Art Carnuntum – Shakespeare’s Globe Theatre: The Two Gentlemen Of Verona
August 5, 2016 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Ein flotter Ausflug in die Swinging Sixties

Launce mit seinem Hund Crab: Charlotte Mills und Musiker Fred Thomas. Bild: Barbara Pálffy
Shakespeare’s Globe Theatre ist wieder bei Art Carnuntum zu Gast und hat, zu sehen noch bis 6. August, „The Two Gentlemen Of Verona“ aus London mitgebracht. Regisseur Nick Bagnall verlegte die Irrungen und Wirrungen nicht nur optisch in die Sixties, das Bühnenbild gleich einem leuchtenden Wurlitzerbogen, die Kostüme wie aus den düstersten Ecken des eigenen Kleiderschranks, er zeigt auch eine swingende Musikrevue.
Um eine Band von Blumenkinder dreht sich das rasante Liebeskarussell des britischen Barden. Um Jugendliche, die gern so wild wie Mick und protestgebeutelt wie Bob wären, und doch nur brav Pullunder und Strickwesten tragen. Beige statt Psychedelic. Das heißt: in Verona, denn kaum in der Modemetropole Mailand angelangt, ändern sich Outfit und Attitüde. „The Two Gentlemen Of Verona“ gilt als Shakespeares erstes Stück. In der mutmaßlich rund um 1590 nach portugiesischer Vorlage entstandenen romantischen Komödie sind bereits die Motive für ein gutes Dutzend späterer Meisterwerke angelegt. Zwei Liebespaare über Kreuz, ein Mädchen, das sich als Bursche verkleidet, um dem Herzensmann folgen zu können, ein reumütiger Schurke, dem ergo vergeben wird, und zwei hinreißend komische Dienerfiguren. Shakespeare erlaubte sich einen einmaligen Kniff, den er später nie mehr wiederholen sollte, er schrieb eine stumme Hauptrolle – den Hund Crab, in Inszenierungen mal unsichtbar, mal aus Plüsch und bei Bagnall auf ganz besondere Art interpretiert.
Der vornehme Veroneser Jüngling Valentine muss also nach Mailand reisen, während sein Gefährte Proteus daheim bei seiner angebeteten Julia verweilen darf. In der Fremde angekommen verliebt sich Valentine in die schöne Sylvia, die Tochter des Herzogs, doch tut dies auch Proteus, der vom Vater dem Freund hinterhergesandt wurde. Proteus spinnt eine Intrige, um an sein Ziel zu gelangen, Valentine wird verbannt, nun steht dem Tunichtgut nur noch der tölpelige Thurio im Wege, den der Herzog eigentlich als Ehemann für sein Kind auserkoren hatte. Und dann ist da noch Julia, die in Mailand auftaucht, um nach ihrem Verlobten zu sehen …
Das Ensemble nimmt das Publikum sozusagen mit bis in die Carnaby Street, die Darsteller sind Hippies und Hipsters dieser vergangenen Tage, Youthquaker, und wie es sich für’s Globe gehört, natürlich auch eine einwandfreie Popband mit schrammelnden E-Gitarren, wummerndem Bass und treibendem Schlagzeug. James Fortune hat für die Aufführung neue Songs komponiert, die musikalisch irgendwo zwischen „Let it bleed“ und „Pain in My Heart“ angesiedelt sind, und so sind die Liebesbriefe nun 7″-Singles, die bei Missfallen der A-Seite zerbrochen statt zerrissen werden. Kämpfe werden statt mit dem Degen als Dancefloor-Combat oder als Krieg der Gitarreros ausgetragen, für die flotte Choreo sorgte Tom Jackson Greaves.

Männerfreundschaft fürs Leben: Guy Hughes und Dharmesh Patel. Bild: Barbara Pálffy

Mit der Geschmeidigkeit und der Grandezza eines Las-Vegas-Veteranen: Garry Cooper gibt den Duke. Bild: Gary Calton
Guy Hughes und Dharmesh Patel sind als Valentine und Proteus zu sehen, ersterer, nachdem von den Mailänder Mädchen fashiontechnisch vorzeigbar gemacht, liebenswert in seinen Liebesnöten, zweiterer ein Grimassen schneidender Windbeutel, der seine bösen Absichten per Seitenblick auf die Zuschauer kundtut, bevor er sie in die Tat umsetzt. Mit Leah Brotherhead als Julia und Aruhan Galieva als Sylvia stehen den Blutsbrüdern zwei überaus ehrenhafte Frauen gegenüber; Amber James spielt nicht nur die kecke Zofe Lucetta, sondern schmeißt als Thurio auch noch eine wunderbar missglückende James-Brown-Performance aufs Parkett. Garry Cooper gibt den Duke mit der geschmeidigen Grandezza eines Las-Vegas-Veteranen.
Zu den Höhepunkten des Abends zählen aber freilich die Auftritte von Charlotte Mills als Launce. Die Vollblutkomödiantin bildet gemeinsam mit dem Speed von Adam Keast ein Dienerduo als ob Laurel und Hardy dafür Pate gestanden hätten. Wenn der Verteiler bewusstseinserweiternder Glückspillen – nomen est omen – auf den Meister/die Meisterin im Missverstehen trifft, dann ist das zum Niederknien komisch. Hinzu kommen Launces Probleme mit Crab, bei dem’s Ansichtssache ist, ob man ihn als Sturkopf, Simpel oder der Welt größten Stoiker nehmen möchte. Zwar sagt er naturgemäß keinen Ton, doch lässt Musiker Fred Thomas, der in seine Haut, heißt: sein Fell schlüpft, philosophisch vielsagend das Banjo sprechen …

Shakespeare im Sixties-Style: Das Ensemble swingt und tanzt. Bild: Barbara Pálffy
Mit all den heiteren Sixties-Augenblicken wird die Sicht auf Shakespeare aber keineswegs verstellt, sondern sein Werk ebenso luftig-leicht wie tiefernst genommen. Dies ja die Spezialität der Briten. Doch Nick Bagnall lässt die Komödie diesmal nicht in Love, Peace & Happiness enden, er entschied sich im Kontrast zum Original für ein modernes Unhappy End. Bei dem die Frauen das letzte, wenn auch frustrierte Wort haben. Freilich, es kriegen sich alle.
Der Duke spricht ein Machtwort, die Männer matchen sich’s aus, es wird einander verziehen und um den Hals gefallen und Valentine freut sich, wie es geschrieben steht, auf „one feast, one house, one mutual happiness“. Bei so viel herrlicher Männerfreundschaft bleibt Julia und Sylvia nur, sich ihr zu erwartendes Ehe-Elend von der Seele zu rocken. Und tatsächlich lassen Leah Brotherhead und Aruhan Galieva ihre innere Janis frei, dass das römische Amphitheater in seinen Grundfesten erbebt: All is loneliness before me … Wofür es vom ohnedies schon hin- und mitgerissenen Publikum einen Extra-Jubel gab. Cheers!
Wien, 5. 8. 2016