Akademietheater: Meister und Margarita

Oktober 18, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Du saugst hinweg die Sünde der Welt

In der Redaktion ist wieder einmal ist der Teufel los: Johannes Zirner trifft als angsterfüllter Sokow auf Norman Hacker als Woland, Stefanie Dvorak als Hella und Felix Kammerer als Behemoth. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Aus dem Haus Sadowaja 302b, in dessen Wohnung Nr. 50 der Autor selbst für vier Jahre Unterkunft nahm, ist also ein Großraumbüro geworden. Graue, von gläsernen Wänden getrennte Officekojen, zwischen denen Sokow und Frieda, Poplawski und Iwan „Besdomny“ Ponyrew ihr Tagwerk vollbringen – und da dort auch Berlioz, laut Michail Bulgakow bekanntlich Vorsitzender der Moskauer Literaturvereinigung, zugegen ist, sind die Zimmer ziemlich sicher eine Zeitungsredaktion und die anwesenden Personen

die dort angestellten Redakteure. Das estnische Berufs- wie Privatpaar Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo, Begründer und Auflöser des von den Wiener Festwochen bestens bekannten Tallinner Theatre NO99, zeigen am Akademietheater ihre Version von Bulgakows Opus magnum „Meister und Margarita“. Ein „gesellschaftliches Poem“ nennen die beiden ihre Inszenierung, bei der sie sich wie stets die Regiearbeit sowie die an Bühnenbild, Kostümen und Videos geteilt haben, und es ist von Vorteil, das Original des russischen Schriftstellers zu kennen, bevor’s zu deren Dreieinhalb-Stunden-Elaborat geht.

Bulgakow schrieb den Roman ab 1928. Erst kurz vor seinem Tod im März 1940 diktierte er seiner Frau Jelena eine mutmaßlich nur wegen seines Ablebens finale Fassung. Die darin verhandelten Themen reichen von der Hinrichtung einer Dichterkarriere über ein von den Daseinsstürmen gebeuteltes Liebespaar bis zu einem Alternativevangelium, und das alles ist immer auch autobiografisch, von Bulgakows prekärer Beziehung zu Stalin, der den Systemkritiker einerseits mit einem Veröffentlichungsverbot strafte, ihm aber andererseits eine Assistentenstelle am Moskauer Künstlertheater verschaffte, bis zum Meister und seiner verheirateten Geliebten Margarita, die gleichzusetzen sind mit Michail und der scheidungswilligen Jelena.

Semper und Ojasoo halten sich nicht mit Bulgakows groteskkomischer Sowjetschelte auf, sie wollen ihm auf anderweitig verschlungenen Wegen folgen, dorthin, wo’s ums ewig während Allzumenschliche geht, Neid, Gier, Hochmut, denen Bulgakow als größte Frevel, den Opportunismus, die Dummheit und die Feigheit beigesellt. Mit der lustvollen Verbitterung des zum Schweigen gezwungenen Genies trägt er seine Gedankenkämpfe aus, seine Waffe gegen die herrschenden Verhältnisse dabei geschmiedet aus heiter Anekdotischem. Wieder und wieder lässt sich „Meister und Margarita“ lesen, um Neues zu entdecken in den drei Handlungssträngen:

Der „Meister“ und seine Margarita: Rainer Galke und Annamáría Láng. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

And now, the end is near: Im Glitzeranzug singt Norman Hacker Sinatras „My Way“. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Als Berlioz landet Philipp Hauß samt Marcel Heupermans Iwan in der Irrenanstalt. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Jeschua reinigt Räume: Tim Werths mit Marcel Heuperman als Iwan unbehaust. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

1. Das Erscheinen des Teufels und seiner Gehilfen in Moskau, wo er als Zauberkünstler Woland jedermanns Wohl und Wehe verwirbelt. 2. Das Auftreten des „Meisters“, eines Literaten, der von der Presse so übel beschimpft wird, dass er in der Psychiatrie landet. Die andere Titelfigur, Margarita, wird einen Handel mit Woland eingehen, damit die zwei doch noch zusammen sein können. 3. Die Vorkommnisse rund um die Verurteilung von Jesus Christus, hier Jeschua, durch Pontius Pilatus, Berichte über den depressiv-migränegeplagten Prokurator, die sich später als der Roman des Meisters herausstellen.

