Art Carnuntum streamt Shakespeare’s Globe: Hamlet
April 15, 2020 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Der Dänenprinz tarnt sich als verrückte Weißclownin

Die Globe-Chefin in der Prinzenrolle: Michelle Terry als Hamlet. Bild: © Tristram Kenton
Das Art Carnuntum Festival bringt auch in Zeiten von #Corona Welttheater nach Österreich, und bietet auf seiner Webseite www.artcarnuntum.at Inszenierungen des Shakespeare’s Globe Theatre zum kostenlosen Stream an. Seit mehr als zehn Jahren ist die gefeierte Londoner Kompagnie Stammgast im Amphitheater, für dieses Jahr waren Aufführungen von „A Midsummer Night’s Dream“
und „The Tempest“ geplant, aber ach … Nun zeigt man bis 19. April online eine Aufzeichnung von „Hamlet“, wobei Globe-Chefin Michelle Terry in dieser 2018er-Inszenierung von Federay Holmes und Elle While höchstselbst in die Rolle des Dänenprinzen schlüpft. Cross-gender Acting ist auch für andere Figuren angesagt, Catrin Aaron spielt Horatio, Bettrys Jones den Laertes, dessen unglückliche Schwester Ophelia spielt Shubham Saraf.
Was vom zwölfköpfigen Ensemble geboten wird, ist, man kennt es von den Niederösterreich-Auftritten, im besten Sinne des Wortes Volkstheater samt Live-Musik, befreit von jeder Schlegel-Tieck’schen Moralinsäure, aber auch – beinah – bar jeder neuinterpretatorischen Perspektive. Die Regie setzt im shakespearisch leeren Raum ganz auf die Kraft der Darsteller, und das kann sie getrost, einzig die zeitgemäßen Kostüme der jungen Edelleute bilden im Kontrast zur elisabethanischen Gewandung des Hofs den Brückenschlag zwischen Historie und Heute.
Das Lachen eines höchst amüsierten Globe-Publikums begleitet den Filmbetrachter, selbst an „I Like Him Not“-Stellen, an denen’s kein hiesiges Publikum wagen würde, auch nur eine Miene zu verziehen – das liegt an der besonderen Art dieser Shakespeare-Spezialisten die Sprache ihres britischen Barden zu bedienen, und ist der reine Hörgenuss. Auch an der hierzulande dringlichen Frage Geist-oder-Nichtgeist wird nicht lange herumgeheimst, Grandseigneur Colin Hurley gespenstert voll geharnischt über die Bühne, nicht als Spukgestalt, sondern als ein seinen Sohn um Erlösung bittender Sünder.

Der Geist von Hamlets Vater: Der große Colin Hurley mit Michelle Terry. Bild: © Tristram Kenton

Bettrys Jones als Laertes und Shubham Saraf als dessen liebreizende Schwester Ophelia. Bild: © Tristram Kenton

Michelle Terrys verrückter Harlekin-Hamlet mit Richard Katz als Polonius. Bild: © Tristram Kenton

Rosencrantz und Guildenstern: Pearce Quigley und Nadia Nadarajah. Bild: © Tristram Kenton
Dass Hurley in der Schauspieler-Szene ausgerechnet den zu ermordenden Gonzaga mimt, und später in unübertrefflichem Cockney die nicht zu übersetzenden Wortspiele des Totengräbers schnapsdrosselt, lässt freilich Deutungsspielraum, was deren drei nebst Polonius‘ Position im upcoming Schlachtfest betrifft …
Michelle Terry ist als Hamlet herausragend. Kein zauderndes Elegiebürscherl, sondern ein zupackender Umstürzler, der den Satz von den Dingen zwischen Himmel und Erde mit politischem Hintersinn auflädt, mit seinem „O Cursed Spite, That Ever I Was Born To Set It Right!“ glasklar auf das geplante Attentat auf den stiefväterlichen Onkel hindeutet, aggressiv, angeschlagen, anrührend – wie ihre Stimme vor Trauer bricht, wie sie schäumt vor Verachtung, ihr Changieren zwischen Süffisanz und Schwermut.
Verkleidet als Weißclownin mit grotesk geschminktem Gesicht macht sie auf Narretei, Hamlet wird zum bös‘-subversiven Harlekin, doch je mehr sich die Gewaltspirale dreht, vor allem nach dem Hinscheiden des Polonius‘, je mehr lässt Terry offen, wie viel an Wahnsinn, wie viel Gefahr für sich und die anderen ihr Immerhin-nun-Mörder-Hamlet nur antäuscht.

