stadtTheater Walfischgasse: Der Beweis

Oktober 16, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Gleichung mit familiären Variablen

Anna Sophie Krenn, André Pohl Bild: Sabine Hauswirth

Anna Sophie Krenn, André Pohl
Bild: Sabine Hauswirth

Da fällt ein Satz, über den ich sehr lachen musste: „Mein Vater hat sich der Mathematik immer von der Seite genähert.“ Ich auch – nur sagte die Mathematik zu mir: Red‘ mi ned von der Seitn an! – und im Schularbeitsheft stand wieder eine Note jenseits der guten. Anita Ammersfeld, die gerade in der vergangenen Saison einen nie dagewesenen Lauf hatte (die Erfolgsproduktionen „C(r)ash“ www.mottingers-meinung.at/cornelius-obonya-badet-in-selbstmitleid/ oder www.mottingers-meinung.at/stadttheater-walfischgasse-halbe-wahrheiten/ stehen nach wie vor auf dem Spielplan), verkündete vor Kurzem die aktuelle sei ihre letzte. Um nun mit der ersten Premiere, David Auburns „Der Beweis“, den Beweis anzutreten, wie sehr das stadtTheater im Wiener  Bühnenpotpourri fehlen wird. Na, danke herzlich.

„Der Beweis“ erhielt alle wichtigen US-amerikanischen Theaterpreise, darunter den Drama League Award, den Preis der New Yorker Theaterkritiker, den Tony Award 2001 für das Beste Stück, den Pulitzer-Preis 2001 für Theater und ist ein noch nie in Wien gezeigtes Stück. Eine Komödie mit Sinn und Hintersinn, mit so viel Tragik, dass es gerade noch auszuhalten ist. Eine Fortführung der im Vorjahr begonnenen Reihe, wenn man so möchte. Es geht um „Geist“ – im doppelten Wortsinn: Robert, ein berühmter Mathematik-Professor, hochbegabt, hochdekoriert, verliert durch eine mysteriöse Krankheit den Verstand. Seine Tochter Catherine, dem Vater immer eng verbunden, gibt ihr Leben auf, um ihn zu pflegen. Schwester Claire macht fernab in New York als Bankerin Karriere. Als Robert stirbt kommt sie zur Beerdigung, findet die Schwester verwahrlost und verwirrt vor. Und plötzlich steht die Frage im Raum: Hat Catherine Roberts Genie oder Wahnsinn geerbt? Oder beides? Denn da ist auch noch Ex-Student, nun selbst Uni-Unterrichtender, Hal, der in Roberts Notizen einen bahnbrechenden  mathematischen Beweis (für die Hodge-Theorie: diese verbindet die mathematischen Teilgebiete Analysis, Differentialgeometrie und algebraische Topologie; benannt ist die Hodge-Theorie nach dem Mathematiker William Vallance Douglas Hodge, der diese in den 1930er-Jahren entwickelte) findet, ihn prüfen und als Vermächtnis seines Lehrmeisters veröffentlichen will.
Doch Catherine sagt, die Gleichung sei von ihr …
Carolin Pienkos inszeniert „unakademisch“, heißt: kein Proseminar für Rechenkünstler, sondern erzählt eine Familiengeschichte. Unterbrochen durch Blackouts, wie sie getrübter Geist oder verzwickte Verwandtschaftsverhältnisse ebenso an sich haben. Ilona Glöckel hat dafür ein großartiges Bühnenbild geschaffen: ein Häuschen, samt Veranda und Innenraum, das die Schauspieler im Laufe der Handlung Runde um Runde im Kreis drehen. Josefstadt-Leihgabe André Pohl brilliert als Robert. Ist er gerade bei Verstand ist er ein scharfzüngiger Egomane, wechselt ohne Vorwarnung zum liebevollen Vater, nervig beim Versuch das Talent seiner Tochter Catherine wachzurütteln – und ist sofort wieder egoistisch – schutzbedürftig -, wenn sie beginnt, Zukunftspläne zu schmieden. A Beautiful Mind, der nicht loslassen kann. Apropos: Ist es nicht erstaunlich, wie viele Mathematiker durchgedreht sind? Von Kurt Gödel bis John Forbes Nash.
Die Schwestern, Anna Sophie Krenn als Catherine und Eva-Christina Binder als Claire, stehen der Leistung um nichts nach. Auch Claire hat dieses Zwänglerische, das der Familie eigen ist. Sie ist eine Listenschreiberin, ansonsten aber Typ Erfolgsmensch – und dennoch der Schwester neidig, dass sie Vaters Denkmustern folgen kann, während Claire nur eine Wallstreet-Rechnerin ist. Pienkos arbeitet die Geschwisterrivalität, das Buhlen um Liebe und Aufmerksamkeit sehr exakt heraus, stellt es gleichsam in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Krenn, eigentlich die Protagonistin des Ganzen, verausgabt sich mit ihren nervenheilanstaltigen Temperamentsausbrüchen bis zur Selbstaufgabe. Die Emotionen, die sie über die Rampe spült, reißen einen mit sich.
Und dann ist da noch Michael Schusser als Hal, Typ tollpatschiger Teddybär (in der „Big Bang Theory“ wäre er eindeutig Leonard), der sich mit 28 schon auf intellektueller Talfahrt glaubt und dringend einen Erfolg braucht. Ob er am Ende ein Guter oder ein Böser ist – bitte selber nachschauen.
Mit „Der Beweis“ servieren Intendantin Anita Ammersfeld und Regisseurin Carolin Pienkos jedenfalls einmal mehr Unterhaltung mit Haltung. Von Logos bis Logik, von Herz und Hirn, von Vertrauens- und Liebensverhältnissen berichtet David Auburn. Und genau wie der Autor lässt auch die Regisseurin eine Variable in der Gleichung unbekannt: das menschliche X – beziehungsweise Y.

