Vestibül des Burgtheaters: Girls & Boys

November 8, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Im Stakkato-Stil durch Eheszenen

Alexandra Henkel. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Wie sie tänzelt, tobt und für ihren Sohn den Todesstern spielt. Wie sie mit ihm und seiner Schwester Zwiesprache hält, während sie die Kinder mit Kreide an die Wand zeichnet. Wie sie immer wieder im Wortsinn gegen die dann rennt. Das alles ist Alexandra Henkel in Hochform. Dietmar König hat im Vestibül des Burgtheaters Dennis Kellys Monolog „Girls & Boys“ als österreichische Erstaufführung inszeniert, und dabei seine Ehefrau ganz fabelhaft in Szene gesetzt.

Henkel fährt im Stakkato-Stil durch die Ehemomente, von denen Kellys Protagonistin zu berichten hat, sie gibt sich dem drastischen Text, der um Four-Letter Words nie verlegen ist, mit vollem Einsatz hin, ihr intensives Spiel changiert dabei zwischen humorvoll-hysterisch-hintersinnig. Bald bricht die Abgebrühtheit von der sorgsam aufgebauten Fassade dieser Frauenfigur, und Henkel macht dahinter eine Verletztheit sichtbar, die deutlich erkennen lässt, dass diese Geschichte auf eine Katastrophe zusteuert. Das ist schon so Dennis Kellys Art, seine Allerweltsstories ins Allerschlimmste kippen zu lassen.

Erzählt wird tatsächlich etwas erschreckend Alltägliches. „Was passiert ist, geschieht alle zehn Tage“, erfährt man. Ein weiblich-toughes Ich lernt – nach ebenso destruktiver wie verstörend belebender Saufen-Drogen-Ficken-Phase – beim Selbstfindungstrip durch Europa in der Warteschlange vor einem Billigflug-Check-In-Schalter ein „Deppengesicht“ kennen. Das sich jedoch auf den zweiten Blick als „Genie im Körper eines griechischen Gottes“ entpuppt. Also, erst Heirat, dann Lina und Benni, dann macht sie Karriere als Dokumentarfilmproduzentin, während seine Möbelfirma in Konkurs geht. Es folgt die Scheidung mit dem Scheidungsgrund: Eifersucht auf den Erfolg der Frau. Es fällt der Satz „Es wird nie passieren, dass du meine Kinder hast, und ich nicht“.

Henkel setzt beim Sprechen ihre Pointen, mit Augenzwinkern bezieht sie auch das Publikum mit ein, das Vestibül als Spielort dafür ideal – um auf Tuchfühlung zueinander zu gehen. Die Gedankengänge durch die Beziehungsprobleme unterbricht sie mit ihrem Spiel mit den Kindern, Benni, der bevorzugt ganze Planeten zerstört, und die Bastelarbeiten seiner Schwester, Lina, ganz besonnene Jung-Architektin, die bei der Mutter um „Baugenehmigung“ ansucht. Wenn die sich in ihrer Überforderung ertappt sieht, kann einem auffallen, dass die renitenten Antworten und ausgefeilten Argumente der Dreikäsehochs viel zu erwachsen sind. Einmal prasselt nackte Angst auf die „perfekte Kleinfamilie“, als Lina ihrer Mutter in einem Menschengewühl abhanden kommt.

Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Im Subtext zeigt sich Dennis Kellys Ein-Personen-Stück als messerscharfe Analyse übers Kontrolle-Haben, über Kontrollverweigerung und Kontrollverlust. Die Frau hat, das sagt sie am Ende, um dem zu entgehen, ihre Erinnerungen ganz bewusst manipuliert. Eine Strategie der Seele, um den Mann aus ihrem Leben auszuradieren. Da lässt Henkel nicht nur die Schutzhülle ihrer Figur reißen, da platzt auch die des Publikums. „Girls & Boys“ ist ein Abend, der einen in jeder Hinsicht mitnimmt. Klug entgeht Dietmar König der Gefahr, aus Kellys kämpferischem Text ein Debattiertheater über Geschlechterrollen zu machen – „Wir haben die Gesellschaft nicht für Männer erschaffen. Sondern um ihnen Einhalt zu gebieten“, heißt es etwa an einer Stelle -, fein verschafft sich Alexandra Henkel das angemessene Nähe-Distanz-Verhältnis zu dieser Figur. Zu Recht gab’s viel Applaus.

www.burgtheater.at

  1. 11. 2018

Armes Theater Wien: Waisen

November 16, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Familienabend mit Folteropfer

In schwierigen Zeiten hält die Familie zusammen: Thomas Weißengruber, Krista Pauer und Adrien Papritz. Bild: Vondru

In schwierigen Zeiten muss die Familie zusammenhalten: Thomas Weißengruber, Krista Pauer und Adrien Papritz. Bild: Vondru

Das Arme Theater Wien zeigt im WUK-Projektraum Dennis Kellys „Waisen“. Diese sind die Geschwister Helen und Liam, und als das Stück einsetzt, ist etwas passiert, dass die Vorstellungskraft eines normalen Menschen übersteigt. Mitten in eine intime Feier des Ehepaars Helen und Danny – man begeht die Empfängnis des zweiten gemeinsamen Kindes – platzt blutverschmiert der Bruder.

