Kammerspiele: Ladykillers

Januar 26, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Mörderisch ist nur die Langeweile

André Pohl und Marianne Nentwich. Bild: Erich Reismann

Natürlich erklingt das Menuett von Boccherini, ist das Musikstück doch durch die „Ladykillers“ Alec Guinness, Herbert Lom und Peter Sellers zum Welthit geworden. Das ist aber auch schon alles, was der Filmklassiker und die nun an den Kammerspielen der Josefstadt zu sehende Theaterfassung miteinander gemein haben. Denn nicht nur die Textbearbeiterinnen Elke Körver und Maria Caleita, auch Regisseur Cesare Lievi hat der Kriminalkomödie, dieser Perle des britischen Black Humor, schweren Schaden zugefügt.

Weder zündet hier irgendein Wortwitz, noch stimmen Tempo und Timing, das Fehlen dieser drei steht jedoch gleichbedeutend für den Tod des Boulevards, und so ist das einzig Mörderische an dieser Inszenierung die Langeweile, die ganze Aufführung beinah so blutleer wie eine Leiche. Dabei böte die Groteske um ein Grüppchen sich als Streicherensemble ausgebender Gangster ausreichend Raum für die Art makaberen Jux, für absurde Situationskomik und verbale Missverständnisse, versehen mit jenem wohldosierten Schuss Spleen, den man an den Engländern so schätzt.

Nun ist es nicht so, dass sich die Schauspieler, allesamt erste Kräfte des Hauses, nicht um ihre Figuren bemühten. Marianne Nentwich ringt darum, ihre Mrs. Wilberforce mit Leben zu füllen, doch bleibt die schrullige Vermieterin, die sich als weniger weltfremd und verwirrt denn angenommen entpuppen wird, in Lievis arg konservativer Sichtweise eine mit Spitzenkragen bewehrte Schablone. Nicht besser ergeht es der auf Stereotype reduzierten Verbrechertruppe, deren Darsteller ihre Rolle auf jeweils einen Wesenszug – exzentrisch bis einfältig bis leicht erregbar – beschränkt spielen müssen.

André Pohl hat als Professor Marcus von Anfang an den Irrsinn im Blick, Siegfried Walther ist der nervös-magenleidende Major Courtney, Martin Zauner der joviale Harry Robinson, Wojo van Brouwer gibt das gutmütig-dämliche Riesenbaby One-Round und Markus Kofler, den Geigenkasten unterm Arm, als wäre er unterwegs zum Valentinstag-Massaker, den sinistren Louis Harvey. Was das Quintett plant, ist nicht weniger als ein Raubüberfall auf einen Geldtransporter, doch offenbart sich die Straftat der Mrs. Wilberforce, und im Bestreben die Alte loszuwerden, eliminieren sich die Komplizen gegenseitig. Der Güterzug nach Liverpool hilft dabei wesentlich mit.

Statt der Geigen spielt ein Grammophon: Siegfried Walther, Martin Zauner, Wojo van Brouwer und André Pohl. Bild: Erich Reismann

Marianne Nentwich, Siegfried Walther, Martin Zauner, Markus Kofler und Wojo van Brouwer. Bild: Erich Reismann

Lievi, der zuletzt an den Kammerspielen mit „Der Garderober“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=28855) so viel Freude bereitete, sitzt diesmal dem Irrtum auf, man könne das Bissig-Böse von Originalautor William Roses Pointen mit derart viel Bedacht angehen – dass es letztlich gar nichts mehr zu lachen gibt. Die fehlende Dynamik des Abends ist nicht einmal mehr als Slow-Burn zu rechtfertigen, das Vintagebordüren-Bühnenbild von Maurizio Balò verstärkt die Anmutung von altbacken noch.

Nur selten gelingt ein Ausbruch. Etwa, wenn Siegfried Walther in einer Szene tänzelnd seinen Hang zu Mrs. Wilberforces Abendgarderobe auslebt. Wenn sich auf Martin Zauners Gesicht ob deren ins Haus einfallender Freundinnen die Panik spiegelt. Die Damen freuen sich auf einen Musikgenuss, und so knarzen und sägen die Schurken eine Kakophonie vom Feinsten. Schließlich zum Schluss, wenn André Pohl sein gescheitertes Genie mit einer gerüttelten Dosis Verfolgungswahn versieht.

Der knapp bemessene Applaus am Ende war gerade mal für drei Verbeugungsrunden gut, nur eine davon absolvierte das Leading Team.

Auch von daher muss „Ladykillers“, so kurz nach Herbert Föttingers formidablen, im Februar wieder zu sehenden „Acht Frauen“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=30371) als vergebene Chance verbucht werden, was umso mehr schmerzt, als man sich eigentlich potenzielle Paraderollen für alle Beteiligten erwartet hätte.