www.stadttheater.org

Wien, 16. 10. 2014

Anita Ammersfeld im Gespräch

März 13, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ganze Wahrheiten aus dem stadtTheater

ammersfeld 9808-Sepp GallauerstadtTheater-Prinzipalin Anita Ammersfeld steht derzeit in Alan Ayckbourns Komödie „Halbe Wahrheiten“ auf der eigenen Bühne. Eine Doppelbelastung, die sie gerne auf sich nimmt. Denn es gilt zu sparen, wie sie im Gespräch mit mottingers-meinung.at erzählt. Die öffentliche Hand ist eine feste Faust, dabei warten demnächst spannende Produktionen.

MM: Sie sind als Intendantin des stadtTheaters Walfischgasse voll ausgelastet, stehen nun aber doch wieder einmal auf der eigenen Bühne, in Alan Ayckbourns „Halbe Wahrheiten“. Der Rolle der Sheila konnten Sie wohl nicht widerstehen?

Anita Ammersfeld: Ja, sie ist deshalb so besonders, weil Sheila ein Geheimnis verbirgt. Und das gilt es zu vermitteln in der Rolle. Sie durchschaut nicht immer alles gleich genau, aber mehr und mehr. Sie macht das Geschehen für sich schlüssig erklärbar. Sie lügt von allen am wenigstens – auch, wenn sie vorgibt, ein Verhältnis zu  haben. Am Ende ist sie die Strippenzieherin.

MM: Sheila ist eine Salondame mit Selbstironie …

Ammersfeld: Das wäre eine Rolle für die Nicoletti, die Degischer, die Almassy gewesen. Dieses Rollenfach ist heute nicht mehr in dem Ausmaß, wie’s früher war, vorhanden. Ich glaube auch, dass man heute die Theaterform Komödie, Schauspiel, wo solche Rollen gefragt sind, ganz anders interpretiert. Heute werden derlei Figuren lieber als schrullige „Tanten“ gezeigt. Die Elegance hat man leider aufgegeben.

MM: Ist Ihnen an Sheila auch persönlich manches nahe?

Ammersfeld: Ich bringe einiges für die Sheila mit. Regisseurin Carolin Pienkos hat das auch bemerkt und oft betont. Ich musste nicht an der Figur viel machen, sondern an der Interpretation. Das hat Carolin Pienkos mit mir auch gemacht. Sie ist eine sehr genaue Arbeiterin, sie schaut sehr genau hin und lenkt auch sehr genau. Ich spiele selten selber, ich schüttle mir das nicht aus dem Ärmel. Ich kann nicht sagen: Ich muss schnell Bürokram erledigen, ich finde, die Kollegen haben ein Recht, dass ich ihnen bei den Proben voll und ganz zur Verfügung stehe, bei der Sache bin.

 MM: Im stadtTheater kristallisiert sich allmählich ein Kern …

Ammersfeld: … ein harter Kern heraus.

 MM: Carolin Pienkos gehört dazu, Cornelius Obonya, Rupert Henning, Oliver Bayer, Fritz Egger … Das ist ja schon ein „Ensemble“.