Er hätte dem Opfer eines Messerattentats mitten auf offener Straße helfen wollen, erklärt er, und tischt so immer weiter Lügen auf, bis er endlich die Wahrheit serviert. Der „Araber“ wurde gefoltert. Doch weil der ohnedies keiner „von uns“ ist, trifft die Familie in Folge ein paar fatale Entscheidungen …

Regisseur Erhard Pauer hat Kellys plakatives Suspencestück aus dem Jahr 2009 vortrefflich inszeniert, er hat den Holzhammer des Autors gegen die ihm eigene feine Theaterklinge gewechselt und so einen Abend zur Zeit erschaffen. Es geht ihm um Alltagsrassismen und Ausgrenzung des „Fremden“ ebenso wie um Mitmenschlichkeit und Mitgefühl und wann und warum der einzelne bereit ist, beides abzulegen. Nämlich immer dann, wenn das „Ausländerproblem“ vor seiner persönlichen Haustür ankommt. Entstanden ist so eine Aufführung, die von der Achtung der Würde des Menschen geprägt ist. Denn im Gegensatz zu dem, was in der Verfassung, Artikel zwei, steht, ist diese dieser Tage sehr wohl wieder antastbar.

In einem Wohnviertel, das nach dem Gefühl seiner Bewohner mehr und mehr „von denen“ übernommen wird, sagt und tut einer, was viele andere denken, aber nicht auszusprechen oder auszuführen wagen. „Die Regierung überlässt uns den wilden Tieren“ heißt es dazu im Text. Pauers präzise Arbeit besticht durch eine vor Nervosität flirrende Atmosphäre und durch das intensive Spiel der drei Darsteller. Ihnen gelingt es die Schablonenhaftigkeit von Kellys Figuren, denn natürlich muss Liam einen Neonazi-Freund mit NS-Memorabilia-Sammlung haben, natürlich müssen er und seine Schwester aus den denkbar schlechtesten sozialen Verhältnissen stammen, zu nachvollziehbaren Charakteren auszubauen.

So ist das Stück weniger, wie schon gesehen, ein Krimi als eine Erkundung der Ängste und einer latenten Ausländerfeindlichkeit und den daraus entstehenden Loyalitäten, die einen der Protagonisten dazu bringen, zu tun, was er nicht tun wollte. „Waisen“ ist die schmerzhafte Überprüfung, wie leicht die moralischen Grundwerte einer sich als aufgeklärt rühmenden Gesellschaft zu korrumpieren sind. Wessen Blut an Liam klebt und warum, hält das Publikum bis zum Schluss in Atem. Von einem Satz zum nächsten rinnt die eben erst etablierte Realität dem Schauspielertrio quecksilbrig durch die Finger; Pauer spannt so sein Netz grundsätzlicher, gesellschaftspolitischer Fragen, und stetig gewinnt es an Komplexität.

Helen zwischen Bruder Liam: Krista Pauer und Adrien Papritz ... Bild: Vondru

Helen zwischen Bruder Liam: Krista Pauer und Adrien Papritz … Bild: Vondru

... und Ehemann Danny: Krista Pauer und Thomas Weißengruber. Bild: Vondru

… und Ehemann Danny: Krista Pauer und Thomas Weißengruber. Bild: Vondru

Ein wenig ist man an Beate Zschäpe und ihre Aussagen im NSU-Prozess erinnert, wenn auf der Bühne die Furchtbarkeiten ihren Lauf nehmen. Kelly hat drei Archetypen menschlicher Verhaltens- und Handlungsmuster erfunden und arbeitet an ihnen seine Interpretation von rechts ab. Im Zentrum der Inszenierung steht Helen, brillant dargestellt von Krista Pauer, hin und her geworfen zwischen Familienbanden und Eheversprechen. Wie sie zu ihrem Bruder erst auf Distanz geht, weil sie ihn sehr wohl kennt, dann aber schließlich ihre radikalen Ansichten durch die angeheiratete bürgerliche Fassade brechen, das ist großartig gelöst. Je mehr sie das Tun des einen schönredet, umso mehr erpresst sie den anderen, und währenddessen spült es bis dahin im Verborgenen gehaltene Konflikte und den Zorn darüber an die Oberfläche.

Thomas Weißengruber als Danny steht dem hilflos gegenüber. Er ist der Humanist, der sein Weltbild in sich zusammenfallen sieht, seit er im Viertel von einer jugendlichen Migrantenbande brutal verprügelt wurde, er will nicht denken, dass der Mensch so sein kann, doch stetig wird auf ihn eingeredet, dass doch. Am Ende wird er für die Familie die Angelegenheit bereinigen, aber daraus Konsequenzen ziehen. Weißengruber besticht als grüblerischer, ob der Tat verzweifelter Ehemann, der dem Treiben seiner Frau und seines Schwagers fassungslos gegenübersteht, bis er schließlich selber zum Täter wird.