Video: www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=GDOOfwkbz50

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  1. 1. 2019

Kammerspiele: Der Garderober

April 27, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Souverän im Arbeitsmantel

Garderober Norman und sein schutzbefohlener Star: Martin Zauner und Michael König. Bild: Herwig Prammer

Garderober, das wird einem jeder Bühnenkünstler bestätigen, sind Herz und Seele am Theater. Sie sind es, die Lampenfieber, Vor-Premieren-Verzweiflung und auch die eine oder andere Selbstsucht souverän schultern, und ihren Schützling schließlich wohlangetan und wohlbehütet an die Rampe stellen. Der genialische Dramatiker und Drehbuchautor Ronald Harwood hat diesem ehrwürdigen, in Programmheften allerdings unbedanktem Berufsstand ein ganzes Stück gewidmet.

An den Kammerspielen der Josefstadt ist nun Martin Zauner „Der Garderober“ – und er ist ein Souverän im Arbeitsmantel. Cesare Lievi hat mit gewohnt einfühlsamer Hand inszeniert, er lässt seinen Schauspielern den Raum, den sie brauchen und auch nutzen. Michael König gibt den Sir, changiert dabei zwischen hochfahrend und zutiefst versponnen, erst erschöpft und verstört, dann wieder seine Befehle munter bellend, eine Glanzleistung, wie er da mit langer Unterhose und Lesebrille an einen anderen Großen erinnert, der tatsächlich ein König Lear von schmerzender Heiterkeit war. Einen ebensolchen soll der Sir spielen, nur ist er in einer Schaffenskrise, ein Mann, nicht mehr nur am Rande des Nervenzusammenbruchs, doch die Show muss weitergehen, die Tournee muss brummen. Während, wie drinnen Theaterblitz und -donner, draußen The Blitz tobt.

Harwood hat für seine Tragikömodie eigene Erfahrungen als Garderober des britischen Charakterdarstellers und Leiter einer Shakespeare-Company Sir Donald Wolfit verarbeitet, seinen Text zum einerseits Psychoduell für zwei große Mimen, andererseits Hommage an die Menschen gemacht, die nichts mehr lieben, als die Bretter, die ihnen die Welt bedeutet. Wie Norman, der alles versucht, um seinen ausgebrannten Star doch noch auf die Bühne zu bringen. Zauner stattet seine Figur mit einer von Brandy beflügelten Unerschütterlichkeit aus. Immer gewitzter Therapeut, niemals nur ein Diener, spielt er einen, der den Mächtigen zu nehmen und zu gängeln weiß. Und dabei die Herrschaftsverhältnisse umdreht.

Spielt einen Lear wie anno dazumal: Michael König mit Martina Stilp. Bild: Herwig Prammer

Norman zügelt das Jungtalent: Martin Zauner mit Swintha Gersthofer. Bild: Herwig Prammer

Die anderen Schauspieler, die Inspizientin weiß er zu beschwichtigen und zu beruhigen. Alles wird gut werden! Und wiewohl’s nicht leicht scheint, im Match Zauner vs König Position zu beziehen, brillieren Martina Stilp als desillusionierte, das Theater endlich an den Nagel hängen wollende Milady und Elfriede Schüsseleder als lebenslang liebende Madge. Wobei ihre Zugeigung vor allem dem Protagonisten der Truppe gilt. Swintha Gersthofer ist ein neckisches Jungtalent Irene, das den alternden Chef um den Finger wickeln will. Alexander Strobele und Woja van Brouwer haben ihre Momente als Thornton, der als Lears Narr zu neuer darstellerischer Größe avanciert, und als störrischer „Bolschewik“ Oxenby.

Mit seinem Abend jedenfalls wird Lievi den Kammerspielen den nächsten Publikumserfolg einfahren. Wunderbar Szenen, die hinter eine Theaterwelt der 1940er-Jahre blicken lassen – die Regie verzichtet auf Modernisierungen -, großartig, wie der König einen Lear im vollen Ornat und mit aufgemalter Maske gibt, wie man ihn wohl heute nicht mehr machen würde. Allein der Schluss gerät Lievi ein wenig langatmig, hier dürfte er das Tempo ruhig ein wenig anziehen. Dies ein Jammern auf höchstem Niveau für eine ansonsten rundum geglückte Aufführung.

