Belvedere – Joseph Rebell: Im Licht des Südens

Juni 14, 2022 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Franz‘ I. Museumsdirektor brachte Italien mit nach Wien

Joseph Rebell, Italienische Volksszene, 1820-24. Bild: Birgit und Peter Kainz, Wien Museum

Im Unteren Belvedere ist ab 15. Juni die Ausstellung „Joseph Rebell: Im Licht des Südens“ zu sehen. Rebell brachte die Sonne Italiens auf die Leinwand: Der 1787 in Wien geborene Landschaftsmaler verbrachte viele Jahre in Mailand, Rom und vor allem am Golf von Neapel. Bekannt wurde er nicht nur als einflussreicher Künstler und Impulsgeber, sondern auch als zukunftsweisender Museumsdirektor – er begann mit der Umgestaltung des

Belvedere in ein modernes Museum. Mit dieser ersten Einzelausstellung schließt das Belvedere eine Forschungslücke zu Joseph Rebell und widmet sich zugleich seiner eigenen Geschichte als Institution. „Joseph Rebell war in mehrfacher Hinsicht ein Vorreiter: Nicht nur seine Malerei beeindruckt bis heute, er entwarf auch seine Karriere auf dem Kunstmarkt so, wie sie unser Bild vom unabhängigen Künstlerdasein bis heute prägt. Als Direktor verwandelte er das ehemalige Sommerschloss Belvedere in ein fortschrittliches Museum. Der Blick auf Rebell ist ein Blick auf unsere eigene Institutionsgeschichte, aber auch auf einen der einflussreichsten Künstler seiner Zeit“, erklärt Generaldirektorin Stella Rollig im Gespräch.

Joseph Rebell lernte an der Wiener Akademie der bildenden Künste bei Laurenz Janscha und nahm Privat- unterricht bei Landschaftsmaler Michael Wutky. 1810 verließ er Wien, um zwei Jahre in Mailand zu verbringen. Von dort bereiste er Oberitalien, das er in zahlreichen Aquarellen der Gegend um Comer See, Lago di Lugano und Lago Maggiore festhielt. Nach einem Aufenthalt in Rom ließ er sich 1813 in Neapel nieder und erlangte mit seinen Ansichten vom Golf von Neapel, von Ischia, Capri, Amalfi und Sorrent internationale Berühmtheit.

Rebells Bilder erzählen von Sonnenuntergängen, von Schiffbrüchen oder Seestürmen und immer wieder vom Vesuv. Neben pittoresken Motiven widmete er sich aber auch versteckten Winkeln an der Küste von Neapel und malte Menschen bei der Arbeit im Hafen. Bis heute fasziniert an seinem Werk der neuartige Umgang mit Licht: Rebells Bilder gleichen einem Blick aus dem Fenster. Mit bislang in der Malerei ungekannter Intensität erfasste er den klaren Himmel und die Wärme der Sonne. Dieses Talent machte ihn bald zu einem bedeutenden Vorbild, das über die Jahre hinweg Landschaftsmalerinnen und -maler wie etwa jene der Scuola di Posillipo prägte. Damit zog er eine viele Kaufinteressierte aus ganz Europa an.

J. Rebell, Küste von Capri bei Sonnenuntergang, 1817. © Bayer. Staatsgemäldesammlungen München – Sammlung Schack

J. Rebell, Ansicht der Stadt Vietri mit Blick auf den Meerbusen von Salerno, 1819. Bild: Johannes Stoll/Belvedere, Wien

Joseph Rebell, Der Hafen Granatello bei Portici mit dem Vesuv im Hintergrund, 1819. Bild: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Joseph Rebell, Vesuvausbruch bei Nacht mit Blick auf die Scuola di Virgilio, 1822. © Belvedere, Wien, Bild: Johannes Stoll

„Es ist faszinierend, wie Rebell den Zugang zu den großen Persönlichkeiten seiner Zeit fand. In Mailand arbeitete er für Eugène de Beauharnais, den damaligen Vizekönig von Italien. In Neapel malte er für Königin Caroline Murat und war bei Hof ein gern gesehener Gast. In Rom, wo er ab 1817 lebte, genoss er bei den Reisenden aus vielen Nationen hohes Ansehen, was ihm Aufträge für zahlreiche Gemälde einbrachte“, so Kuratorin Sabine Grabner.