Die formidabelste Leistung bringt Adrien Papritz als Liam. Er macht aus seiner Rolle einen verhaltensauffälligen Sonderling, der sich im Laufe des Abends zum angsteinflößenden, gewaltbereiten Psychopathen entwickelt. Wie er Argumente dreht und wendet, bis sie ihm mundgerecht sind, das kennt man. Auch, wie er objektive Richtigkeit in seine eigene verwandelt. Anfangs noch mit spitzbübischem Grinsen, später mit blankem Terror versucht er, seine Warnungen vor dem „aggressiven Zuwanderungsislamismus“ an Mann und Frau zu bringen. Er bringt die Stimmung zum Brodeln, bis sie kippt. Dass Widersprüche und tatsachenwidrige Behauptungen seine Zuhörer nicht irritieren, ist Teil des Phänomens Liam. Man werde sich noch wundern, was alles möglich sei, sagte hierzulande ein Politiker. „Waisen“ im WUK ist nicht nur wegen dieses Satzes sehenswert.

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Wien, 16. 11. 2016

Werk X: Unterwerfung

Februar 19, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Kein Abend für intellektuelle Feiglinge

Christian Dolezal als Uni-Präsident Robert Rediger, Marc Fischer als Literaturprofessor François Bild: © Chloe Potter

Christian Dolezal als Uni-Präsident Robert Rediger, Marc Fischer als Literaturprofessor François. Bild: © Chloe Potter

Wenn Robert Rediger gegen Ende meint, der Islam hätte die Senkung der Arbeitslosen- und Kriminalitätsrate bewirkt, fällt einem „Salafistes“ ein. In der Filmdokumentation von François Margolin und Lemine Ould M. Salem sagt ein Dschihadist im Wortlaut diesen Satz. Allah und die Scharīʿa wenden alles zum Guten. Der Film ist im Frankreich dieser Tage höchst umstritten. Weil er abbildet, informiert, aber nicht kommentiert. Welch ein Vorwurf an eine journalistische Arbeit.

Den Hintergrund der Werk-X-Bühne bestimmt die Houellebecq-Karikatur vom Charlie Hebdo-Titelblatt: 2022 mache ich Ramadan. Das war am 7. Jänner 2015. Da erschien sein Roman „Unterwerfung“ und das Terrorkommando in der Redaktion des Satiremagazins. Houellebecq war daraufhin in Frankreich höchst umstritten. Man warf ihm vor, dass er das kommentiert, Frankreich und der Islam. Ein Autor, der mit seiner Fiktion das Zeitgeschehen überlagert, welch ein Vorwurf an einen Schriftsteller.

Die Handlung von „Unterwerfung“ ereignet sich im Jahr 2022 in Frankreich. Ein charismatischer muslimischer Politiker, Mohamed Ben Abbès, schart immer mehr Wähler um sich. Die sozialistische Partei geht ein Bündnis mit den Konservativen und Ben Abbès ein, um den Aufstieg des rechten Front National zu verhindern. Ben Abbès wird Staatspräsident, ändert die laizistische Verfassung und führt die Theokratie, die Scharīʿa und das Patriarchat ein. Das alles wird geschildert vor einem universitären Hintergrund. Die Sorbonne wird eine Islamisten-Uni und ein Literaturwissenschaftler gerät in die Mühlen der Weltgeschichte.

Ali M. Abdullah hat eine szenische Einrichtung des kontroversiellen Textes vorgenommen. Das ist ein wichtiger, ein mutiger Schritt im derzeit überhitzten Polit-Klima, in dem sich sogar künstlerische und journalistische Auseinandersetzungen selbstzensurisch verunmöglichen. Es geht vielerorts nur noch um entweder verbale Entgleisung oder die ideologische Exkommunikation. Abdullah aber hat Houellebecq als späten Nachfahren von Molière erkannt und er lässt ihn in seiner Spezialdisziplin brillieren: der Vorführung von Heuchelei und Opportunismus. Die Bühnenfassung von Abdullah und Hannah Lioba Egenolf trifft den Ton. So zwischen ausgenüchtertem Spott und beiläufigem Zynismus. Abdullah zeigt Houellebecqs Gedankenexperiment nicht als Zerrbild, sondern unter dem Vergrößerungsglas. Er haut dem derzeitigen gehirnweichen Herumgelabere eine Groteske um den Kopf. Das ist komisch. Dadurch lässt sich das in Buchform hysterisch diskutierte Werk als Theaterereignis zurückgelehnter betrachten.

„Unterwerfung“ ist kein Abend für intellektuelle Feiglinge. Er überprüft Europa auf seinen reaktionären Gehalt. Er erkennt die Tragikomödie in Europas derzeitiger Verfassung. Er führt sozusagen die auf und die vor der Bühne vor. Führt nicht vor, wer „die“, sondern wie „wir“ sind. Selbstreflexive Hedonisten, linksdrehende Globalisierungssachverständige, Toleranzrassisten mit Armer-Schwarzer-Muslim-Attitüde, atheistische Gottsucher und Foucault’sche Humanisten. Opinion Leader vs Quotenmeinungsmacher. Und die Kampfzone weitet sich aus. Abdullah setzt seine Figuren in dieses Magnetfeld. Und los geht’s mit Kulturimperialismustalk und Youporn, Geilheit und Konsum, die Dialoge durchbrochen durch die monologische Prosa, diese Reflexion immer wieder durch Konfrontation.