Das Bonmot, man fände ins Buch „Meister und Margarita“ leicht hinein, aber niemals wieder heraus, trifft auf die Aufführung nun aber nicht zu. Semper und Ojasoo verweigern sich der Fantastik der Vorlage, kein schwarzer Riesenkater Behemoth treibt sein mörderisches Unwesen, niemand reitet auf einem Besen ein, es gibt keine verhexte Wohnung, kein plüschiges Varieté, kein furchteinflößendes Irrenhaus, sondern – siehe oben – das raumklimatisch bedenkliche Einheitsbüro unter freudlos flackernden LED-Lampen. Über den vier ident eingerichteten Schreibstuben und dem Flur prangt die Hauptsache des Ganzen, eine gigantische Leinwand, auf die beständig per Live-Kamera aufgenommene Bilder aus den nicht einsehbaren Bühnenteilen übertragen werden. Castorf schau oba, sozusagen.

Eine Zwangsjacke, ein bisschen rosa Licht und zwei Drehstühle machen allerdings keine Atmosphäre. Vom vergnüglichen Gänsehaut-Feeling des Romans, von seitenweise Schreck und Sarkasmus, von der Magie und der Wirkmacht des Buches bleibt auf der Bühne kaum etwas übrig. Wann, um Himmels willen, haben sich Semper und Ojasoo – man denkt da wehmütig an „Heiße estnische Männer“ oder „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ – dermaßen spaßbefreit? Eine der seltenen gewitzten Ideen ist die, Tim Werths als Jeschua in voller Golgatamontur, blutüberströmt und mit Dornenkrone, als Büroreinigungskraft zu zeigen. Lamm Gottes, du saugst hinweg die Sünde der Welt …

Die Live-Kamera übertragt das Geschehen von den Officekojen auf die Leinwand, hier folgt sie Hanna Binders Frieda. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Und apropos, Himmel: Als Höllenfürst hat Norman Hacker seine grandiosen Momente, ob im Punkoutfit mit fettigem Haar oder im teufelsroten Glitzeranzug Sinatras „My Way“ singend, sein Woland ist honigsüß ennuyiert, lasziv selbstverliebt und von bedrohlichem Charme. Allein seinetwegen schaut man bis zum Schluss gerne zu. Der Rest hat in diesem spröd‘-distanzierten, spannungsarmen Szenario nicht viel zu spielen. Philipp Hauß als Berlioz wie Pontius Pilatus und Johannes Zirner

als Sokow wie Kaiphas retten sich, so der Eindruck, mit ihrer Professionalität über die Runden, Mehmet Ateşçi, frisch vom Gorkitheater, setzt als Poplawski wie Afranius auf Geschmeidigkeit, der vom Resi mit nach Wien gekommene Marcel Heuperman macht als Iwan unbehaust auf wildwütig entschlossen. Stefanie Dvorak, als Hella Cheerleaderin im Team „666“, und Hanna Binder als Kindsmörderin Frieda haben’s in ihren kleinen grauen Zellen auch nicht leicht, genauso wie Felix Kammerer, den man als Behemoth zum goldgelockten Jüngling ausstaffiert hat. Falscher, heißt: weniger Bulgakow, geht’s nicht. Ihnen allen hätte man einen geglückteren Einstand an Martin Kušejs Burgtheater neu gewünscht. Immerhin Rainer Galke und Kornel-Mundruczó-Star Annamáría Láng gelingt es, die Amour fou von Meister und Margarita zu gestalten.

Sie wissen sowohl wie überbordende Emotion, als auch wie leise Zwischentöne gehen. Galke und Láng erzählen Liebe und von der Metaphysik der Liebe an einem Abend, der sich das Erzählen im Sinne von Story, Plot, Charakterzeichnung ansonsten anscheinend verboten hat. Irgendwann singen alle, derweil Jeschua im Hintergrund den Boden wischt, „Jesus‘ Blood Never Failed Me Yet“ und bewegen sich dazu wie Marionetten im Welttheater des Teufels – schließlich müht sich bei Bulgakow ja ausgerechnet der Böse, die Geschöpfe Gottes von dessen Existenz zu überzeugen. Das ist das schönste, das stimmungsvollste Scheitern an dieser von vornherein dazu verdammten Unternehmung, und die Gretchenfrage nach dem Halten mit der … xxx-rated … in der Semper-Ojasso-Interpretation der russischen Faust-Paraphrase augenscheinlich des Pudels Kern.