Video: www.youtube.com/watch?time_continue=3&v=hwtZm-8tBuQ

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  1. 4. 2018

Kammerspiele: Menschen im Hotel

März 18, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Nur ein Glühwürmchen in der Dunkelheit

Siegfried Walther, Silvia Meisterle und Raphael von Bargen Bild: Herwig Prammer

Der großartige Siegfried Walther, Silvia Meisterle und Raphael von Bargen
Bild: Herwig Prammer

Es fehlt an Prunk und Pomp. An diesem Marmor, der doch nur falsch und Stuck ist. An der Behauptung etwas großes und dabei letztlich Kulisse zu sein, die die Grandhotels einer längst verwehten Zeit ausmacht. Wie die Figuren in Vicki Baums „Menschen im Hotel“. 1928 entwarf die österreichische Autorin ihr Panorama Fleisch gewordener Trompe-l’œils, Cesare Lievi hat nun an den Kammerspielen eine Bühnenfassung in Szene gesetzt – und ist dabei einen Schritt weiter, vielleicht einen zu weit gegangen.

Der italienische Regisseur hat sich einer Art Neorealismo verpflichtet, und, als wolle er im Sinne Roland Barthes‘ „als Wirklichkeit darstellen, was die bürgerliche Gesellschaft sich bemüht zu verbergen“, von Anfang an die klappernden Skelette unter den mühsam aufgerichteten Fassaden freigelegt. Das ist im Baum’schen Kosmos zwar an späterer Stelle korrekt, doch so raubt es dem Abend vom Fleck weg die Elegance, das Geheimnis, die Ambivalenz. Bis hin zum mit Schiebetüren für den schnellen Szenenwechsel überaus funktionalen Bühnenbild von Maurizio Balò glaubt man sich in einem strengen, spröden Schwarzweißfilm, in dem die Schauspieler ihren Text herstelzen. Anna Bergmann, von der die Buchbearbeitung stammt, erlaubt kaleidoskopartige Einblicke in das Panoptikum der Vicki Baum. Sie hat die Reisenden, die sich durchs Hotel wie Dantes Ovid durch den Orkus bewegen, auf eine Handvoll reduziert. Eine alternde Primaballerina verliebt sich in einen nicht ganz ehrenwerten jungen Baron, der es auf ihren Schmuck abgesehen hatte. Ein kleiner Angestellter, den nahen Tod vor Augen, beginnt das Leben in vollen Zügen zu genießen. Ein Generaldirektor zockt um die Zukunft seiner Firma und bedrängt eine Sekretärin, die doch eigentlich zum Film möchte. Sie alle beobachtet ein Arzt, ein Dauergast der Hölle, dem dieser Nicht-Ort zum Abbild des Lebens geworden ist.

Die Hölle. Zehn Jahre ist es her, dass die eine vorüber rauschte, zehn Jahre wird es in Österreich noch dauern, bis die nächste kommt. Vicki Baum erkannte früh die Gefahr, die vom Nationalsozialismus ausging. Aber davon wissen ihre Figuren noch nichts, diese Pechvögel und Glücksritter, diese Blender und Betrüger größeren und kleineren Ausmaßes. Sie laborieren noch an ihren Erste-Weltkriegsnarben, während schon die Weltwirtschaftskrise und der Zweite neue Wunden schlagen wollen. Keiner ist hier, was er vorgibt, ja nicht einmal, was er selber glaubt, zu sein. Alle suchen. Und währenddessen findet das Eigentliche anderswo statt.

Lievi hat das firnissfrei inszeniert, hat versucht, die vordergründige Krimihandlung und die tiefgründige Liebesgeschichte als Gesellschaftspanorama der „Goldenen“ Zwanzigerjahre zu entwerfen. Mit „Filmscheinwerfern“ und „Dolby Surround“, sogar mit einem automatischen Klavier, setzt er auf den Kinoeffekt, schön auch die Idee, das Publikum quasi in der Portiersloge zu platzieren, aber seine Gesellschaft, sie schillert zu wenig. Die Geschäftemacher und Gschaftlhuber, die Lobbyisten in der Lobby, die durch riskante Affären verbundenen Zwangs- und Zweckgemeinschaften sind allesamt als Scherenschnitte angelegt. Wo sich die Figuren Maske um Maske um Maske abreißen lassen sollten, enttarnen sie sich flink, freiwillig, allzu friktionsfrei. Als hätten sie sich bei ihrem Tanz auf dem Vulkan die Fersen schon verbrannt, bevor der Vorhang überhaupt aufging, und wollten nun nur noch ins rettende Fußbad. Es ist seltsam, wie eine Sache gefühlt zu kurz geraten und trotzdem langatmig sein kann.

