Festspielhaus St. Pölten streamt: Cirque Éloize

April 10, 2021 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Cirkopolis – von wegen grauer Büroalltag!

Cirque Eloize: Cirkopolis. Bild: Fotocollage. © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Waghalsige Sprünge, versierter Seiltanz und verblüffende Reifenakrobatik … Seit gestern streamt das Festspielhaus St. Pölten eine Filmaufzeichnung des multimedialen Zirkus-Klassikers „Cirkopolis“. Bis 16. April ist die Produktion der renommierten kanadischen Compagnie Cirque Éloize auf www.festspielhaus.at kostenlos zu sehen. Für die Performances der Compagnie vereint deren künstlerischer Leiter Jeannot Painchaud die Welt des Zirkus stets

geschickt mit Kunstformen wie Film und Theater und schafft Raum für innovative Kreationen, die sich atmo- sphärisch zwischen Fantasie und Realität ansiedeln. Für „Cirkopolis“ engagierte Painchaud das Enfant Terrible des zeitgenössischen kanadischen Tanzes, Dave St-Pierre, der bereits 2008 die Choreografie für die Éloize-Show „iD“ erarbeitete. Nun zeichnet er erstmals bei einer Zirkusproduktion auch für die Inszenierung verantwortlich. Und so mischen sich in dieser 9. Show des Cirque Éloize einmal mehr Tanz, Körpertheater und Artistik.

Inspiriert von Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ entsteht mithilfe von Videoprojektionen und den Bühnenbildern von Robert Massicotte ein futuristisch anmutender Großstadtmoloch, eine außergewöhnliche Szenerie für die akrobatischen Höchstleistungen der Artistinnen und Artisten, die die Grenzen des Menschenmöglichen immer wieder aufs Neue ausloten. Die kalte, graue Stadt bildet die Bühne für zwölf multitalentierte Künstlerinnen und Künstler, die mit ihren Bällen, Reifen, Diabolos und ihrer Poesie diese drohende Kulisse zurückzudrängen versuchen.

Samuel Charlton, Reuben Hosler. Bild: © 2012 Prod. Neuvart/Valérie Remise

Angelica Bongiovonni. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Myriam Deraîche und Ensemble. Bild: © 2012 Prod. Neuvart/Valérie Remise

Bald entsteht eine Gegenwelt, die das Publikum aufs Hochseil der Hoffnung befördert. Doch bis es soweit ist, sieht man Clown und Teeterboarder Ashley Carr durch den Unterbauch einer Fabrik hetzen, hinein in ein Kontrollzimmer voller Schalttafeln – wo er von Müdigkeit übermannt einschläft. Das Leben ein Traum. Unschwer lassen sich gewisse Lang’sche Charaktere ausmachen, Carr albträumt sich ins Halbdunkel, er sitzt an einem mit Aktenbergen überfüllten Schreibtisch, hinter ihm fällt der Blick auf die Fassaden der Maschinenstadt. Schon scheint er der „Mittler“ zwischen den Gesellschaften, der Freder …

Cirque Éloize, das ist mehr als aneinandergereihte Zirkusnummern, das ist eine erzählte Geschichte, und mutmaßlich seit Charly Chaplins „Modern Times“ wurde der Begriff Tretmühle nicht mehr so anschaulich dargestellt. Carr ist ganz klar das schwarze Schaf, der Minderleister, während rund um ihn die martialische Männlichkeit tobt. Samuel Charlton und Reuben Hosler, deren Hand-auf-Hand-Akrobatik im Heben und Schleudern des kleineren Hosler etwas Gewaltsames, Grausames, doch auch für Charlton einen Master-Blaster-Moment des sich gegenseitig Ausgeliefertseins hat.

Aerialist Ugo Laffolay, der an den Strapaten dem Wärter der Herzmaschine Grot gleicht, der von schwindelnder Hochhaushöhe Richtung Katakomben saust, und sich erst kurz vor Aufprall fängt. Schließlich Frédéric Lemieux-Cormier, ein Éloize-Urgestein, seit Geburt ein Zirkuskind, weil seine Mutter Kostümdesignerin beim Cirque du Soleil war, hier die personifizierte Industrialisierung, der Eisenfresser mit dem Rhönrad, sein Auftritt quasi ein Sinnbild dafür, dass der Mensch längst für die Maschine arbeitet, nicht umgekehrt – doch bei der kraftvollen Darbietung und bei dem Bizeps sind die Schreibfräuleins hin und weg, und freilich will jede mal anfassen.