In dieser ersten Einzelausstellung zu Leben und Wirken von Joseph Rebell widmet sich das Belvedere vor allem den Ansichten Süditaliens, beleuchtet aber auch frühe Zeichnungen – etwa von oberitalienischen Seen – und die großformatigen arkadischen Landschaften der künstlerischen Anfänge. In Etappen wird Rebells Weg nachgezeichnet, vom Aufbruch nach Italien über die Erfolge in Neapel bis zu seiner Zeit am Belvedere, als er neben seiner Tätigkeit als Galeriedirektor auch weiterhin malte. In jener letzten Phase entstand etwa die Bildserie für Kaiser Franz I., die sich bis heute in den Schlössern Persenbeug und Artstetten befindet und in der Ausstellung gezeigt wird.

J. Rebell, Meeressturm beim Arco di Miseno bei Miliscola mit Blick gegen Nisida, 1819. Bild: Johannes Stoll/Belvedere, Wien

Joseph Rebell, Seesturm am Fuße des Kapuzinerklosters bei Amalfi, 1813. © Museo dell´Ottocento. Fondazione Di Persio-Pallotta, Pescara

Joseph Rebell als Direktor der kaiserlichen Gemäldegalerie im Belvedere

Schließlich wurde der österreichische Kaiser Franz I. auf Joseph Rebell aufmerksam. Er besuchte den Künstler in seinem Atelier in Rom und beauftragte ihn mit vier großformatigen Ansichten der Gegend um Neapel – sie befinden sich bis heute im Belvedere. Nach 14 Jahren in Italien kehrte ebell nach Wien zurück: Franz I. übertrug ihm im Jahr 1824 die Leitung der kaiserlichen Gemäldegalerie im Oberen Belvedere. In der kurzen Zeit bis zu seinem frühen Tod im Dezember 1828 ließ der neue Direktor das repräsentative Sommerschloss zu einem modernen Museum umbauen.

Rebell sorgte dafür, dass die klimatischen Bedingungen im Gebäudeinneren verbessert wurden. Dazu ließ er die Außenfassade baulich abdichten und eine Warmluftheizung einleiten. Die Ausstellungsräume wurden farblich gestaltet, die Bilderrahmen mit Namen und Lebensdaten der Künstlerinnen und Künstler versehen, die Gemälde nach und nach unter Mitarbeit von akademischen Malerinnen und Malern restauriert. Auch in der Kunstsammlung hinterließ Rebell seine Spuren: Unter anderem geht die Gründung der „Modernen Schule“ auf ihn zurück – einer Abteilung, die sich dem Ankauf und der Präsentation von zeitgenössischer Kunst widmete.

An der Landschaftsmalereischule der kaiserlichen Akademie, die er neben seiner Tätigkeit als Direktor der Gemäldegalerie leitete, propagierte er das Arbeiten vor der Natur. Auf dieser Basis und angeregt durch Rebells Bilder des Südens studierte die nächste Generation von Kunstschaffenden die Veränderlichkeit der Landschaft unter dem Einfluss des Sonnenlichts. Damit trug Rebell viel zur Qualität österreichischer Landschaftsmalerei der 1830er-Jahre bei.

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14. 6. 2022

Belvedere: Lebensnah. Realistische Kunst 1850 – 1950

März 14, 2022 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Mit Blick auf soziogesellschaftliche Gegebenheiten

Wilhelm Trübner: Caesar am Rubicon, um 1878. © Belvedere, Wien

Ist alles realistisch, was lebensnah scheint? Welche Kontinuitäten finden sich im Realismus über die Jahrzehnte hinweg? Die neue Sonder- schau im Oberen Belvedere „Lebensnah. Realistische Kunst von 1850 bis 1950“ zeigt ab 18. März den Facetten- reichtum einer Kunst- auffassung, die sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Jahr 1950 auch als Spiegel ihrer sozialen Umwelt verstand. Bis heute begeistern Werke realistischer Strömungen durch ihre beeindruckenden Maltechniken und Themenvielfalt.