Es fällt, während sich Jeschua als seit mehr als 2000 Jahren missinterpretiert beklagt und ein erster Möchtegernjünger dessen Predigten in Fake-News-Form zu Ziegenpergament bringt, der bedenkenswerte Satz: „Damit ein guter Mensch Böses tut, dafür braucht es eine Religion …“ Das hat schon was. Der Applaus am Ende aber war so unentschlossen wie Ene-Liis Sempers und Tiit Ojasoos Inszenierung, Teile des Premierenpublikums hat der unterkühlte Abend deutlich ausgekühlt, andere, so an ihrem Abgang zu merken, auf einen erstaunlich hohen Aggressionslevel gehievt.

www.burgtheater.at           Mehr zu Michail Bulgakow: www.masterandmargarita.eu

  1. 10. 2019

Michail Bulgakow: Das hündische Herz

Juni 17, 2016 in Buch

VON RUDOLF MOTTINGER

Aus dem tierischen Lumpi wird ein menschlicher Lump

buchMoskau nach Lenins Tod 1924 unter den Bolschewiki. Stalin beginnt seine Herrschaft zu festigen. Die Schauprozesse und Ausschaltung aller ihm kritisch gesinnter Menschen inklusive alter Kampfgefährten, steht erst bevor. Der geniale Chirurg Filipp Filippowitsch Preobraschenski lockt den Straßenköter Lumpi mit einer „Krakauer spezial“ zu sich nach Hause. Er pflanzt ihm die Hirnanhangdrüse und die Hoden eines verstorbenen Kleinkriminellen ein. Doch das Experiment des Verjüngungsexperten geht schief.

Der Hund überlebt zwar den Eingriff, wird jedoch nicht verjüngt, sondern vermenschlicht – zum „neuen Menschen“. Ganz im Sinne der Bolschewiki. Der so zum kommunistischen Genossen mutierte Tiermensch, zeigt bald sein wahres Gesicht und erweist sich als echter Halunke. Er bleibt Tier, in Menschengestalt, jagt Katzen und auch dem weiblichen Geschlecht nach. „Lumpi Lumpikow“ alias „Polygraph Poligraphowitsch“, so steht sein Name im liebevoll beigelegten Passport, erkennt rasch, wie man vom System profitiert und andere zum eigenen Vorteil in Misskredit bringt.

Noch dazu erhält er ein Amt in der Moskauer Stadtverwaltung. Der Chirurg erkennt mit Schrecken, dass er „die Geister, die er rief“ nicht mehr los wird. Nur die gewaltsame Umkehrung der Operation kann die Gesellschaft noch retten. Am Schluss liegt der Köter Lumpi wieder zu Füßen seines Herrn ans Ledersofa gelehnt. „,Schwein gehabt, richtig Schwein gehabt’ dachte er vor dem Einschlummern … Bin längst Teil dieser Wohngemeinschaft.“

Michail Bulgakow schrieb die Erzählung bereits 1925, seine Veröffentlichung erlebte er nicht mehr. Zu brisant und zu viel politische Sprengkraft auf knapp 200 Seiten, wie auch KPdSU-Parteimitglied Lew Kamenew feststellte, der seinerseits Jahre später dem stalinistischen Terror zum Opfer fiel: „(Das hündische Herz) ist eine ätzende Attacke auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse und kommt auf keinen Fall für eine Veröffentlichung in Betracht.“ Den Vorwurf der Konterrevolution versuchte Bulgakow mit den Worten von Filippowitsch zu entkräften: „Meine Reden enthalten nicht die leiseste Spur dieser elenden Konterrevolution. Nur gesunden Menschenverstand und eine Menge Lebenserfahrung …“ Der Autor bekam die Macht des Staatsapparats bald zu spüren. 1926 wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung die beiden existierenden Kopien des Romans beschlagnahmt, erst drei Jahre später, auf Maxim Gorkis Fürbitte, wurden sie Bulgakow zurückgegeben. Es folgte ein Publikationsverbot, von einer Veröffentlichung nahm der Autor Abstand. Es kursierten in der Folge mehrere Fassungen, immer mit Eingriffen und Streichungen im Text. Die erste textologisch fundierte Ausgabe ist die 1989 in Moskau erschienene fünfbändige Edition der Werke Bulgakows, auf der auch Alexander Nietzbergs Neuübersetzung basiert.

