Michael Sturminger im Gespräch
Januar 19, 2015 in Film
VON MICHAELA MOTTINGER
„Casanova Variations“: John Malkovich hoch Drei
Publikum strömt gut gelaunt in die Oper. An der Garderobe werden die Mäntel abgegeben, das erste Glas Champagner getrunken, die Plätze eingenommen. Casanova alias John Malkovich tritt auf – und bricht auf offener Bühne zusammen, das Orchester hört erschrocken auf zu spielen, Kollegen und Bühnenpersonal wollen Erste Hilfe leisten, eine Ärztin aus dem Publikum kommt, um zu untersuchen. Es ist nicht mehr klar, ob hier der dargestellte Casanova oder der Darsteller John Malkovich einen Schlaganfall erleidet. Doch als im nächsten Moment eine als Dottore verkleidete Sängerin die Szene in ein Commedia dell’arte-Ensemble von Mozart und Da Ponte überführt und unsere Protagonistin hinter einer Tapetentür versteckt zusieht, wie der sterbende Casanova dem Arzt beinahe das Ohr abschießt, um zu verhindern, dass er zur Ader gelassen wird, haben wir bereits verstanden, dass sich hier einer die Freiheit nimmt, zwischen allen Genres zu springen, um schlussendlich zu behaupten: Alles ist Kino! Dieser eine ist Regisseur Michael Sturminger.
Michael Sturminger: Ich weiß das nicht. Es verlangt vom Publikum eine gewisse Offenheit. Sie dürfen sich nicht davor schrecken, sie müssen sich in die Schönheit von Mozarts Musik, in das spannende Leben Casanovas, in das Charisma des Schauspielers John Malkovich fallen lassen, dann muss man vorher gar nichts wissen und wird alles verstehen. Der Zuschauer darf sich nicht so fühlen, als wäre er in einem fremden Land, in dem er die Sprache nicht spricht. Ich glaube, dass die Handlung ganz unmittelbar ankommt.
MM: Sie möchten also nicht verschrecken, sondern einladen.
Sturminger: Auf alle Fälle. Der Film ist nicht schwer zugänglich. Kommts! Wer mit offenem Herzen reingeht, wird mit vollem Herzen rausgehen.
MM: Der Film entstand aus dem Theaterstück „The Giacomo Variations“. Die Produktion hatte 2011 im Wiener Ronacher mit Malkovich Uraufführung und wurde im Anschluss weltweit gefeiert. John Malkovich und Sie scheinen eine Regisseur-Schauspieler-Beziehung aufgebaut zu haben, wie man sie nicht alle Tage findet.
Sturminger: Ich fühle mich deswegen auch geehrt. Das ist ein Privileg und eine Freude. Wir haben zuvor schon „The Infernal Comedy“ gemacht und CNN hat eine Doku gedreht. Als ich mir die später im Fernsehen angeschaut habe, sagt John über mich: „Nach dreißig Jahren als Schauspieler habe ich endlich meine verwandte Seele gefunden.“ Und ich saß da und dachte: Na, Servus! Das hat mir schon etwas bedeutet.
MM: Nun haben Sie ihn sogar dazu gebracht, zu singen. Nicht schön, aber von Herzen.
Sturminger: Und absolut richtig. Es geht ja in seinen Szenen nicht um Schöngesang, sondern um zur Rolle passenden. Er ist ja Casanova und keine Mozartfigur. Der Name kombiniert mit „Variations“ passt sehr gut zu John, weil er immer wieder Neues ausprobieren will. Das hat ihn an dem Ganzen sehr gereizt. Wie man die Vorstellung und das Dahinter sieht. Wir glauben beide, dass ein kreativer Prozess nur dann im Gange ist, wenn man nichts Fertiges abliefert, sondern jedes Mal im Augenblick Neues schafft. Ich strebe kein Idealbild an, sondern versuche, von Probe zu Probe herauszufiltern was richtig ist. Und umso mehr können dann auch Schauspieler beziehungsweise Sänger ihre eigenen Entscheidungen treffen, über das, was sie zeigen wollen. Das macht unglaublich viele Variationen möglich. Ich will auch nicht wissen, ob einer bei einer Szene sitzt oder steht. Ich bin ja nicht der Mann am Joystick, der das Spiel kontrolliert. Wenn einmal geklärt ist, wie eine Figur tickt, was da drin steckt, dann wird die Intuition beteiligt. Das ist ja das Schöne im Film, am Theater, an der Oper … Freiheit für den Augenblick, nicht etwas einzuhalten, nur weil es irgendwann einmal vereinbart war.
