Burgtheater: Die Ratten

März 28, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Versuchstiere irren durchs Lebenslabyrinth

Aug‘ in Aug‘ mit der Ratte: Sylvie Rohrer als Frau Hassenreuter. Bild: Bernd Uhlig

Zurzeit zeigt der Schweizer Fotograf Matthieu Gafsou im Rahmen des Foto-Wien-Festivals in der Otto-Wagner-Postsparkasse seine Bilderserie „H+“ zum Thema Transhumanismus. Darunter ist die Aufnahme einer Laborratte, mittels Gurtenkonstruktion künstlich auf den Hinterbeinen gehalten, in den Kopf eine Elektrode gesteckt, in ihrem Gesicht alles Leid der Welt.

Es ist dieses gequälte Tier, an das einen Andrea Breths Abschiedsinszenierung am Burgtheater von Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“ denken lässt. Alles ist grau und Beklemmung und Plage, Breth versetzt des Dramatikers Homo homini rattus in eine Atmosphäre diffuser Angst – und selbst ein, zwei die Zuschauer zum Lachen animierende Momente, etwa, wenn die Gesamtschaft der Theatermenschen zu 1920er-Jahre-Schlagern stolpernd auf die Bühne tänzelt, enttarnen sich als kritischer Kommentar zu deren letzter verzweifelter Selbstbehauptung als bildungsbürgerlicher Kreis. Eine Empfindung von Ausweglosigkeit tut sich auf, unterstrichen vom Bühnenbild Martin Zehetgrubers, dieses ein Labyrinth aus durch Verdreckung opaken Plexiglaswänden, durch das die Figuren mal gehetzt laufen, mal wie somnambul irren.

Getriebene, auf der Flucht vor ihren Lebensumständen. Versuchstiere, deren Verhalten die Breth mit ihrer Arbeit erforschen will. Kein Dachboden, keine John’sche Wohnung mehr, kein oben oder unten, sondern ein sich beinahe beständig drehender Müllfundus aus versifften Matratzen, ausrangierten Kloschüsseln, der Boden bedeckt mit Zeitungsfetzen, später mit gesichtslosem Leichen-Volk, in Winkeln hockende Riesenratten. Durch diesen Schmutz-Filter sind die Szenen zu sehen, die Rotation eröffnet immer wieder neue Räume und Perspektiven, doch kein Durchlass, kein Entkommen nirgendwo. Ein Setting, in dem Breth als Großmeisterin des psychologischen Naturalismus nun die Zustände menschlicher Würde auslotet.

Maurerpolier John freut sich über das Söhnchen: Johanna Wokalek, Oliver Stokowski und Alina Fritsch. Bild: Bernd Uhlig

Doch Pauline Piperkarcka will ihr Kind um jeden Preis zurück: Sarah Viktoria Frick und Johanna Wokalek. Bild: Bernd Uhlig

Und in dessen Mittelpunkt sie bemerkenswerter Weise den oft so genannten und mitunter wenig verstandenen zweiten Handlungsstrang stellt – die Begebenheiten rund um den ehemaligen Theaterdirektor Hassenreuter, dessen Frau und Tochter und Schauspielschüler. Deren groteske Proben zu Schillers „Die Braut von Messina“ auf dem Mietshausspeicher, den daraus entstehenden Streit zwischen Hassenreuter und dem aus dem Theologiestudium ausgeschiedenen Erich Spitta. Hie ein Plädoyer für das Pathos, da die Ablehnung alles gestelzten Bombasts.

Spittas kühne Aussage, eine Putzfrau könne ebenso Protagonistin einer großen Tragödie sein, wie eine Shakespeare’sche Lady Macbeth, leitet Breth direkt über zum Drama der Frau John und des ungewollt schwanger gewordenen Dienstmädchens Pauline Piperkarcka.

Sven-Eric Bechtolf spielt sich als Hassenreuter brillant ins Zentrum der Aufführung. Wie alle Darstellerinnen und Darsteller des Abends beherrscht er die Kunst vielschichtiger Charakterzeichnung, Breth hat mit ihrem Ensemble in feinsten Nuancierungen herausgearbeitet, wann die Figuren vorgeben zu sein und wann sie wirklich sind.

