Theater-Center-Forum: Arsen und Spitzenhäubchen

März 5, 2022 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Christoph Prückner inszeniert Boulevard at its best

Die Brewster-Familie schenkt Holunderwein aus: Lotte Loebenstein, Eszter Hollósi, Christoph Prückner (hi.), Günter Tolar, Simon Brader und Susanne Pichler. Bild: © Maria Steinberger

Dies Feuerwerk an kuriosen Einfällen, slapstickartiger Situationskomik und sprühendem Wortwitz sorgt für ein zwerchfellerschütterndes Bühnenvergnügen: Christoph Prückner hat im Theater-Center-Forum „Arsen und Spitzenhäubchen“ inszeniert (und selbst die Rolle des Teddy „Roosevelt“ Brewster übernommen) und zeigt damit Boulevard at its best. In Tagen wie diesen, zwischen Ukraine-Krieg und Coronavirus, tun zweieinhalb Stunden ausgelassenes Lachen von Herzen gut.

So befand’s auch das Publikum, das schon beim ersten Kredenzen des berüchtigten Holunderweins der Brewster-Schwestern zu kichern begann und die erste „Erlösung“ eines ihrer Gentlemen gleich mal mit Szenenapplaus bedachte. Die Story von Joseph Kesselrings makabrer Komödie aus dem Jahr 1941, von Frank Capra 1944 mit Cary Grant und Peter Lorre genial verfilmt, ist also bekannt: Die liebenswerten alten Ladys Martha und Abby Brewster haben es sich zur Aufgabe gemacht, einsame angegraute Herren als vermeintliche Untermieter anzulocken, um sie mit einer Mischung aus Wein und Arsen „Gott näher zu bringen“.

Um die Männer angemessen zu bestatten, schicken sie ihren verrückten Neffen Teddy, der sich für Präsident Theodore Roosevelt hält, regelmäßig nach Panama, wo er Schleusen für den Kanal aushebt, heißt: im Keller Gräber für Marthas und Abbys Mord-, für Teddy allerdings Gelbfieberopfer, eine Seuche, deren Ausbreitung das Staatsoberhaupt selbstredend verhindern will. Lange Zeit nichts davon ahnen Neffe Mortimer, ein verkorkster Theaterkritiker, und seine Verlobte Elaine Harper, die Pfarrerstochter von nebenan. Umso mehr fällt er aus allen Wolken, als er entdeckt, dass die Tanten im Keller nicht eine, sondern ein Dutzend Leichen haben.

Damit nicht genug, kehren auch noch der dritte Brewster-Neffe nebst seiner – hier – Chirurgin Dr. Hermine Einstein ins Haus zurück: Jonathan, psychopathischer, international gesuchter Serienkiller und von Einstein so oft gesichtsoperiert, dass er mittlerweile wie Frankensteins Monster aussieht. Logisch, dass die Lage eskaliert.

In Prückners Regie sitzt jede Pointe. Er hat ein fabelhaft spielfreudiges Ensemble versammelt, allen voran die Damen Lotte Loebenstein und Susanne Pichler als gütige Todesengel Abby und Martha, denen die regelmäßig vorbeischauenden Officers O’Hara und Klein (die Nachbarschaft beschwert sich, wenn Teddy mit seinem Signalhorn zur Attacke bläst), bescheinigen: „Sie finden immer ein Opfer, dem sie helfen können.“ Simon Brader spielt den ob seiner mörderischen Entdeckung bis ins Mark erschütterten Mortimer, der, während Eszter Hollósi als Elaine ihren Angedachten mit allen Mitteln aus der Reserve locken will, wahrlich andere Dinge im Kopf hat.

Christoph Prückner als Teddy und Eszter Hollósi als Elaine Harper. Bild: © Maria Steinberger

Anna Dangel als Dr. Hermine Einstein und Nagy Vilmos als Jonathan. Bild: © Maria Steinberger

Simon Brader als Mortimer mit Nagy Vilmos und Anna Dangel. Bild: © Maria Steinberger

Nagy Vilmos ist als totenblasser Jonathan eine furchteinflößende Erscheinung, „der totale Horror und er sieht auch noch so aus“, wie’s im Stück heißt, während Anna Dangel als ebenfalls weißgeschminkte Dr. Einstein sich auf eine fast clownesk zu nennende Performance verlegt hast. Die glattgegangene Geschlechtsumwandlung der trinkfreudigen nicht Schönheits-, sondern Schiachheitschirurgin lässt zwischen Jonathan und Hermine außerdem einiges an Liebespaar-Möglichkeiten offen.

Christoph Prückner gestaltet Teddys Charakter frei nach dem Roosevelt-Zitat „I care not what others think of what I do, but I care very much about what I think of what I do!“ Staatsmännisch streng und doch väterlich vergebend befiehlt er Generälen, Richtern und Wissenschaftlern, also der Verwandtschaft, und schön ist, wie Mortimer (Roosevelt bekam ihn 1906 als erster US-Amerikaner für sein Wirken als Vermittler im Russisch-Japanischen Krieg) ihm statt der Friedensnobelpreis-Plakette einen Teddybären überreicht – die Szene ein Einfall Prückners.

