VON MICHAELA MOTTINGER
Inszeniert Michel Houellebecqs „Unterwerfung“

Christian Dolezal, Hanna Binder, Marc Fischer, Dennis Cubic und Arthur Werner
Bild: © Yasmina Haddad
Vor dem Hintergrund derzeitiger Islamdebatten inszeniert Ali M. Abdullah im Werk X Michel Houellebecqs „Unterwerfung“. Rechte Populisten sind europaweit auf dem Vormarsch und schüren mit faschistoiden Unwörtern wie „Überfremdung“ diffuse Ängste vor dem angeblich drohenden Verlust der kulturellen Identität. Houellebecqs Roman greift diese Phantasmen nicht nur auf, er spinnt sie weiter.
Aus der Perspektive des desillusioniert-gelangweilten Pariser Literaturwissenschaftlers François erzählt er von der Machtübernahme eines muslimischen Präsidenten im Frankreich des Jahres 2022. Es kommt zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, bis sich die westliche Gesellschaft schließlich erstaunlich schnell mit einer europäisch-spießbürgerlichen Version des Islamismus abfindet. Houellebecq greift mit „Unterwerfung“ ein weiteres Mal lustvoll das korrumpierte bürgerliche Subjekt an, das von Machtstreben und Konsum besessen ist, während es unverdrossen die Werte der Aufklärung vor sich herträgt. Das Buch wurde in Frankreich zum Skandal, nicht zuletzt, weil am Erscheinungstag des Romans der Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ verübt worden ist, das Houellebecq sein Titelbild gewidmet hatte. Im Werk X spielen Hanna Binder, Dennis Cubic, Christian Dolezal, Marc Fischer und Arthur Werner. Premiere ist am 18. Februar. Ali M. Abdullah im Gespräch:
MM: Bevor ich nach Meidling gekommen bin, habe ich noch ein Posting „An die Patrioten Europas“ über den Islam gelesen: „Wir müssen die Pest ausrotten, bevor sie uns ausrottet.“ Da möchte man instinktiv zurückschreiben, weiß aber, dass man auf jemanden treffen würde, der keinen Argumenten zugänglich ist. Was hätten Sie getan?
Ali M. Abdullah: Ich halte mich in den unsozialen Medien zurück, denn egal, was man repliziert, es dient deren Sache nur noch mehr. Es ist besser, auf diese Hasspostings gar nicht einzugehen, denn dann folgt Antwort auf Antwort, ein bewusstes Missverstehen, dass sich immer mehr aufschaukelt. Diskussionen muss man suchen, aber anderswo.
MM: Am Theater, wie ich annehme. Nur, ausgehend vom Werk X, inwieweit ist es möglich, damit Menschen zu erreichen, die nicht ohnedies einer Meinung sind? Man hat doch als Haus ein gewisses Konsenspublikum. Wie kann man Köpfe öffnen, wie kann man Botschaften transportieren?
Abdullah: Es ist das größte Problem und die größte Illusion zu glauben, man könne mit Theater etwas bewegen. Man muss davon ausgehen, dass bei uns nur Gesinnungsgenossen sitzen. Mein Lieblingswitz diesbezüglich ist, man müsste eine Vorstellung von uns mal im Josefstadt-Abo spielen, dann würde es richtig pfeffern, aber so … seien wir ehrlich, haben wir unser linkes Publikum drinnen, Leute, die mit einer speziellen Meinung zu uns kommen und mit uns mitdenken. Aber in „Unterwerfung“ geht es erstmals auch um deren Versagen. Da bin ich auf die Reaktionen gespannt.
MM: 2022 ist in sechs Jahren, also wenn man so will, in einer Legislaturperiode. Michel Houellebecq entwirft je nach Blickwinkel die Utopie oder Dystopie, es gebe dann in Frankreich einen muslimischen Staatschef. Wie weit ist dieses Szenario tatsächlich weg?