Aus Hauptmanns satirischer Überspitzung macht Bechtolf eine brüchige Gestalt, die im Frack und mit Gehstock Halt in ihrer Großmannshaltung sucht. Er geriert sich als Theatergott, der vom hohen, reinen Parnassos in die Probleme der Zinskaserne gezogen wird, wo er gütig zwischen den Sterblichen zu vermitteln sucht, während tatsächlich sein Familienleben nicht weniger von Lüge und Argwohn umwölkt ist, wie das der Johns.

Beeindruckend ist auch Johanna Wokalek, die die Frau John früh changierend zwischen depressivem Irresein und kalter Berechnung anlegt. So, wie sich in dieser Inszenierung alles zwischen Wahnsinn und Wahnwitz bewegt, hält sie das Söhnchen der Piperkarcka bald für ihr eigenes, vor drei Jahren verstorbenes, und manipuliert ihren offensichtlich geistig beeinträchtigten Bruder, bis er zum Mörder wird. Nicholas Ofczarek macht aus diesem Bruno einen Psychopathen, der einen schaudern lässt und gleichzeitig doch auch Mitleid erregt. Wie man es hier angesichts dieser Erniedrigten, Ausgestoßenen, Hoffnungslosen eigentlich mit jedem hat. Oliver Stokowski gelingt als Maurerpolier John die imposante Studie eines gutherzigen Kerls, der den latenten Gewalttäter allerdings in sich trägt.

Frau Johns Bruder Bruno ist ein gefährlicher Psychopath: Nicholas Ofczarek und Johanna Wokalek. Bild: Bernd Uhlig

Hassenreuter versucht zu vermitteln: Sylvie Rohrer, Oliver Stokowski, Johanna Wokalek und Sven-Eric Bechtolf. Bild: Bernd Uhlig

Christoph Luser als aufmüpfiger Erich Spitta und Marie-Luise Stockinger als Walburga gehören ebenfalls zu den Erfreulichkeiten des Abends. Und natürlich Sarah Viktoria Frick, die als gekaufte und verratene Piperkarcka im Wortsinn gegen die ihr widerfahrenden Ungerechtigkeiten anrennt. Viel große Schauspielkunst zeigt sich auch in den kleineren Auftritten: Roland Koch als rigoroser Gottesmann Pastor Spitta, Stefan Hunstein, der als Käferstein ein Kabinettstück liefert, Elisabeth Augustin als Frau Kielbacke, Bernd Birkhahn als Schutzmann oder Branko Samarovski als Hausmeister Quaquaro.

Als Königinnen des Dramatischen beweisen sich einmal mehr Sylvie Rohrer als realitätsferne Hassenreuters-Gattin, Andrea Wenzl als Wienerisch parlierendes Hassenreuters-Pantscherl Alice Rütterbusch – und die wunderbare Andrea Eckert.

Bis sie erscheint, hält man die Morphinistin Knobbe in der Haushierarchie für die Geringste, doch dann kommt eine Aristokratin des Elends, die sich von den anwesenden Herren gern umgarnen lässt. Eindrucksvoll, wie die Eckert mit minimalen Mitteln maximale Wirkung erzielt. Das Ende ist ein leises. Alina Fritsch verkündet als Selma den Selbstmord der Frau John.

Darauf kein Aufschrei, kein Ausbruch, keine Anklage, sondern stumm stehen die Figuren auf und setzen ihren Gang durchs Lebenslabyrith fort … Dass Andrea Breth mitten im tosenden Schlussapplaus zum Mikrophon griff, um sich beim Burgtheater-Publikum „für seine Treue“ zu bedanken, kam unerwartet und war schön. Zu hoffen ist, dass dies nur den Abschied vom Haus, aber nicht von Wien bedeutet.

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  1. 3. 2019

Akademietheater: Der Kandidat

November 1, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Zum Schreien komischer Highspeed-Slapstick

Mit Hilfe der Presse zum Politiker: Florian Teichtmeister als Medienunternehmer Grübel und Gregor Bloéb als Herr Russek. Bild: Georg Soulek/Burgtheater

Am Ende ist die Wahl gewonnen. Anders als bei Gustave Flaubert und Carl Sternheim, dort im Furor (Gott zu Füßen) verreckend, hält „Der Kandidat“ hier aber seine Abschlussrede. Professionell gecoacht und vom Redakteur Bach mit Argumenten ausgestattet, verkündet er seine Zehn Gebote. Die da im Wesentlichen lauten: Abgrenzen, aufrüsten – und vor allem angstfrei sein. Ach ja, ein Aussetzen kommt auch dazu, und zwar der parlamentarischen Demokratie.