Frédéric Lemieux-Cormier und Ensemble. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Clown Ashley Carr hat ein Rendezvous mit Marias Kleid. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Ashley Carr und Ensemble bei der Aktenjonglage. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Lauren Herley, Yann Leblanc und Angelica Bongiovonni. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Da vergessen die Kolleginnen und Kollegen sogar kurz auf die Bürobattle, das ganze Ensemble zum Chitterbug in einer Aktenjonglage, die den armen Ashley Carr aus der Fasson bringt, der Tanz so 1930er-Jahre wie die knappen Trikots à la Zwickelerlass der Damen – Cirque Éloize, das ist stets ein Gesamtkunstwerk, jede Show nach einem einmaligen Konzept, und in der Aufzeichnung der Applaus eines Live-Publikums zu hören.

Zu den grauen Herren gesellt sich eine Frau im purpurroten Kleid, nicht Momo, sondern wenn man’s so sehen will Maria, Angelica Bongiovonni, seit dem Alter von sieben Jahren, und damit war sie damals die jüngste, auf dem Trapez, nun eine Tänzerin mit dem Cyr-Rad, ihr Erscheinen ein verspielter Augenblick der Sehnsucht. Liebe liegt in der Luft, Romantik über den Werkshallen, und wieder eine lyrische Szene, Maria, diesmal Kontorsionistin und Trapeztänzerin Myriam Deraîche als Engel der Arbeiter.

Betörend schön, in jeder Bedeutung des Wortes fantastisch ist das alles. Von wegen langweiliger Büroalltag! Und nach kurzer Einkehr mit einem melancholischen Ashley Carr, der sich ein Rendezvous mit Maria, heißt: mit ihrem an einer Kleiderstange hängenden Kleid, imaginiert, wird’s wieder dynamisch und athletisch. Zwar verhilft das Diabolische, das Diabolo im Gegensatz zu Fritz Lang hier ausschließlich Dominique Bouchard zur Meisterschaft, doch wo die gute, da auch die Maschinen-Maria:

Lauren Herley, Maude Arseneault. Bild: © 2012 Prod. Neuvart/Valérie Remise

Lauren Herley. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Maude Arseneault und Mikaël Bruyère-L’Abbé. Bild: © 2012 Productions Neuvart/Valérie Remise

Am Cord lisse, am „glatten Seil“ schlängelt sich Lauren Herley als Versuchung schlechthin im grauumwölkten Himmel, wem fiele da nicht der Tanz der sieben Todsünden ein; Maude Arseneault zeigt an der Mât chinois Mikaël Bruyère-L’Abbé sein Ende der Fahnenstange – samt feministischem Kick in die Kronjuwelen. Jahaha, Humor ist für den mitgenommenen Mikaël, wenn man trotzdem lacht, im ausgelassenen Spiel des Éloize-Ensembles kommt der Spaß keinesfalls zu kurz – nun aber kommt es zur Konfrontation der Marias, will die einzig wirkliche doch Joh Fredersens dunkles Herz mit ihrer unbändigen Lebenslust bezwingen.

Als Lohn materialisiert sich eine verwandte Seele, „Freder“ Yann Leblanc auf dem Cyr-Rad, und zu zweit, welch ein Kunststück, man kann sich nicht entsinnen schon einmal zwei Artisten auf dem Gerät gesehen zu haben, kreiseln sie glückselig in den Sonnenuntergang. Der Mensch emanzipiert sich und behauptet seinen Zauber und seine Freiheit … Zum Grande Finale erwacht Ashley Carr zwischen Aktenschrank und Stempel, ein böses Erwachen?, nein!, denn die Crew ist mit Champagner da, und endlich kann der Clown am Schleuderbrett beweisen, dass er kein Schreibstubenhocker mehr ist.

Mit „Cirkopolis“ stellt Cirque Éloize einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis, dass sich Zirkus zu einer wahrhaftigen Kunstform entwickelt hat. Unter den zahlreichen Online- und Streaming-Angeboten, die dieser Tage erhältlich sind, ist „Cirkopolis“ auf der Wunschliste der Produktionen, die man noch einmal live sehen möchte ganz oben. Bis das möglich ist: Schalten Sie den Bildschirm ein, sehen und staunen Sie!

