Wiener Festwochen: Hass-Triptychon

Mai 26, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Abgefucktes Altarbild mit aggressiver Troll-Truppe

Bruno Cathomas (re.) und seine Trolle Jonas Grunder-Culeman, Johannes Meier, Abak Safaei-Rad, Aram Tafreshian und Çiğdem Teke. Bild: © Judith Buss

Wenn Aufregerregisseur Ersan Mondtag einen Text von Aufregerautorin Sibylle Berg inszeniert, darf man sich schon Besonderes erwarten, etwas schräg, schrill, Schreiendes, und tatsächlich – diesbezüglich enttäuschte der Berliner Theatermacher, der vergangenes Jahr bei den Wiener Festwochen die Gemüter mit seiner außergewöhnlichen Ratten-„Orestie“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=29002) beunruhigte, auch heuer nicht.

Am Volkstheater, ein Haus, um dessen Leitung in der Nachfolge Anna Badoras sich Mondtag übrigens beworben hat, brachte er Bergs „Hass-Triptychon – Wege aus der Krise“ zur Uraufführung, und malt deren düsteres Sittengemälde mit den ihm eigenen opulenten Farben aus. Wofür ihm Bühnenbildnerin Nina Peller eine Riege Pappmaché-Häuser hingestellt hat, die immer gleiche Fassadenprojektion eine gespenstische Ruine, und damit’s entsprechend spooky bleibt, darf sich manch Zuschauer vor seinem Sitznachbar gruseln – an die zwanzig Skelette, die im Schwarzlicht vor sich hinglimmen, die Bildungsschicht bis auf die Knochen verwest, denn Berg, berühmt-berüchtigte Sibylle grotesk-dystopischer Gesellschaftsprophezeiungen, siehe ihr aktueller Roman „GRM“, siehe ihr derzeit im Volx/Margareten zu sehendes Stück „Nach uns das All“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=33385), führt das Publikum in eine Prekariatswelt, eine Stadt an einem Autobahnzubringer, deren Bewohner die sogenannten Wohlstandsverlierer – und außerdem: Trolle sind.

Mit buntem Aufwärtshaar, Spitzohren und mitunter von Kostümbildnerin Teresa Vergho zum Muskelberg ausgepolstert. Auftritt Benny Claessens als „Hassmaster“, der im weißen Mantel und mit weißer Langhaarperücke aus einem Kanaldeckel kriecht und sich eine Zigarette anraucht. Auf den Zuruf der Souffleuse, dies doch bitte nur hinterm Eisernen Vorhang zu tun, antwortet er mit einem symbolbrechtigen Einreißen der „vierten Wand“. Er singt ein Liedchen, ist die Koproduktion mit dem Maxim Gorki Theater doch dank der Musik von Beni Brachtel, der Berg-Gedichte vertonte, als Anti/Musical ausgewiesen, er hüpft herum und skandiert dabei: „Theater – Realität – Theater – Realität“. Dies nicht der einzige Verweis auf Künstlichkeit, Mondtag, lässt sich interpretieren, befördert die Trolle zurück in ihre Onlineforen, wo sich die Hater hinter Nicknames verstecken, wenn sie ihre Aggressionen virtuell aufbauen.

Bild: © Judith Buss

Bild: © Judith Buss

Bald nämlich entpuppt sich die Truppe als Häufchen Hoffnungsloser, von der „Alkoholikerin der Herzen“ über den auftrainierten Content-Produzenten, vom Schwulen, der von „Teilzeitscheißjobs“ leben muss, über Digitalisierungs- und Outsourcingopfer zum desillusionierten Jugendlichen zum drogenrauschigen Kotzbrocken – und sie alle erzählen in aberwitzig zynischen Schimpftiraden von Missgunst, Ressentiments, Zorn und Zerstörungswut. Bruno Cathomas, Jonas Grunder-Culeman, Johannes Meier, Abak Safaei-Rad, Aram Tafreshian und Çiğdem Teke gestalten diese Trollarmee. Die Schau ist aber Benny Claessens, sein vulgäres Spiel bildet den Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung, wenn er, nur einen knappen Slip am silberglitzernden Körper, tanzt und sich lasziv räkelt, ein Herr über den Überrest der Menschheit.