Der Ausstellung ging ein Streifzug durch die Sammlung des Belvedere voraus. Die dabei entdeckten Werke, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den 1950er-Jahren stammen, haben sich einer wirklichkeitsgetreuen Wiedergabe verschrieben und werden nun in einer erhellenden Gegenüberstellung präsentiert. Welche Merkmale und Inhalte finden sich über diesen Zeitraum hinweg in den verschiedenen realistischen Ausrichtungen?

Edouard Frédéric Wilhelm Richter: Orientalin, um 1875. © Belvedere, Wien

Jef Leempoels: Die Weinenden, um 1895. © Belvedere, Wien

Sergius Pauser: Luis Trenker mit Kamera, 1938. © Belvedere, Wien

Hierfür werden Kunstwerke unterschiedlicher Entstehungsphasen miteinander konfrontiert. Die Schau zeigt bisher kaum gezeigte Gemälde, die sich durch eine lebensnahe Darstellung auszeichnen. Diese Nähe zur realen Welt wird vielfach durch eine besondere Akribie in der Maltechnik erzielt. Der Blick auf das, was „real“ zu sein scheint, rückt auch den sozioanalytischen Inhalt mancher Werke in den Fokus: So spiegeln realistische Sujets auch soziale und gesellschaftliche Realitäten wider.

Anton Filkuka: Holzsammelnde Kinder, 1925. Bild: Johannes Stoll / © Belvedere, Wien

Erich Miller-Hauenfels: Hof zwischen Großstadthäusern, 1934. © Belvedere, Wien

 

Herbert Ploberger, Stillleben, 1926. Bild: Johannes Stoll / © Belvedere, Wien

August Eduard Wenzel: Im Museum, 1939.
© Belvedere, Wien


Von vertrauten Motivgattungen wie dem Porträt oder dem Stillleben spannt sich der Bogen zu komplexeren Themen wie der Instrumentalisierung realistischer Malerei in der Politik und sozialer Einflussnahme. Mit einigen der Bilder gibt es nach Jahren im Depot ein Wiedersehen, darunter Édouard Frédéric Wilhelm Richters „Orientalin“ (um 1875), Emanuel Baschnys „Lesender Mann“ (1905), Erich Miller-Hauenfels’ „Hof zwischen Großstadthäusern“ (1934) und Gustav Klimts „Bildnis der Mathilde Trau“ (um 1893) – seit 2019 Dauerleihgabe im Belvedere. Die Ausstellung ist kuratiert von Kerstin Jesse und Franz Smola.

Zu sehen bis 1. November.

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14. 3. 2022

Belvedere: Face to Face. Marc Quinn meets Franz Xaver Messerschmidt

Februar 28, 2022 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Von der Faszination grotesk verzerrter Charakterköpfe

Marc Quinn, Emotional Detox II, 1995 (copyright Marc Quinn Studio) and Franz Xaver Messerschmidt, Character Head No.33, 1777/1783 (copyright Belvedere, Wien). Image courtesy of Marc Quinn studio

Ein Dialog zwischen zeitgenössischer Kunst und bedeutenden Werken aus der Sammlung des Museums: Das Belvedere stellt die WerkserieEmotional Detox“ des britischen Künstlers Marc Quinn den berühmten „Charakterköpfen“ des barocken Bildhauers Franz Xaver Messerschmidt gegenüber. Messerschmidts Arbeit inspiriert Quinn seit Langem – der direkte Einfluss der „Charakterköpfe“ auf die Entstehung vonEmotional Detox“ ist nun im Oberen Belvedere zu sehen, wo die beiden Werkgruppen erstmals miteinander gezeigt werden.