Raphael von Bargen legt den Baron von Gaigern als leutseligen Lebemann an. Zwar erschließt sich nicht wirklich, warum er sich Hals über Kopf in die von Sona MacDonald als exaltierte Hysterikerin gespielte Grusinskaya verliebt, aber immerhin kommt es ihm zu, durch ihr Leid sein Menschsein zu finden. Silvia Meisterle ist als Stenotypistin Flämmchen verhalten sexy, Marianne Nentwich eine dauerbesorgte Suzette, Alexander Absenger ein Raubtier als Chauffeur. Alexander Waechter hat als Arzt Dr. Otternschlag immerhin die besten Sätze. Wie ein schwarzes Gewissen wacht er, der vom Leben nichts mehr erwartet und ergo nicht enttäuscht werden kann, über die anderen. Die Drehtür muss immer offenstehen, sagt er, und meint damit den Ausgang in den Selbstmord. „Man kommt an, man bleibt ein bisschen, man reist ab … hundert Türen auf dem Gang, und keiner weiß was von dem Menschen, der nebenan wohnt. Und wenn Sie abreisen, kommt ein anderer an und legt sich in Ihr Bett, Schluss.“ Welch ein Resümee über die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz. Ansonsten bleibt auch Waechter unauffällig.

Während die Kollegen sich um Typgestaltung bemühen, sind da zwei, die aus ihren Figuren Charaktere formen. Und zwar solche von Fallada-Format. Vor allem Siegfried Walther ist großartig als sterbenskranker Kringelein, der brave Buchhalter, der verzweifelte „kleine Mann“, der den Rücken durchstreckt und, ein erstes und letztes Mal, sich aufbäumt. „Und wenn ich ein Dreck bin, dann sind Sie ein viel größerer Dreck, Herr Generaldirektor“, haucht er atemlos über seinen neuen Mut. Und das macht Walther ganz fabelhaft. Er verkörpert ein Zeitsymptom, er und der von Heribert Sasse dargestellte Generaldirektor Preysing, zwei unterschiedliche Systeme. Das untergehende und ein aufkeimendes Europa, und wenn Lievis Arbeit dieser Tage etwas zu sagen hat, dann an dieser Stelle. Die Wirtschaft hat moralisch wieder abgewirtschaftet. Und der Angestellte sieht sich beraubt um die Stelle, mit der er sich gern identifizieren konnte. Befristung und schnell-schnell heißen die neuen Schlagworte. Coupon schneiden siegt über Arbeitsplätze sichern.

Sasse selbst überzeugt als Turbokapitalist, der glaubt, sich mit Geld alles nehmen zu können. Wenig erinnert noch an den Original-Preysing, der zu ehrlich für die neuen Regeln der Börse war. Dieser hier ist skrupellos und schmierig und wird in seiner Ekelhaftigkeit die Rechnung präsentiert bekommen. Am Ende, wenn sich die Szenen in einem Kunstgriff ineinander schieben und alle Schauspieler gleichzeitig auf der Bühne sind, wird Kringelein auf- und Preysing zusammenbrechen. Vicki Baum sagte einmal, sie gebe sich keinen „Glühwürmchenillusionen“ über die Zukunft hin. Ein Glück. Cesare Lievi lässt in der Dunkelheit zumindest eins leuchten.

Diese Rezension bezieht sich auf die Vorpremiere am 16. März.

Raphael von Bargen im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=18096

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Wien, 17. 3. 2016

Raphael von Bargen im Gespräch

März 11, 2016 in Bühne, Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Er spielt im Film „Thank You For Bombing“ und an den Kammerspielen „Menschen im Hotel“

"Menschen im Hotel" an den Kammerspielen: Sona MacDonald und Raphael von Bargen Bild: Jan Frankl

„Menschen im Hotel“ an den Kammerspielen: Sona MacDonald und Raphael von Bargen. Bild: Jan Frankl

Schauspieler Raphael von Bargen ist vielbeschäftigt: Am 11. März wird bei der Diagonale Barbara Eders Satire „Thank You For Bombing“ präsentiert, in der er den US-Kriegsberichterstatter Cal spielt (Filmkritik: www.mottingers-meinung.at/?p=17967). Ab 18. März läuft der Film in den Kinos. Am 17. März hat an den Kammerspielen Vicki Baums „Menschen im Hotel“ Premiere. In der Regie von Cesare Lievi schlüpft von Bargen in die Rolle des Baron von Gaigern. Zwei Rollen, denkt man, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und doch gibt es da etwas, das sie verbindet. Ein Gespräch über Dreharbeiten in Kabul, Leben im Krieg und was er aus den Menschen macht:

MM: Als ich das Gespräch vorbereitet habe, fiel mir eine Gemeinsamkeit zwischen dem Film „Thank You For Bombing“ und der Kammerspiele-Premiere „Menschen im Hotel“ auf: Wir unterhalten uns über ein Panoptikum vereinsamter, seelisch deformierter Menschen mit gestörtem Verhältnis zur Realität.