Ammersfeld: Wenn das so leicht wäre! Es ist schwierig, weil wir eben kein fixes Ensemble haben. Es geht darum, die richtigen Leute in den richtigen Konstellationen zusammen zu bringen. Wir arbeiten Richtung anspruchsvolles Kammerspiel, mit kleiner Besetzung. Umso wichtiger ist, dass die Chemie zwischen allen Beteiligten stimmt. Und gleichzeitig geht’s darum, jene Künstler zu verpflichten, die fürs Haus interessant sind. Da führt man lange vorher schon Gespräche, weil die Besten natürlich auch bestens beschäftigt sind. Wenn eine Produktion ausfällt, können wir nicht einfach eine andere einschieben, weil eben kein Ensemble da ist, das einspringen könnte.

 MM: Sie holen sich auch Kollegen, die in ganz anderen Biotopen zuhause sind: Barbara Horvath vom Schauspielhaus Wien spielt in „Drei Mal Leben“, Hubsi Kramar in „Halbe Wahrheiten“ …

Ammersfeld: Sie hierher zu bringen, ist spannend. Diese Künstler haben eine ganz andere Zugangsweise zum Beruf. Das letztendlich zum Funktionieren zu bringen, sie sich einmal in einem anderen Biotop erproben zu lassen, ist spannend und aufregend. Ich glaube, dass unser Publikum die Vielschichtigkeit, die wir auf die Beine stellen, schätzt. Hubsi ist ein wunderbarer Kollege, einer, der für mich die richtige Haltung und Lebenseinstellung hat, selbst Theatermacher ist, ein Bühnenmensch ist. Ich bin froh und glücklich, mit ihm gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Wir verstehen uns großartig, auch in seinen Ideologien. Er ist ein hochanständiger, völlig unkorrupter Mensch, geradeheraus bis zur Schmerzhaftigkeit. Und er schadet sich damit mitunter auch und es ist ihm wurscht. Das ist eine Haltung, die ich unglaublich bewundere. Wir sind sehr unterschiedlich: Die Lady und der Linke. Aber wir verstehen uns prächtig.

 MM: Wo nehmen Sie die Energie her?

Ammersfeld: Das frage ich mich manchmal auch. Ich habe die Sieben-Tage-Woche bei 14- bis 16-Stunden-Tagen. Wenn ich nicht im Theater bin, arbeite ich daheim am Schreibtisch.

MM: Einem Ondit zufolge greifen Sie in Inszenierungen ein, wenn etwas aus dem Ruder läuft.

Ammersfeld: Das haben Sie gehört? Das stimmt auch. Das ist eine Sache, mit der jeder, der mit mir arbeitet, rechnen muss. Aber es ist immer zum Besten der Produktion. Ich bin in vieler Hinsicht ein Bauchmensch, ich habe sensible Sensoren für Dinge und ich weiß mittlerweile auch genau, was hier am Haus verlangt wird und funktioniert und was nicht. Ich würde es als fahrlässig erachten, wenn ich darüber hinweggehen würde, wenn etwas möglicherweise in eine falsche Richtung ausufert – was aber mittlerweile höchst selten passiert. Denn am Ende des Tages bin ich für Auslastungszahlen und Einnahmen verantwortlich.

 MM: Das stimmt.

Ammersfeld: Wir müssen hier sehr genau rechnen. Und ich trage die Gesamtverantwortung. Es geht letzten Endes alles auf meinem Rücken aus, sowohl die Erfolge als auch die Misserfolge, die es mitunter auch gibt. Man sollte versuchen so wenig Fehler wie möglich zu machen, so wenig falsche Entscheidungen wie möglich zu treffen. Ich kann mir nicht nur den Lorbeer umhängen, ich muss auch den Karren aus der Scheiße ziehen. Und es war schon oft genug Feuer am Dach, obwohl wir sehr zusammenhalten, eine Familie sind. Aber keine Demokratie; einer – ich – muss Flagge und Rückgrat zeigen. Ich betrachte Theater als moralische Instanz, wir haben einen Auftrag. Den nehme ich voller Begeisterung auf mich. Mit so viel Kompromissen, wie sich nicht verhindern lassen.

 MM: Das stadtTheater ist auf einem guten Weg. Sie haben mit „Drei Mal Leben“, „Mord mit kleinen Fehlern“, „C(r)ash“, „Der Vorname“, „Halbe Wahrheiten“ … Erfolgsproduktionen eingefahren. Soll das der Weg sein? Unterhaltung mit Haltung?