Marc Quinns acht lebensgroße skulpturale Selbstporträts entstanden in einer herausfordernden Phase im Leben des Künstlers, als er Anfang der 1990er-Jahre die körperlichen und seelischen Qualen eines Alkoholentzugs überwinden musste. In dieser Zeit betrachtete er regelmäßig die Messerschmidt-Skulptur „Der starke Geruch“ im Victoria and Albert Museum in London. Die ausdrucksstarke Darstellung aus dem 18. Jahrhundert inspirierte Quinn, seine eigene Erfahrung in der Serie „Emotional Detox“ auszudrücken. Die Verwendung der Materialien Blei und Wachs, die Spuren des Herstellungsprozesses und die expressive Darstellung kehren das innere Empfinden nach außen. Der Dämon, der dem Gemarterten an die Gurgel geht, ist er selbst. Die Hände des Bildhauers würgen und knuffen sein Abbild, boxen in sein Gesicht, pressen den Schädel. Die bis zur Taille reichende Büste ist stückhaft, roh, durchlöchert. Die Hände haben sich von den Armen gelöst und ein sadistisches Eigenleben begonnen. Der Bildhauer legt Hand an (sich selbst).

Marc Quinn: „Seit Beginn meiner Beschäftigung mit Kunst fesseln mich Franz Xaver Messerschmidts Skulpturen und seine unglaubliche Fähigkeit, Gefühle darzustellen. Mit diesen Werken gelang es Messerschmidt, die strengen Regeln der Hofkunst des 18. Jahrhunderts zu durchbrechen und lebensnahe Themen menschlicher Existenz darzustellen, die uns auch heute noch – 200 Jahre später – ansprechen. Als ich Anfang der 1990er-Jahre gezwungen war, meinen hedonistischen Lebensstil zu ändern, spendeten mir die ,Charakterköpfe‘ viel Trost. Ein Jahr lang konnte ich nicht arbeiten, erst durch Messerschmidts Werke fand ich wieder zur Kunst zurück. Sie brachten mich dazu, die Serie ,Emotional Detox‘ zu schaffen. Beide nun gemeinsam in den großartigen Räumen des Oberen Belvedere ausgestellt zu sehen, ist für mich die Erfüllung eines Traums.“

Marc Quinn, Fear of Fear, 1994. © Marc Quinn Studio. Image courtesy of Marc Quinn studio

Marc Quinn, Emotional Detox: The Seven Deadly Sins IV, 1995. © Marc Quinn Studio. Image courtesy of Marc Quinn studio

Marc Quinn, Emotional Detox: The Seven Deadly Sins VI, 1995. © Marc Quinn Studio. Image courtesy of Marc Quinn studio

Der Anspruch, den flüchtigen Ausdruck von Emotion in Mimik und Gestik festzuhalten und mit den Mitteln der Bildhauerei zu fassen, verbindet Marc Quinn und Franz Xaver Messerschmidt über die Zeiten hinweg. Beide Künstler arbeiten mit Blei, einem Material, das für seine Toxizität und seine Rolle in dem sagenumwobenen alchimistischen Vorgang, der in einem Prozess der Verwandlung zu Gold führt, essenziell ist. Die autobiografischen Arbeiten beider Künstler thematisieren zutiefst persönliche Lebenseinschnitte und zeigen ergreifende Selbstinszenierungen. Die Ausstellung „Face to Face“ ist die erste gemeinsame Präsentation der Werke von Franz Xaver Messerschmidt und Marc Quinn.

Franz Xaver Messerschmidt schuf die Werkgruppe der „Charakterköpfe“ in seinen letzten Lebensjahren von 1770/71 bis 1783, die er zurückgezogen und enttäuscht vom Wiener Kunstbetrieb in Bratislava verbrachte. Die zum Teil ins Groteske verzerrten Gesichter geben bis heute Rätsel auf. Ihre deskriptiven Titel erhalten die Köpfe erst von der Nachwelt. Was den Künstler zu diesen Darstellungen motiviert hat, wird bis heute heftig diskutiert. Das Belvedere besitzt mit 16 Originalen den größten Bestand an Messerschmidts „Charakterköpfen“, von denen bis heute eine große Faszination ausgeht. Durch ihre von jeder Generation neu erfahrene Aktualität laden sie zu einer Gegenüberstellung mit zeitgenössischen Positionen ein.