Im nostalgischen Bühnenbild von Erwin Bail, einem altväterischen Wohnzimmer mit Aussicht auf den Friedhof, in dem es blitzt und donnert, wenn unter dem Porträt von Arzneimittelforscher und Leichenexperimentator Großvater Brewster von ihm die Rede ist (Licht und Ton: Benjamin Lichtenberg), gelingt es Prückner aktuelle Akzente zu setzen. Etwa, wenn sich Teddy beim Entsorgen der Gelbfieber-Gentlemen eine pandemiesichere Maske aufsetzt, oder die Tanten ihm den Bären von Jonathan als Spion, der das Kapitol stürmen will, aufbinden.

Der zum Schluss auftauchende Mr. Witherspoon, Leiter des Sanatoriums Happyland, in das Mortimer Teddy und am besten auch die Tanten verbracht wissen will, ein Kabinettstück vom großartig kuriosen Günter Tolar, meint zu Mr. President Roosevelt, er habe eigentlich schon drei von der Sorte, „und jeder wirft dem anderen vor, die Wahl gestohlen zu haben“. Schließlich beschweren sich wie schon im Originaltext Martha und Abby, Jonathan wolle „einen Ausländer“ in ihrem unterirdischen Coemeterium unterbringen.

Martha und Abby mit einem ihrer Gentleman: Susanne Pichler und Lotte Loebenstein. Bild: © Maria Steinberger

Teddy auf dem Weg nach Panama: Christoph Prückner mit Simon Brader und Eszter Hollósi. Bild: © Maria Steinberger

Elaines Liebesanfall trotz Leiche in der Truhe: Simon Brader und Eszter Hollósi. Bild: © Maria Steinberger

Johannes Sautner und Benjamin Lichtenberg als Officers O’Hara und Klein; Mitte: Simon Brader. Bild: © Maria Steinberger

Denn das Treiben wird immer toller. Jonathan hat auf dem Rücksitz seines Fluchtautos den dank seiner abgelebt habenden Mr. Spinalzo liegen und wittert nun die Chance, den unerwünschten Fahrgast in der für der Tanten neuesten Dahingeschiedenen, Mr. Hoskins (TCF-Direktor Stefan Mras röchelt sich durch den Kurzauftritt), ausgehobenen Schleuse zu entsorgen. Zwischen Zwischendepot Truhe und der geplanten letzten Ruhestätte entspinnt sich ein Leichen-wechselt-euch-Spiel, das Mortimer an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt.

Dazu kommt’s zwischen dem Gewaltverbrecher und den in die Jahre gekommenen Jungfern zu einem Wettstreit, steht doch die Bilanz derer, die wegen ihnen das Zeitliche gesegnet haben, zwölf zu zwölf. Ein dreizehntes Opfer muss her! Ein weiterer von der Ödnis seines Daseins zu rettender Greis oder doch lieber Mortimer? Fatal, dass der so brave wie begriffsstutzige Officer O’Hara (Johannes Sautner begleitet von Benjamin Lichtenberg als fußmarodem Officer Klein als waschechte Knallchargen) die von Jonathan und Dr. Einstein zauberkünstlerisch vorgeführte Fesselung und Knebelung Mortimers für das Demonstrieren einer Theaterszene hält.

Noch fataler, dass O’Hara ein verkappter Dramatiker ist, oder sich zumindest für einen solchen hält, und den dreien sein selbst geschriebenes, grottenschlechtes Drama in x-Akten darbietet. Aber immerhin: Akt vier bringt die Gangster zum Einschlafen, worauf Mortimer sich aus seiner misslichen Lage befreien kann. Das von Christoph Prückner und Team gezeigte Ende entfernt sich weit vom Hollywood-Schmus, erklärt sich doch die nächste Generation bereit, die Familientraditionen fortzusetzen. Auftreten Eszter Hollósi und Simon Brader mit nun auch bleichen Gesichtern. Was bedeutet schon „normal“, wenn man ein Mords-Gen hat? Ein Gläschen Holunderwein, Mr. Witherspoon?

„Arsen und Spitzenhäubchen“, dieser Evergreen des schwarzen Humors, von Prückner mit viel Fantasie um Seitenhiebe auf eine groteske Gegenwart erweitert (die USA befanden sich zur Entstehungszeit des Stücks in einem ähnlichen Konflikt wie die EU heute, ein Krieg mehr oder minder weit weg – und die Frage, ob man abwarten oder sich einmischen soll), erzielt seine komischen Effekte aus dem bizarren Gegensatz biederer Kleinbürgerlichkeit und dem blanken Entsetzen – im Theater-Center-Forum in Szene gesetzt als übermütig überdrehte Parodie auf so ziemlich sämtliche Krimi- und Horrorfilmklischees.

Zu sehen bis 19. März

www.theatercenterforum.com

  1. 3. 2022