Filmmuseum: Las Tres Bes: Bardem, Berlanga, Buñuel

Februar 22, 2020 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Kino gegen die Franco-Diktatur

Un chien andalou, 1929, Luis Buñuel, Salvador Dalí. Bild: Österreichisches Filmmuseum

Der spanische Regisseur Luis Buñuel ist einer der großen Klassiker des Kinos und ein fixer Bezugspunkt für das Österreichische Filmmuseum, das sein größtenteils im Exil entstandenes Werk immer wieder gezeigt hat. Wenn nun ab 27. Februar eine Auswahl seiner Filme aus der Sammlung wiederaufgeführt wird, ist es erstmals, um auch einen Kontext zu schaffen: Nämlich für die Filme zweier anderer spanischer Meisterregisseure, die in der Nachkriegszeit zu Weltruhm aufstiegen, inzwischen aber

ihrer großen Wiederentdeckung harren. Im Zentrum des Programms stehen nämlich eigentlich Juan Antonio Bardem und Luis García Berlanga, die in ihrer Heimat gemeinsam mit Buñuel schlicht als „las Tres Bes“, „die drei Bs“, des nationalen Kinos gelten. Dabei ist es ein stimmiger Ansatz, die Werke von Bardem und Berlanga zu kombinieren: Ihre Werke werden in Filmgeschichte und -kritik zwar oft miteinander verglichen, aber dennoch bot kaum je eine gemeinsame Retrospektive die Möglichkeit, ihre miteinander verflochtene Entwicklung zu würdigen, die sie zu unterschiedlichen Entwürfen geführt hat: zu engagierter Solidarität, „kritischem Zeugnis“ und akribischem Ästhetizismus bei Bardem; zu satirischen Röntgenaufnahmen der Gesellschaft und der fatalen Vernichtung des freien Willens und zum grotesken Humor bei Berlanga.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und seit dem Exil von Buñuel sind Bardem und Berlanga die zwei herausragenden Regisseure, die sich mit ihren Filmen dem offiziellen Kino der Franco-Diktatur dissident entgegenstellen. Den Beginn von Berlangas und Bardems Werdegang markiert die Zusammenarbeit an der neorealistischen cinephilen Komödie „Esa pareja feliz“ (Dieses glückliche Paar, 1951/53). Mitte der 1950er bilden die beiden Filmemacher das Zentrum der filmischen Erneuerung Spaniens. In „Bienvenido Mister Marshall“ (Willkommen, Mr. Marshall, 1952) parodiert Berlanga den Ausschluss Spaniens von der US-Nachkriegshilfe, während Bardem mit drei Werken besticht: „Cómicos“ (Schauspieler, 1954) über eine unerschütterliche theatrale Leidenschaft, „Muerte de un ciclista“ (Tod eines Radfahrers, 1955), der zu einem Manifest des realistischen Films wurde, und „Calle Mayor“ (Hauptstraße, 1956), über die bittere Enttäuschung einer verträumten Frau aus der Provinz.

Als die beiden Filmemacher – durchaus nicht ohne Schwierigkeiten – ihre kreative Blüte erreichen, geraten sie im Lauf des folgenden Jahrzehnts in ernsthafte Konflikte mit der Regierung, nachdem ihre Filme auf internationalen Festivals gezeigt werden und diverse Hauptpreise gewinnen. „El Verdugo“ (Der Henker, 1963) ist ein Plädoyer gegen die Todesstrafe in Berlangas unverwechselbarem Stil und Buñuels „Viridiana“ (1961), dessen Produktion Bardem unterstützt, wird gleich darauf verboten. Solche Anfeindungen, die Etablierung neuer Kinostrukturen, kommerzielle Turbulenzen und der Verlust der Sympathie der Filmkritik für Bardem führen dazu, dass Berlangas und Bardems Karrieren bis zum Tod Francos 1975 von Phasen der Untätigkeit gekennzeichnet sind. Dazu kommen Verzögerungen, Projektverbote, Arbeitsexil und Auftragsarbeiten, die sich weit von den eigentlichen Intentionen der Regisseure entfernen.