Wegen Belanglosigkeit zunächst für 100 Tage, danach Evaluierung. Gregor Bloéb ist in diesem Moment, als sein Leopold Russek dies politische Pamphlet vorträgt, schauspielerisch ganz in seinem Element, ein geschmeidiger Gewinner, ein mephistophelischer Verführer der Massen, so „echt“, dass es erschreckt und erschüttert. Jede Ähnlichkeit mit Personen, Parteien und deren Programmen ist natürlich … gar nicht so frei erfunden. Durch den Kopf geistert es einem, dass man derartiges Wortgewürfle bereits gehört, die Floskelsätze schon gelesen hat. Bemerkenswert. Flaubert schrieb seine Politposse 1873, Sternheim sie 1913/14 auf die wilhelminischen Gegebenheiten um; für die aktuelle Fassung zeichnet Dramaturg Florian Hirsch verantwortlich, eine ausgezeichnete Arbeit, die den Zeit-Ungeist vorführt, aber auch zeigt, die Verhältnisse, sie sind schon immer so.

Es ist kein Wunder, dass sich Regisseur Georg Schmiedleitner zur Inszenierung dieses Stoffs verlocken ließ. Er macht aus der bitterbösen Satire, die sowohl den Moloch Politik als auch die Entpolitisierung der Gesellschaft aufs Korn nimmt, Highspeed-Slapstick; er schont seine Schauspieler bei dieser sehr körperlichen Aufführung nicht, es wird gestolpert, gestrampelt, gestürzt, und wenn Sebastian Wendelin als Bach steif wie ein Brett fällt, fürchtet man durchaus ein wenig um dessen Gesundheit.

Die „Wahrheit“ macht eine Homestory bei Russeks: Sebastian Wendelin als Redakteur Bach, Florian Teichtmeister, Petra Morzé als Frau Russek, Christina Cervenka als Luise, Dietmar König als Fotograf Seidenschnur und Musiker Sam Vahdat. Bild: Georg Soulek/Burgtheater

Komödiantisches Kernstück – das TV-Duell der Spitzenkandidaten: Dietmar König, Valentin Postlmayr als Moderator und Gregor Bloéb. Bild: Georg Soulek/Burgtheater

Dass diese Übungen aufs Feinste gelingen, ist Verdienst der fabelhaften Spielfläche von Volker Hintermeier, diese ein von innen beleuchteter Kreis, ein Roulettetrichter, ein Glücksrad, eine ins Wanken geratene Weltscheibe, die sich unablässig dreht, dazu in Schräglage hebt und senkt, darüber, wahlweise auch dahinter, ein Spiegel, dank dessen Perspektiven gewisse Verrenkungen und Verschlingungen der Darsteller überhaupt erst wahrzunehmen sind – als würde man mittels eines allmächtigen Auges auf die sich abmühenden Figuren blicken.

So chic wie das Bühnenbild sind auch die Kostüme von Su Bühler, ein stilisiertes 19. Jahrhundert mit einigen Hinguckern, etwa Frau Russeks Schaumstoffnoppen-Tournüre, auch sie streng in stummfilmhaftem Schwarzweiß gehalten.

„Der Kandidat“ handelt vom sich selbst in den Ruhestand versetzt habenden und nun sich langweilenden Millionär Leopold Russek. Als er beschließt, ob Ende seines Ennuis in die Politik zu gehen, stehen sofort die Vertreter diverser Interessensgemeinschaften Schlange, um den Ahnungslosen auf ihre Seite zu ziehen: Funktionäre, Lobbyisten, Journalisten, Spin-Doctors und andere Opportunisten geben sich die Russek’sche Klinke in die Hand.

