sirene Operntheater online: Die Verwechslung

Januar 5, 2021 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Mit Pauken und Trompeten über die Berliner Mauer

Kaffee-und-Kuchen-Tristesse bei Dauters: Johannes Czernin als Gustav, Ingrid Haselberger als Oma, Günther Strahlegger als Vater, Katrin Targo als Tante Ilse. Bild: © Kristine Tornquist

Mit keiner geringeren Idee als „Die Verbesserung der Welt“ waren Kristine Tornquist und Jury Everhartz im Herbst angetreten, um das interessierte Publikum mit ihrem Neuen Musiktheater zu erfreuen. Da jedoch das siebenteilige Kammeropern- festival entlang der christlichen Werke der Barmherzigkeit #Corona-bedingt nicht auf der Bühne beendet werden konnte, hat sich das sirene Operntheater entschlossen,

dessen letzten Teil zu verfilmen und ab sofort als kostenlosen Stream anzubieten. Nach unter anderem Zusammenarbeiten von Antonio Fian und Matthias Kranebitters „Black Page“, Thomas Arzt und Dieter Kaufmann oder Martin Horváth und PHACE, widmen sich Autorin Helga Utz und Komponist Thomas Cornelius Desi nun Kirchenvater Lactanius‘ Punkt sieben nach der Endzeitrede Jesu, Gefangene vom Feind loskaufen. „Die zunehmende verbale und ethische Verwahrlosung des Diskurses, die Verhärtung gegen jene, denen es schlechter geht, und das Gefühl, mit Europa und der Welt gehe es unaufhörlich bergab, hat uns dazu inspiriert, ja fast gedrängt, dem etwas Positives entgegenzusetzen“, so Everhartz und Tornquist.

Die auch die Verfilmung der Wien-Modern-Kooperation übernommen hat. „Die Verwechslung“ heißt das Werk, das die Zuschauerin, den Zuschauer in die DDR des Jahres 1981 versetzt, 1981 das Datum, zu dem der 24-jährige Bürgerrechtler Matthias Domaschk in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Gera unter bis heute ungeklärten Umständen stirbt, und zu dem an Stasi-Hauptmann Werner Teske wegen Vorbereitung seiner Flucht in den Westen das letzte Todesurteil der DDR-Justiz vollstreckt wird.

„please release me ostseefisch“: Johannes Czernin als Gustav. Bild: © Kristine Tornquist

Gustav hat sich die Freiheit auf die Fahnen geheftet: Johannes Czernin. Bild: © Kristine Tornquist

Das Geheimnis um Hedwig hat Vater alles gekostet: Günther Strahlegger. Bild: © Kristine Tornquist

Das belauschte Gebet: Günther Strahlegger und Katrin Targo. Bild: © Kristine Tornquist

All das mag Helga Utz beim Schreiben im Hinterkopf gehabt haben. Kristine Tornquist zeigt in Raum und Requisiten von Markus und Michael Liszt, Kostüm und Maske: Katharina Kappert und Isabella Gajcic, die Kaffee-und-Kuchen-Tristesse der Familie Dauter. Dauter, das klingt nach doubter, und solche hat’s hier zwei: den Vater und seinen Sohn Gustav, Günther Strahlegger und Johannes Czernin. Ingrid Haselberger ist dessen verwirrt-verängstigte Oma und Katrin Targo die kadertreue Tante Ilse.

Schon heben sie an, die Streitgesänge um Staats(zuge)hörigkeit, Revolutionär Gustavs Haare nach der jüngsten „Außenseiter“-Mode so Puhdys-lang, dass er die Parteiparolen nicht hören kann, bis der Vater ein (Ohn-)machtwort spricht. Hedwig, wird man später erfahren, ist das Geheimnis, das Vater alles gekostet hat, die Ehefrau, die „rübermachte“. Die Streicher des œnm . œsterreichisches ensemble fuer neue musik unter der Leitung von François-Pierre Descamps unterstreichen das düstere Szenario, und werden auch Omas Konfusion wie ein Bienenschwarm umschwirren.

Chaos, Kakophonie, das Libretto ein Familienzwist in gesungen-gestammelten, sich wiederholenden Halbsätzen, wortdeutlich!, denn der vorgeführte SED-Stimmraub ist ein stimmgewaltiger – und ein „please release me ostseefisch“ aus Gustavs Kassettenrekorder im Kinderzimmer. Wo er sich eine „Freiheit“ auf die Fahnen heftet, für die er verhaftet und unter Schreibmaschintippen und Handschellenklirren verhört wird. Gefängnis, Folter, drei Tage nackt im winterkalten Haftanstaltshof, das hat das Regime perfekt von der Vorgängerdiktatur gelernt. Sie habe Faschisten, Rote Armee, Flucht im Schnee überlebt, singt die Oma und macht sich, während Ilse fürchet, „Gustav wird uns alle mit in die Tiefe ziehen“, auf die Suche nach dem im System verschollenen Enkel.