Die Ureinwohner Europas sind: Der fabelhafte Marc Fischer als Huysmans-Verehrer François. Der Literaturprofessor hat sich den Dekadenzdichter einverleibt, und wie Fischer in seiner Lust am Leid schwelgt, ist großartig. Sein François changiert zwischen Eigenliebe und Weltekel, er gebraucht Sex zur Selbstbehauptung. Er ist ein pseudomachistischer Möchtegern, die Art hirnwixerischer Elfenbeinturmhocker, die 1933 dachte, dass das Jahr 1941 sie nicht tangieren kann. Das François umringende Gruppensystem beweist sich in Houellebecqs Versuchsanordnung als wertekatalogisch austauschbar. Dennis Cubic ist ein sleeker Kollege Steve, der aus der identitären Bewegung, also jenem rechtsextremen Milieu, dem der Front National zu weichgespült ist, die Karrierekurve kratzt. Christian Dolezal ist als Universitätspräsident Robert Rediger ein satanischer Verführer zum Islamismus. Er argumentiert mit quengeligem Trivial-Nietzscheanismus und längst abgegriffener Zivilisationskritik. Er sieht sich als Vertreter alter Werte, Gott, Familie, Vaterland; die „Führer“-Figur hat halt gewechselt. Dolezal spielt gekonnt den Unsympath. Arthur Werner ist als Staatspolizist Alain Tanneur auf der Suche nach Schuldigen.

In den Mittelpunkt stellt Abdullah François‘ Beziehung zu Frauen. Hanna Binder erscheint als Hop-on-Hop-off-Geliebte Myriam und als Uni-Kollegin Marie-Françoise Tanneur. Eigentlich als Frau an sich. Sie wird nach Israel auswandern; aus ihrer Karriere an den Kochtopf zurückgedrängt werden; zum Schluß verschleiert, eine Gesichts- und Namenlose, dastehen. Wo der Konservativismus aus seinen Gräbern steigt, ist die Gleichberechtigung stets die Verliererin. Ein Chor, Studierende des diverCITYLAB, kommentiert das Geschehen und die Wahlergebnisse. Abdullah projiziert für sein Vor-mir-die-Sintflut-Szenario gefakte Bürgerkriegsszenen und Bilder von stattgefundenen Demonstrationen in Paris und Wien, er lässt mit Live-Kamera arbeiten und einen VW-Fluchtwagen durchs Werk X fahren. Seine Inszenierung ist kein Erklär-, sondern ein Durchrüttelstück.

Schnell kann der westlich aufgeklärte Mann der Polygamie und dem Tschador etwas abgewinnen. Und der Salonantisemitismus ist bald ganz der alte. Wie hellsichtig-houellebecqisch das ist, wie latest news: Gemäßigte Politikerinnen und Politiker werden zunehmend isoliert und gehen in Panik fragwürdige Allianzen ein, während die, die im System nichts zu erwarten haben, unerschrocken auf dessen Zerstörung hinarbeiten. Die „Lügenpresse“ schreibt nichts, was den faschistischen Schreihälsen Argumente liefern könnte, begeht damit aber Informationspflichtverletzung.  Wie dünn der Firnis der Vernunft ist, beweist sich täglich. In „Unterwerfung“ hat Europa keine Wahl zwischen rechtspopulistisch oder islamistisch. Das ist doch zum Lachen. Würden die, die jetzt Hakenkreuzfahnen und das Schwarze Banner schwenken, sich mit „Unterwerfung“ befassen, man könnte ihnen Theodor Däubler zitieren: „Der Feind ist unsre eigne Frage als Gestalt. Und er wird uns, wir ihn zum selben Ende hetzen.“

Ali M. Abdullah im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=17545

werk-x.at

Wien, 19. 2. 2016

Werk X: Ali M. Abdullah im Gespräch

Februar 12, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Inszeniert Michel Houellebecqs „Unterwerfung“

Christian Dolezal, Hanna Binder, Marc Fischer, Dennis Cubic und Arthur Werner Bild: © Yasmina Haddad

Christian Dolezal, Hanna Binder, Marc Fischer, Dennis Cubic und Arthur Werner
Bild: © Yasmina Haddad

Vor dem Hintergrund derzeitiger Islamdebatten inszeniert Ali M. Abdullah im Werk X Michel Houellebecqs „Unterwerfung“. Rechte Populisten sind europaweit auf dem Vormarsch und schüren mit faschistoiden Unwörtern wie „Überfremdung“ diffuse Ängste vor dem angeblich drohenden Verlust der kulturellen Identität. Houellebecqs Roman greift diese Phantasmen nicht nur auf, er spinnt sie weiter.