Doch der ganze politisch-mediale Komplex erweist sich alsbald als ein Kartenhaus aus Lügen und Manipulation. Gegenspieler stellen sich auf – bis Russek, um zu siegen, schließlich bereit ist, sich mit seinem Geld Verbündete zu züchten, und sogar die sexuelle Verfügbarkeit von Ehefrau und Tochter für seine Zwecke nutzt.

Hirschs Bearbeitung setzt auf Sprachwitz und Versprecher, Sätze fallen, wie der von der Sozialdemokratie, die den eigenen Kandidaten einmal mehr selbst massakriert habe, Begriffe wie Gutmenschenterrorismus oder Gendermanie. Ständig wird rechts mit links verwechselt, immer wieder sagt jemand „völkisch“ statt „volksnah“, Russek wird empfohlen „termingerecht zu emotionalisieren“, und der umbuhlte Neo-Politiker erweist sich in seiner Qual der Parteiwahl als erstaunlich elastisch. „Warum denn so einseitig?“, fragt er einmal. „Jede Partei hat doch ihr Gutes.“ Freilich ist derlei für Lacher gut, die Darsteller schießen diese Pointen im Schnellsprechtempo ab.

Mit großen Gesten konterkarieren sie gleich darauf das Gesagte, Outrieren ist ausdrücklich erwünscht, und mal wirkt einer wie Chaplins Tramp, mal liegt einer wie Kafkas Käfer auf dem Rücken. Sabine Haupt, als Anwältin Evelyn hier zum strippenziehenden, Parolen einflüsternden Politcoach avanciert, umtanzt den Kandidaten mit scharf gekickten Tangoschritten. Bernd Birkhahn darf als alter Graf, als Standessymbol ein Krickerl im Arm, vor Freude im Hüpfen in der Luft die Hacken zusammenschlagen.

Großartig sind das Bühnenbild von Volker Hintermeier und die Kostüme von Su Bühler: Ensemble. Bild: Georg Soulek/Burgtheater

In diesem Setting brilliert Gregor Bloéb als selbstzufrieden-naiver Simpel Russek, der, durch die persönlichen Interessen der anderen angeheizt, zum korrupten Schlitzohr mutiert. Petra Morzé gibt – ebenso wie Christina Cervenka als ihre Tochter Luise – mit viel Spielfreude seine dauerlüsterne Ehefrau, die ob dieses Erregungszustands wunderbar auf den in die richtige Schreibrichtung umzupolenden Bach anzusetzen ist.

Den gibt grandios Sebastian Wendelin, den Oberkörper starr nach hinten gebogen, aber unten herum immer biegsam und verfügbar. Als „Blut-und-Boden-Headliner“ beim U-Bahn-Blatt hat er beruflich genug zu leiden, da darf privater Spaß sein. Die Postille gehört Florian Teichtmeister als ränkeschmiedendem Medienunternehmer Grübel, heißt „Die Wahrheit“, was natürlich für Zeitungsmacherwitze à la „Die Wahrheit gehört ja quasi Ihnen“ gut ist. Komödiantisches Kernstück des Abends ist ein TV-Duell der Spitzenkandidaten, Russek gegen den Society-Fotografen Seidenschnur, Dietmar König als rechtschaffener, grauer „Sozi“, in den Reflexen schneller als in der Reflexion, der unter den Zuschauern Wahlzuckerl und auf der Bühne Statistiktaferl verteilt. Valentin Postlmayr, er auch ein tadellos degenerierter junger Graf, versucht vergebens die Diskutanten im Zaum zu halten.

Zum Premieren-Schluss gab es erwartungsgemäß viel Jubel und Applaus für Schauspieler und Leading Team. Sternheims humorvoll-hinterlistiges Vorführen von Volksverdrehern, sein Hinweis auf „alternative Fakten“ und die Gefahren beim Verwässern komplexer Fragestellungen durch populistisches Geschwätz, diese Botschaft ist – inmitten des ganzen Klamauks – beim Publikum perfekt angekommen. „Der Kandidat“ am Akademietheater ist zum Schreien komisch, zum Laut-Aufschreien komisch.

