Februar 22, 2014 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Und Wien ist doch noch Chicago geworden

Maria Bill
Bild: © Lalo Jodlbauer
Großes Kino. Das ist Michael Schottenbergs Inszenierung von Bert Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ am Volkstheater von Anfang an. Wenn im schwarzweißen Filmvorspann die Darsteller vorgestellt werden, wenn der Blick auf die nebelverhangenen bunkerhaften Häuserschluchten von Hans Kudlich freigegeben wird, wenn die Industriegeräusche zunehmend enervierend das Trommelfell perforieren, wenn dunkle Gestalten im Nadelstreif, sowohl Scarfaces als auch des Rechtenarmleuchters teuflische Gehilfen, über die Bühne huschen – da glaubt man sich im Film noir, und beobachtet „Gehetzt“, wie die „Bestie Mensch“ ihre „Blinde Wut“ auslebt, bis alles „Im Zeichen des Bösen“ steht. Und dann sie: Maria Bill, der Schnittpunkt in Schottenbergs Geisterbahngangsterspektakel. Als erste Frau spielt sie den Arturo Ui. Es ist Schottenberg gelungen die Brecht-Erben von dem zu überzeugen, was am Premierenabend offensichtlich ist: Dass die Bill die beste Wahl für die Rolle ist.
Brecht schrieb den Ui im finnischen Exil. Fasziniert vom Fall des legendären Verbrecherkönigs Al Capone entwarf er sein Stück vom miesen, kleinen Ganoven, der sich zum Herrscher über die ihm bekannte Welt aufschwingen will. Eine Parabel über den Aufstieg der NSDAP, über Etablierung und Festigung der Nazi-Herrschaft, angesiedelt in der Chicagoer Unterwelt. Eine Farce im Versuch „der kapitalistischen Welt Hitler dadurch zu erklären, dass er in ein ihr vertrautes Milieu versetzt wurde“. Wie leicht das alles zu verhindern gewesen wäre, gibt Brecht im Titel vor. Im Stück kriegt der mafiöse Karfioltrust stellvertretend für die „Führer“-Macher eine aufs Happl. Das Personal ist bekannt. Vom alten Dogsborough/Hindenburg, über die Bandenmitglieder Ernesto Roma/Ernst Röhm, Giri und Givola alias Göring und Goebbels, bis zum Cicero-/Austrofaschisten Ignatius Dullfeet.
Die großen politischen Verbrecher müssen durchaus preisgegeben werden, und vorzüglich der Lächerlichkeit. Dieses Brecht-Wort hat Schottenberg verinnerlicht. Wie’s seine Natur ist, kann sich der Volkstheater-Chef seinem volksbildnerischen Ansatz zwar nicht ganz entwinden; er verlängert Brechts tadelnd erhobenen Zeigefinger zum Rohrstaberl, weil: der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch, aber das versteht sich auch, weil: plakativ erklärt sich’s besser. Die Bill folgt diesem Weg. Ihr Ui hat von Frisur und Zweifinger-Bärtchen bis zum braunen Aufzug, in Mimik und Gestik die Grenze zur Karikatur überschritten. Er ist ein verzwickter Gnom, ein grauslicher Clown, ein Kasperl, zappelig, nervös, hochexplosiv. Mit zuckend-zittriger Grußhand lebt und erleidet er grimassierend seine unzählichen Ticks. Bill buchstabiert ihre Lecoq-Ausbildung rauf und runter. Heil Hitler! – Heil du ihn! ist der alte Witz, der auf ihr Spiel passt. „Lustig“ ist sie trotzdem nicht, vielmehr umgibt sie eine skurrile Scheußlichkeit, die dem Lachen die Gurgel umdreht. Wie sie gefinkelt den Dogsborough umgarnt und anwinselt, bis sie ganz „Der große Diktator“ ist. Ein kurzes Zitat über den Meister mit der Melone. Bill schnarrt und knattert den Text auf einer nach oben offenen Skala von unverständlich bis vielleicht-lautmalerisch-gemeint-? und formt zwischendurch mit den Armen schon mal ein Hakenkreuz. Bill schont weder das Publikum noch sich selbst. Neben ihr agieren Jan Sabo als Giri, Thomas Bauer als Givola oder Rainer Frieb als Dogsborough geradezu stoisch.
Das vielköpfige Ensemble ist auf der Höhe. Allen voran Patrick O. Beck, der den Ernesto Roma als brutal-loyalen Mitläufer anlegt, und schließlich doch mit ungläubigem Staunen als Uis erstes Opfer in den eigenen Reihen – siehe Röhm-Putsch – endet. Hanna Binder ist als Dockdaisy ein monroehaftes Flitscherl. Wie schon im „Woyzeck“ zeigt sie keine Angst vor Hässlickeit und ihre bemerkenswerte Gesangsstimme. Günter Franzmeier bekam einen der schönsten Parts zugesprochen: Als Schauspieler wird er Uis Lehrer. Als ein an Shakespeare Verzweifelter, als ein Prosporo, dem der Zauber ausgegangen ist, heißt sein unfreiwillig komisches Motto: Deklamieren bis zum Akklamieren, und er darf außerdem den Schoß-Schlusssatz sprechen. Was Ui bei ihm fürs Auftreten lernt, kann der gleich in der Brecht’schen Persiflage auf Fausts Gartenszene ausprobieren. Auch das ein Kabinettstückerl, diesmal für die unverwüstliche Inge Maux als Betty Dullfeet, die, angetan wie eine Primadonna vom Grünen Hügel, dem Ui in schrillsten Tönen erliegt.
Und Wien ist doch noch Chicago geworden. Michael Schottenberg hat’s möglich gemacht. Auch, wenn er sich dem Bezug zu aktuellen Papp-Kameraden verweigert, ist in seiner schmissigen Arbeit klar, wo der H*ase im Pfeffer liegt. Dummheit schützt vor Wählerstimmen nicht. Das sollte man: Niemals vergessen: Nimm‘ dich in Acht vor kleinen Männern mit ausrasierten Haaren und schmalem Bärtchen und ihrem locker sitzenden Browning.
www.volkstheater.at
Wien, 22. 2. 2014
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