Aus der Perspektive des desillusioniert-gelangweilten Pariser Literaturwissenschaftlers François erzählt er von der Machtübernahme eines muslimischen Präsidenten im Frankreich des Jahres 2022. Es kommt zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, bis sich die westliche Gesellschaft schließlich erstaunlich schnell mit einer europäisch-spießbürgerlichen Version des Islamismus abfindet. Houellebecq greift mit „Unterwerfung“ ein weiteres Mal lustvoll das korrumpierte bürgerliche Subjekt an, das von Machtstreben und Konsum besessen ist, während es unverdrossen die Werte der Aufklärung vor sich herträgt. Das Buch wurde in Frankreich zum Skandal, nicht zuletzt, weil am Erscheinungstag des Romans der Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ verübt worden ist, das Houellebecq sein Titelbild gewidmet hatte. Im Werk X spielen Hanna Binder, Dennis Cubic, Christian Dolezal, Marc Fischer und Arthur Werner. Premiere ist am 18. Februar. Ali M. Abdullah im Gespräch:

MM: Bevor ich nach Meidling gekommen bin, habe ich noch ein Posting „An die Patrioten Europas“ über den Islam gelesen: „Wir müssen die Pest ausrotten, bevor sie uns ausrottet.“ Da möchte man instinktiv zurückschreiben, weiß aber, dass man auf jemanden treffen würde, der keinen Argumenten zugänglich ist. Was hätten Sie getan?

Ali M. Abdullah: Ich halte mich in den unsozialen Medien zurück, denn egal, was man repliziert, es dient deren Sache nur noch mehr. Es ist besser, auf diese Hasspostings gar nicht einzugehen, denn dann folgt Antwort auf Antwort, ein bewusstes Missverstehen, dass sich immer mehr aufschaukelt. Diskussionen muss man suchen, aber anderswo.

MM: Am Theater, wie ich annehme. Nur, ausgehend vom Werk X, inwieweit ist es möglich, damit Menschen zu erreichen, die nicht ohnedies einer Meinung sind? Man hat doch als Haus ein gewisses Konsenspublikum. Wie kann man Köpfe öffnen, wie kann man Botschaften transportieren?

Abdullah: Es ist das größte Problem und die größte Illusion zu glauben, man könne mit Theater etwas bewegen. Man muss davon ausgehen, dass bei uns nur Gesinnungsgenossen sitzen. Mein Lieblingswitz diesbezüglich ist, man müsste eine Vorstellung von uns mal im Josefstadt-Abo spielen, dann würde es richtig pfeffern, aber so … seien wir ehrlich, haben wir unser linkes Publikum drinnen, Leute, die mit einer speziellen Meinung zu uns kommen und mit uns mitdenken. Aber in „Unterwerfung“ geht es erstmals auch um deren Versagen. Da bin ich auf die Reaktionen gespannt.

MM: 2022 ist in sechs Jahren, also wenn man so will, in einer Legislaturperiode. Michel Houellebecq entwirft je nach Blickwinkel die Utopie oder Dystopie, es gebe dann in Frankreich einen muslimischen Staatschef. Wie weit ist dieses Szenario tatsächlich weg?

Abdullah: Das habe ich mich beim ersten Lesen auch gefragt, aber dann erkannt, es ist die falsche Frage. Houellebecq hält in „Unterwerfung“ zu allererst fest, dass unser abendländisches Gesellschaftsmodell zum Scheitern verurteilt ist. Das begründet er mit verschiedenen Argumenten in mehreren Romanen, das führt er uns vor, da kennt er sich aus. Sein eigenes Versagen als Mitglied der Gesellschaft nimmt er da gar nicht aus. Also entwirft er ein Gedankenexperiment für Frankreich: Die nächste Wahl könnte der Front National gewinnen oder Vertreter des gemäßigten Islam. Ob’s nun die werden oder die, ist letzten Endes dasselbe Horrorszenario.

MM: Er malt sozusagen beiderlei Ängste als Teufel an die Wand. Dieses Spiel mit Religionen, dass Houellebecq spielt, meint er damit auch den Neid des Christentums auf den Islam, als eine Religion, die noch stärker im Glauben verankert ist?

Abdullah: Er führt eine Hauptfigur, den Pariser Literaturwissenschaftler François, vor, der anfangs zum Katholizismus zurückfinden möchte, aber es nicht schafft. Er geht sogar ins Kloster, aber auch dort fällt ihm nur Nietzsche ein. Dann kommt er mit dem Islam in Berührung und er wird vor die Frage gestellt: Weiterarbeiten an einer Top-Uni in Top-Position, aber weiterleben mit den Geboten Allahs. Der Islam ist in seiner Tradition viel kompakter und unkritischer, er ist bis heute viel stärker mit seinen Regeln verbunden, das macht es für Gläubige einfacher, seine Vorschriften umzusetzen. Da kann der Katholizismus schon neidisch sein, der von seinen Gläubigen von allen Seiten kritisch unter die Lupe genommen wird. Wir haben uns intensiv damit beschäftigt, denn Houellebecq beschreibt auf der ganzen Bandbreite, die Themen, mit denen man sich punkto Islam beschäftigen kann. Von Burka bis Polygamie als Reizworte, um damit satirisch zu spielen. Es ist schade, dass die Rezeption des Romans direkt verbunden ist mit dem Attentat auf „Charlie Hebdo“. Wäre das nicht passiert, hätte man ihn ganz anders gelesen. Die Hauptfigur sagt an einer Stelle: „Ich bin politisch wie ein Handtuch.“ Ich denke, das ist das Credo von Houellebecq. Er möchte, dass die Leute sich mit Politik beschäftigen, damit, was ihr Leben letztlich bestimmt. Denn wenn sie es nicht tun, werden sie bestimmt.