Franz Xaver Messerschmidt, Ein düstrer finstrer Mann, 1770/1783. © Belvedere, Wien. Image courtesy of Marc Quinn studio

Franz Xaver Messerschmidt, Ein Erhängter, 1771/1783. © Belvedere, Wien. Image courtesy of Marc Quinn studio

Franz Xaver Messerschmidt, Ein Schalksnarr, 1777/1783. © Belvedere, Wien. Image courtesy of Marc Quinn studio

Marc Quinn, 1964 in London geboren, ist einer der ausdrucksstärksten Künstler seiner Generation. Seine Skulpturen, Gemälde und Zeichnungen erforschen das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft, die Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur sowie den menschlichen Körper und die Wahrnehmung von Schönheit. Sein Werk nimmt häufig Bezug auf die Kunstgeschichte – von modernen Meistern bis zur Antike. Quinn wurde 1991 mit seiner „Skulptur Self“ bekannt, einem Abguss des Kopfes des Künstlers aus fünfeinhalb Litern seines eigenen gefrorenen Blutes. Während sich ein Großteil seiner frühen Arbeiten auf die Erforschung des Selbst konzentrierte, war Quinn bald fasziniert davon, die Erfahrungen anderer zu reflektieren – Werte, Wahrnehmung und die Bruchlinien der Gesellschaft infrage zu stellen.

Andere von der Kritik gefeierte Werke sind „Alison Lapper Pregnant“ (2005), ausgestellt auf dem Fourth Plinth des Londoner Trafalgar Square; „Planet“ (2008), eine monumentale Darstellung des Sohnes des Künstlers als Baby, dauerhaft installiert in Gardens by the Bay, Singapur; „Breath“ (2012), eine monumentale Nachbildung von „Alison Lapper Pregnant“, die für die Eröffnungszeremonie der Paralympics 2012 in London in Auftrag gegeben wurde, und „Self Conscious Gene“ (2019), eine 3,5 Meter hohe Bronzeskulptur des „Zombie Boy“ Rick Genest, die im Science Museum in London permanent ausgestellt ist. Quinns Werke sind in Sammlungen auf der ganzen Welt vertreten, darunter Tate, London, Metropolitan Museum New York, Guggenheim, Venedig, Stedelijk Museum, Amsterdam und Centre Pompidou, Paris.

Zu sehen bis 3. Juli

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28. 2. 2022

Belvedere Orangerie: Dalí – Freud. Eine Obsession

Januar 24, 2022 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Psychoanalyse und die Poetik des Surrealismus

Salvador Dalí, Cisnes reflejando elefantes (Schwäne spiegeln Elefanten wider), 1937. Esther Grether Familiensammlung © Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí / Bildrecht, Wien 2022 / Bild: Robert Bayer, Bildpunkt

Salvador Dalí verehrte Sigmund Freud. Das zeigt sich deutlich im Werk des großen Surrealisten, in dem Kernthemen der Psychoanalyse wie Unterbewusstes und Traumhaftes eine zentrale Rolle spielen . Die umfassende Ausstellung in der Belvedere Orangerie „Dalí – Freud. Eine Obsession“ zeigt ab 28. Jänner, wie sehr sich der Künstler konkret mit Freuds Theorien auseinandersetzte. Am 19. Juli 1938 traf Salvador Dalí in London den aus Wien geflohenen Sigmund Freud.

Das erste und einzige Treffen des Künstlers mit seinem Idol war auf Vermittlung von Stefan Zweig und Edward James zustande gekommen. Das Belvedere zeigt anhand von 150 Werken – darunter Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Filmen, Büchern, Zeitschriften, Briefen und anderen Dokumenten den Einfluss des Psychoanalytikers auf das Werk Dalís. Die Ausstellung verweist damit auf die enge Verbindung zwischen zwei der bedeutendsten Strömungen des 20. Jahrhunderts. Präsentiert werden etwa neue Forschungserkenntnisse, die zeigen, wie surrealistische Kunst den theoretisch oftmals besprochenen Zusammenhang zwischen Psyche und Physiologie von Nervengewebe aufgriff und veranschaulichte.