Benny Claessens als weißer Hassmaster im Troll-Land. Bild: © Judith Buss

Ihnen allen gemein ist die Lethargie und die Langeweile des Sonntags, dies der erste Flügel dieses abgefuckten Altarbildes, und so wächst die Sehnsucht nach einem Montag, der Erlösung in Form von klar strukturierter Erwerbsarbeit bringen soll. Doch kaum ist der Montag im zweiten Flügel angebrochen, sehnt man sich bereits wieder nach dem Wochenende, also den Blick auf den dritten und letzten gerichtet, in dem der Hassmaster endlich zu den Waffen ruft.

Damit man real ausleben kann, was bisher nur im Internet möglich war. „Mit jedem Tag werden wir wütender“, lässt dieser Chor der Abgehängten wissen, während er sich vom digitalen Störfaktor zur veritablen Gefahr entwickelt. Das kann Sibylle Berg: Gegenwartsdiagnosen abliefern, die so fatalistisch wie treffsicher sind, und Ersan Mondtag liefert ihr die messerscharfen Bilder dazu.

www.festwochen.at

26. 5. 2019

Wiener Festwochen: Die Neger

Juni 6, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Alles ein einziges Missverständnis

Bettina Stucky (Félicité), Maria Schrader (Die Königin) [liegend], Stefan Hunstein (Archibald), Felix Burleson (Archibald), Gala Winter (Neige) Bild: (c) Julian Röder / JU Ostkreuz

Bettina Stucky (Félicité), Maria Schrader (Die Königin) [liegend], Stefan Hunstein (Archibald), Felix Burleson (Archibald), Gala Winter (Neige)
Bild: (c) Julian Röder / JU Ostkreuz

Es herrschte kathedralenhafte Stille im Akzent. Nachdem sich eine Initiative über den Stücktitel echauffiert hatte www.mottingers-meinung.at/wiener-festwochen-die-neger-bleiben/, wollten wohl viele im Zuschauerraum besonders „pc“ (politisch korrekt) sein. Le Seufz, wie die Franzosen sagen. Alles ein einziges Missverständnis. Erst nach einer Stunde wagten die ersten zu lachen, es gab aber auch „Schas“- und „I kenn‘ mi ned aus“-Gemurmel. Und in Kleingruppen organisierte Publikumsflucht. Ein Glück. Denn es blieben die, die den Schauspielern und damit ihrem Regisseur Johan Simons frenetischen Applaus spendeten. Ja, die Truppe wurde sogar noch einmal herausgefordert, als sie sich eigentlich schon Richtung Garderobe bewegen wollte. Welch ein Abend! (Zur Erklärung: Es war der zweite, nicht die Premiere.)

Simons hat Jean Genets 1958 entstandene Clownerie „Die Neger“ neuinszeniert. Auf eine wunderbare Weise. Wer das langweilig fand, sollte sich vielleicht einmal grundsätzlich mit dem Thema Theater beschäftigen. Denn Simons zeigt ein buntes – rosa, gelb, grünes – Schattenspiel auf weißen Plastikbahnen, dazu eine Maskerade bandagierter Köpfe – wie Degenfechterhelme -, die Genet auf den Punkt treffen: Die äußere Farbe ist nichts. Was gilt ist die innere Revolte, die zur Revolution wird. Noch dazu erklären die beiden einzigen Unmaskierten, die Archibalds Felix Burleson und Stefan Hunstein, gleich zu Beginn, dass es sich bei der Sache um ein Spiel, ein Schauspiel handelt. Es wird darüber gestritten, dem Text zu gehorchen, zu schnell oder zu langsam aufzutreten, bis die Archibalds drohen, den Abend abzubrechen, wenn nicht bald Disziplin herrscht. Mit einem Problem muss man sich außerdem beschäftigen: Man braucht für jede Vorstellung eine frische „Leiche“, die ist nämlich aus Wachs und tropft die ganze Zeit über durch das Gitter des Autopsiebettes. Bis am Ende keine Tote mehr da ist (nur Reste eines Popöchens), ergo kein Mordfall, ergo kein Stück. Oder?