Bulgakow, sein berühmtester Roman ist wohl „ Meister und Margarita“, vereint in „Das hündische Herz“ faustische Motive mit Mary Shelleys „Frankenstein“ und Gustav Meyrinks „Der Golem“, parodiert gleichzeitig die Neumenschen-Idee und persifliert den Fortschrittsglauben. Er teilt die Menschen jedoch nicht in „die Guten“ und „die Bösen“ ein, alle wirken bizarr und sonderbar, das gilt für Lumpi ebenso wie für Filipp Filippowitsch Preobraschenski, seinen Assistenten Dr. Bormenthal und deren schräge Moskauer Kundschaft, bessere, zahlungskräftige Leute, die alles geben würden, um wieder jung zu sein. Dafür hat sich der Chirurg auch einige Privilegien herausgeschlagen. Eine große Wohnung, gutes Essen und Trinken, Personal sind für Preobraschenski Selbstverständlichkeit, während andere Sowjetbürger in Not und Armut ihr Leben fristen. Und so zeigt er auch keinerlei Verständnis dafür, diese Privilegien aufzugeben. Privilegien, die sich auch die sowjetische Nomenklatur, einmal an der Macht, rasch genommen hat.

Neben den skurrilen Szenen, die an Nikolai Gogol erinnern (beispielsweise „Die Nase“), und der Erzählung aus Sicht des Hundes im ersten Kapitel – „Da schaut, wie ich vor die Hunde gehe“ –, ist auch Bulgakows Sprache bemerkenswert. Als moderner Erzähler setzt er auf das Prinzip der Überraschung. Er lässt den Leser eine Zeit lang im Dunkeln und steigt oft unvermittelt in den Text ein, wie etwa bei der Frage, ob sich Lumpi bei Tisch endlich eine Serviette umbinden soll. Die vorliegende Ausgabe von „Das hündische Herz“ in der hervorragenden Übersetzung von Alexander Nitzberg, ist aber auch noch in einer anderen Hinsicht etwas Besonderes. Die detaillierten und durch starke Ornamentik geprägten Collagen von Christian Gralingen machen das Buch zu einem eindrucksvollen Sprach- und Bildkunstwerk. Die Illustrationen tragen starke Züge technischer Konstruktionszeichnungen und erinnern an die russische Avantgarde der frühen 1920er-Jahre.

Über den Autor:
Michail Bulgakow (1891–1940), russischer Romancier, sehnte sich nach Ruhe und führte ein atemloses Leben: Er studierte Medizin, schlug sich als Übersetzer und Theaterregisseur durch, war dreimal verheiratet und morphiumsüchtig. Seine Werke wurden zensiert und er widersetzte sich Stalin, der ihm die Ausreise verwehrte. Als er mit 49 Jahren starb, hatte er die letzten zwölf Jahre an seinem Lebenswerk „Meister und Margarita“ geschrieben. Die Veröffentlichung dieses Werkes und von „Das hündische Herz“ sollte er nicht mehr erleben.

Edition Büchergilde, Michail Bulgakow: „Das hündische Herz“, Roman, 200 Seiten mit 36 Illustrationen von Christian Gralingen. Aus dem Russischen übersetzt von Alexander Nitzberg und mit einem Nachwort versehen.

www.edition-buechergilde.de

Wien, 17. 6. 2016

TAG: Varieté Volant oder Der Teufel rennt am schnellsten

Dezember 5, 2013 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Gespielt auf  Teufel komm raus

Markus Kofler, Julia Schranz, Martin Bermoser Bild: © Daniel Wolf   Bild: © Daniel Wolf

Markus Kofler, Julia Schranz, Martin Bermoser
Bild: © Daniel Wolf

Willkommen, bienvenue, Добро пожаловать! Das TAG lädt ins Varieté Volant! Sehen Sie in der ersten Abteilung, wie sich eiskalte Händchen auf dem Klavier verselbstständigen, wie es ihnen Gegenstände, Stuhl, Tuch, Kelch, Silbertablett …, gleich tun, wie leiblose Köpfe über die Bühne rollen! Der Leibhaftige ist in der Stadt, dieser alte Schwarzkünstler. Und er stellt die Schicksalsfrage. Ist es fremd- oder selbstbestimmt? Das ist Gottes Beweis. Und die seines Geists, der stets verneint. Unheil-ig ist Alles. Und sowjetische Athetisten belegen mit ihrer Verneinung erst die Existenz beider. Arturas Valudskis, der litauisch-wahlsalzburgische Theatermacher, zeigt im TAG sein Ideenkonstrukt „Varieté Volant oder Der Teufel rennt am schnellsten“, seine Arbeit über Michail Bulgakows Lebensroman „Der Meister und Margarita“. Eine Dekonstruktion. Für die sich der Regisseur drei Mitstreiter geholt hat: die Schauspieler Julia Schranz, Martin Bermoser und Markus Kofler, darstellerische Dreifaltigkeit des „Aggregat Valudskis“, das schon mit der Produktion „Das ist eigentlich alles“ nach Daniil Charms im 3raum-Anatomietheater überzeugte. Und es hier wieder tut.