L’Âge d’or (Das goldene Zeitalter), 1930, Luis Buñuel. Bild: Österreichisches Filmmuseum

Belle de jour (Schöne des Tages), 1967, Luis Buñuel. Bild: Österreichisches Filmmuseum

Novio a la vista (Ein Freund taucht auf), 1953, Luis García Berlanga, Bild: Filmoteca Española

Bienvenido Mister Marshall, 1952, Luis García Berlanga. Bild: Österreichisches Filmmuseum

Siete días de enero (Sieben Tage im Jänner), 1979, Juan Antonio Bardem, Bild: Filmoteca Española

Die Mahnung, 1982, Juan Antonio Bardem © DEFA Stiftung/Parsech Schubaraljan. Bild: Österr. Filmmuseum

Erst der Übergang zur Demokratie und die neuen Freiheiten veranlassen die beiden dazu, sich neu zu erfinden. Bardem, ein prominentes Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens und stets ihren strategischen Parolen treu, verabschiedet sich von Symbolismen und Anspielungen zugunsten direkterer filmischer Formen. Er dreht das gewerkschaftsnahe Road Movie „El puente“ (Die Brücke, 1976) und rekonstruiert in „Siete días de enero“ (Sieben Tage im Jänner, 1978) das tragische Attentat auf Arbeitsrechtler im Jahr 1977. In „Die Mahnung“ (1982) erinnert er an den bulgarischen Politiker Grigori Dimitroff , der in den 1930ern bei einem Schauprozess der Nationalsozialisten die kommunistische Beteiligung am Reichstagsbrand widerlegt und die Bildung von Volksfronten vorangetrieben hatte.

Berlanga hingegen richtet in dieser Phase den vielstimmigen Sarkasmus der treibenden Kräfte der Gesellschaft und der unterprivilegierten Klassen – die bereits in „Los jueves, milagro“ (Donnerstags, Wunder, 1957) und vor allem in „Plácido“ (1961) eine Rolle spielen – auf die dekadenten Eliten und die neuen Machtstrukturen, etwa in „La escopeta nacional“ (Das nationale Gewehr, 1978). Er greift auch frühere gescheiterte Projekte wieder auf, wie zum Beispiel eine Szene aus „Bienvenido Mister Marshall“, die damals nicht gedreht werden durfte: 50 Jahre später macht Berlanga daraus den Kurzfilm „El sueño de la maestra“ (Der Traum der Lehrerin, 2002).

Langfilme werden teilweise mit kurzen Werken kombiniert, die mit ihnen in Dialog treten. „De Kuleshov a Berlanga“ (Von Kuleshov zu Berlanga, 2004) von Guillermo García-Ramos schildert einen Streit der Filmemacher während der Dreharbeiten zu „Esa pareja feliz“; der Künstler Pierre Molinier, Schöpfer von „Mes jambes“ (Meine Beine, 1965), hat Berlangas „Tamaño natural“ (Lebensgroß, 1973) durch seine Fotomontagen und Transvestiten-Selbstporträts beeinflusst, in denen er mit weiblichen Schaufensterpuppen androgyn verschmilzt. Die Gegeninformations-Dokumentationen „Amnistía y libertad“ (Amnestie und Freiheit, 1976) und „Hasta siempre en la libertad“ (Für immer in Freiheit, 1977), vom Madrider Filmkollektiv in den letzten Etappen der Diktatur heimlich gefilmt und projiziert, erweitern die Vorführungen von „El puente“ und „Siete días de enero“, die als verwandte Fiktionen des Genossen Bardem gezeigt wurden.