MM: Das ist der Eindruck, den ich auch über John Malkovich im Film hatte. Es gibt Momente, da ist er so bei sich, dass man ihn wahrscheinlich gar nicht unterbrechen könnte.
Sturminger: Und auch nicht wollte. Ja, der Eindruck ist vollkommen richtig. Wir haben ja gewisse Szenen mit der Handkamera gedreht. Und wenn John in dieser Art Trance war, habe ich zu meinem Kameramann André Szankowski gesagt: Halt einfach drauf. Viel Spaß, fang’ ein, was du kannst. So kam es natürlich zu einer Riesenmenge von sehr langen Einstellungen, dafür konnte man beim Schneiden auch größtmögliche Freiheit haben.
MM: John Malkovich ist Hauptdarsteller hoch Drei. Eine der schönsten diesbezüglichen Szenen ist, als „John Malkovich“ hinter der Bühne um ein Autogramm gebeten wird und der Fan fragt, ob er schwul sei, wie’s im Internet doch stünde. Schnitt. Ein Hofball. Und die Blaublütige, mit der Casanova tanzt, will sozusagen eine Namensliste, der von ihm Verführten. Malkovich darauf beide Male: „Was, erwarten Sie, sollte ein Gentleman darauf antworten?“
Sturminger: John Malkovich spielt einerseits John Malkovich. Dann auf einer Opernbühne den jungen Casanova, der immer wieder von Bariton Florian Boesch abgelöst wird, Malkovich gibt ihm sogar Perücke und Rock weiter, und den alten Casanova als Bibliothekar auf Schloss Dux. John war ein wenig skeptisch, weil es den Film „Being John Malkovich“ ja schon gegeben hat. Aber hier erfindet er eine imaginäre Figur seiner selbst, jemanden, der seinen Namen und sein Gesicht hat – und trotzdem habe ich alle Situationen, die auf dieser Ebene des Films vorkommen auf Theatertournee mit ihm erlebt, und auch, wie er darauf reagiert. Das war für mich wahnsinnig komisch. Er ist echt, macht aber eben gerade mit seiner Aura verständlich, was Casanova für seine Zeit war. Jemand, dem ein Ruf vorausgeeilt ist, berühmt-berüchtigt, beide mit einem Image behaftet und hinter diesem doch nur der nackte Mensch. So spinnt sich die Geschichte weiter. Casanova war ein hochsensibler, intelligenter Mensch, der immer der Idee auf der Spur war, was das Individuum sein kann, was Freiheit für den einzelnen bedeutet, ob Verletzung erst vorhanden ist, wenn sie decouvriert wird. Da gibt es viele Überlagerungspunkte. Daraus konnte ich einen Film machen, der keine historische Abhandlung über Casanova, sondern die gemeinsame Fantasie aller Mitwirkender zu einem größeren Fragenkreis ist.
MM: Und die „Altersszenen“ mit Veronica Ferres?
Sturminger: Sind eine Art Bespiegelung. Mehr als Erotik ist zwischen den beiden das Thema, was sie sieht, wenn sie ihn ansieht. Sie erfindet für ihn den Begriff des Romantikers, den es zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht gegeben hat, der aber in diesen Jahren zum ersten Mal auftaucht. Sie sagt, er ist ein Herz voller gebrochener Herzen, sie sagt, er liebte die Liebe als solche mehr als das Objekt seiner Hingabe. Er ist ein ewig Suchender, ein Idealist im pragmatischen Hochbarock. Casanova war ein moderner Mensch, der sich sein Leben jeden Tag neu erfinden musste, ein Schauspielerkind, dem niemand an der Wiege gesungen hat, dass er an Fürstenhöfen empfangen werden wird, politische Bücher schreibt, mit Voltaire, Jefferson, Katherina der Großen diskutiert, heißt: ein führender Kopf seiner Zeit wird. Diese politische Ebene „bespielen“ wir dort, wo sie in den Da-Ponte-Opern zu finden ist. Wir beginnen mit „Viva la libertà“ und enden auch damit. Wobei am Schluss der Tod die Befreiung ist …
MM: Erzählen Sie über Veronica Ferres am Set.