Raphael von Bargen: Das ist richtig, das betrifft grob alle Projekte, in denen ich die vergangenen 15 Jahre gearbeitet habe (er lacht).

MM: Lassen Sie uns mit Barbara Eders Film beginnen. Sie haben in Afghanistan gedreht. Welche Erfahrungen macht man da? Welche Eindrücke nimmt man mit?

Von Bargen: Der erste Eindruck war natürlich ein wilder. Barbara Eder wurde auf einem Hügel mit Steinen beworfen, von Kindern und Erwachsenen gleichermaßen, und ist nur knapp ohne Verletzung davongekommen. Ein paar Tage zuvor hatte sich im Nachbarcamp ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, da hatte es Tote gegeben. Die Menschen schauen finster und man glaubt, in einem aggressiven Land mit einer unglaublich aggressiven Bevölkerung zu sein. Was aber relativ schnell zu lernen war, ist, wenn man grüßt, und zwar von meinem Herzen zu dir (er macht eine Handbewegung von seiner Brust zu der seines gegenüber), lachen auf einmal die Leute. Nur schauen, nur starren ist einfach sehr unhöflich. Ich habe Afghanen kennengelernt, die bezaubernd sind, sehr gastfreundlich und hilfsbereit. Es gab auch mit den Amerikanern bizarre Begebenheiten, etwa als an einem Drehort plötzlich die CIA mit Black Hawk Helicoptern aufgestiegen ist oder wir von ihnen mit einem SUV quer durch Kabul verfolgt worden sind …

MM: Sie spielen einen amerikanischen Kriegsberichterstatter namens Cal.

Von Bargen: Und hatte vor Ort auch Gelegenheit mit Journalisten und Soldaten zu sprechen. Das sind Jungs, die sind ganz nett, aber auch brandgefährlich. Die leben den ganzen Tag in diesen Camps, haben keine Ablenkungen, keine Vergnügungen, das ist eine G1 Verordnung, und einen vielleicht beidseitig missverstandenen Auftrag. Das sind zum Teil Testosteronmaschinen, deren Laune nicht die beste ist. Einer hat zu mir gesagt, er würde am liebsten alles kurz und klein schießen – und dann natürlich: Just jokin‘, just jokin‘. Aber das gibt einem schon zu denken.

MM: Fragen sich die „Westmenschen“ in Afghanistan nie, was sie da eigentlich machen? Ich weiß schon, der Welt Gesetz und Ordnung geben, aber …

Von Bargen: Naja, nein, die fragen sich gar nichts. Es gibt keine Informationsquelle zu Afghanistan, die nicht irgendwie bearbeitet ist. In diesem Konflikt geht es nicht mehr darum, zu kommunizieren. Es geht nicht darum, sich mit diesem Land auseinanderzusetzen. Der Nahe Osten ist für mich von einer erschreckenden Bodenlosigkeit. Der Westen kommt in ein Land und diktiert wie die Dinge zu funktionieren haben. Wer bin ich denn, dass ich den Menschen dort sage, wie Zusammenleben funktionieren soll? Das ist eine Hybris, die kann ich nicht gutheißen. Dass ich auch nicht gutheißen kann, wie die Dinge in Afghanistan funktionieren, das steht auf einem anderen Blatt. Mit unserer Überheblichkeit werden wir das auch nicht ändern … nur durch eine lebendige Kommunikation. Aber seit dem Dreh hat sich die Gesamtsituation diesbezüglich natürlich geändert und verschärft …

MM: Sie meinen die Flüchtlinge, die auch aus Afghanistan kommen?

Von Bargen: Ja, und man muss nachfragen, warum die Situation in den derzeitigen Krisenländern so ist, wie sie ist. Warum ist Krieg? Warum fliehen die Menschen? Da lehnt sich einer der Hauptakteure, die USA, gerade ganz bequem zurück und berichtet einfach nicht. Meine Mutter lebt in Florida, die hat quasi Nachrichtensperre, die ruft mich in Österreich an, um zu erfahren, was los ist. Die Amerikaner konzentrieren sich jetzt auf ihren Wahlkampf, die wollen keine Störungen „von außen“, sind aber seit je „außen“ involviert.

MM: Das ist etwas, das der Film auch in der Figur des Cal thematisiert: Das Missverstehen und auch Missachten der anderen Kultur.