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  1. 11. 2018

Burgtheater: Mephisto

September 17, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Immer bergauf auf dem Beförderband

Nicholas Ofczarek als Hendrik Höfgen, Sylvie Rohrer als Dora Martin und Ensemble. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Lady Gaga gibt den Ton an. Im Wortsinn. Ihr Song „Applause“, von Sylvie Rohrer als Dora Martin auf vier Mal unterschiedlichste Weise interpretiert, ist der musikalische Leitfaden durch Bastian Krafts Bühnenfassung von Klaus Manns Roman „Mephisto“. Eine fulminante Aufführung ist das geworden, mit einem überragenden Ensemble, allen voran Nicholas Ofczarek in der Rolle des Hendrik Höfgen. Alias Gustaf Gründgens. Einer, der der Macht verfällt, und dabei so brutal wie buckelnd agiert.

In einen Rahmen hat Kraft sein durchchoreografiertes Spiel vom Glanz und Elend des eitlen Mimen gespannt. Ein schlanker Mann im weißen Anzug tritt aus dem Dunkel und an die Schreibmaschine, er, der Schriftsteller, als Gegenpart zum bulligen Schauspieler, den er erdacht und doch nicht erdacht hat, Sebastian Bruckner, Klaus Manns Alter Ego. Fabian Krüger gestaltet die Figur feinnervig und nobel, er ist Erzähler, Kommentator, aber auch Souffleur und sogar Requisiteur. Bruckner/Mann ist da schon im Exil, in Paris, später Südfrankreich, drischt er auf die Tasten und damit auf das NS-Regime ein.

Sabine Haupt als Nicoletta von Niebuhr, Fabian Krüger als Sebastian Bruckner, Nicholas Ofczarek und Dörte Lyssewski als Barbara Bruckner. Bild. Reinhard Werner/Burgtheater

Simon Jensen als Julien. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Martin Vischer, Simon Jensen, Sabine Haupt, Sylvie Rohrer und Petra Morzé. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Bruckners Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Schwager Höfgen, Krüger vs Ofczarek, wird zum gewitzten Disput darüber, wie Mensch sich angesichts von Totalitarismus und Staatsterror positionieren soll. Ofczarek gibt den Höfgen mit gewaltiger Intensität, gibt mal den teuflischen Verführer, mal den in tiefste Abgründe Gelockten, gibt sich im Zweikampf mit dem gewesenen Freund mal sanft säuselnd, mal metallisch donnernd. „Seine Falschheit ist seine Echtheit“, charakterisiert Bruckner den faustischen Höfgen.

Und der Karrierist und Opportunist sucht gutes Gewissen darin, dass er einen Juden, Hans Dieter Knebel als Garderober Böck, und seinen schwulen Liebhaber, Simon Jensen als Julien – die originale Homoerotik von Kraft anstelle der erfundenen Juliette Martens eingesetzt, vor der Gestapo gerettet hat. Beim kommunistischen Kollegen Otto Ulrichs/Hans Otto, ihn stellt Peter Knaack dar, hat er es immerhin versucht, den Parade-Nazi Miklas, Martin Vischer, hat er ohne viel Federlesen aus dem Ensemble entfernen lassen.

Ge- und befördert vom „Ministerpräsidenten“ und seiner Ehefrau, Martin Reinke und Petra Morzé liefern als Göring und dessen überspannte Gattin eine gekonnte Farce auf Hinterlist und Heimtücke, arrangiert sich Höfgen mit den neuen Herrschenden. Peter Baurs phänomenales Bühnenbild stellt den steilen Aufstieg mittels stetig emporgeschraubtem Laufband dar, darauf Ofczarek mit ausholendem Schritt, die Arme zackig mitgeschwungen, eine Hanswurstiade mit schwarzweiß-gestreifter Hofnarrenkappe, wiewohl’s immer schwerer wird, die nächste Klippe zu erklimmen.

Den fabelhaften Cast runden ab: Dörte Lyssewski und Sabine Haupt als Frau Höfgen eins und zwei, Barbara Bruckner und Nicoletta von Niebuhr, sarkastisch-scharf die eine, klug-berechnend die andere, und Bernd Birkhahn, der unter anderem als „der Professor“/Max Reinhardt wesentlich zu Höfgens Aufstieg beiträgt.