www.filmmuseum.at

22. 2. 2020

Kunsthalle Krems: Sommerausstellungen

Juli 1, 2014 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

Von Jungwirth und Schmoll bis Buñuel und Dalí

Ein Andalusischer Hund (Un Chien Andalou), 1928, Filmstill  Bild: © Kineos Gmbh, 2014

Ein Andalusischer Hund (Un Chien Andalou), 1928, Filmstill
Bild: © Kineos Gmbh, 2014

Die Kunsthalle Krems zeigt ab 13. Juli drei Ausstellungen:

Retrospektive Martha Jungwirth

Die Kunsthalle Krems widmet der 1940 in Wien geborenen, großen Einzelgängerin der österreichischen Kunstszene die erste Retrospektive mit Werken aus fünf Jahrzehnten.

Nach ihrem Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien (1956-1963) tritt sie mit Arbeiten in unterschiedlichen Medien wie Bleistiftzeichnungen, Aquarellen sowie Arbeiten in Öl und Tusche an die Öffentlichkeit. Bereits früh folgen Auszeichnungen wie der „Theodor-Körner-Preis“ (1964) oder der „Joan-Mirò-Preis“ (1967). 1968 zählt sie als einzige Frau zu den Gründungsmitgliedern der losen Gruppe der „Wirklichkeiten“. Allerdings beschritt Jungwirth mit ihrer bereits damals zwischen gestisch-abstrakten und gegenständlichen Kompositionen hin und her oszillierenden Malerei konsequent einen eigenständigen und unverwechselbaren Weg.
Thematisch kreiste ihr zeichnerisches Werk anfänglich um das soziokulturelle Umfeld der Frau. Zyklen mit Titeln wie „Hausfrauen-Maschinen“ (1975) oder „Die Schwarze Küche“ (1976) lassen feministische Ansätze vermuten; vielmehr jedoch faszinierte Jungwirth dabei das Innenleben von Alltagsgeräten, nicht zuletzt inspiriert durch die Strenge der Architekturzeichnungen eines Mies van der Rohe. Mit diesen wie Röntgenbilder anmutenden Zeichnungen von Haushaltsgeräten rückte Jungwirth 1977 auf der documenta 6 in Kassel erstmals in den Blickpunkt der internationalen Kunstszene.

Neben Alltagsgegenständen sind reale Vorlagen wie Stadt- oder Landschaftsdarstellungen eine Inspirationsquelle oder – wie die Künstlerin es formulierte – ein „Vorwand“, um persönliche, visuelle Eindrücke festzuhalten. Jungwirths Werke haben immer eine in der Realität vorgefundene Situation zur Grundlage, die als Stimulus fungiert und aus deren Seherlebnis die Künstlerin ihren Schaffensprozess generiert. Dabei geht es ihr nie um eine Rekonstruktion, sondern immer um eine Reflexion auf die Wirklichkeit.

In diesem Schöpfen aus dem eigenen Erleben bannt sie Spiegelbilder menschlichen Seins auf die Bildträger. Dies geschieht aus einer Kombination energiegeladener Spontaneität und zeitgleicher Kontrolle ihrer ästhetischen Prinzipien. In diesem Spannungsfeld zwischen Gestik, Form, Spur und Farbe untersucht Jungwirth die Grundprinzipien malerischer Parameter. Dies entspricht einem ständigen Experimentieren mit offenem Ausgang: Spontanen Eingebungen folgend, setzt Jungwirth energiegeladene Markierungen auf Leinwand oder Papier, die sich zugleich durch Schichtung, Überlagerung oder Verwischung wieder entziehen und durch diesen ambivalenten Akt des Zeigens und Verbergens das Bildfeld in Bewegung und zugleich in einen Schwebezustand versetzen. Ihr resoluter Arbeitsprozess bleibt nachvollziehbar, nichts wird kaschiert oder verschönt, im Gegenteil, der Zufall und das energisch Intuitive mit all den Korrekturen, Flecken, Schlieren und Rinnsalen des Malerischen bleibt sichtbar und schafft eine Atmosphäre der Offenheit, Leichtigkeit und Transparenz.

