Theater an der Wien im 3sat-Stream: Platée

April 4, 2021 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Gott Lagerfeld, Choupette und die neue Plus-Size-Muse

Eine Gurkenmaske für die künftige Göttergattin: Der brillante Marcel Beekman als Platée und der Arnold Schoenberg Chor. Bild: © Werner Kmetitsch

Das Theater an der Wien zeigt via 3sat Robert Carsens bejubelte Inszenierung von „Platée“. Gestern Abend war TV-Premiere, in der Mediathek ist die Produktion noch bis 10. April kostenlos zu streamen: www.3sat.de/kultur/musik/platee-118.html – und gesagt werden kann, dass Rameaus Ballet bouffon unter der musikalischen Leitung von William Christie, der sein Ensemble Les Arts Florissants mit Verve dirigiert, einem Live-Erlebnis in kaum etwas nachsteht.

Da sich die Kamera immer wieder ans turbulente Treiben zoomt, sind die bestens aufgelegten Solistinnen und Solisten in Großaufnahme zu erleben, dies ein Positivum, das man den Kulturlockdown-bedingt auf den Bild- schirm verlegten Aufführungen abgewinnen mag – allen voran kommt’s hier dem brillanten Marcel Beekman als Platée zugute, der Tenor als selbstverliebte Sumpfnymphe auch was die Tontreffsicherheit betrifft herrlich neben der Spur und in diesem Käfig voller Opernnarren nicht nur punkto Exaltierheit eine ernsthafte Konkurrenz für Zaza.

„Nicht alle Tage lässt sich auf so hohem Niveau Musiktheater als Gesamtkunstwerk erleben“, stand an dieser Stelle anlässlich der Bühnen-Premiere. Robert Carsen hat das barocke Prachtstück mit einem Kunstgriff in die Gegenwart geholt: Das satirische Satyrspiel ereignet sich nun in der mondänen Modewelt. Rameaus Werk, 1745 zur Hochzeit von Louis, Dauphin von Viennois, in Versailles uraufgeführt, wird mitten in der Pariser Fashion Week wiedererweckt, ein Zerrbild der Reichen und Schönen einst und jetzt – von Ausstatter Gideon Davey allüberall mit spiegelnden, spiegelglatten Oberfläch(lichkeit)en verstärkt.

Die laut dem griechischen Dichter Pausanias wahrlich nicht mit Anmut gesegnete Platée hält sich also für ein unwiderstehliches Objekt der Begierden aller Männer, und setzt derart dem Berggott Cithéron zu, während eine vor Eifersucht rasende Junon die Menschen mit von Les Arts Florissants gewaltig-gewittrig umgesetzten Wetterkapriolen plagt. Da fassen Cithéron und Spezi Mercure einen Plan.

Jupiter höchstselbst soll vorgeben, die eitle Nymphe als neue Gattin auserkoren zu haben, Juno in die gefakte Hochzeitszeremonie platzen, und ob der Hässlichkeit ihrer Nebenbuhlerin erkennen, dass ihr notorischer Fremdgeher zur Untreue gar nicht fähig wäre. Es gibt ein On-dit, wonach die Frischvermählte des Dauphins, Infantin Maria Theresia, ebenfalls keine Augenweide gewesen sein soll …

Edwin Crossley-Mercer als Jupiter. Bild: © Werner Kmetitsch

Jeanine de Bique als La Folie. Bild: © Werner Kmetitsch

Cyril Auvity als Mercure und Marc Mauillon als „Garçon“ Cithéron. Bild: © Werner Kmetitsch

Nach dem oligaten Prolog (nicht ganz geglückt, durchtauchen!), währenddessen sich die von einem Bacchanal bezechten Thalie, Momus und Thespis aus ihren Chiton- und Chlamys-Leintüchern winden – Lagerfeld, über den noch zu sprechen sein wird, hätte ihnen in der Aufmachung längst den Kontrollverlust übers eigene Leben attestiert – und sie gegen gewagteste Haute-Couture-Kreationen tauschen, trippelt in Spa-Aufmachung und naja! Schönheitsmaske die Kreatur aus dem Teich herein – zum Gaudium der vornehmen Gesellschaft, die nach ihrer Orgie im angesagtesten Club des Olymp nun zum unfeinen Sturm auf die besten Pätze im Luxustempel bläst.