Auf vier Videotürme lassen Kraft und Baur Ofczareks Gesicht mit einer Live-Kamera projizieren. Da ist dessen Hendrik Höfgen längst zum Gruselclown mutiert. Die charakteristisch steilen schwarzen Augenbrauen, der blutrote Mund verschmiert. Wen immer er damit küsst, der ist besudelt. Eines von vielen starken Bildern. Am Ende eine Spiegelung des Publikums, vom Burgtheater 2018 ins Preußische Staatstheater 1936. Etliche der gefallenen Sätze sind so, wie man sie gerade wieder hört.

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  1. 9. 2018

Kasino: Kartonage

September 30, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Mord mit Marillenmarmelade

Die Mutter (Video: Petra Morzé) dominiert und tyrannisiert „Vater Werner“ Bernd Birkhahn und „Rosalie“ Irina Sulaver. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

„Stimmt?“ – „Stimmt.“ Mit dieser in provokantem Ton gestellten Frage und der bockig-devoten Antwort versichern sich „Werner zwei“ und „Werner eins“ ihres Immer-noch-Vorhandenseins, bestätigen sie einander, dass die Welt draußen nicht anders als beängstigend gefährlich sein kann, verbürgen sie sich dafür, in den eigenen vier Wänden am sichersten aufgehoben zu sein. Home sweet home.

Das ist in diesem Fall ein Pappkartonhaus, wiewohl das Bühnenbild von Michela Flück mehr an Endspiel in Eiche massiv erinnert, in dem das Ehepaar Werner sich seine in seltsamen Ritualen erstarrte Existenz eingerichtet hat … Kasino des Burgtheaters. Gegeben wird „Kartonage“. Das Debütstück von Yade Yasemin Önder, das von den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin als einer von drei Gewinnertexten auserwählt wurde, und das der junge Halleiner Regisseur Franz-Xaver Mayr nun als Uraufführung zeigt. Im Interview erklärt die Autorin, ihre Arbeit sei erst ein zynisches Langgedicht, ein Streitgespräch zweier alter Menschen über Leben und Sterben gewesen, aber als die Figuren mehr Raum für sich beansprucht hätten, hätte sie sich entschlossen, ihre Lyrik zu dramatisieren.

Nun verkörpern Petra Morzé und Bernd Birkhahn Önders Prototypen kleingeistiger Kleinbürger. Ihre Verwandtschaft zu Becketts Hammer und Nagel unverkennbar, sind die beiden ein pikantes Paar, zwei in Hilf- und Alternativlosigkeit aneinander Gefesselte, er auf tattrigen Beinen, sie mit Tippelschrittchen durch die Bühnenbox tapsend. Sie hält ihn bewusst blöd. Werner zwei/Morzé hat vor langer Zeit das Kommando übernommen, sie hat Werner eins/Birkhahn mittels Trommelzeichen auf den Küchentisch konditioniert, tap-tap-tap, und wenn er nicht grad grunzend im Stehen schläft, gehorcht er auch. Für mehr Konzentration gibt’s ab und zu Ohrfeigen, ist er brav, darf er Brustnuckeln.

Tagein, tagaus wird Marillenmarmelade eingekocht: Irina Sulaver und Petra Morzé. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Gegenseitige Verletzungen erfolgen nicht nur durch Worte: Petra Morzé, Irina Sulaver und Bernd Birkhahn. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Morzé schenkt sich als Tyrannin in Fatsuit und hellblauer Kittelschürze (Birkhahn trägt dazu passend Polohemd und Shorts, Kostüme: Korbinian Schmidt) wie üblich nichts, ihr falsches Lachen korreliert mit ihrer aufgesetzten Freundlichkeit. Sie ist böse wie die Königin-Stiefmütter in Märchen. Tagein, tagaus macht sie Marillenmarmelade, kocht das Obst ein, wie Önder ihre Sprache zur Formelhaftigkeit kondensiert hat.

Die Dominanz selbst über den Speiseplan ist Werner zweis Rache für eine verkorkste Ehe, die nun an der von Flück eingerichteten Küchenzeile samt Sitzecke Früchte trägt. Die Moral der Zwei-Mann-Truppe hält sie mit Stehsätzen wie „Verteidigung kommt vor dem Fall“ oder „Im Zweifel ist man stets dagegen“ aufrecht.