MM: Beim Erscheinen des Romans wurde Houellebecq in Frankreich Islamophobie vorgeworfen, Karin Beier hat kürzlich „Unterwerfung“ mit Edgar Selge in Hamburg gemacht, da stand im Feuilleton: „Islamkritik eignet sich nicht als Theaterstoff“. Darum geht’s aber gar nicht. Es geht Houellebecq nicht um „die“, sondern um „uns“. Wie wollen Sie diesem Missverständnis vorbeugen?

Abdullah: Man wird immer missverstanden. Die Menschen, die das missverstehen wollen, werden einen Weg dazu finden. Das muss man riskieren, sonst braucht man gewisse Stoffe gar nicht aufzugreifen. Ich habe vor mehr als zwanzig Jahren ein Stück über Neonazis gemacht, dazu habe ich Herrn Küssel interviewt, und in der ersten Reihe sind die Nazis gesessen und haben Juhu geschrien. Man wird mitunter von der falschen Seite vereinnahmt. Obwohl Houellebecq in einem Interview gesagt hat: Der, der mich vereinnahmen will, ist noch nicht geboren. Marine Le Pen könnte „Unterwerfung“ zu ihrer neuen Bibel erklären …

MM: Hollande hat sich gleich distanziert.

Abdullah: Er hat ungefähr gesagt: Das ist nicht unser Frankreich, aber ich muss das Buch erst lesen. Naja, er wird als ziemliche Dumpfbacke dargestellt. Houellebecq versucht jedenfalls keine Lösungen anzubieten, er schaut kritisch auf das Hier und Jetzt. Mehr kann man als Theatermacher auch nicht tun. Die Zeit der Lehrstücke ist vorbei. „Wie müssen die Flüchtlingsobergrenze abschaffen“ ist kein Theaterabend, sondern die Aussendung einer politischen Interessensgemeinschaft. Am Theater muss man komplexer arbeiten, das wollen wir und hoffen, dass die Zuschauer mit uns mitgehen.

MM: In „Unterwerfung“ steht mit einem Wort alles. Was haben Sie daraus gefiltert? Welche Geschichte aus diesem Konvolut an Themen wollen Sie erzählen?

Abdullah: Der Roman ist reichhaltig, weil er sehr detailliert diese Versuchsanordnung beschreibt. Insgesamt gesehen ist das Thema aber sehr klein. Man kann es reduzieren auf: Ein Atheist versucht zu sich zu finden, weil er fühlt, dass ihm sein Leben entgleitet. Wir begeben uns auf seine Fährte und beobachten, wie er im politischen Karussell bloß mitfährt, bis er beginnt einen Anker zu suchen. Der wird ihm vom Islam angeboten. Ob er ihn nimmt, wird nicht beschrieben. Houellebecq beschreibt keine islamische Figur, die werden nur aus der Ferne gesehen, er beschreibt, wie wir mit dem Islam umgehen.

MM: Houellebecq hat in manchen Interviews die Frage aufgeworfen, ob ein Leben ohne Religion überhaupt möglich ist.

Abdullah: Und das hat mich sehr befremdet. Aber ich denke, er meint, dass der Mensch die Religion, oder besser den Glauben braucht als eine Art Wertekatalog fürs Zusammenleben. Wie eine Art Ethiküberbau. Das Wertesystem des abendländischen Europas ist christlich geprägt und könnte sich demnächst ändern. Kann ich mir vorstellen. Ich bin kein Visionär, aber der Islam wird sicher Einfluss nehmen auf das allgemeine Denken und Handeln.

MM: Wird dieser vielschichtige François von einem oder mehreren Schauspielern gespielt werden?

Abdullah: Von einem. Nach dem Attentat von Paris im November habe ich noch einmal ganz neu über das Werk und eine mögliche Inszenierung nachgedacht. Es stand nie zur Debatte, es nicht mehr zu machen, sondern nur wie es zu machen ist in dieser islamophoben Welle, in der sich Europa derzeit befindet. Das Stück wurde plötzlich so real, dass man als Theatermacher sagen muss, es ist bitte nicht real, es ist ein satirischer Kommentar.

MM: Satire ist das entscheidende Wort.

Abdullah: Ich hoffe, dass unsere Arbeit als solche gesehen wird, und die Leute in diesem Sinne auch lachen.

MM: Bei Houellebecq kommt wörtlich der Begriff Lügenpresse vor. In genau der Bedeutung, mit der man jetzt wieder konfrontiert ist. Machen Sie Lügentheater?