Ammersfeld: Das war von Anfang an mein Anspruch. Wir wollen kleine Stücke auf hohem Niveau zeigen. Auch ein Krimi ist Unterhaltung. Ein Theaterabend soll etwas in den Köpfen der Zuschauer hinterlassen, soll zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Er soll die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung befeuern – und kleine Stücke können das oft sehr gut. Das geht auch bei uns gar nicht anders. Wir haben keine Senkbühne, keine Drehbühne, keine Seitbühne. Wir haben keine Bühnentiefe, keinen Schnürboden, wir haben fast keine Verwandlungsmöglichkeit – und da wird Kreativität – nicht aus dem Vollen schöpfen zu können, ohne, dass das Niveau auf der Strecke bleibt – in lichte Höhen geschraubt. DAS ist Theater.

MM: Motto: Not macht erfinderisch?

Ammersfeld: Unbedingt. Wir müssen mit 2500 Euro pro Bühnenbild auskommen. Da ernte ich oft verzweifelte Blicke, aber unser Budget erlaubt uns einfach nicht mehr. Ich kann nicht mehr Geld ausgeben, als ich habe. Und siehe da: Es ist sich immer noch ausgegangen. Meine Theaterleute müssen den moralischen Anspruch auch an sich selbst stellen, denn es würde mir beispielsweise nie einfallen, mir eine Schauspielergage zu zahlen, wenn ich auf der Bühne stehe. Ich habe ein Gehalt als Theaterleiterin, das muss reichen.

MM: Reizwort Förderungen?

Ammersfeld: Wir sind nach wie vor sehr gering gefördert, die Summe macht nicht einmal ein Sechstel unseres Budgets aus. Den Rest müssen wir selbst stemmen, selbst erwirtschaften. Wir wurden erst gar nicht gefördert, dann sehr geringfügig. In zweiten Jahr haben wir 50.000 Euro Baukostenzuschuss bekommen, dann waren’s 100.000, jetzt sind’s 300.000 Euro. Das ist auch keine Subvention, das ist eine Förderung. Wir haben pro Saison 40.000 Zuschauer, das heißt jeder Sitzplatz ist nicht 7,20 Euro gefördert. (Bei den Bundestheater: 110 Euro, bei den Vereinigten Bühnen Graz 123 Euro, Anm.) Wir sind vom Kontrollamt geprüft worden und haben eine römisch 1A bekommen. Die sagten, wir sind vorbildlich, obwohl Häuser unserer Größenordnung mit einem Vierfachen gefördert werden. Das haben wir halt nicht. Das Kontrollamt hat unsere Transparenz in allen Bereichen gelobt. Ich musste mir diese kaufmännischen Dinge ja auch aneignen, erarbeiten, als ich das Theater übernommen habe, und wurde punkto Knowhow sehr von meinem Mann Erwin Javor unterstützt.

MM: Kränkt, ärgert, frustiert, ist Ihnen wurscht, dass manche Journalisten und die Nestroy-Jury Berührungsängste mit dem stadtTheater haben?

Ammersfeld: Das kann  ich mir nicht erklären, achte auch ehrlich gesagt nicht allzu sehr darauf. Ich fühle mich von den Printmedien durchaus gut behandelt, allen voran von Werner Rosenberger und mottingers-meinung.at. Andere kommen, um uns zu verreißen, da ist mir lieber, sie kommen gar nicht. Ich mache hier meinen Job so gut ich kann. Also kann ich mich nicht ärgern. Was den Nestroy-Preis betrifft: Das ist nicht mein Hauptbegehren, dazu mache ich nicht Theater. Gut Ding braucht Weile. Also mal sehen 😉

MM: Was kommt nächste Spielzeit?

Ammersfeld: Wir werden im Oktober „Der Beweis“ von David Auburn herausbringen. Ein Krimi im Mathematikermilieu. Im Jänner wollen wir „Zweifel“ von John Patrick Shanley machen. Da geht’s um vermeintlichen Missbrauch in der Kirche. Ein spannendes relevantes Gesellschaftsstück. Da ist die Theaterdirektorin Ammersfeld mit der Schauspielerin Ammersfeld gerade in Diskussionen, ob sie mitspielen wird. Das habe ich mir mit mir noch nicht ausgemacht, ob ich mich selbst finanziell über den Tisch ziehe. (Sie lacht.)

MM: Ein Wunsch?