Birkhahn macht aus Werner eins das prächtige Vorzeigemodell eines langsam und nicht unzufrieden in die Demenz gleitenden Lustgreises. Wie die Gattin am Herd, so zelebriert auch er seine grotesken Handlungen, in die meist Staubsauger, Baumstammskelett und das Familienwappen involviert sind. Regisseur Mayr trägt dem Artifiziellen des Textes mit seiner Inszenierung Rechnung.

Er taucht finsterste menschliche Abgründe in grausam-grelle Komik, er setzt dem eintönig-braunen Irren-Haus kunterbunt-skurrile Einfälle entgegen. Ganz wunderbar hat er Morzé und Birkhahn zu einem absurd doppelbödigen Spiel inspiriert, bei dem von Anfang an klar ist, dass zum Kern der Sache noch vorzudringen sein wird. Nämlich als Irina Sulaver als abgängig gewesene Tochter Rosalie durch die Decke kracht. Sechzehn Jahre war sie von zu Hause weg, als sie ins Exil ging, war sie sechzehn Jahre alt.

Die Videos von Sophie Lux, zugeschaltet auf einer Vidiwall über der Box, erzählen nicht nur von einer trostlosen Kindheit und Jugend, aufgepeppt mit Jungs und Zungenküssen, von Aus- und Aufbruchsplänen, sondern auch vom plötzlichen Ende all dieser Zukunftsträume. Rosalie hat, weil von Alkopops betrunken, einen Autounfall gebaut. Die beste Freundin Ella (Marta Kizyma) kam uns Leben. Die beiden Mädchen auf der Leinwand in ihrem real existierenden Lebensunglück sind der anrührende, zu Herzen gehende Widerpart zum Irrealen des Bühnengeschehens.

Die kurzen Rückblenden offenbaren nun auch endlich das Geheimnis der Familie, erzählen von Daseinsvernichtung in mehrfacher Ausprägung, von Verstoßung innerhalb der Familie und aus der Gesellschaft, von Fensterlosigkeit, weil bei Sichtbarwerden doch nur Schimpf und Schande. Nichts herein-, nichts hinaus- und sich auf nichts einlassen, so seither die Werner’schen Devisen. Die durch das plötzliche Aufschlagen der Tochter aus dem Konzept gebracht werden. Sulaver spielt die Rosalie, schwarz gewandet, die Augen schwarz umrandet, als trotzig-verschreckte Kreatur. Nicht weiß man, wo sie war, woher sie kommt, was seither geschah … ein blutig-bandagiertes Knie, einen Buckel hat sie, und hält sich schief wie Richard III.

In Videorückblenden erfährt man, was passiert ist: Marta Kizyma (auf der Leinwand rechts als Ella) mit Sulaver, unten Birkhahn und Morzé. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Die Demütigungsspielchen eskalieren. Wo Blut schon ist, da fließt noch mehr. Die Eltern geben der Tochter die Schuld an ihrer Selbsteinsargung. Eine Klinge fährt in Vaters Hand, der mütterliche Kleinkrieg ums zunichte gemachte kleine Glück weitet sich von ihm auf die Tochter aus. Die Mutter mischt giftige Beeren in ihre orange Glibberkost, deswegen erfährt man, sie kannte aus der Pappschachtel immer einen Fluchtweg, hat nur den Mann zur Strafe wie gefangen gehalten.

Der toxische Brotaufstrich streckt Werner eins und Tochter Rosalie nieder. Sie sind tot. „Ich weiß nicht, wohin mit mir“, sagt Morzé/Werner zwei über ihren einsamen Schluss. Hilde heißt die Figur übrigens, und nicht einmal der Andachtsjodler wird ihr noch Frieden bringen.

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  1. 9. 2017

Burgtheater: Pension Schöller

Oktober 23, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Mit Berliner Schwung und Schnauze

Schwungvoll hinein in die Abendunterhaltung: Sabine Haupt und Roland Koch. Bild: Reinhard Werner, Burgtheater

Schwungvoll hinein in die Abendunterhaltung: Sabine Haupt und Roland Koch als Philipp Klapproth. Bild: Reinhard Werner, Burgtheater

Es ist ein gewisses Wagnis, man merkte es an den Foyergesprächen vor dem Einlass, in der Stadt, in der sich so viele noch an die legendäre Hugo-Wiener-Fassung mit Max und Alfred Böhm erinnern können, die „Pension Schöller“ auf die Bühne zu bringen. Das Burgtheater hat’s nun erstmals gewagt – und gewonnen.