Von Bargen: Einerseits das. Der Titel des Films „Thank You For Bombing“ ist ja symptomatisch in der Figur verankert. Wir haben eine so hohe Reizschwelle, das heißt: ich brauche harte Bilder, um überhaupt noch wahrzunehmen, dass etwas passiert. Bei Kriegsberichterstattern ist das große Problem, dass die Medien sie nur noch als Freelancer beschäftigen. Also fahren einige Wahnsinnige, auch Vorbilder meiner Figur, auf eigene Kosten in den Krieg. Machen da Bilder, vollkommen geisteskrank, wo sich niemand hintraut, und ob sie Geld dafür kriegen, zeigt sich erst in dem Moment, in dem sie abliefern.

MM: Wie ordnen Sie Cal ein – zwischen der Pflicht zur Berichterstattung und Voyeurismus? Sympathisch ist er nicht.

Von Bargen: Natürlich nicht. Er hat kein normales Leben mehr, er ist abgestumpft, lebt aber auch in einem Rausch. Cal ist ein Adrenalinjunkie, er ist ein Idealist, das ist sein erster Zugang zum Beruf. Und so, wie die anderen Krieg betrachten und die afghanische Kultur betrachten, wird er zum Zyniker und beschließt, sein Umfeld bis aufs Blut zu reizen. Sein einziger Freund ist sein Fahrer, ein Mensch, zu dem er eine emotionale Nähe entwickelt, aber der Zahn wird Cal ja auch noch gezogen.

MM: Wer war der Kollege?

Von Bargen: Mohammad Jamil Jalla lebt tatsächlich in Kabul, er ist ein junger Regisseur und Schauspieler, ein faszinierender, junger Kollege. Ich mochte den sehr gern.

MM: Wie war die Arbeit? Es gab keine fertigen Dialoge?

Von Bargen: Nein, es gab keine Texte. Barbara hatte ein erstes Drehbuch, das wir immer wieder neu mit Szenen gefüllt haben. Wir haben über Ideen diskutiert, auch geblödelt, aber dann sehr ernst besprochen, was geht und was nicht. Wir hatten eine Szene, da zieht ein Kind auf dem Markt in Kabul eine Pistole. Die Situation in Kabul selbst strich diese Szene, denn wenn auf dem Marktplatz eine Waffe gezogen wird, sind die Folgen kaum absehbar. In Summe haben wir zumindest anfangs die Situation in diesem Land unterschätzt. So auf easy, weil wir sind ja Künstler, geht in Afghanistan gar nichts.

MM: Sehen Sie nun Nachrichten mit anderen Augen?

Von Bargen: Ja, ich sitze nun und denke mir, wer hat das gefiltert? Es gab, da waren wir noch in Afghanistan, einen Bericht auf allen Sendern, dass eine Stadt in der Nähe von Kundus von den Taliban überrannt worden wäre. Wie saßen beim Chef der dortigen CNN-Abteilung, da sagt ein junger Mann: Wieso, was soll da sein? Ich komme gerade von da, da ist nichts los. Dafür wiederum geschehen natürlich andere Dinge, von denen die Welt nichts wissen soll.

MM: Wie unfassbar zynisch das nun ist, dass Afghanistan zum sicheren Rückreiseziel für Flüchtlinge erklärt wurde.

Von Bargen: Ja. Unwissenheit ist mitunter ein Segen. Wobei es sicherlich weit weniger dramatisch ist in Afghanistan als in anderen Ländern. Ich glaube nicht, dass sich die Komplexität dessen, was sich in Kriegsgebieten abspielt, irgendeinem Normalsterblichen erschließt. Das ist in der Gesamtstruktur zu kompliziert. Nur zu sagen, da ist etwas befriedetes Gebiet und jetzt ist auch gut, ist zu wenig, das wird nichts ändern. Derzeit baut sich alles so massiv auf, man sollte also nicht daran arbeiten, Feindbilder zu schaffen, sondern einander einmal zuzuhören. Berichterstattung reduziert sich auf die Belastbarkeit einzelner Menschen. Ob ich das global sehe oder als Konflikt in einem Dorf – es reduziert sich auf Menschen, die miteinander eine Geschichte haben und erleben.

MM: Die Geschichte von zwei Menschen erzählt auch „Menschen im Hotel“.

Von Bargen: Es sind Figuren, die mit ihren Sehnsüchten im Stück auf dem Vulkan tanzen. Es ist ein heftiges Stück.

MM: Das auch im Krieg – oder der Zeit zwischen den Kriegen handelt. Sie spielen Baron von Gaigern.