Ein Gewimmel und ein Gewusel ist das auf der Bühne, im Gerangel des Arnold Schoenberg Chors – geleitet von Erwin Ortner – sind Lookalikes von Anna Wintour bis Suzy Menkes auszumachen. Jede Figur eine Type, das trifft auch aufs Tanzensemble Anna Possarnig, Anna Konopska, Amanda Mitrevski, Felix Schnabel, Nikola Majtanova, Thomas Riess und Johann Ebert zu, für das Nicolas Paul Choreografien entwickelt hat, mit denen er seine Tänzervergangenheit bei Pina Bausch und John Neumeier nicht leugnen kann, die Herren mal als BDSM-Ballet, mal als Travestie-Grazien, die Damen affektiert beim Contredanse française, als Models auf dem Catwalk.

Marc Mauillon als „Garçon“ Cithéron und Cyril Auvity als des Göttervaters Faktotum Mercure sind nicht die einzigen, die’s im Rezitativ spöttisch und in den Arien stimmgewaltig können, die gesamte ausgesucht wohlklingende Besetzung harmoniert perfekt und ist auch schauspielerisch für jeden Jux zu haben. Mit fast frivolem Vergnügen delektiert sich Marcel Beekman an den von Rameau und seinem Librettisten Adrien-Joseph Le Valois d’Orville eingefügten Quaklauten für ihre Froschkönigin, jedes „Dis-donc!, Pourquoi? Quoi? Quoi?“ ein amphibischer Klagelaut. Die deutschsprachigen Untertitel der Fernsehaufzeichnung erleichtern den Zugang zu den französischen Textpointen und Doppeldeutigkeiten.

Und alldieweil die Handy-Hautevolee, die Smartphone-High-Society unterm Zentralgestirn der Discokugel prahlt und prunkt, steigt vom Modeolymp der Mode-Schöpfer herab, Edwin Crossley-Mercer als Jupiter im Lagerfeld-Style, eine lebendige Choupette im Arm, dem Model- und Medienhofstaat schon von der Showtreppe aus huldvoll zuwinkend. Für Platée gibt’s ein Geschenk im Chanel-Sackerl, was Wunder, dass Emilie Renard als Junon später Madame Coco im berühmten Bouclé-Kostüm gleichen wird, was Wunder, dass aber zunächst Platée von Jupiters Entourage hingerissen ist. Die Eitle in der Welt der Eitelkeiten …

Vom Gott ins Kameravisier genommen: Edwin Crossley-Mercer und Marcel Beekman. Bild: © Werner Kmetitsch

Paparazzo Auvity, Beekman, Crossley-Mercer, Mauillon und Padraic Rowan als Mommus. Bild: © Werner Kmetitsch

Fifty Shades of Platée: Beekman, das TänzerInnenensemble und der Arnold Schoenberg Chor. Bild: © Werner Kmetitsch

BDSM-Ballett: Beekman mit den Tänzern Johann Ebert, Jean-François Martin, Pavel Strasil und Joni Österlund. Bild: © Werner Kmetitsch

Beekman gestaltet das glamourös peinlich, Platée, die so gern eine glutäugige Kokette sein will und doch nur eine glubschäugige Tölpelin ist, deren geziertes Kieren allzu schnell in gewöhnliches Keifen wechselt. Mit welcher Lust Beekman Platée frohlocken, rumstöckeln, Junon verhöhnen lässt, nein, die Titelantiheldin ist keine Gute und von Beekman dazu mit ausreichend Testosteron im Timbre ausgerüstet. Mit wogendem Busen wirft sie sich Jupiter zu Füßen, der daraufhin eine Lagerfeld’sche Fotosession mit seiner Plus-Size-Muse beginnt – alles originalgetreu. Der supersympathische Marcel Beekman erobert die Herzen des Publikums mit einem Wimpernschlag, man wünscht Platée das Happy End, zu dem es nicht kommen wird.