Jungwirths charakteristische Kompositionen, die sich durch ihren eruptiven gestischen Duktus und ihr kraftvolles Kolorit auszeichnen, sind poetische wie dramatische Notationen von Erfahrungen, Stimmungen und Erinnerungen, die aufgrund ihres hohen Abstraktionsgehalts Raum für zahlreiche Assoziationen lassen.

Gregor Schmoll: Orbis Pictus

Gregor Schmoll (* 1970), der „Monsieur Surrealist“ der österreichischen Gegenwartskunst, studierte bei Michelangelo Pistoletto und Heimo Zobernig an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

In seiner künstlerischen Arbeit verbindet er Fotografien und (Raum-)Skulpturen zu aufwendig inszenierten Gesamtinstallationen. Stets zeigen diese sein Bestreben auf, die Grenzen zwischen Realität und Imagination zu verwischen, indem er scheinbar Alltägliches in surreale wie absurde Zusammenhänge überführt.

Schmolls Arbeit beruht dabei auf der Überzeugung, dass Wahrnehmung stets vom soziokulturellen Kontext geprägt ist. Dementsprechend schöpft der Künstler für die Herstellung seiner Arbeiten aus dem Reservoir des kulturellen Bildergedächtnisses. Oftmals ist hierbei der Bilderkanon der Kunstgeschichte Ausgangspunkt seiner poetischen wie ironischen Reflexionen. Seine Polaroid-Serie „Aus der Privatsammlung“ versammelt Zitate prominenter Werke der Kunst- und Fotografiegeschichte, die in alltäglichen Situationen verortet werden. Eine vergleichbare Verfremdung erfahren Motive aus Arbeiten Max Klingers oder Rudolf Schwarzkoglers in der Serie „Evidence of Dreams“, wenn sie sich im Mantel fotografisch festgehaltener, medizinischer Versuchsanordnungen präsentieren.

Mit dieser, dem Traumbild vergleichbaren Entstellung des kollektiven Bildrepertoires gelingt es Schmoll komplexe Bezugssysteme zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Wissensbereichen von der Psychologie bis zur Literatur herzustellen. Gleichzeitig zeigt er auf, dass unser Sehen im Alltag stets durch Bilder eines kulturellen Bildgedächtnisses vorstrukturiert ist. Er entlarvt dessen Inhalte nicht nur als Vermittler spezifischer Denk- und Wertmuster, sondern auch als Grundlage bestehender Wirklichkeitskonstruktionen.

Seine kritische Hinterfragung der Realität macht auch vor dem Selbst- und Künstlerbild nicht Halt. Wenn sich Schmoll in seiner Serie „My Life as Monsieur Surrealist“ als Pygmalion oder Fantomas inszeniert, oder in der Arbeit „Vexations“, aus den Profilansichten seiner zu Grimassen verzerrten Selbstporträts, die Außenkonturen von Porzellanvasen bestimmt, geht er der Frage nach, wie kulturell überlieferte Bilder die eigene Selbstwahrnehmung beeinflussen und Identität prägen.

Mit der Präsentation aller zentralen Werkgruppen der letzten zehn Jahre ist Schmolls Ausstellung in der Kunsthalle Krems die bisher umfassendsten Personale des Künstlers in Österreich. Sie offenbart seine Kunst als „Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur“, die „miteinander in Dialog treten, sich parodieren, einander in Frage stellen“ (Barthes). In der Zusammenschau werden seine Arbeiten zu einem Orbis Pictus, einem Bilderkosmos, der die geläufige Wahrnehmung der Wirklichkeit ins Wanken bringt, ebenso wie er neue Zugänge zu ihr eröffnet.

Ein andalusischer Hund: Luis Buñuel und Salvador Dalí

Das frühe filmische Meisterwerk von Buñuel und Dalí, 1928 inszeniert, ging als Ikone des surrealistischen Avantgardefilms in die Geschichte ein.