Sturminger: Veronica ist großartig. Sie ist ein Vollprofi und kann arbeiten bis zum … In der Bibliothek hat’s 40 Grad gehabt und wir haben ewig darin gedreht und es kam nie ein Wort. Sie ist wirklich jemand mit dem man Pferde stehlen kann, wahnwitzig vorbereitet und immer gut gelaunt. Es geht die Sonne auf, wenn sie kommt. Ein Gewinn für jedes Team und ein Motor. Und John und sie harmonieren ausgezeichnet. Die sind seit langer Zeit gute Freunde und sie treffen sich auch in ihrem Arbeitsethos. Das ist etwas, das nicht zu unterschätzen ist. Leute, die sich wichtiger nehmen, als alle anderen, können so eine Arbeit sehr schwierig machen. Diese beiden „Stars“, die so unfassbar kein Geld für diese Produktion bekommen haben, weil wir keines hatten, sehen sich als Teil des Ganzen und drehen an den Rädchen, bis sie ineinander greifen. Außerdem sind sie rührend zum Stab: John hat beispielsweise der verkühlten Regieassistentin Kräutertee aufgebrüht, damit es ihr besser geht.
MM: Martin Haselböck und das Originalklangorchester Wiener Akademie waren für den „guten Ton“ zuständig. Sie sind nicht nur nahe liegender Weise bei Mozarts „Don Giovanni“ geblieben, sondern haben sich musikalisch auch bei „Così fan tutte“ und „Le nozze de Figaro“ bedient.
Sturminger: Der Film ist ein eigenes Werk, da musste auch musikalisch was Neues passieren. Also alle drei Da-Ponte-Opern. Außerdem haben wir ein paar Adagios geplündert. Wir haben Themen gewählt, die mit dem Inhalt und diesem Klangkörper zu tun haben. Die Szene, in der Jonas Kaufmann Casanova auf der Bühne ersticht – während der alte Casanova in Veronica Ferres‘ Armen stirbt -, ist ein Terzett aus „Così“, der Graf Branicki ist eine Partie, die Jonas so nie singen würde, weil sie für einen Bariton geschrieben ist. Wir nehmen uns alle Freiheiten, auch musikalisch. Martin Haselböck und sein Orchester bringen eine Qualität ein, die unvergleichlich ist.
MM: Apropos, Qualität: Auch das Sängerensemble liest sich wie ein Who-is-Who der internationalen Opernwelt: Florian Boesch, Anna Prohaska, Jonas Kaufmann … Die haben alle sofort Ja gesagt, obwohl sie nur minutenlange Szenen haben?
Sturminger: Ja, (er lacht) der Name Malkovich zieht schon. Mit John zu spielen, ist schon lustig. Die meisten kannte ich auch gut, weil ich bereits mit ihnen gearbeitet habe, einige kannte ich nicht, sondern hab’ sie einfach angeschrieben. Ich musste niemanden lange überreden. Barbara Hannigan ist drei Mal angeflogen, hat gleichzeitig mit Simon Rattle geprobt. Anna hatte nur einen Tag frei. Jonas war bei den Salzburger Festspielen und hat als Gage nur um den Flug gebeten. Kerstin Avemo, die die Leonilda singt, hat schon mit Haneke die „Così“ gemacht. Bellino ist Kate Lindsey, die sonst an der MET singt. Fanny Ardant war die Lucretia. Ich bin ganz gerührt, wenn ich denke, was die alles gemacht haben, und was ich ihnen dafür nicht bieten konnte. Das ist kein Scherz, meine Frau Renate Martin hat als Kostümbildnerin bis in die Nacht hinein Blüten auf Röcke gestickt, weil wir eine Bildopulenz wollten, die wir uns eigentlich nicht leisten konnten. Wir wollten ein großes sinnliches Vergnügen schaffen. Menschen, die hemmungslos schön sind. Fazit: Mit ein bissl Geschick kann man alles teuer aussehen lassen (er lacht wieder).
MM: Sie zieht’s jetzt zurück zum Theater.
Sturminger: Mich zieht’s immer dort hin, wo Aufgaben und Menschen warten, die mich interessieren. Im März kommen zunächst die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von den Bregenzer Festspielen ans Theater an der Wien. Dann inszeniere ich am Landestheater Niederösterreich Maxim Gorkijs „Sommergäste“. Das hat am 24. April Premiere und ich freue mich sehr, weil ich immer schon mit Intendantin Bettina Hering arbeiten wollte. Und bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf, deren Intendant ich ja seit dem vergangenen Jahr bin, inszeniere ich Shakespeares „Sturm“. Mit Andreas Patton als Prospero.
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Wien, 19. 1. 2015