Jeanine de Bique ist als La Folie in diesem Setting folgerichtig eine Lady Gaga, zu deren buchstäblicher Wahnsinnsarie – de Bique erhält von William Christie exzessiv Gelegenheit, den hypervirtuosen Koloraturen-Wirbel vorzuführen – das Ballett bei einem Bad-Romance-Tanz eindeutig Positionen probt, ebenso wie bei den amourösen Verrenkungen vor dem im Wortsinn Himmelbett im dritten Akt, eine Sinnlichkeit, die den Schabernack der Götter konterkariert.

Der Schlusspunkt jeder Modeschau ist bekanntlich das Hochzeitskleid, das flugs von Mannequin-Maß auf Curvy Model ausgelassen werden muss, Platée – ein Bild von einer Braut, doch das dicke Ende naht mit Spott und Hohn, Body Shaming und keine Shape Wear, nirgendwo. Der allmächtige Männerbund hat das Mannweib besiegt. Der zuvor von Thespis mittels Rotwein ausgeknockte Amour, Emmanuelle de Negri, will ihr zu Hilfe eilen, da besinnt sich Platée darauf, dass Amours Pfeil auch eine Waffe ist … das ist berührend. Das macht die Inszenierung besonders. Beekman avancierte damit auf der Bühne zum akklamierten Liebling aller.

Fazit: Robert Carsens witzig-spritzige Regie besticht mit 1001 detailverliebt umgesetzten Einfällen zum Werk, das er in bravouröser Weise und in Verbindung mit der raffinierten Ausstattung Gideon Daveys neudeutet. Mit seiner präzisen Beobachtungsgabe und einem Händchen für Personenführung macht Carsen die Gesellschaftssatire in „Platée“ heutigen Zuschauerinnen und Zuschauern begreiflich – in modernem, aber absolut schlüssigem Ambiente, in dem der Text auch manch herrlich aktuell-komischen Doppelsinn erhält. Musikalisch ist ohnedies alles vom Feinsten. Les Arts Florissants machen ihrem Namen alle Ehre, sie lassen die „Platée“ zur Sumpfdotterblume erblühen, die Nymphe, für die’s keine Seerosen, lat.: Nymphaea, regnet.

Auf 3sat bis 10. April kostenlos zu streamen: www.3sat.de/kultur/musik/platee-118.html         Trailer: www.youtube.com/watch?v=OLUJaDis850           www.theater-wien.at

4. 4. 2021

Theater zum Fürchten/Scala: Die Rächer

Dezember 1, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Sex & Blood = Rock’n’Roll

Ensemble, in der Mitte: Florian Graf und Roman Binder

Ensemble, in der Mitte: Florian Graf und Roman Binder; Bild: Bettina Frenzel

Ein Mann stürmt auf die Bühne, verflucht seine Feinde und erklärt, sich entsetzlich an ihnen rächen zu wollen. Es gibt denn auch ungefähr ein Dutzend Tote. Im Arm hält er den Schädel seiner vergifteten Geliebten Gloriana. Der Nekrophile will sie zum Werkzeug seiner Tat machen – eine wunderbare Szene mit Skelett, dessen entfleischte Lippen vergiftet sind, wird also folgen. Mehr Exposititon brauchten Cyril Tourneur und Thomas Middleton 1607 nicht, um ihr Stück „Die Rächer“ einzuführen. In einer großartigen Inszenierung von Bruno Max brachte das Theater zum Fürchten in der Scala die gruselige Raubersg’schicht‘ in der Übersetzung von H. C. Artmann nun zur Aufführung.