Von Bargen: Eine einst gutsituierte Persönlichkeit, in dessen Leben einiges schief gelaufen ist. Es wird erzählt, dass er als Soldat in Frommelles, einem blutigen Gemetzel, im einzigen, in dem auch Hitler als Meldegänger war, eingesetzt war. Das alles hat ihn geprägt, er ist traumatisiert, sagt aber, wenn das nächste Mal Krieg ist, geh‘ ich wieder hin. Er ist ein Spieler, ein Extremsportler, der den Nervenkitzel braucht, er becirct Frauen, aber nicht ohne diese gewisse Todessehnsucht. Und dann trifft er diese Frau, Sona MacDonald als ehemalige Balletttänzerin Grusinskaja, deren Schmerz etwas so Existenzielles hat, das es ihn anrührt. Da besinnt er sich, dass er eigentlich ein Ehrenmann ist. Und er verliebt sich wirklich in ein Bild, das ihn spiegelt.

MM: Er erkennt, hier ist kein Spiel mehr möglich, hier wird bar bezahlt. Große Gefühle, schluchzende Geigen. Autorin Vicki Baum wird unterstellt, Trivialliteratur geschrieben zu haben.

Von Bargen: Ich finde das nicht. Ich habe das Buch wirklich gerne gelesen. Es ist eine Zeitbetrachtung, eine sehr klare Zeitbetrachtung. Es ist nicht Boulevard – oder Pop-Literatur würde man heute sagen. Natürlich ist die Sprache ein wenig manieristisch, aber die Psychologie, die sie in die Figuren steckt, ist großartig. Die sind extrem vereinsamt, extrem verinselt in ihrer Zeit. Diese merkwürdige Zeit des Umbruchs, dieses Nicht-Wissen-Wohin in diesem Hotel, das hat sie ganz toll beschrieben. Das Hotel ist Fassade, im doppelten Sinne, und daran zerbrechen die Leute letztlich.

MM: Es gibt ein Zitat: Man kommt an, man bleibt ein bisschen, man reist ab …

Von Bargen:  … hundert Türen auf dem Gang, und keiner weiß was von dem Menschen, der nebenan wohnt. Die besagte Vereinzelung der Figuren und der Fatalismus des Arztes Otternschlag . Das passt übrigens auch zu „Thank You For Bombing“.

MM: Wie ist die Inszenierung?

Von Bargen: Cesare Lievi versucht keine Radikalisierung des Materials auf Biegen und Brechen, aber er legt schon auch den Finger in die Wunde unserer Zeit. Er nimmt den Text sehr ernst, er sieht die Figuren von ihrer existenziellen Not getrieben, von ihrer Sucht zu Wirken und ihrer Sehnsucht nach Erlösung. Wenn uns das gelingt, dann sind wir richtig, dann ist es ein sehr tragisches Stück. Was ich beispielsweise sehr gerne mag, ist, dass es nirgendwo blumig ist. Sehnend ja, verzweifelt ja, aber nie blumig. Es werden andauernd Erwartungen angehoben und auf ihrem Zenit zerschlagen. Als wollte Vicki Baum sagen, man kann vom Leben nur dann nicht enttäuscht werden, wenn man sich mit den Enttäuschungen des Lebens abgefunden hat. Die Charaktere  hoffen, in ihrem gegenüber, im Morgen Glückseligkeit zu finden. Und kaum haben sie einen Schritt darauf zugemacht, kommt garantiert das Schicksal, der Umstand, das Leben …

MM: Es gibt zwei Filme …

Von Bargen: Und auch unsere Arbeit wird in weitestem Sinne filmisch. Das entspricht dem Fluss, den der Roman hat. Man wird von Szene zu Szene geführt, in einem Raum, den nur die Behauptung des Spiels zu einem anderen macht. Das Hotel atmet, es setzt unter Stress, man wird gesehen und versucht zu verheimlichen, das ist ungefähr die Temperatur.

MM: Was macht den Reiz aus, das zu spielen?

Von Bargen: Dass dieser Baron von Gaigern mehrere Rollen spielt, dass er scheinbar nur aus Fassaden besteht. Er ist vieles gleichzeitig, und jedes Mal, wenn jemand anderes auftritt, ist er ein anderer Mensch. Dem versuche ich mit meiner Darstellung gerecht zu werden. Eigentlich kann man bis zum Schluss nicht wissen, was das für ein Typ ist. Bis ihm die Nähe zu einem Menschen die Maske abreißt. Ich glaube, dass das den Zuschauern sehr nahe gehen kann. Cesare macht es einem sehr leicht, sich einzulassen. Wer von uns trägt schließlich keine Maske?

