Filmmuseum: Las Tres Bes: Bardem, Berlanga, Buñuel
Februar 22, 2020 in Tipps
VON MICHAELA MOTTINGER
Kino gegen die Franco-Diktatur

Un chien andalou, 1929, Luis Buñuel, Salvador Dalí. Bild: Österreichisches Filmmuseum
Der spanische Regisseur Luis Buñuel ist einer der großen Klassiker des Kinos und ein fixer Bezugspunkt für das Österreichische Filmmuseum, das sein größtenteils im Exil entstandenes Werk immer wieder gezeigt hat. Wenn nun ab 27. Februar eine Auswahl seiner Filme aus der Sammlung wiederaufgeführt wird, ist es erstmals, um auch einen Kontext zu schaffen: Nämlich für die Filme zweier anderer spanischer Meisterregisseure, die in der Nachkriegszeit zu Weltruhm aufstiegen, inzwischen aber
ihrer großen Wiederentdeckung harren. Im Zentrum des Programms stehen nämlich eigentlich Juan Antonio Bardem und Luis García Berlanga, die in ihrer Heimat gemeinsam mit Buñuel schlicht als „las Tres Bes“, „die drei Bs“, des nationalen Kinos gelten. Dabei ist es ein stimmiger Ansatz, die Werke von Bardem und Berlanga zu kombinieren: Ihre Werke werden in Filmgeschichte und -kritik zwar oft miteinander verglichen, aber dennoch bot kaum je eine gemeinsame Retrospektive die Möglichkeit, ihre miteinander verflochtene Entwicklung zu würdigen, die sie zu unterschiedlichen Entwürfen geführt hat: zu engagierter Solidarität, „kritischem Zeugnis“ und akribischem Ästhetizismus bei Bardem; zu satirischen Röntgenaufnahmen der Gesellschaft und der fatalen Vernichtung des freien Willens und zum grotesken Humor bei Berlanga.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und seit dem Exil von Buñuel sind Bardem und Berlanga die zwei herausragenden Regisseure, die sich mit ihren Filmen dem offiziellen Kino der Franco-Diktatur dissident entgegenstellen. Den Beginn von Berlangas und Bardems Werdegang markiert die Zusammenarbeit an der neorealistischen cinephilen Komödie „Esa pareja feliz“ (Dieses glückliche Paar, 1951/53). Mitte der 1950er bilden die beiden Filmemacher das Zentrum der filmischen Erneuerung Spaniens. In „Bienvenido Mister Marshall“ (Willkommen, Mr. Marshall, 1952) parodiert Berlanga den Ausschluss Spaniens von der US-Nachkriegshilfe, während Bardem mit drei Werken besticht: „Cómicos“ (Schauspieler, 1954) über eine unerschütterliche theatrale Leidenschaft, „Muerte de un ciclista“ (Tod eines Radfahrers, 1955), der zu einem Manifest des realistischen Films wurde, und „Calle Mayor“ (Hauptstraße, 1956), über die bittere Enttäuschung einer verträumten Frau aus der Provinz.
Als die beiden Filmemacher – durchaus nicht ohne Schwierigkeiten – ihre kreative Blüte erreichen, geraten sie im Lauf des folgenden Jahrzehnts in ernsthafte Konflikte mit der Regierung, nachdem ihre Filme auf internationalen Festivals gezeigt werden und diverse Hauptpreise gewinnen. „El Verdugo“ (Der Henker, 1963) ist ein Plädoyer gegen die Todesstrafe in Berlangas unverwechselbarem Stil und Buñuels „Viridiana“ (1961), dessen Produktion Bardem unterstützt, wird gleich darauf verboten. Solche Anfeindungen, die Etablierung neuer Kinostrukturen, kommerzielle Turbulenzen und der Verlust der Sympathie der Filmkritik für Bardem führen dazu, dass Berlangas und Bardems Karrieren bis zum Tod Francos 1975 von Phasen der Untätigkeit gekennzeichnet sind. Dazu kommen Verzögerungen, Projektverbote, Arbeitsexil und Auftragsarbeiten, die sich weit von den eigentlichen Intentionen der Regisseure entfernen.

L’Âge d’or (Das goldene Zeitalter), 1930, Luis Buñuel. Bild: Österreichisches Filmmuseum

Belle de jour (Schöne des Tages), 1967, Luis Buñuel. Bild: Österreichisches Filmmuseum

Novio a la vista (Ein Freund taucht auf), 1953, Luis García Berlanga, Bild: Filmoteca Española

Bienvenido Mister Marshall, 1952, Luis García Berlanga. Bild: Österreichisches Filmmuseum

Siete días de enero (Sieben Tage im Jänner), 1979, Juan Antonio Bardem, Bild: Filmoteca Española

Die Mahnung, 1982, Juan Antonio Bardem © DEFA Stiftung/Parsech Schubaraljan. Bild: Österr. Filmmuseum
Erst der Übergang zur Demokratie und die neuen Freiheiten veranlassen die beiden dazu, sich neu zu erfinden. Bardem, ein prominentes Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens und stets ihren strategischen Parolen treu, verabschiedet sich von Symbolismen und Anspielungen zugunsten direkterer filmischer Formen. Er dreht das gewerkschaftsnahe Road Movie „El puente“ (Die Brücke, 1976) und rekonstruiert in „Siete días de enero“ (Sieben Tage im Jänner, 1978) das tragische Attentat auf Arbeitsrechtler im Jahr 1977. In „Die Mahnung“ (1982) erinnert er an den bulgarischen Politiker Grigori Dimitroff , der in den 1930ern bei einem Schauprozess der Nationalsozialisten die kommunistische Beteiligung am Reichstagsbrand widerlegt und die Bildung von Volksfronten vorangetrieben hatte.
Berlanga hingegen richtet in dieser Phase den vielstimmigen Sarkasmus der treibenden Kräfte der Gesellschaft und der unterprivilegierten Klassen – die bereits in „Los jueves, milagro“ (Donnerstags, Wunder, 1957) und vor allem in „Plácido“ (1961) eine Rolle spielen – auf die dekadenten Eliten und die neuen Machtstrukturen, etwa in „La escopeta nacional“ (Das nationale Gewehr, 1978). Er greift auch frühere gescheiterte Projekte wieder auf, wie zum Beispiel eine Szene aus „Bienvenido Mister Marshall“, die damals nicht gedreht werden durfte: 50 Jahre später macht Berlanga daraus den Kurzfilm „El sueño de la maestra“ (Der Traum der Lehrerin, 2002).
Langfilme werden teilweise mit kurzen Werken kombiniert, die mit ihnen in Dialog treten. „De Kuleshov a Berlanga“ (Von Kuleshov zu Berlanga, 2004) von Guillermo García-Ramos schildert einen Streit der Filmemacher während der Dreharbeiten zu „Esa pareja feliz“; der Künstler Pierre Molinier, Schöpfer von „Mes jambes“ (Meine Beine, 1965), hat Berlangas „Tamaño natural“ (Lebensgroß, 1973) durch seine Fotomontagen und Transvestiten-Selbstporträts beeinflusst, in denen er mit weiblichen Schaufensterpuppen androgyn verschmilzt. Die Gegeninformations-Dokumentationen „Amnistía y libertad“ (Amnestie und Freiheit, 1976) und „Hasta siempre en la libertad“ (Für immer in Freiheit, 1977), vom Madrider Filmkollektiv in den letzten Etappen der Diktatur heimlich gefilmt und projiziert, erweitern die Vorführungen von „El puente“ und „Siete días de enero“, die als verwandte Fiktionen des Genossen Bardem gezeigt wurden.
22. 2. 2020