Indoktrinationstelefonat: Haselberger und Targo. Bild: © Kristine Tornquist

Czernin, Haselberger und Strahlegger. Bild: © Kristine Tornquist

Köfferchen gepackt: Strahlegger und Haselberger. Bild: © Kristine Tornquist

„Die Verwechslung“ beweist sich als Parabel über gleichgeschaltete Gesellschaften, über Message Control und Meinungsmainstream. Filmisch ist das vom Feinsten umgesetzt, mittels welchen Mediums sonst könnten Solistinnen und Solisten in Gedanken singen? Tornquist besorgt mit Überblendungen Rückblicke und Schauplatzwechsel im Stakkato, die verliebt-verträumte Jung-Ilse im roten Kleid, nun Arm in Arm mit NVA-Mann Knut, ein übler Bursche, wie Oma weiß, während das Publikum ihn beim Flirten mit Ilse sieht.

Es sind derlei Einfälle, die die sirene-Produktion besonders machen. Verwanzte Festnetztelefonate, die Ilse offenbar steuern, frei nach Nestroy: die beste Nation ist die Indoktrination, der Vater unter West-Spitzel-Verdacht, sein Gebet, Du sollst keinen Gott nehmen Erich Honecker haben …, von Ilse belauscht, ein musikalisch lyrischer Moment, seine Sünde die Mehrzimmerwohnung. Das Liszt’sche Labyrinth aus Räumen, durch das die Protagonistinnen und Protagonisten gleich Versuchstieren irren, wird vom Kamera-Auge aus immer wieder ungewöhnlichsten Big-Brother-Winkeln eingefangen.

Nicht zuletzt dank „Knut“ Gebhard Heegmann, Kari Rakkola und Bärbel Strehlau als bösartigem Beamtenapparat ist „Die Verwechslung“ eine hochdramatische Arbeit, in die das gesanglich naturgemäß exzellente Ensemble auch darstellerisch sein ganzes Herzblut fließen lässt. Der Titel des Werks entschlüsselt sich zum Schluss, Gustav wird auf die Krankenstation des Gefängnisses verlegt, wo ihm Krankenschwester Pauline, Marelize Gerber als Schutzengel in Weiß, zur Identität eines eben verstorbenen Insassen verhilft.

Stasi-Verhör: Kari Rakkola, Gebhard Heegmann, Bärbel Strehlau und Johannes Czernin. Bild: © Kristine Tornquist

Vaters Anklage: Katrin Targo, Ingrid Haselberger und Günther Strahlegger. Bild: © Kristine Tornquist

Stasi-Folter: Kari Rakkola und Johannes Czernin „im winterkalten Hof“. Bild: © Kristine Tornquist

Auf der Krankenstation: Rakkola, Heegmann, Marelize Gerber und Czernin. Bild: © Kristine Tornquist

Dieser war Sohn eines „OFS in der AKG der HA IX“, heißt: eines Offiziers für Sonderaufgaben in der Auswertungs- und Kontrollgruppe der Hauptabteilung IX des Ministeriums für Staatssicherheit, verblüffend, was Helga Utz so alles recherchiert hat, und so kommt Gustav nicht nur mit einem blauen Auge ist gleich gebrochenen Rippen davon. Gustav soll sogar, begleitet vom freilich ebenso wie er falschem Vater, im Westen behandelt werden, die Puschkinallee 28 wird das regeln, „Die Verwechslung“ sein Leben retten.

Der Mensch im Arbeiter- und Bauernstaat ist längst nur noch Aktenzeichen, da fällt sowas nicht weiter auf. Mit Pauken und Trompeten, also zwei Schlagwerkern und Flötentönen, geht’s für Gustav und Vater freudetanzend über den DDR-„Schutzwall“. Vater, der sich nun Herwig nennt, und den damit nur noch ein Buchstabe von seiner Frau trennt. Und die Moral von der Geschicht‘: Mag es auch immer und überall Menschen geben, die „gleicher“ sind (© George Orwell), Grenzen können überwunden werden, Mauern stürzen ein. Nur Mut! Mut!

www.sirene.at/video/verbesserung-der-welt-7-die-verwechslung          www.sirene.at           www.wienmodern.at

  1. 1. 2021

Max Kübeck: Die blaue Brosche

März 21, 2014 in Buch

VON RUDOLF MOTTINGER

Geheimnis einer Familie

1044Nationalsozialismus, Adel, Homosexualität: Das Erbe der Familie Kübeck ist voller Geheimnisse. Mithilfe befreundeter Historiker und vergessener Dokumente, die aus dem Dunkel familiärer Dachböden auftauchen, macht sich Max Kübeck auf die Suche nach der Wahrheit – und dabei die Erfahrung, dass es so viele Wahrheiten wie Familienmitglieder gibt. Da die Vergangenheit immer Teil der Gegenwart ist, macht sich der Restaurator auf die Suche nach seinen Wurzeln und erfährt, dass es oft mehr als eine Familiengeschichte gibt. Was passiert, wenn in einer alten und angesehenen Adelsfamilie Tabubrüche begangen werden? Der Goldschmied und Juwelier Stefan Maria, Vater des Chronisten, landet in Gestapohaft – laut Überlieferung wegen einer jüdischen Großmutter, in Wirklichkeit wegen einer anonymen Anzeige aufgrund homosexueller Neigung. Zu den Verboten der Zeit kommen die Zwänge der adeligen Herkunft. Ein offizielles »Coming out« kann es erst Jahre später vom Nachkommen Max geben, mutig für sich, aber auch stellvertretend für das Verschwiegene.