Basierend auf dem sich gegenseitigen Erzählen ihrer Träume, schrieben Buñuel und Dalí ein Drehbuch, dass durch surreale und absurde Szenarien eine Hymne an die Welt des Unbewussten und zugleich ein subversives Manifest gegen die vermeintlich zivilisierte Bourgeoisie und ihre überlieferten Vorstellungen von Kultur, Moral oder Religion darstellt. Der nach freien Assoziationen entstandene Film siedelt Traum und Wirklichkeit auf derselben Ebene an.Indem er mit unlogischen Bildübergängen arbeitet und kausale Zusammenhänge vermeidet, löst er das konventionelle Zeit- und Raumkontiuum auf. Durch diese experimentelle Methode erschließt sich der Sinn des Films weniger durch die Erzählung selbst, als vielmehr durch rätselhafte und abstruse Bildmotive, die noch heute bei der Betrachtung verstörend wirken. So ging der Schnitt mit einem Rasiermesser durch ein Auge als einer der schockierendsten Momente des Weltkinos in die Filmgeschichte ein.

www.kunsthalle.at

TAG: Der diskrete Charme der smarten Menschen

Februar 26, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Buñuels Patrizier als schicke Sechster-Bezirk-Bobos

Bild: © Anna Stöcher

Bild: © Anna Stöcher

Es ist ja nicht so, dass hierzulande noch nie etwas „frei nach Buñuel“ passiert wäre. Martin Wuttke versuchte dessen Filmklassiker „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ im Kasino des Burgtheaters umzusetzen www.mottingers-meinung.at/interview-mit-burgstar-martin-wuttke/ , Jan Mikulášek beim Young-Directors-Projekt der Salzburger Festspiele www.mottingers-meinung.at/salzburger-festspiele-young-directors-projekt/ . Nun also Ed. Hauswirth im TAG. Immerhin, der macht’s „sehr frei“. Hauswirth ist hauptberuflich künstlerischer Leiter des Grazer Theaters im Bahnhof – und gerade das gerät hier zum Nachteil. Man hätte von ihm etwas Absurderers, Skurrileres, irrwitzig Wirres erwartet. Surrealist Buñuel hätte es hergegeben. Aber irgendwie bleibt die Sache im TAG halbgar sitzen. Das Konzept, das Regisseur und Schauspieler überlegt haben, geht nicht auf wie gewünscht.

Hauswirth entwickelte mit dem TAG-Ensemble Jens Claßen, Michaela Kaspar, Raphael Nicholas, Julia Schranz, Georg Schubert und Elisabeth Veit eine Versuchsanordnung über die Werte des großstädtisch-kreativen (Wiener) Mittelstands. Menschen wie du und ich also, ohne zu wissen, was dieses Du und Ich sein soll, die Schwammigkeit des Begriffs Mittelstand einkalkulierend, bevölkern die Szenerie. Ein bisschen brav ist das, wo im Film doch alle Arten von Abartigkeit gezeigt werden, das Großbürgertum, eine aus der Oper kommende High Society, mit Spott ob der dekadenten Sinnentleertheit seiner Rituale übergossen wird. Ärger als Sigmund Freud fährt der spanische Filmemacher in diesem Horrorschwank seine Albtraumdeutung auf. Jeder Traum führt zum Trauma des Träumenden. Symbol ist alles. Da werden Lämmern die Kehle durchgeschnitten, ein eiskaltes Händchen rutscht übers Piano, Panzer fahren auf und treiben die Menschen in die Kirche … 1962 ist Buñuels Polit-Parabel über die Unzustände seiner Zeit entstanden. Was aber kann man den Innergürtel-Bobos vorwerfen, außer, dass sie für die Fußgängerzone Mariahilfer Straße sind?