Regisseur Andreas Kriegenburg macht alles neu und anders, heißt eigentlich, er bewegt sich näher entlang des Originals von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby, und damit macht er alles richtig. Dreieinhalb Stunden dauert seine Inszenierung und ebenso lange fackelt er ein Feuerwerk an schrägen Ideen und skurrilen Einfällen ab. Nun kann in diesem Schwank freilich nichts weltbewegend Welterklärendes gefunden werden, doch wer gekommen war, um sich zu unterhalten, wurde bestens bedient. Kriegenburg setzt auf Berliner Schwung und Schnauze, auf stummfilmartigen Slapstick, selbst wenn zeitweise ein bisschen arg viel gestolpert wird, denn nicht einmal der Bananenausrutscher darf da eingangs fehlen. Allerdings als Theatergag auf dem Theater. „Ike schäme mir so“, sagt der ausführende Zahlkellner im Kaffee dazu.

Immer wieder treten die Darsteller auch aus ihren Rollen, um ebendiese Menschenparodien noch zu persiflieren, immer auf der Suche nach der Steigerungsstufe für das Wort Wahn-Witz, und wenn einer zum anderen sagt: „Das Niveau ist auf der Flucht vor dir“, dann ist damit die Temperatur des Abends eingestellt. Das passende Kunstwerk dazu ist das Bühnenbild von Harald B. Thor, der Schriftzug Smile, wie aus Backsteinen gebaut, dreidimensional zu bespielen, mit Balkonen und Blumenfenstern. Alles dreht sich, alles bewegt sich, alle überschlagen und verheddern sich im nächsten Schabernack. Sogar eine Bollywood’sche Tanzeinlage darf da nicht fehlen.

Mit Christiane von Poelnitz als Schriftstellerin Josephine Krüger. Bild: Reinhard Werner, Burgtheater

Mit Christiane von Poelnitz als Schriftstellerin Josephine Krüger. Bild: Reinhard Werner, Burgtheater

Mit Max Simonischek als Schauspieler ohne L, Eugen Rümpel. Bild: Reinhard Werner, Burgtheater

Mit Max Simonischek als Schauspieler ohne L, Eugen Rümpel. Bild: Reinhard Werner, Burgtheater

Nun ist „Pension Schöller“ in erster Linie ein Fest für Schauspieler, und das Ensemble des Burgtheaters feiert sich und seine Kunst ausgiebig. Allen voran Roland Koch als Philipp Klapproth, der bis zum Schamhaar alles gibt. Er ist der reiche Privatier aus der Provinz, der Prototyp des braven Bürgers, der ein Abenteuer in der Großstadt erleben will und dem ein hinterlistiger Neffe ein Familienhotel als Irrenhaus vorgaukelt. Woran die Mieter in demselben nicht ganz unschuldig sind. Michael Masula brilliert als liebenswert-verrückter Weltreisender Fritz Bernhardy, die schamanische Reinigungsszene, der sich Klapproth an seiner Seite unterziehen muss, ist ein Kabinettstückchen für sich. Dietmar König ist als cholerischer Major a. D. Gröber ganz fabelhaft.

Christiane von Poelnitz hätte sich als nervige Schriftstellerin Josephine Krüger nicht nur einen Komödiantik-, sondern auch einen Artistikpreis verdient. Max Simonischek meistert sein Burg-Debüt mit Bravour. Er hat als Eugen Rümpel – der Schauspieler, der kein L sprechen kann – nicht nur eine der sprachlichst anspruchsvollsten Possenrollen ausgefasst, sondern eine, die vollen Körpereinsatz verlangt. Bernd Birkhahn und Sabine Haupt überzeugen als Schöller nebst Schwägerin auch mit einer musikalischen Einlage.

„Pension Schöller“ am Burgtheater ist irre lustig. Das Publikum reagierte mit lautem Lachen und viel Szenenapplaus. Was Schöneres lässt sich über einen Theaterabend sagen?

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Wien, 23. 10. 2016