Valudskis wählte als Kern seiner Aufführung den zweiten Handlungsstrang von Bulgakows Roman: Pontius Pilatus und die Verurteilung von Jeschua han-Nasri. Um diese, im Roman dreigeteilte Erzählung, postiert er den Rest des Stücks. Spotlights. Wie „Professor Volant“  (Kofler) bei seiner Ankunft in Moskau die dortigen Verhältnisse, insbesondere in einem von ihm usurpierten Varieté, durcheinanderbringt. Wie der Meister oder der Schriftsteller Iwan Nikolajewitsch (Bermoser, er ist auch Pilatus) über dem Schreiben eines Pontius-Pilatus-Roman den Verstand verliert und im Irrenhaus landet. Aber ihm immer noch besser ist, wie der Margarita oder Katja Borisowna (Schranz), die zumindest auf den Theaterbrettern nicht nur des Inhalts, sondern auch des Gehäuses verlustig geht. Sie verliert den Kopf … Am Ende sitzen alle irgendwo im Nirgendwo, also im Klavier, und lauschen dem depressiven In-Ewigkeit-Amen Sermon des römischen Prokurators. Valdukis‘ Biografie – Afghanistankrieg-Wehrdienstverweigerung, Psychiatrie, Tod des Sohnes nach Tschernobyl, Psychiatrie, Österreich – spielt in der Inszenierung eine Rolle. Bulgakows Biografie spielt in der Inszenierung eine große Rolle. Das komplizierte Verhältnis des satirischen Schriftstellers zum Stalinregime. Ab 1930 war er mit Berufsverbot belegt, dafür schickte ihm Nährvater Josef allwöchentlich eine Kiste Lebensmittel. Mit Champagner und Kaviar. Ab 1928 schrieb Bulgakow an „Der Meister und Margarita“, 1940, auf dem Sterbebett, diktierte er seiner Frau die letzte Fassung. Eine Erlösung aller Beteiligten. Ein vielschichtiges Gottseibeiuns.

Valudskis setzt ganz auf die Anziehungskraft des Bösen. Er zeigt eine phantastische, surreale, metaphysisch magische Aufführung. Bei der ihm die Körpersprache genauso wichtig (wenn nicht sogar wichtiger) ist, wie das gesprochene Wort. Dazu hat er sich einen verführerisch-witzigen Versucher gewählt. Markus Kofler manipuliert, dirigiert, intrigiert als Teufel Volant. Virtous schnarrt er den Text mit französisch-englisch-polnisch-spanisch-schweizerisch-ungarisch-keine Ahnung-sie-wechseln-jedenfalls-ständig-em Akzent runter. Er ist so polyglott wie polyglatt. Sein Grinsen: diabolisch. Er setzt sich damit ins Einvernehmen mit dem Publikum. Das Leben ist ein Schlachtfeld. Aus seinem Arsch raucht es (weil Kofler kopfüber Zigaretten pafft). Niest er, niesen alle. Stampft er mit dem Stock auf, kriegt Iwan im Takt Schluckauf. Wiegt er sich im Stuhl, wiegen sich die anderen mit ihm. Der Mensch als Herr im eigenen Haus? Wohl eher als Knecht. Volant bringt Iwan und Katja nicht an den, sondern über den Rand des Nervenzusammenbruchs. Auch mithilfe einer amüsanten Varieté-Spiegel-Nummer. Spielmacher Koflers Glanzleistung begegnen Julia Schranz und Martin Bermoser auf Augenhöhe. Aus Ideologen werden Idioten, aus Ungläubigen ungläubig Staunende. Real existierend ist da nichts mehr. Geschichte schreibt sich neu und neu und neu und … Schranz und Bermoser stolpern, holpern durch sie; die Stimme der sich als Proletariat tarnenden Intelligenzija wird zum Rosenkranzgemurmel. Ein Silbertablett, auf das Kofler einmal seinen Täuferkopf legt, wird zum Heiligenschein. Die ikonoklastische Ikone Margarita. Sie bietet auch den Kelch dar. Den ihr aber keiner abnimmt … Nach der Premiere, nach Piroggen und Teufelsrollen, finden an der Fußgängerampel Gumpendorfer Straße noch tiefschürfende Gespräche statt. Ein kalter Wind kommt auf, ein kühler Hauch, Gott sei uns gnädig und dem armen Nachbarn auch.

www.dasTAG.at

Trailer: http://vimeo.com/80776989

Wien, 5. 12. 2013