Denn genau sie, die Mariahilfer, Neubauer, Josefstädter will Hauswirth ansprechen. Ihr Lebensgefühl, ihre Lebensrealität, Vorstellungen und Verhaltensweisen an Buñuels Personal überprüfen. „Der diskrete Charme der smarten Menschen.“  Die Abendgesellschaft, die aus unerklärlichen Gründen das Haus nicht verlassen kann, trifft sich im TAG zum Abendessen. Regelmäßig sucht man gemeinsam den Gourmet-Kick, jeder kocht einen Gang (von Kohlrabi-Carpaccio à la Sarah Wiener bis Schokoladentörtchen auf Himbeerspiegel mit Bourbon-Vanilleeis), fiktiv, denn gegessen wird nicht. Dafür philosophiert man über Gott an sich und die Welt im Besonderen. Die Gespräche drehen sich nicht nur im Kreis, sondern um die Banalität und Belanglosigkeit der Themen unserer Tage. Die Umsetzung eines europäischen Rauchverbots zum Beispiel. Ja oder Nein oder Vielleicht? Wenn Hauswirth sagt, dass er Teile des Textes aus von ihm geführten Interviews gestaltet hat, glaubt man ihm aufs Wort. Vermutlich Straßenbefragung auf der Mahü 😉 Konversation muss entgleisen, damit sie zum Theater taugt. Und das tut sie. Ein Glück. So gelingt es den prächtigen „typgerechten“ Darstellern, den Typen, die sie verkörpern, gerecht zu werden. Besonders prächtig: Julia Schranz, die sich an Ulrich Seidls „Paradies“-Trilogie aufgeilt, Michaela Kaspar mit dem Leidensdruck der Frau, Gebärende sein zu müssen, und Elisabeth Veit, wie sie schamlos geschickt am Dessert werkelt. Die Herren werden stereotyper eingesetzt, Jens Claßen als Macho-Ehemann, Georg Schubert als Quasi-Amokschütze, so viel Filmzitat muss sein, Raphael Nicholas als Softie mit Hoppala-Sprößling.

Hauswirth kocht aus Buñuels Meisterwerk sein eigenes Süppchen. Das wäre prinzipiell gut so. Doch eignet sich die In-Zu-An-Auf-Küche (Copyright: der hochverehrte Werner Schneyder) als Würze für einen ganzen Abend? „Wenn ich Leute sehen will, die eingesperrt fadisiert herumsitzen, schaue ich in den Spiegel“ (Eigenzitat, ursprünglich anlässlich einer Houellebecq-Neuerscheinung). Das Leben der schicken Smarties als sündiges Genusskunstwerk, als Sucht, als Suche nach dem einzig-ewigen Event zu zeigen, hätte als Sittenbild mehr berührt. Die Verbiedermeierlichung der aktuellen Generation ist nämlich tiefergreifend, als es Hauswirths diskrete Untiefen vermuten lassen. So bleibt eine charmante Salonkomödie mit gelungenen Regieeinfällen und sehr fein agierendem Ensemble. Vergnüglich! Wo es doch mehr wehtun hätte dürfen. Was nicht so sehr an fehlender Schärfe lag, als daran, dass Bitter kein gängiger Geschmack ist.

www.dastag.at

Trailer: https://vimeo.com/83973842

Wien, 26. 2. 2014

Interview mit Burgstar Martin Wuttke

Februar 8, 2013 in Bühne

07.02.2012, von Michaela Mottinger, http://kurier.at/autor/mag-michaela-mottinger/8.527/8

Eine masochistische Komödie nach Buñuel

Frei nach Buñuel:Martin Wuttke zeigt im Burg-Kasino sein Stück „Nach der Oper. Würgeengel“. Sonntag ist Premiere.

Wie ketzerisch ist das?
Da legt ein Regisseur seine Sichtweise eines Werks eines anderen Regisseurs dar – wohl wissend, dass dieser andere (weil 1983 in Mexiko kremiert) in der Urne aufwirbeln würde, wüsste er, dass man ihn „interpretiert“.