Abdullah: Das habe ich mich beim ersten Lesen auch gefragt, aber dann erkannt, es ist die falsche Frage. Houellebecq hält in „Unterwerfung“ zu allererst fest, dass unser abendländisches Gesellschaftsmodell zum Scheitern verurteilt ist. Das begründet er mit verschiedenen Argumenten in mehreren Romanen, das führt er uns vor, da kennt er sich aus. Sein eigenes Versagen als Mitglied der Gesellschaft nimmt er da gar nicht aus. Also entwirft er ein Gedankenexperiment für Frankreich: Die nächste Wahl könnte der Front National gewinnen oder Vertreter des gemäßigten Islam. Ob’s nun die werden oder die, ist letzten Endes dasselbe Horrorszenario.
MM: Er malt sozusagen beiderlei Ängste als Teufel an die Wand. Dieses Spiel mit Religionen, dass Houellebecq spielt, meint er damit auch den Neid des Christentums auf den Islam, als eine Religion, die noch stärker im Glauben verankert ist?
Abdullah: Er führt eine Hauptfigur, den Pariser Literaturwissenschaftler François, vor, der anfangs zum Katholizismus zurückfinden möchte, aber es nicht schafft. Er geht sogar ins Kloster, aber auch dort fällt ihm nur Nietzsche ein. Dann kommt er mit dem Islam in Berührung und er wird vor die Frage gestellt: Weiterarbeiten an einer Top-Uni in Top-Position, aber weiterleben mit den Geboten Allahs. Der Islam ist in seiner Tradition viel kompakter und unkritischer, er ist bis heute viel stärker mit seinen Regeln verbunden, das macht es für Gläubige einfacher, seine Vorschriften umzusetzen. Da kann der Katholizismus schon neidisch sein, der von seinen Gläubigen von allen Seiten kritisch unter die Lupe genommen wird. Wir haben uns intensiv damit beschäftigt, denn Houellebecq beschreibt auf der ganzen Bandbreite, die Themen, mit denen man sich punkto Islam beschäftigen kann. Von Burka bis Polygamie als Reizworte, um damit satirisch zu spielen. Es ist schade, dass die Rezeption des Romans direkt verbunden ist mit dem Attentat auf „Charlie Hebdo“. Wäre das nicht passiert, hätte man ihn ganz anders gelesen. Die Hauptfigur sagt an einer Stelle: „Ich bin politisch wie ein Handtuch.“ Ich denke, das ist das Credo von Houellebecq. Er möchte, dass die Leute sich mit Politik beschäftigen, damit, was ihr Leben letztlich bestimmt. Denn wenn sie es nicht tun, werden sie bestimmt.
MM: Beim Erscheinen des Romans wurde Houellebecq in Frankreich Islamophobie vorgeworfen, Karin Beier hat kürzlich „Unterwerfung“ mit Edgar Selge in Hamburg gemacht, da stand im Feuilleton: „Islamkritik eignet sich nicht als Theaterstoff“. Darum geht’s aber gar nicht. Es geht Houellebecq nicht um „die“, sondern um „uns“. Wie wollen Sie diesem Missverständnis vorbeugen?
Abdullah: Man wird immer missverstanden. Die Menschen, die das missverstehen wollen, werden einen Weg dazu finden. Das muss man riskieren, sonst braucht man gewisse Stoffe gar nicht aufzugreifen. Ich habe vor mehr als zwanzig Jahren ein Stück über Neonazis gemacht, dazu habe ich Herrn Küssel interviewt, und in der ersten Reihe sind die Nazis gesessen und haben Juhu geschrien. Man wird mitunter von der falschen Seite vereinnahmt. Obwohl Houellebecq in einem Interview gesagt hat: Der, der mich vereinnahmen will, ist noch nicht geboren. Marine Le Pen könnte „Unterwerfung“ zu ihrer neuen Bibel erklären …
MM: Hollande hat sich gleich distanziert.