Salvador Dalí hatte ab den frühen 1920er-Jahren Zugang zu Übersetzungen der Schriften Freuds und studierte sie ausführlich. Davon beeinflusst setzte er sich ab 1926 mit der Poetik des Surrealismus auseinander und entwickelte eine neue Bildsprache, die sein Werk bis heute einzigartig macht. Persönlich traf er den Wiener Psychoanalytiker wie gesagt nur ein einziges Mal. Die Ausstellung, kuratier von Jaime Brihuega, schildert diese und weitere wegweisende Begegnungen des Künstlers, wie jene in der Residencia de Estudiantes in Barcelona mit dem Dichter Federico García Lorca oder dem Filmemacher Luis Buñuel.

Salvador Dalí, The Alert (Der Alarmzustand), um 1934. Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch, Berlin © Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí / Bildrecht, Wien 2021 / Bild: Jochen Littkemann, Berlin

Salvador Dalí, Bildnis Sigmund Freud, 1938. Freud Museum London © Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí / Bildrecht, Wien 2022

Salvador Dalí, Le jeu lugubre (Das düstere Spiel), 1929. Privatsammlung, Schweiz © Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí / Bildrecht, Wien 2022 / Photo White Images/Scala, Florence

Sie wie auch der Histologe und Nobelpreisträger Santiago Ramón y Cajal und dessen Zeichnungen vom Nervengewebe wurden letztlich bestimmend für Salvador Dalís surrealistisches Schaffen. Auch sein familiärer Hintergrund hatte großen Einfluss auf sein Werk, weshalb diesem nein weiterer Augenmerk der Schau gewidmet ist – der Künstler setzte sich mit seiner komplexen Jugend intensiv psychoanalytisch auseinander und verarbeitete diese wiederholt in seinen Gemälden.

Zu sehen bis 29. Mai

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24. 1. 2022

Belvedere 21: Ugo Rondinone. Akt in der Landschaft

Dezember 11, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Weltschmerz, der sich an schierer Schönheit bricht

Ugo Rondinone: nude (xxxxxxxxxxxxxx), 2011. Bild: © Stefan Altenburger. Courtesy of studio rondinone

Das Belvedere 21 wird am 12. Dezember mit einer Personale von Ugo Rondinone wiedereröffnet. Landschaften, Sonnen, Akte und Stillleben – Ugo Rondinones Bildwelten ziehen die Betrachtenden in eine neue Wirklichkeit hinein. Für seine erste Einzelausstellung in einem Museum in Österreich hat der multimedial arbeitende Konzept- und Installationskünstler einen vielstimmigen begehbaren Kosmos entworfen.

Stella Rollig, Generaldirektorin des Belvedere: „Erschöpfung, Melancholie, unerfüllbare Sehnsucht sind die Gemütszustände der Gegenwart angesichts einer beklemmenden Realität. Ugo Rondinone, der Magier, schafft ein Sinnbild dieser inneren Welten als Raum der Unwirklichkeit, in dem Weltschmerz sich an schierer Schönheit bricht.“

Seit mehr als dreißig Jahren überschreitet der gebürtige Schweizer Rondinone die Grenzen zwischen Medien und Disziplinen. Die Arbeiten des in New York lebenden

Künstlers basieren oft auf Themen und Motiven aus dem Alltag, die durch Isolation, Erweiterung oder eine spezifische Materialbehandlung eine poetische Dimension erhalten. Ideen der Romantik, des Erhabenen und der Vergänglichkeit klingen an wie auch Leitmotive, die Rondinones Werk bestimmen: Figuration und Abstraktion, Mensch und Natur, Tag und Nacht oder Raum und Zeit. In hochartifiziellen, Kunstgeschichte und Populärkultur zitierenden Installationen schafft er eindringliche Stimmungen, die das Lebensgefühl dieser Zeit einfangen.