Abdullah: Das gefällt mir sehr gut! Wir machen natürlich Lügentheater, denn alles, was auf der Bühne stattfindet, ist ja nicht echt. Genauso wie nicht echt ist, was Sie schreiben. Houellebecq beobachtet sehr genau, wann wer was sagt oder schreibt. So einen Kritiker würde ich mir hierzulande wünschen. Houellebecq macht sich Feinde in allen Lagern. Er teilt aus, aber er kann auch einstecken. Das ist eine seltene Gabe.

MM: Wir reden so gerne über Frankreich, aber Sie machen Ihr Stück in Österreich und werden mutmaßlich für Kontroversen sorgen. Wie beurteilen Sie die Islamdebatte hierzulande?

Abdullah: Jeder hat eine Meinung, keiner kennt sich aus? Wir haben nur Halbinformationen, wir wissen nicht, was wirklich abgeht.

MM: Ihr Name etikettiert Sie als Auskenner.

Abdullah: Sagt aber nichts über meinen Glauben aus. Mein Vater ist aus Bombay in Indien, muslimisch, natürlich mit diesem Namen. Ich bin in der Tradition geboren, aber nicht religiös erzogen worden, sondern ganz im Gegenteil sehr laizistisch-aufgeklärt, ohne Religion. Dazu bekenne ich mich auch. Mein Regieprofessor hat mir zwar geraten, ich sollte meinen Namen ändern, denn von einem Regisseur, der so heißt, will man sicher nicht Goethes „Faust I“ inszeniert bekommen, ich hab’s aber nicht gemacht, wie man weiß. Wenn also jemand, der Abdullah heißt, in Österreich „Unterwerfung“ macht, kommt es vielleicht zum Tabori-Effekt. Ihm war ja jede Art von jüdischem Witz erlaubt, und vielleicht darf ich so islamophobe Figuren auf die Bühne stellen ohne, dass man sich denkt Oha. Vielleicht ist die Fiktion besser zu erkennen, wenn neben ihr mein Name steht. Die Realität sieht sowieso immer anders aus. Wir haben im Werk X ein paar syrischen Flüchtlingen Wohnungen zur Verfügung gestellt, das ist unsere Art der Unterstützung in der humanen Katastrophe, die wir erleben. Mit diesen Menschen gibt es keine Probleme. Wir helfen ihnen, sich in dieser neuen Welt zurechtzufinden. Was sie damit machen, ist aber ihre Sache.

MM: Wenn ich ein Bemühen um ein Miteinander unterstelle, wie kann man dieses Gefühl mit „Unterwerfung“ im Zuschauer erzeugen?

Abdullah: Indem sich jeder einzelne überlegen muss, ob er das gut findet, was da auf der Bühne abgeht. Es ist schon so, dass man sich die vorgeführten Gedanken durch den Kopf gehen lassen darf. Wir haben doch einmal Auszüge aus Anders Breiviks „Manifest“ als szenische Lesung gemacht und dann gerade von den Aufgeklärten Anrufe bekommen, welche Dreckskunst wir da unterstützen. Da müsste man noch einmal ganz scharf nachdenken. Und so kann’s uns diesmal passieren, dass die Kritiker schreiben: Das Werk X sagt, die Muslime übernehmen die Macht. Das wird dann sicher eine hitzige Debatte.

MM: Wird die Aufklärung des „Abendlands“ überschätzt?

Abdullah: Ich glaube, sie interessiert niemanden mehr. Über die sind wir schon hinweg, die nervt uns nur noch. Die nächste Generation denkt nicht mehr so, die wurde in dieses System reingeboren und aus. Dass Aufklärung ein Prozess ist, der immer wieder neu gestartet werden muss, sehen die nicht.

MM: Mit „Unterwerfung“ hat das Werk X wieder einmal die theatrale Spürnase am Boden. Wie gelingt Ihnen das, die Themen zur Zeit immer zur rechten Zeit aufzugreifen?

Abdullah: Wir machen nicht viele Aufführungen, fünf Eigenproduktionen pro Spielzeit, die müssen aber thematisch sitzen. Wir reden lange, wir lassen uns Zeit, wir bereiten länger vor, länger als an einem Stadttheater möglich wäre. Unsere Qualität ist, dass wir aus Stoffen selber etwas entstehen lassen. Da haben wir eine lange Expertise, weil wir das seit Jahren machen, und wenn Sie sagen, dass wir dabei die Nase vorne haben, dann nehme ich das gerne als Kompliment an.

werk-x.at

Wien, 12. 2. 2016

Armes Theater Wien: Nach dem Ende

November 16, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Wie Gewalt noch mehr Gewalt erzeugt

Krista Pauer, Oliver Arno Bild: Martin Hauser

Krista Pauer, Oliver Arno
Bild: Martin Hauser

Terroristen haben eine Kofferatombombe gezündet. Ein Mann rettet eine bewusstlose Frau aus Trümmern und Toten in seinen Bunker. Dort entspinnt sich ein Zweikampf um gesellschaftliche Grundwerte und menschliche Grundrechte. Die Spirale dreht sich. Gewalt erzeugt Gewalt erzeugt noch mehr Gewalt. Das Arme Theater Wien zeigt im WUK Projektraum Dennis Kellys „Nach dem Ende“.