Abdullah: Er hat ungefähr gesagt: Das ist nicht unser Frankreich, aber ich muss das Buch erst lesen. Naja, er wird als ziemliche Dumpfbacke dargestellt. Houellebecq versucht jedenfalls keine Lösungen anzubieten, er schaut kritisch auf das Hier und Jetzt. Mehr kann man als Theatermacher auch nicht tun. Die Zeit der Lehrstücke ist vorbei. „Wie müssen die Flüchtlingsobergrenze abschaffen“ ist kein Theaterabend, sondern die Aussendung einer politischen Interessensgemeinschaft. Am Theater muss man komplexer arbeiten, das wollen wir und hoffen, dass die Zuschauer mit uns mitgehen.
MM: In „Unterwerfung“ steht mit einem Wort alles. Was haben Sie daraus gefiltert? Welche Geschichte aus diesem Konvolut an Themen wollen Sie erzählen?
Abdullah: Der Roman ist reichhaltig, weil er sehr detailliert diese Versuchsanordnung beschreibt. Insgesamt gesehen ist das Thema aber sehr klein. Man kann es reduzieren auf: Ein Atheist versucht zu sich zu finden, weil er fühlt, dass ihm sein Leben entgleitet. Wir begeben uns auf seine Fährte und beobachten, wie er im politischen Karussell bloß mitfährt, bis er beginnt einen Anker zu suchen. Der wird ihm vom Islam angeboten. Ob er ihn nimmt, wird nicht beschrieben. Houellebecq beschreibt keine islamische Figur, die werden nur aus der Ferne gesehen, er beschreibt, wie wir mit dem Islam umgehen.
MM: Houellebecq hat in manchen Interviews die Frage aufgeworfen, ob ein Leben ohne Religion überhaupt möglich ist.
Abdullah: Und das hat mich sehr befremdet. Aber ich denke, er meint, dass der Mensch die Religion, oder besser den Glauben braucht als eine Art Wertekatalog fürs Zusammenleben. Wie eine Art Ethiküberbau. Das Wertesystem des abendländischen Europas ist christlich geprägt und könnte sich demnächst ändern. Kann ich mir vorstellen. Ich bin kein Visionär, aber der Islam wird sicher Einfluss nehmen auf das allgemeine Denken und Handeln.
MM: Wird dieser vielschichtige François von einem oder mehreren Schauspielern gespielt werden?
Abdullah: Von einem. Nach dem Attentat von Paris im November habe ich noch einmal ganz neu über das Werk und eine mögliche Inszenierung nachgedacht. Es stand nie zur Debatte, es nicht mehr zu machen, sondern nur wie es zu machen ist in dieser islamophoben Welle, in der sich Europa derzeit befindet. Das Stück wurde plötzlich so real, dass man als Theatermacher sagen muss, es ist bitte nicht real, es ist ein satirischer Kommentar.
MM: Satire ist das entscheidende Wort.
Abdullah: Ich hoffe, dass unsere Arbeit als solche gesehen wird, und die Leute in diesem Sinne auch lachen.
MM: Bei Houellebecq kommt wörtlich der Begriff Lügenpresse vor. In genau der Bedeutung, mit der man jetzt wieder konfrontiert ist. Machen Sie Lügentheater?
Abdullah: Das gefällt mir sehr gut! Wir machen natürlich Lügentheater, denn alles, was auf der Bühne stattfindet, ist ja nicht echt. Genauso wie nicht echt ist, was Sie schreiben. Houellebecq beobachtet sehr genau, wann wer was sagt oder schreibt. So einen Kritiker würde ich mir hierzulande wünschen. Houellebecq macht sich Feinde in allen Lagern. Er teilt aus, aber er kann auch einstecken. Das ist eine seltene Gabe.
MM: Wir reden so gerne über Frankreich, aber Sie machen Ihr Stück in Österreich und werden mutmaßlich für Kontroversen sorgen. Wie beurteilen Sie die Islamdebatte hierzulande?