„Akt in der Landschaft“ ist Ugo Rondinones erste Einzelausstellung in einem Museum in Österreich. Mit den im Ausstellungstitel genannten Genrebegriffen „Akt“ und „Landschaft“ öffnet der Künstler einen weiten kunst- und kulturhistorischen Bedeutungsraum, der durch unterschiedliche Zeitebenen hindurch bis in die Gegenwart reicht. Vor den Besucherinnen und Besuchern breitet sich in einer ruhigen, fast meditativ anmutende Atmosphäre ein „Landschaftstableau“ aus, das aus mehreren Elementen besteht.

Ugo Rondinone: nude (xx), 2010. Bild: © Stefan Altenburger. Courtesy of studio rondinone

Ugo Rondinone: nude (xxxxxx), 2010. Bild: © Stefan Altenburger, Courtesy of studio rondinone

Ugo Rondinone: nude (xxx), 2010. Bild: © Stefan Altenburger. Courtesy of studio rondinone

Im Zentrum steht eine monumentale Setzung: „two standing landscapes with sunrise and sunset“, 2021 entstanden, titelt die überdimensionale zweiteilige Arbeit, die Rondinone eigens für diese Ausstellung geschaffen hat. Diese über vier Meter hohen, 16 bis 18 Meter breiten und mehrere Tonnen schweren „Wände“ sind sowohl als Bilder als auch als Skulpturen lesbar. Zwei in unterschiedlicher Höhe platzierte kreisrunde Ausschnitte markieren dabei einen Sonnenaufgang und einen Sonnenuntergang. In unmittelbare Beziehung zu den „landscapes“ treten 14 lebensgroße „nudes“ aus den Jahren 2010/11: Wachsabgüsse von Tänzerinnen und Tänzern, festgehalten in einem Moment des Innehaltens und unbeteiligten Ruhens.

Dem Material der Figuren aus bis zu 20 Einzelteilen sind Erdpigmente von verschiedenen Kontinenten der Welt beigemischt. Teil dieses stimmungsvollen Settings sind auch die Serie „poems“, die Arbeit „winter cloud“ sowie eine Serie von Uhren ohne Zeiger: „red clock“, „blue clock“ und „yellow clock“. Eine durchsichtige Folienarbeit auf der Glasfassade des Belvedere 21 mit dem Titel „when the sun goes down and the moon comes up“ von 2021 lässt die Grenzen von Tag und Nacht, Innen- und Außenraum, Kunst und Natur verschwimmen. Die romantische Sehnsucht, einen bestimmten flüchtigen Augenblick festzuhalten oder vielmehr mit künstlerischen Mitteln an der Aufhebung der Zeit zu arbeiten, durchzieht die gesamte Ausstellung.

Ausstellungsansicht „Ugo Rondinone. Akt in der Landschaft“, hi.: winter cloud. Bild: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Kurator Axel Köhne über die Wirkung dieser Personalie: „Die Schau ,Akt in der Landschaft‘ lässt Gattungen, Begriffe und Rollen verschwimmen und ist immer wieder an die Wahrnehmung des Publikums zurückgebunden. Die Ausstellung bildet gegen die Zumutungen und die Geschwindigkeit der neoliberalen Welt eine fast unzeitgemäße magische Projektionsfläche, die sich einer eindeutigen Lesart entzieht und ein semantisches Rauschen und Vibrieren zulässt. Hat die rationale Moderne die Welt entzaubert, so arbeitet Rondinone an unserer melancholisch-romantischen Rückverzauberung.“

Über den Künstler: Ugo Rondinone, 1964 in Brunnen in der Schweiz geboren, studiert von 1986 bis 1990 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien bei Oswald Oberhuber und Ernst Caramelle. Davor  hat er als Assistent des Wiener Aktionisten Hermann Nitsch auf Schloss Prinzendorf gearbeitet und kurz an der Akademie  der bildenden Kunste bei Bruno Gironcoli studiert. 1997 zieht  er nach New York, wo er bis heute lebt  und arbeitet. 2007 vertritt er die Schweiz au( der Biennale in Venedig. Heute beeinden sich seine Arbeiten in musealen Sammlungen weltweit.

www.belvedere.at           ugorondinone.com

11. 12. 2021