Ammersfeld: Es soll mit dem Rückenwind, der uns immer wieder Erfolg beschert, weitergehen.

www.stadttheater.org

www.mottingers-meinung.at/stadttheater-walfischgasse-halbe-wahrheiten/

Wien, 13. 3. 2014

stadtTheater Walfischgasse: Halbe Wahrheiten

März 6, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

So spielt man Alan Ayckbourn

Hubsi Kramar, Anita Ammersfeld Bild: Sabine Hauswirth

Hubsi Kramar, Anita Ammersfeld
Bild: Sabine Hauswirth

Endlich. Alan Ayckbourn. Es ist stadtTheater-Prinziplin Anita Ammersfeld anzurechnen, dass in Österreich wieder einmal eine Komödie des Londoner Stardramatikers auf dem Spielplan steht. Anderenorts meint man eine Scheu vor dessen kniffligen Beziehungstralalas wahrzunehmen. Es ist nicht leicht. Ayckbourn muss sitzen, à la minute, schnell muss es gehen, Schlag auf Schlag, sonst lösen sich Situationskomik und verbaler Infight in Langeweile auf. Ziehen wie ein Strudelteig ist da nicht drin. Regisseurin Carolin Pienkos, die dem stadtTheater unter anderem mit Autor Rubert Hennings „C(r)ash“ mit Ehemann Cornelius Obonya in der Hauptrolle und „Revanche“ zwei Kassenmagneten beschert hat, versteht es mit leichter Hand in Abgründe zu tauchen. Denn „seicht“ ist an Ayckbourns Edelboulevard nichts – eine Kunst, die die Briten meisterlich beherrschen. Pienkos hat den brillant-pointierten Text ebenso inszeniert. So macht man einen Ayckbourn!

Ein Paar Pantoffel löst diesmal die Irrungen und Wirrungen aus, sorgt für Versprechen und Versprecher – und am Ende noch für einen Knalleffekt. Der an dieser Stelle aber nicht verraten wird. Der junge, verliebte Greg findet die Unglücksschlapfen  unter dem Bett seiner Freundin. Ginny, schon mit einem Fuß im Zug, der sie zu ihren Eltern aufs Land bringen soll, hat keine Zeit mehr für Antworten. Auch nicht für eine auf Gregs Heiratsantrag. Also beschließt der geheim zu den Eltern ins Grüne vorauszufahren, man will schließlich seine Aufwartung machen und sich erklären. In der Idylle trifft Greg Sheila, freundlich, zuvorkommend, aber völlig ahnungslos, was dieser symphatische Fremde von ihr will. Tochter? Hat sie keine. Sondern Sheilas Ehemann ein Verhältnis mit Ginny. Und weil der Schelm denkt, wie er ist, unterstellt er seiner Frau ebenfalls eines. Da ist Greg nun natürlich ein passender Kandidat, will er doch bei Philip um die Hand Sheilas anhalten. Oder? Als auch noch Ginny auftaucht, ist das Chaos perfekt …

Das ausgezeichnete Darsteller-Quartett gibt unter Pienkos‘ Anleitung Vollgas. Allen voran Matthias Franz Stein, am Theater in der Josefstadt als Pfarrer Fürthauer in „Jägerstätter“ und demnächst als Franz-Ferdinand-Attentäter Danilo Ilic in „Die Schüsse von Sarajevo“ für die Kost zuständig, die einem im Hals stecken bleibt, beweist sich als begnadeter Komödiant. Auch, weil, wenn Komik sich stets in der Tragik gründet, sein Greg die tragische Figur des Ganzen ist. Ein so guter Mensch, dass er Böses nicht einmal argwöhnen kann, taumelt er planlos ob der Vorgänge durch die Handlung. Trocken, auch ein wenig trottelig. Es ist zu merken, dass er Spaß an der Sache hat. Apropos, trottelig: Der zweite Herr der Viererbande, Hubsi Kramar, kann’s auch sehr schön. Zuständig für die schönsten Oscar-Wilde-Inszenierungen Wiens, hat er sich das Very-British-Sein zu eigen gemacht. Er spielt es aus, in allen Klischees – von der Begeisterung für Golfspielen und Gartenpflege bis zu der für Orangenmarmelade, ist spleenig, abgedreht, gaga. Wie er sich dreht und windet, sein Schwindel droht aufzufliegen. Wunderbar eine Szene, wo er die Heckenschere im Kopf schon zum Mordinstrument auserkoren hat. Aber er ist eben doch nur ein Pantoffelheld. Anita Ammersfeld als Sheila hat ihr Schlitzohr mit süffisantem Sarkasmus im Griff. Erst überrumpelt, nimmt sie die Zügel mehr und mehr in die Hand. Aber weil man ja Grande Dame ist, natürlich so, dass es die Anwesenden nicht merken. Ammersfeld dirigiert mit einer höflichen Handbewegung, setzt mit einem Augenbrauenhochziehen Narreteien ein Ende. Sie genießt das Geheimnis, das sie umweht.  Und ertränkt Argumente der anderen in Kaffee. Ein wunderbare Leistung. Auch Sophie Prusa ist als Ginny geheimnisumwittert. Sie ist der Katalysator der Komödie, sprudelt über, um Spuren zu verwischen, verstrickt sich in halbe Wahrheiten und hat doch nicht die Chuzpe, die Lüge durchzuziehen. Punkto Manipulation findet Ginny in Sheila ihre Meisterin, Greg und Philip werden zu Marionetten an ihrem Gängelband.