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Wien, 11. 3. 2016

Theater in der Josefstadt: Am Ziel

März 26, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Andrea Jonassons Verwandlung

in ein Bernhard-Monster

Therese Lohner, Andrea Jonasson Bild: Sepp Gallauer

Therese Lohner, Andrea Jonasson
Bild: Sepp Gallauer

Wie sie’s schon sagt: „Gusswerk“ und „Ende gut, alles gut.“ An diesen paar Silben sind schon etliche Schauspielerinnen gescheitert. Die Jonasson findet dafür unzählbare Stimmen und Betonungen. „Ich bin mehrere“, sagt ihre Figur „Die Mutter“ einmal. Mit scheinbarer Leichtigkeit turnt sich die Mutter aller Monologe durch die Textmassen. Das „Gusswerk“ wird zum Inbegriff für Geld und Macht. Erotisch in gewisser Weise. Die Bernhard-Debütantin ist von der ersten Sekunde an ein Bernhard-Monster. Zänkisch, herrisch, herrlich. Ein böses Weib, ein Schmerzensmensch – und natürlich in der Selbstbehauptung eine große Humanistin. Schmerzensmensch ist nicht so weit hergeholt. Andrea Jonasson hatte einen schweren Unfall, weshalb sie ein Stützkorsett mit Halskrause trägt, den Birgit Hutter mit einem Tuch verdeckt hat. So lässt Regisseur Cesare Lievi seine Protagonistin also auf einem Fauteuil thronen. Die Königin der Manipulation. Feuerrote Haare, rauchige Stimme: Die Primadonna, noch immer bildschön, versteht es, dem zynischen Text Humor einzuflössen. Wie sie sich selbst Cognac.

Seit zwanzig Jahren fahren Mutter und Tochter am gleichen Tag nach Katwijk ans Meer, aneinandergefesselt in gegenseitiger Abhängigkeit.
Doch in diesem Jahr wird es anders sein. Ein dramatischer Schriftsteller wird sie begleiten und das gemeinsame Ritual von Mutter und Tochter brechen. Die etablierte Sicherheit der Mutter wird durch den Gast, den Eindringling, gefährdet.

Denn vor einem riesigen Schrankkoffer sitzt Therese Lohner als Tochter und packt. Während die Beleidigungen, Schimpfreden und Schmähgesänge nur so auf sie niederprasseln. „Mein Mann (der Gusswerk-Besitzer, Anm.) war ein Monster“, „Mein Sohn war ein Krüppel“,  „Meine Tochter ist lebensunfähig“. Diese Witwe hat ihre Tochter zur Haushaltsgehilfin degradiert; Therese Lohner spielt sie grandios als wundersam hilfloses, vorwiegend von ihrer festen Flechtfrisur zusammengehaltenes Mädchen. Lohner ist in ihrer meist stummen Unterwerfung kongenial. Beklemmend ausdrucksstark als ältliche, gedemütigte, grantig einherschlurfende Tochter. Wenn jedoch die Rede auf den Dramatiker kommt, der sie zum Haus am Meer begleiten soll, glaubt man beinahe, so etwas wie ein Gefühl der Erwartung in ihrem Gesicht zu erkennen, aber die Mimik ist so sparsam, dass dieser Eindruck auch Einbildung sein könnte. So schön wird eine Hässliche selten gespielt. Lohner ist fantastisch im Minimalismus.

Bleibt der dramatische Schriftsteller – Christian Nickel -, ein „Anarchist“ des Geistes, wie Bernhards eigener Großvater Johannes Freumbichler, der sich für die Tochter interessiert und für sein Stück „Rette sich, wer kann“ gefeiert wird. Was die Mutter veranlasst zu gurren und zu flirren und zu flirten. Nichts für Tochter! Aber auch gar nichts. Und überhaupt nichts für das Dienstmädchen Martina Ebm. Es geht jetzt angeblich sogar um Kunst, Natur, das Leben. Die Dame friert, das Meer rauscht, der Dichter lässt sich bewundern, das Mädchen beobachtet, die Tochter packt aus. Christoph Nickel brilliert da als verunsicherter, ungeschickt seine Teetasse balancierender Nachwuchsautor, der seine gesellschaftskritischen Prinzipien im Wissen um deren Folgenlosigkeit verteidigt und – wie Bernhard – mutig immer in die „entgegengesetzte Richtung“ geht. Mit dem Hinweis, dass gerade das „Scheitern“ der „wesentlichste Gedanke“ sein muss. Er ist wie ein Hündchen, das diesen Untoten zugelaufen ist und sich fürchtet. Nickel schwankt zwischen dem Begehren für die Tochter und einer uneingeschränkten Bewunderung für die Mutter. Ganz dem Textbuch folgend.

Wie komplex Thomas Bernhards Stücke sind, wird am deutlichsten, wenn man sie als das nimmt, was sie sind: als virtuos-melodiöse Sprachkunstwerke von ironischer Schärfe. Und das macht der italienische Regisseur Cesare Lievi. Er vertraut dem Text und seinem Team. Das Ergebnis: unbedingt sehenswert!

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Wien, 13. 3. 2015