Filmemacher Luis Buñuel hat „Sichtweisen“ auf sein Schaffen mit geradezu diebischer Freude stets die Blickwinkel verstellt. Burgschauspieler Martin Wuttke legte nun trotzdem sein Augenmerk auf Buñuels 1962 entstandenes Meisterwerk „Der Würgeengel“. Er inszeniert es im Kasino des Hauses. Hat dem Titel ein „Nach der Oper“ vorangestellt und das Ganze „Eine masochistische Komödie“ genannt.

Jelinek bis Woody

Allen Das Stück werde „keine Filmadaption fürs Theater, sondern eine Erweiterung“, erklärt er. Eine Reverenz, wie es sie von Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“ bis zu Woody Allens „Midnight in Paris“ gibt. „Eigentlich“, so Wuttke, „ist unsere Arbeit wie eine Recherche zum Film. Ich folge Konstruktionen, die Buñuel vorgeschlagen hat, hangle mich an seinen Spuren entlang.“

Diese Spuren zu lesen ist eigentlich einfach
– unmöglich.

Da versammelt sich eine illustre Abendrunde zum Nach-der-Oper-Souper im Salon eines reichen Gastgebers, um alsbald festzustellen, dass sie den Raum nicht mehr verlassen kann. Die Dienerschaft, bis auf Majordomus Julio, haut zwischenzeitlich ab. Die Gäste werden je nach Temperament zunehmend lethargisch, panisch oder geladen.
Es gibt Tote. Ein ferner Verwandter von Gomez Addams’ „eiskaltem Händchen“ wird mit einer Vase erschlagen. Eine Herde Schafe verirrt sich in die gar nicht mehr gute Stube – und wird bis auf die Knochen abgenagt …

Aus, deutet Wuttke.

Unterbricht den Versuch einer Inhaltsangabe. Lacht. Er wird keine Tiere durchs Kasino treiben. „Das erspare ich mir. Und den Schafen.“

Buñuel, sagt er, tauche in seinem Leben immer wieder auf. Bilder, die sich einbrennen, sich aufdrängen, ihn „verfolgen“. Im Sinne von: großen Nachhall haben.
Diesmal hatte er bei sich zu Hause zwar einen ganz anderen Film gesucht, im Regal aber zuerst den „Würgeengel“ entdeckt. Und „wieder mal“ reingeschaut. Und „es“ plötzlich gesehen. Dass da eine Gesellschaft aus der Stimulanz der Oper, der Erfahrung eines Theaterabends nicht mehr rauskommt.
Das ist es, was den Theatermann beschäftigt.

Von Donizetti zu Wagner

Wobei er die von Buñuel bevorzugte „Lucia di Lammermoor“ gegen Wagners „Tristan und Isolde“ tauschte. Die Buñuel wiederum 1930 in „L’âge d’or“ verwendete …
Regisseur Wuttke bewegt diesmal ein üppiges Ensemble aus Schauspielern und Sängern. 22 Köpfe plus ein ganzes Orchester.
Was daraus entstehen soll?

Eine bösartig-morbide, humorvolle Aufführung: „Motive des Melodrams vermischt mit analytischen-dokumentarischen Elementen, darauf eine komisch-absurde Szene.“ Dass er nicht mitwirkt – wo doch die Figur Julio wie für Wuttke erfunden scheint –, darüber tröstet er sich mit zwei Sätzen hinweg:

„Regisseur zu sein ist halt ein anderes Vergnügen, als selber rumzuspringen. Und letzten Endes hab’ ich in dieser Funktion ja ein bisschen an allen Rollen teil.“

Zum Stoff: Buñuel gibt’s nun für die Bühne

Luis Buñuel (1900–1983) ist einer der herausragendsten Vertreter des surrealistischen Films. Zentrale Themen seines Werks sind der Kampf gegen ein in sinnloser Wiederholung erstarrtes Bürgertum und Kritik an der Kirche. Um dem Franco-Regime zu entgehen, arbeitete Buñuel einige Jahre in Mexiko, wo u. a. „Der Würgeengel“ entstand. Andere Werke: „Ein andalusischer Hund“, „Belle de Jour“, „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“.