Trailer: www.youtube.com/watch?v=mfvFgab5oPA&t=9s        www.cirque-eloize.com      www.festspielhaus.at        Zur Filmaufzeichnung: www.festspielhaus.at/de/stories/stream_cirque-eloize-cirkopolis           www.youtube.com/watch?v=Sll-EzzNc7g

  1. 4. 2021

Cirque du Soleil: Mit neuer Show „Corteo“ in Wien

Januar 25, 2020 in Tipps

Die Meisterakrobaten sind ab 25. März in der Stadthalle

Bild: Dominique Lemieux

Mehr als 50 Artisten Musiker, Sänger und Schauspieler aus aller Welt machen ab 25. März die Wiener Stadthalle zum Zirkuszelt. „Corteo“, italienisch für Festzug, heißt die aktuelle Show des legendären Cirque du Soleil, in der auch diesmal wieder die Gesetze der Schwerkraft scheint’s mühelos überwunden werden. Neu ist eine Drehbühne, auf der die atemberaubenden Vorführungen und Weltklasse-Stunts an den Chandeliers oder mit den Bouncing Beds gezeigt werden.

Sie teilt das Publikum in zwei gegenüberliegende Bereiche, womit die Zuschauer die Vorstellung auch aus der Perspektive der Artisten erleben können. Die wie stets tragikomische Geschichte: eine fröhliche Prozession, eine festliche Parade, in der Inszenierung von Daniele Finzi Pasca, die sich in der Fantasie eines Clowns abspielt.

Bild: Dominique Lemieux

Bild: Dominique Lemieux

Bild: Dominique Lemieux

Dieser erlebt das Ende seiner Zeit auf Erden in einer karnevalsartigen Atmosphäre, während über allem mitfühlende Engel wachen. Corteo stellt das Große dem Kleinen gegenüber, das Lächerliche dem Dramatischen und die Magie der Perfektion dem Charme der Unvollkommenheit. Damit werden gleichermaßen Stärke und Zerbrechlichkeit des Clowns hervorgehoben. Dessen Weisheit und Liebenswürdigkeit symbolisieren die Menschlichkeit, die in uns allen lebt. Die Musik, abwechselnd lyrisch oder spielerisch, trägt Corteo durch ein zeitloses Fest, bei dem die Illusion die Realität neckt.

Bild: Dominique Lemieux

Bild: Dominique Lemieux

Die Show verbindet die Leidenschaft des Schauspielers mit der Anmut und Kraft des Akrobaten. Das Publikum betritt eine imaginäre Welt voller Spaß und Spontaneität an einem magischen Ort zwischen Himmel und Erde. Das Bühnenkonzept versetzt die Zuschauer in eine Theateratmosphäre, die in dieser Form bei Cirque du Soleil-Arenashows noch nicht gesehen wurde. Die durch den Eifelturm inspirierten Vorhänge wurden handgemalt und verleihen der Bühne ein grandioses Aussehen. Die Bauten geben dem Ganzen einen poetischen Rahmen. Seit seiner Premiere begeisterte die Show mehr als acht Millionen Zuschauer in 19 Ländern auf vier Kontinenten.

Über Cirque du Soleil: 1984 aus einer Gruppe von Straßenkünstlern hervorgegangen, hat Cirque du Soleil die Zirkuskunst komplett neu erfunden. Aus Montreal kommend, hat die kanadische Truppe Staunen und Begeisterung bei mehr als 180 Millionen Zuschauern mit 42 Produktionen hervorgerufen, die in fast 450 Städten in 60 Ländern gastierten. Cirque du Soleil beschäftigt derzeit etwa 4.000 Mitarbeiter, darunter 1.300 Künstler und Artisten aus mehr als 50 Ländern.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=ajB8hcmjvFk

www.cirquedusoleil.com           www.stadthalle.com

25. 1. 2020

Festspielhaus St. Pölten: Fritz Langs „Metropolis“ einmal anders

November 25, 2015 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Choreograf Dave St-Pierre inszeniert „Cirkopolis“

Cirque Éloize: Cirkopolis Bild: Valerie Remise

Cirque Éloize: Cirkopolis
Bild: Valerie Remise

Am 28. und 29. November gastiert die multimediale Produktion „Cirkopolis“ des kanadischen Cirque Éloize im Festspielhaus St. Pölten. Videoprojektionen und Bühnenbild lassen eine futuristisch anmutende Stadtatmosphäre entstehen, die – inspiriert von Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ – eine außergewöhnliche Kulisse für die akrobatischen Höchstleistungen der Akteure bietet. Akustisch wird die Kreation von eigens für das Stück geschaffenen Kompositionen aus Stadtlärm, verträumten Chansons und typischen Zirkusklängen untermalt.