Abdullah: Jeder hat eine Meinung, keiner kennt sich aus? Wir haben nur Halbinformationen, wir wissen nicht, was wirklich abgeht.
MM: Ihr Name etikettiert Sie als Auskenner.
Abdullah: Sagt aber nichts über meinen Glauben aus. Mein Vater ist aus Bombay in Indien, muslimisch, natürlich mit diesem Namen. Ich bin in der Tradition geboren, aber nicht religiös erzogen worden, sondern ganz im Gegenteil sehr laizistisch-aufgeklärt, ohne Religion. Dazu bekenne ich mich auch. Mein Regieprofessor hat mir zwar geraten, ich sollte meinen Namen ändern, denn von einem Regisseur, der so heißt, will man sicher nicht Goethes „Faust I“ inszeniert bekommen, ich hab’s aber nicht gemacht, wie man weiß. Wenn also jemand, der Abdullah heißt, in Österreich „Unterwerfung“ macht, kommt es vielleicht zum Tabori-Effekt. Ihm war ja jede Art von jüdischem Witz erlaubt, und vielleicht darf ich so islamophobe Figuren auf die Bühne stellen ohne, dass man sich denkt Oha. Vielleicht ist die Fiktion besser zu erkennen, wenn neben ihr mein Name steht. Die Realität sieht sowieso immer anders aus. Wir haben im Werk X ein paar syrischen Flüchtlingen Wohnungen zur Verfügung gestellt, das ist unsere Art der Unterstützung in der humanen Katastrophe, die wir erleben. Mit diesen Menschen gibt es keine Probleme. Wir helfen ihnen, sich in dieser neuen Welt zurechtzufinden. Was sie damit machen, ist aber ihre Sache.
MM: Wenn ich ein Bemühen um ein Miteinander unterstelle, wie kann man dieses Gefühl mit „Unterwerfung“ im Zuschauer erzeugen?
Abdullah: Indem sich jeder einzelne überlegen muss, ob er das gut findet, was da auf der Bühne abgeht. Es ist schon so, dass man sich die vorgeführten Gedanken durch den Kopf gehen lassen darf. Wir haben doch einmal Auszüge aus Anders Breiviks „Manifest“ als szenische Lesung gemacht und dann gerade von den Aufgeklärten Anrufe bekommen, welche Dreckskunst wir da unterstützen. Da müsste man noch einmal ganz scharf nachdenken. Und so kann’s uns diesmal passieren, dass die Kritiker schreiben: Das Werk X sagt, die Muslime übernehmen die Macht. Das wird dann sicher eine hitzige Debatte.
MM: Wird die Aufklärung des „Abendlands“ überschätzt?
Abdullah: Ich glaube, sie interessiert niemanden mehr. Über die sind wir schon hinweg, die nervt uns nur noch. Die nächste Generation denkt nicht mehr so, die wurde in dieses System reingeboren und aus. Dass Aufklärung ein Prozess ist, der immer wieder neu gestartet werden muss, sehen die nicht.
MM: Mit „Unterwerfung“ hat das Werk X wieder einmal die theatrale Spürnase am Boden. Wie gelingt Ihnen das, die Themen zur Zeit immer zur rechten Zeit aufzugreifen?
Abdullah: Wir machen nicht viele Aufführungen, fünf Eigenproduktionen pro Spielzeit, die müssen aber thematisch sitzen. Wir reden lange, wir lassen uns Zeit, wir bereiten länger vor, länger als an einem Stadttheater möglich wäre. Unsere Qualität ist, dass wir aus Stoffen selber etwas entstehen lassen. Da haben wir eine lange Expertise, weil wir das seit Jahren machen, und wenn Sie sagen, dass wir dabei die Nase vorne haben, dann nehme ich das gerne als Kompliment an.
werk-x.at
Wien, 12. 2. 2016