Dass das stadtTheater Walfischgasse mit dieser Produktion voll ins Schwarze getroffen hat, ist die ganze Wahrheit. Man hat dort derzeit einen wohlverdienten Lauf. Das Premierenpublikum war amüsiert und dankte mit langem Applaus.

www.stadttheater.org

Weitere Erfolgsproduktionen des stadtTheaters:

www.mottingers-meinung.at/in-den-fusstapfen-von-michael-caine

www.mottingers-meinung.at/oliver-baier-in-der-walfischgasse

www.mottingers-meinung.at/cornelius-obonya-badet-in-selbstmitleid

Wien, 6. 3. 2014

Cornelius Obonya badet in Selbstmitleid

Oktober 17, 2013 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

stadtTheater Walfischgasse: „C(r)ash“

Stefano Bernardin, Cornelius Obonya, Claudia Kottal Bild: © Robert Polster

Stefano Bernardin, Cornelius Obonya, Claudia Kottal
Bild: © Robert Polster

Von der Walfischgasse an den Broadway. In diesem Augenzwinkerer, Prinzipalin Anita Ammersfeld, die das Kompliment augenblicklich an Autor, Regisseurin und Darsteller weiterreichte, nach der Premiere zugeflüstert, steckt mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Mit der Uraufführung von Rupert Hennings „C(r)ash“ ist dem stadtTheater nämlich wieder einmal ein Coup gelungen. Der Krimi, der sich von Komödienleichtigkeit zum Psychothriller entwickelt, ist ein well-made play in bester anglistischer Tradition, „Sleuth“ („Mord mit kleinen Fehlern“) von Anthony Shaffer, in dessen Inszenierung am stadtTheater Henning als Darsteller mitwirkte, nicht unverwandt; klaustrophobisch-kammerspielartig wie ein Hitchcock (Lieber Rupert Henning, Sprachästhet, Sprachpfleger als Überzeugungstäter, verzeihen Sie die Querverweise – sie dienen nur der Veranschaulichung des Eindrucks); ein Schaukelstuhl kommt immerhin auch vor. Und schon denkt man an Norman Bates: „Mutter?“

Tatsächlich hat Henning die Handlung von „C(r)ash“ in die USA verlegt. Die Finanzkrise, der Abstieg des „Mittelstands“, die Liegenschaftsversteigerungen von „unterteuerten“ Objekten sind das Freud’sche Über-Ich , in dem ES (pardon: das war jetzt auch ein bissl Stephen King) sich entfalten kann. Henning spielt – no na – mit Cash = Kasse, Barschaft und Crash = Zusammenbruch, Absturz: Ein junges Yupppie-Paar hat sich zwecks Familiengründung in the middle of nowhere ein wunderbares, altes Herrenhaus gekauft. Günstig. Ein Schnäppchen. Als die beiden gerade dabei sind, den künftigen Erben des Anwesens zu zeugen, klingt’s an der Tür: Field Deputy Sergeant Leroy Brooks ist gekommen, um in dem seiner Meinung nach leerstehenden Gebäude, in dem er Licht bemerkte, nach dem Rechten zu sehen – und er geht und geht und geht nicht mehr. Er kennt sich aus im Haus. Die neuen eigenen vier Wände, die den New Yorker „Zuwanderern“ laut Kaufvertrag zwar gehören, findet er, stehen ihnen nicht zu. Also zückt er die Waffe und verwandelt das Eigenheim in ein Gefängnis. Geiselnahme … Auflösung beim Anschauen.