Der 1993 gegründete Cirque Éloize ist weltweit eine der erfolgreichsten Compagnien des cirque nouveau. Für die akrobatischen Performances vereint der künstlerische Leiter Jeannot Painchaud die fabelhafte Welt des Zirkus stets geschickt mit anderen Kunstformen wie Film, Theater und Poesie und schafft dadurch Raum für innovative Abende, die sich atmosphärisch zwischen Imagination und Realität, zwischen Grenzen und Möglichkeiten ansiedeln.

Für die träumerische Inszenierung „Cirkopolis“, die im Festspielhaus erstmals in Österreich zu sehen sein wird, engagierte Painchaud das enfant terrible des zeitgenössischen kanadischen Tanzes, den Choreografen Dave St-Pierre. Bereits für die Éloize-Show „iD“ erarbeitete er die Choreografie und zeichnet nun erstmals auch bei einer Zirkusproduktion für die Inszenierung verantwortlich. Mit „Cirkopolis“ stellt der Cirque Éloize einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis, dass sich Zirkus zu einer wahrhaftigen Kunstform entwickelt hat. „’Cirkopolis‘ zu betreten, bedeutet loszulassen und voll und ganz darauf zu vertrauen, von der Hoffnung getragen zu werden“, so Jeannot Painchaud über die Erfolgsproduktion, die als „Unique Theatrical Experience“ 2014 mit dem New Yorker Drama Desk Award ausgezeichnet wurde.

TIPP:

Im Rahmen der Masterclass geben Ensemblemitglieder des Cirque Éloize am Samstag von 13.30 bis 15.30 Uhr jungen Tanzschaffenden Einblicke in das Zirkuswesen.

www.festspielhaus.at

Wien, 25. 11. 2015

Der Cirque de Loin im Stadttheater Klagenfurt

Juni 11, 2013 in Tipps

„The Fool and The Princesses“

Bild: (c) Cirque de Loin/Sabrina Christ

Bild: (c) Cirque de Loin/Sabrina Christ

Am 15. Juni heißt es am Stadttheater Klagenfurt: Manege frei! Ein wahrhaft zirzensisches Spektakel für Jung und Alt steht da im Juni ins Haus. Der Cirque de Loin gastiert erstmals in Österreich, bezieht mit seinen Wohnwagen vor dem Theater Quartier und bringt zwei ineinander verwobene, poetische Liebesgeschichten als Uraufführung auf die Bühne.

Faszinierend verbindet die berühmte Compagnie Schauspiel, Akrobatik, Tanz, Film und Livemusik in bisher nicht gekannter Weise miteinander. Die Ensemblemitglieder beleben dabei mit all ihren vielseitigen und außergewöhnlichen Ausdrucksmitteln den Bühnenraum. Sehr persönlich, mit einer hohen emotionalen und körperlichen Intensität, begegnen sie auf tragikomische Art und Weise einem Thema, das uns alle unser Leben lang bewegt: „Was bedeutet wahre Liebe?“ Erzählt wird von einem Zirkus am Rande des Ruins. Der Clown verliebt sich unsterblich in die schöne Seiltänzerin. Kurz scheint die Liebe in Erfüllung zu gehen. Doch als die Seiltänzerin den Zirkus verlässt, stirbt der traurige Clown an seinem gebrochenen Herzen. Was von ihm bleibt ist eine bezaubernde Liebesgeschichte, die er für uns niedergeschrieben hat…

Empfohlen ab 12 Jahren.

www.stadttheater-klagenfurt.at

Trailer: www.youtube.com/watch?v=XgPxziLVMmU&feature=player_embedded

Von Michaela Mottinger

Wien, 11. 6. 2013