“. Lethem hat am Pomona College in Südkalifornien die Professur für Creative Writing inne. Zurzeit lebt er mit seiner Familie in Kalifornien.
Tropen, Jonathan Lethem: „Der wilde Detektiv“, Roman, 335 Seiten. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach.
Weiterer Buchtipp: Howard Jacobson: Pussy, Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=28269
www.tropen.de jonathanlethem.com
- 2. 2019