Claudia Kottal und Stefano Bernardin als Trish und Artie Rizzo spielen die Neuankömmlinge in der Gemeinde, über die Cornelius Obonya als Leroy Brooks mit wachen Augen wacht. Regie führte Obonyas Ehefrau Carolin Pienkos. Und die verwandelt die Steilvorlage des Stoffs in  einen Treffer. Mitten ins Huch! Das Trio agiert großartig. Das Ganze: eine Entgleisung. Obonya ist als Gendarm der Im-Keller-Lachen-Typ. Seine Nachbarschaftshilfe, sein (geschwindeltes) Beratungsgespräch gegen Gefahren aller Art ist der Urquell aller Panikattacken. Latent rassistisch – für New Yorker alles nur Klischees -, spooky, aber auch pragmatisch-praktisch (bei der Tilgung von Ameisen auf der Toilette, die und deren Herkunft er naturgemäß kennt). Er lädt zum Rollen-Spiel. Changiert zwischen lautem und subtilem Terror. Ein rechtschaffener Geisteskranker. Obonya gelingt vor allem im zweiten Teil – Aggressions- und Alkoholpegel steigen parallel – die große Kunst: Er macht einen wütend auf seine Figur. Diesen Versager, der in Selbstmitleid badet, der anderen die Haftung an seiner Misere abtritt. Der sein Minderwertigkeitsgefühl mit der „Wiedererrichtung der Schuldtürme“ rechtfertigt. Ein Jedermann, weil schließlich jeder jemanden kennt, dem er gern die Kugel gäbe. Das Tragen einer Waffe verführt allerdings erst zu deren Gebrauch. Hennings Text besticht nicht durch Doppel-, sondern mit Mehrdeutigkeit. Wahrnehmung und Affektivität seiner Charaktere sind gestört, Depression und Antriebsmangel bestimmen dem einen beziehungsweise dem anderen das Sein.

Brooks‘ Gegenüber ist Stefano Bernardins „Artie“. Ein schlitzohriger Softwareentwickler „für den möglichst geringsten geistigen Anspruch“, der mit einer Idioten-App und anwaltschaftlicher Ausschaltung des Geschäftspartners so richtig Geld gemacht hat. Seither privatisiert er. Kultiviert seine Leichtlebigkeit, die spaßige Oberflächlichkeit, seine arrogante Aufgeblasenheit. Das Landei auf die Schippe zu nehmen, ist für ihn zunächst ein Sport. Schließlich wollte nicht er, sondern seine Frau, nach Freaktown übersiedeln. Dass sein spezieller Humor beim Aufprall auf den Cop zum absurden Hahnenkampf werden wird – wer konnt’s ahnen beim Dickauftragen? Immerhin kann er Brooks, bevor er in die Weinerlichkeit entschwindet, noch seine Lebensphilosphie an den Kopf werfen: „Ich hatte immerhin eine Idee.“ Wunderbar spielt das Bernardin, dabei weder Körperlichkeiten noch eine Patenparodie scheuend. Bleibt als Dreh- und Angelpunkt „Trish“ Claudia Kottal. Sie war es, die Landfrieden, Landliebe suchte, nachdem ihr Artie mit einer anderen Art Gras die Karriere als Kinderärtzin versaute. Sie ist es, die durch einen Verzweiflungs-/Tobsuchtsanfall das Ruder herumreißt. Die an einem Abend gleich zwei Männer zu  therapieren hat. Kottal spielt mit Leib und Seele – eine Glanzleistung.

Die Moral von der Geschicht‘? Ist ein Triptychon. Das darstellt, dass Geld längst etwas Irreales für sehr reale Monopoly-Spieler geworden ist. Dass Besitz eine Chimäre ist, deren Schwester Hydra-Bank sie jederzeit zu sich rufen kann. Und dass die Haushalte gegen nachwachsende Wucherköpfe machtlos bleiben werden, wenn die Regierungen es nicht einmal schaffen, ihren eigenen in Ordnung zu bringen.

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Wien, 17. 10. 2013

Von Felix Mitterer bis Cornelius Obonya

August 28, 2013 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Walfischgasse startet mit Stars in die neue Saison

Cornelius Obonya, Stefano Bernardin, Claudia Kottal Foto: Robert Polster

Cornelius Obonya, Stefano Bernardin, Claudia Kottal
Foto: Robert Polster

Zunächst ein Rückblick als Vorschau: Weil der hauptberufliche Autor Felix Mitterer vergangene Saison als grandioser Schauspieler in Franz Kafkas „Bericht an eine Akademie“ dem Publikum schier atemberaubende Höhepunkte bescherte, gelang es Anita Ammersfeld, Intendantin des Wiener stadtTheater Walfischgasse, den Vielbegabten zu drei weiteren Abenden zu überreden: Am 25., 26. und 27. Oktober kann man Mitterer nochmals als Affen Rotpeter erleben!