Max Kübeck erzählt, rekonstruiert die Biografie seiner Familie und gleichzeitig von vom Schicksal aufgrund ihrer Homosexualität durch das NS-Regime Verfolgter. Die vergessenen Dokumente, die aus dem Dunkel der familiären Keller und Dachböden auftauchen, fügen sich zu einem gelungenen Gesamtbild einer Familienchronik, die geprägt ist von Verleumdung, Stillschweigen und der Methode des gezielten Vergessens. Gleichzeitig ist das Buch dem Schicksal derer verpflichtet, die wegen ihrer Homosexualität vom NS-Regime verfolgt wurden.

Max Kübeck: Die blaue Brosche. Geheimnis einer Familie. 208 Seiten, Czernin Verlag.

Über den Autor:
Max Kübeck, geboren 1949 in Graz. Studium der Malerei in Wien, Ausbildung zum Gemälderestaurator. 20 Jahre als Restaurator in der Galerie St. Lukas am Josefsplatz beschäftigt. Lebt als freier Restaurator und Maler in Wien und arbeitet für verschiedene Auktionshäuser, Galerien und Sammler.

www.czernin-verlag.com

Wien, 21. 3. 2014

Adolf Hitler und die Folgen

März 8, 2013 in Buch

Czernin-Verlag: „Das Zeitalter der Verluste

Der Czernin-Verlag lädt am 11. März, 19 Uhr, in den Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek zur Präsentation des Buches „Das Zeitalter der Verluste. Gespräche über ein dunkles Kapitel“ von Thomas Trenkler.

„Standard“-Journalist Trenkler (im Februar mit dem Bank-Austria-Kunstpreis für Kulturjournalismus ausgezeichnet, mit der Begründung, er sei „eine Person mit ausgeprägten Ecken und Kanten“, die „nicht immer angenehm und schon gar nicht angepasst“ sei, aber für seine Verdienste um die Aufarbeitung des systematischen Kunstraubs der Nationalsozialisten und der laxen Rückgabepolitik der Nachkriegszeit auszuzeichnen: „Durch seine Hartnäckigkeit habe er viel bewirkt und dazu beigetragen, die Reputation Österreichs wieder herzustellen.“) und Markus Kupferblum werden aus dem Interviewband lesen. Darin: Interviews mit Maria Altmann, Gerhard Bronner, Josef Burg, Heinz von Foerster, André Heller, Georges Jorisch, Ruth Klüger, Erich Lessing, Bettina Looram Rothschild, George Tabori, Herbert Zipper, Emile Zuckerkandl und vielen anderen. Und die Frage: Ahnte man, als Hitler vor 75 Jahren in Österreich  einmarschierte, was folgen würde? Und wenn ja: Wie reagierte man? Thomas Trenkler geht dieser Frage in Interviews mit Überlebenden und Nachgeborenen – Künstlern, Schriftstellern, Schauspielern, Kunstsammlern, Intellektuellen – nach, aus Anlass des Gedenkens an das fatale Jahr 1938.

Herbert Zipper erzählt, wie er mit dem Dramatiker Jura Soyfer im KZ das Dachaulied komponierte. Der Regisseur George Tabori macht den Zufall dafür verantwortlich, dass er einen V2-Angriff in London überlebte und in Istanbul für den englischen Informationsdienst arbeitete, bevor er in Hollywood Marilyn Monroe kennenlernte. Der Schriftsteller Josef Burg erzählt mit wohlgesetzten Worten abenteuerlich-absurde Geschichten, die er in Prag und bei Wolgadeutschen erlebte. Und Bettina Looram Rothschild diente 13-jährig als Geisel, bis die Nachricht eingetroffen war, dass die Gestapo ihren Onkel, den Bankier Louis Rothschild, verhaftet hatte …

Die teilweise gekürzt, teilweise noch gar nicht veröffentlichten Gespräche über persönliche Schicksale entstanden auch in Zusammenhang mit Recherchen über den NS-Kunstraub. Im Jahr 1998 hatte  Trenkler den Fall Rothschild publik gemacht, der die Verabschiedung eines wegweisenden Restitutionsgesetzes nach sich zog. Nun erscheinen all diese bewegenden Interviews gesammelt, ergänzt um Einleitungen, in denen Thomas Trenkler Hintergründe erklärt und Fälle zusammenfasst.

Adolf Hitler

Czernin Verlag, Thomas Trenkler: Das Zeitalter der Verluste

 

Eine Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung:
Nacht über Österreich. Der Anschluss 1938 — Flucht und Vertreibung
Bis 28. April 2013, Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek

www.czernin-verlag.com

Von Michaela Mottinger

Wien, 8. 3. 2013