Zugegeben: Genet ist nichts für Anfänger. Der Außenseiter in der Clique um Sartre, Cocteau, Boris Kochno, Simone de Beauvoir, Giacometti und Picasso, Moralist, Sympathisant der RAF, der PLO, der Black Panther und der algerischen Befreiungsfront FLN, schrieb eine Vorurteilssatire. „Wir spielen, um uns zu bespiegeln“, sagt Archibald. Und meint „die Weißen“ mit „Exotikfimmel“. Szenario: Mit beißendem Spott wird das rassistische Klischee vom lustmordenden „Neger“, der eine weiße Frau sexuell missbraucht und sie dann tötet, in seine Bestandteile zerlegt. Andere Spieler repräsentieren die Kolonialisten, die dem Mord eine groteske Strafexpedition folgen lassen. Die Darstellung des Ganzen: Sigi-Freud’isch „überspannt“. Köstlich, wie „die Weißen“ mit Krone (Königin), Kreuz (Missionar) und Gesetzbüchlein (Richter) die Insignien ihrer Macht auf dem Kopf tragen. Köstlich, wie „die Neger“, Männer wie Frauen, in Neger-Mama-Outfits wie in einer US-Südstaatenschmonzette verkleidet sind. Vom Winde gebläht. (Die Weißen sollen nämlich unter anderem weggefurzt werden.) Köstlich, wie der Mörder Village (Benny Claessens) von seinen Mitspielern aufgefordert wird, er möge sein Leid doch bitte in weniger Metaphern ausdrücken. Sie täten das schließlich auch nicht.

Simons offenbart den Surrealismus der Realität. Er kennt sich aus mit dem Existenzialismus, wenn „die Weißen“ in der Wüste vor Lepra, Fieber, Ameisenvölkern bibbern. Ein furchterregendes Land. Das sie trotzdem in Besitz halten möchten. „Aber wir sind doch hier in Frankreich“, sagt die Königin einmal. „Nein, das ist Afrika“, erwidert Village, „Noch ist Zeit. Kehren Sie um.“ Darauf die Königin: „Sie setzen auf unsere Erschöpfung.“ Sätze tiefer Wahrheit. Doch davon kommt noch mehr, wenn Genet prophetisch über Schwarze in schwarzen Rolls-Royces, die zu schwarzen Opernhäusern fahren, philosophiert. Die Geschichte der Ausschlachtung Afrikas hat viele Gesichter. Auch die der Bid Dadas. Am Ende von Simons Ausführungen kommt ein Mann mit Gewehr, dankt den Schauspielern für ihre „Ablenkung“, der neue, schwarze Führer sei nun an die Spitze geputscht.

Simons Schauspieler sind allesamt großartig. Ausdruck ohne Gesicht zu haben ist eine große Kunst. Allen voran brillieren Benny Claessens, Anja Laïs als Vertu, Maria Schrader als sich ständig an den Kopf fassende, weinende, hinrichtende Königin, Edmund Telgenkämper als Richter. Felix Burleson, der einzige „echte Schwarze“, ein niederländischer Schauspieler mit Wurzeln in Surinam, kommentiert die Handlung mit Zwischen-Achs, in Mimik und Gestik. Er ist das Herz der Inszenierung.

Nun gibt’s ja die, die meinen, die Kolonialzeit in Afrika sei doch längst vorbei, Genet also ein alter Hut, ohne Bezug zum Heute. Falsch. Er war nie aktueller. Denn über Afrika rollt Furcht und Schrecken und Terrorismus verbreitend seit Jahren die zweite Welle der Kolonisation. Wirtschaftlich angeführt von den Chinesen, ideologisch vom Islam. Staaten verkaufen einen niederländischen Konzern ihr Wasser, es wird privatisiert. Kinderhände, weil kleiner, holen aus Müllbergen von Laptops und Handys aus den Industriestaaten die weiter verwertbaren hochtoxischen Teile … „Wir gehen wie Larven in den Winterschlaf“, sagt die Königin, bevor sie stirbt. Zeit, diese endlich von den Gesichtern der Verantwortlichen zu reißen.

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6. 6. 2014