Welch ein Spaß! Den Max und Marcus Ganser in einem Gewölbe, einer Art Familiengruft ansiedelten. Die Kostüme von Alexandra Fitzinger natürlich streng historisch. Den Inhalt zusammenzufassen ist schier unmöglich. Lorenzaccio meets Pulp Fiction. Angesiedelt in einem düsteren Fantasie-Italien bösartiger Renaissancefürsten voller Leidenschaften, Abartigkeiten und schnell zustoßender Dolche gibt dieser „Gothic Thriller“ dem Zuschauer Hardcore-Action. Eine Gratwanderung, bei der alle fiesen Register der Schauspielkunst gezogen werden. In den Figuren und ihren maßlosen Ungeheuerlichkeiten finden sich dabei die Archetypen der großen Shakespearefiguren wieder, von Hamlet bis Richard III., doch in ursprünglicher, noch roher Form. Wie es der Autor so treffend formuliert: „Das Trauerspiel ist gut, wenn der Verruchte blutet!“ Es geht um Schande und Schändungen, Masken der Verschleierung und Männer mit aller Macht, Willkür und eisernen Willen. Geifernd wird Gift und Galle gespuckt in diesem Intrigenspiel, begleitet stets von Donner und Blitz. Sex & Blood = Rock’n’Roll.

Sechzehn Schauspieler bevölkern die Bühne. Da ist der wunderbare Florian Graf als Rächer (wobei man sagen muss, Rächer gibt’s in dem Stück wie Sand am Meer), ein Herzblutkomödiant, der den Wahn-Witz seiner Figur Vindice voll auskostet. Er lässt sich in Verkleidung als Kuppler wie auch als melancholischer Denker bei Hof einführen, wo sein besonnenerer Bruder Hippolito (Roman Binder) eine Stellung hat. Das Herzogsehepaar Franz Robert Ceeh und Selina Ströbele hat einen Erben, Florian Lebek, der vor sexueller und anderabartig gieriger Perversionen nur so strotzt, zwei degenerierte Stiefsöhne und einen hoch ambitionierten Bastard (sehr gelungen dargestellt von Christian Kainradl), der der „Mutter“ behilflich ist, „die Angelegenheiten ihrer Lenden zu lindern“. Beherzt geht’s zum Lügen und Würgen. Jeder will die Fürstenwürde. Dazu gibt’s ein paar unheilige Allianzen heimtückischer Höflinge und von Rache-Geheimbündlern. Motto: „Wenn ein Kopf fällt, so steigt ein anderer.“

Das Ganze steigert sich zu „Dynasty“ in XXL. Dazu Hartmanns schöne Verse. Dazu Max‘ Ideenreichtum. Ein Abend, über den man noch Tage später schmunzeln kann. Kurz: Die Geisterbraut wird dem lüsternen Herzoggreis ins Bett gelegt. Er stirbt am Kuss. Michael Reiter köstlich!!! als verwirrter Kerkermeister lässt den falschen Sohn enthaupten. Der Rest entherzogt sich gegenseitig schneller als man Eure Hoheit sagen kann. Bis zum Schluss soll das Ende nicht verraten werden – selber anschauen! Der Thron wird jedenfalls neu besetzt.

Es ist Bruno Max zu danken, dass er dieses Kleinod des Grauens aus seinem Theatersarg geholt und auf die Bühne gestellt hat. Und ein Bravo gebührt allen Schauspielern, die sich in dieser temporeichen Produktion gewitzt die Seele aus dem Leib spielen. Eine Empfehlung! Wer „Die Rächer“ nicht gesehen hat, hat diesen Theaterherbst was verpasst.

Ach ja, eines doch noch: Es wird keinen Frieden geben im Reich. Denn ein Donner und ein Blitz(licht) entlarven schon den nächsten Meuchler. Zum Totlachen.

www.theaterzumfuerchten.at/scala/produktionen/14-15/raecher.html

Wien, 1. 12. 2014