Martin Wuttke Schuf nach Buñuel-Motiven sein Stück „Nach der Oper. Würgeengel“. In seiner Inszenierung spielen u. a. Andrea Clausen, Maria Happel, Bibiana Zeller, Ignaz Kirchner, Peter Matić und Branko Samarovski. Es gibt vier Opernsänger und ein Orchester.

Hommage an den Meister

Februar 8, 2013 in Bühne

Zwischen Kunst-Salon und Zitatefriedhof: Während die Schauspieler vorne über Kultur debattieren, laufen sie hinten als „Buñuel“-Film.
13.02.2012, von Michaela Mottinger, http://kurier.at/autor/mag-michaela-mottinger/8.527/8

„Würgeengel“: Ein Drei-Stunden-Fest

Martin Wuttke zeigt im Burg-Kasino seine Version von Buñuels „Würgeengel“. Eine Herausforderung, die man annehmen muss.

Keine Frage: Martin Wuttke hat ein Meisterwerk geschaffen. Eine Abstraktion des Abstrakten, eine traumhafte Überhöhung des ohnehin schon Surrealen. Aber wie’s halt so sein kann mit Meisterwerken, erschließt sich auch dieses nur unter Anleitung.

Heißt: Voraussetzung für den Besuch von „Nach der Oper. Würgeengel“, der so genannten „masochistischen Komödie“, die der Burgstar selbst schrieb und im Kasino des Hauses in Szene setzte, ist im Grunde eine „Spezialführung“ durch die eigene Audio- und Videothek.

Wuttke nahm sich „Der Würgeengel“, den 1962 entstandenen Film von Luis Buñuel, als Folie für seine Fantasien – und verknüpfte ihn mit Wagners Oper „Tristan und Isolde“ und Schönbergs „Erwartung“. Wer weder Ersteren noch Zweitere kennt, wird sich mit dem neu entstandenen Dritten schwer tun. Für „Auskenner“ freilich war der Abend ein Drei-Stunden-Fest, visuell wie darstellerisch. Geprägt von Martin Wuttkes signifikanter Regiehandschrift.

Denkanstrengung

In Interviews beklagte der Theatermacher die Verweigerung von Denkanstrengung beim Publikum. Nun spaltete er das seine in zwei Gruppen: die schleichenden Abgeher und die tosenden Applaudierer. Nicht weniger als siebzehn Schauspieler, vier Sänger und ein zwölfköpfiges Kammerorchester (die Sänger und die Violoncellistin haben an der Handlung teil) braucht Wuttke für seine „Würgeengel“-Version.

Auch in dieser kann eine illustre Abendgesellschaft, die sich nach der Oper zum Souper im Salon Nóbile trifft, diesen aus unerfindlichen Gründen nicht mehr verlassen. Fadesse oblige. Also beginnt man – Buñuels Politkritik außen vor lassend – einen Diskurs über Oper.

Kunst-Salon

Über Realität und Spiel, über Wahrheit und Lüge, und Lüge, die zur Wahrheit wird. Der Salon wird dieser Gemeinschaft zur Kunstwelt, in die man sich vor der Wirklichkeit flüchtet. Zum Kunst-Salon.

Aus der Kultur gibt’s kein Entrinnen. Großartige u. a. Ignaz Kirchner, Catrin Striebeck, Oliver Masucci, Peter Matić, Maria Happel und Bibiana Zeller stellen das dar.

Sie sind auch die Protagonisten der wunderbaren Hintergrund-Videos im Buñuel-Stil. Eine schwarzweiße Hommage. Ein Zitatefriedhof, wiederbelebt.