Die ersten neue Eigen-Produktion ist ein Auftragsstück an Rupert Henning „C(R)ASH“ – Premiere ist am 16. Oktober. Das Stück erzählt über Realitäten, in denen wir leben: solche mit vier Wänden und solche, die wir manchmal einfach nicht wahrhaben wollen … Das junge Ehepaar Trish und Artie Rizzo ist vor kurzem erst in ein schönes, altes Haus eingezogen, das in einer ausnehmend guten Wohngegend steht, wo sich nur betuchtere Leute Grund und Boden leisten können. Der smarte, geschäftlich begabte Artie hat ziemlich viel Geld mit der Entwicklung und dem Verkauf einer Anwendungssoftware und diversen lukrativen Investments gemacht, während die hübsche, intelligente Trish erst vor kurzem ihr langjähriges Studium abschließen konnte. Als ein uniformierter Polizist vor der Türe steht, sind Trish und Artie zunächst auch nicht sonderlich beunruhigt – und Officer Leroy S. Brooks scheint ja ein besonders netter Kerl zu sein, der einfach nur einmal vorbeischauen wollte, um die neuen Bewohner des schönsten Heims in „seiner Gegend“ kennenzulernen. Das anfangs freundliche, zwanglose Gespräch wird zusehends angespannter – auch weil sich herausstellt, dass der Cop offenbar mehr über die Geschichte des Hauses weiß, als es zunächst schien: Brooks macht auch keinerlei Anstalten, seinen „Höflichkeitsbesuch“ zu beenden – ganz im Gegenteil: Es wirkt fast so, als würde der unerwartete Gast bleiben wollen – und als wäre es ihm lieber, die Rizzos würden gehen… Langsam kippt die Stimmung. Die eigenen vier Wände, die ihnen zwar laut Kaufvertrag gehören, aber eigentlich nicht zustehen, wenn man Leroy S. Brooks Worten glauben darf, sind plötzlich kein schützendes Heim mehr, sondern eine Gefängnis ohne Ausweg – und der Ausgang des unerwarteten Besuches ist völlig offen… Hochklassig besetzt mit Claudia Kottal, Stefano Bernardin und Salzburgs neuem, fabelhaftem „Jedermann“ Cornelius Obonya verspricht Hennings Stück in der Regie von Obonya-Ehefrau Carolin Pienkos ein besonderer schauspielerischer Genuss zu werden.

Bereits als zweites Stück (nach „Kleine Eheverbrechen“ im Jahre 2009) von Eric-Emmanuel Schmitt, einem der bekanntesten und erfolgreichsten zeitgenössischen französischen Autoren, bereits zweimal mit dem Prix Molière und 2001 mit dem „Grand Prix du Théâtre“ der Académie Française ausgezeichnet, ist als Eigenproduktion der Walfischgasse „Enigma“ zu sehen: Isabella Suppanz inszeniert das Interview eines Provinz-Journalisten mit einem zurückgezogen lebenden Literaturnobelpreisträger, das zum Ausgangspunkt einiger Enthüllungen wird – Lebenslügen, Verrat und Masken der Männlichkeit werden aufgedeckt. Aus den erzwungenen Bekenntnissen der beiden Männer entsteht das Bild einer rätselhaften Frau aus der Vergangenheit. Neu und wahrhaftig … Es spielen Christian Pätzold und Alexander Rossi; Premiere ist am 13. November.

Auch ein weiteres Stück von Yasmina Reza wird sehen sein: „3 x Leben“ beginnt als Feydeau´sche Komödie, wächst sich aber zu einem Bunuel’schen Albtraum aus. Reza beschreibt mit Sensibilität, Humor und hinterhältiger, abgrundtiefer Bösartigkeit in drei Variationen das Zusammentreffen zweier Ehepaare, das sich jedes Mal anders gestaltet, obwohl es immer um die gleiche Grundkonstellation geht. Dabei verschieben sich die Machtverhältnisse permanent und vor allem die Ehefrauen haben ein gerüttelt Maß schuld, daß jeder gegen jeden kämpft und zu erniedrigen versucht. Es spielen (nach „Gott des Gemetzels“ wieder) Oliver Baier sowie Barbara Horvath, Sinikka Schubert und Nicolaus Hagg; Regie Michael Gampe; Premiere: 15. 1. 2014.

Fortgesetzt wird natürlich auch in der neuen Saison die Reihe „Peter Huemer im Gespräch mit …“, zu Gast sind diesmal Paul Lendvai am 27. Oktober und Robert Menasse am 17. November (jeweils Sonntag, 11 Uhr). Als Neuheit veröffentlicht das stadtTheater erstmals eine selbstproduzierte DVD: Arik Brauers  Jugend-Erinnerungen „A Gaude wars in Ottakring“ wurde wegen der großen Publikums-Nachfrage in der Walfischgasse aufgezeichnet und wird auch im Fernsehen ausgestrahlt (Freitag, 8. November, 23:20 h auf ORF 3), dem Tag den Novemberpogromen 1938.

www.stadttheater.org

Rezension vom 14. 2. 2013: www.mottingers-meinung.at/felix-mitterer-spielt-franz-kafka

Wien, 28. 8. 2013