Die Schauspieler: Jack Laskey, Tanika Yearwood, Colin Hurley, hi.: Helen Schlesinger, Catrin Aaron. Bild: © Tristram Kenton

Bettrys Jones, Helen Schlesinger als Gertrude und James Garnon als Claudius. Bild: © Tristram Kenton

Temperamentvolles Damenfechten: Michelle Terry und Bettrys Jones als Laertes. Bild: © Tristram Kenton

Horatio will mit Hamlet in den Tod gehen: Michelle Terry und Catrin Aaron. Bild: © Tristram Kenton
Neben Terry agieren Catrin Aaron als stirnrunzelnder Ankläger Horatio und Bettrys Jones als Laertes sowie als „Schauspieler“/Pierrot-Pantomime im Part des mundtot gemachten Gonzago-Sohn – und damit als Hamlets Alter Ego. Punkto Disgust-Grimasse kommt allerdings nur der grandiose James Garnon als Claudius an Michelle Terry heran. Der Thron- und Königinnenbesteiger ist hier ein Selbstbräuner-oranger Populist, ein Machtpolitiker und Manipulator, ein jovialer Schurke, ein Usurpator scheint’s ohne Unrechtsbewusstsein, doch ist es Garnons Qualität, hinterm zahngebleckten Grinsen ein letztlich doch zubeißendes Gewissen erkennen zu lassen.
Dass dieser Claudius die Gebärdensprache weit schlechter beherrscht, als der Rest von Helsingør ist im Zusammenhang logisch, Pearce Quigley und die taube Schauspielerin Nadia Nadarajah sind das kongeniale Duo Rosencrantz und Guildenstern, und mit ihr unterhält sich alles in British Sign Language – besonders schön ist das am Ende beim gemeinsamen Life-Goes-On-Line-Dance. Und um die Riege der großen Namen abzuschließen: Richard Katz, wie Colin Hurley von der Royal Shakespeare Company ins Terry-Team gewechselt, bekannt auch aus Blockbustern wie „Guardians oft he Galaxy“, zeigt sich als Polonius einmal mehr als begnadeter Komödiant.
Sein Oberkämmerer ist sowohl berechnender Schmeichler, der um seine Stellung von Claudius‘ Gnaden weiß, der seine Tochter Ophelia leichthin als Lockvogel anpreist, sich selbst als Spion anbietet, doch nie erkennen lässt, was er tatsächlich von der neuen Majestät hält. Altvaterisch dozierend, mit einer nervtötenden Beflissenheit und seinem Zwischen-zwei-Brillen-Wechseln sorgt Katz zwar für Gelächter, das einem jedoch im Halse steckenbleibt, als Hamlet seinen Leichnam wie einen Sack Erdäpfel abschleppt.

Helen Schlesinger als Gertrude und Michelle Terry. Bild: © Tristram Kenton
Für diese Szene hat sich Helen Schlesinger des Hermelins und des Perückenbombasts entledigt, ihre Gertrude im Schlafgemach ist eine alterslos elegante Frau, von der Liebe zu Claudius und Hamlet in Stücke zerrissen, beinah glaubt man zum Schluss, sie trinke bewusst aus dem Giftkelch. Der im Wortsinn trostloseste der Charaktere ist und bleibt selbstverständlich die Ophelia, die Shubham Saraf mit zu Herzen gehender Anmut und Ernsthaftigkeit ausstattet, bevor sie in besorgniserregender Verzweiflung ertrinkt.
So verstörend ist ihre Verstörtheit, die Geh-in-ein-Kloster-Demütigung, ihre schmerzhaft tiefempfundene Würde, dass Saraf es ist, der endgültig die Tragi- zur -komödie gesellt, Ophelias Bestattung ein stiller Moment im ansonsten turbulenten Treiben. Kurz: Dieser „Hamlet“ des Shakespeare’s Globe Theatre hat alles, die ganze Klaviatur der Gefühle, von Posse bis Pathos – und Spieler, deren überbordende Bühnenpräsenz man unbedingt auf dem Schirm haben sollte.
Coming Soon: „Hamlet“ wird noch bis 19. April kostenlos gezeigt, danach folgt am 20. April „Romeo and Juliet“ und ab 4. Mai „A Midsummer Night’s Dream“ aus Shakespeare’s Globe. Mitunter erheiternde (siehe Übersetzungsfehler lie/lüge/liege) deutschsprachige Untertitel können zugeschaltet werden.
Trailer „Hamlet“: www.youtube.com/watch?v=V-C2ZaK04v8 www.youtube.com/watch?v=ijiDTRQBm2k
www.artcarnuntum.at www.shakespearesglobe.com
- 4. 2020