Regisseur Erhard Pauer inszeniert ganz im Sinne des Autors. Er macht aus dem Beziehungskrieg einen größeren, ein Abbild der Welt im Krieg gegen den Terror. Er thematisiert ein Ausgeliefertsein denen gegenüber, die nur das beste von einem und für einen wollen. Also entweder Kopf ab. Oder in die Köpfe rein. Er thematisiert Spitzelwesen und Kontrollwut. Wie Ausgrenzung zu Täterschaft führt. Und was aus dem Opfer wird, wenn es sich radikalisiert. „Es ist leicht eine Meinung zu haben, wenn niemand sie auf den Prüfstand stellt“, heißt es im Text. Und, dass Zorn nichts ändert an richtig oder falsch. Zu zerstören ist nur, wer sich einschüchtern lässt.

Kelly und Pauer sind durchtriebene Zersetzer von Gewissheiten. Alles ist anders, als man anfänglich glauben will. Und dann nochmals und nochmals anders. Vor allem den anscheinend hehren Motiven der Bühnenfiguren darf man jeweils gründlich misstrauen. Macht- und Ohnmachtsverhältnisse kehren sich um und um. Damit spielt dieses Kammerspiel.

Oliver Arno ist der rettende Mark. Anfangs ganz unauffälliger, freundlicher Nachbar. Eigentlich der Bürokollege. Doch schon seine schwelgerisch poetischen Sprachbilder von den verkohlten Leichen „draußen“ machen stutzig. Ist wirklich was passiert? Mark entpuppt sich als Außenseiter mit seltsamen Ansichten, tagsüber deswegen ein Mobbingopfer, nachts ein Stalker. Arno spielt diesen Jekyll & Hyde mit der gebotenen Ambivalenz. Er schwankt zwischen Allmachtsfantasien und Depression, flüchtet sich nach einer Aggressionsattacke winselnd in den Schoss der Frau. Immer wieder hat man Mitleid mit diesem ewigen Verlierer im Gesellschaftspiel, bis er dann erneut … Arnos Mark ist ein Raubtier auf der Lauer. Er wird seinem Opfer schließlich die Nahrung verweigern, weil es ihm nicht zu Willen ist. Da hat sich der äussere Terror längst in einen inneren verkehrt, die Inbesitznahme einer Person durch eine andere – bis hin zur Vergewaltigung. Erhard Pauer zeigt die Figuren so nackt und bloß, wie es auch die bis auf ein paar Versatzstücke leergefegte Bühne ist. Schutzlos im Schutzraum. Zu Kellern ist die Beziehung in Österreich ja prinzipiell eine eigene.

Krista Pauer spielt Louise mit losem Mundwerk. In Gefangenschaft ist sie die emotional Überlegene. Sie lockt und faucht, provoziert und beschwichtigt. Sie reitet ihre Angriffe mit vollem Körpereinsatz, zunehmend genervt über diesen Alles-Ausdiskutierer. Und wie sie den Verrückten in den Wahnsinn treibt. Es kommt zu Eskalation und Verletzungen. Schicht für Schicht legen sich die Charaktere frei, mit großer Glaubwürdigkeit werfen sich die Darsteller in dieses Dialoggemetzel. Pauer ist wie immer wahrhaftig, „echt“, sie holt die Politparabel ins schmerzhaft Private, sie umhüllt Kellys Behauptungen mit Psychologie wie der zuckende Muskel den Knochen – am Ende, wenn es Spitz auf Knopf, das heißt: Fleischhammer gegen Tranchiermesser steht. Kelly wirft Fragen auf, die Pauer Vater und Tochter geschickt weiterreichen. Das Publikum muss seine Fragen dazu stellen, denn für Antworten gäbe es wohl den Friedensnobelpreis. „Nach dem Ende“ ist ein Stück zum Ungeist der Zeit.

„Nach dem Ende“ läuft Krista Pauer zur Hochform auf. Wenn sie den mittlerweile wieder moderaten Mark im Gefängnis besucht und in grausig heiterem Ton erzählt, dass sie nun ihrerseits ein schwächeres Wesen zum Aus-dem-Leben bringen gefunden hat. Wie im Selbstgespräch erklärt sie, warum sie gekommen ist: „Ich gehe hin und bitte ihn, sich umzubringen.“ Gespenstisch ist das: der Hyde-Blick hat den Besitzer gewechselt. Die Kette, an der die Grausamkeit hängt, ist endlos, diese Welt ein Irrenhaus. Es entspinnt sich ein Zweikampf um gesellschaftliche Grundwerte und menschliche Grundrechte. Die Spirale dreht sich. Gewalt erzeugt Gewalt erzeugt noch mehr Gewalt. Beschädigungen bleiben. Lousie sagt: „Ich versuche rauszukriegen, wie ich vorher war, und spiele das dann.“

Zu sehen bis 20. November.

www.armestheaterwien.at

Wien, 16. 11. 2015